Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 13.01.2021, Az.: 3 W 118/20
Einziehung eines gemeinschaftlichen Erbscheins; Landesrechtlicher Richtervorbehalt
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 13.01.2021
- Aktenzeichen
- 3 W 118/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 10470
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2021:0113.3W118.20.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Göttingen - 04.06.2020 - AZ: 9 VI 881/19
Rechtsgrundlagen
- RPflG § 3 Nr. 2 Buchst. c
- RPflG § 16 Abs. 1 Nr. 7
- RPflG § 16 Abs. 3
- RPflG § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 5
- RPflG § 19 Abs. 2
- FamFG § 70 Abs. 2 S. 1
- FamFG § 81
- FamFG § 342 Abs. 1 Nr. 6
- FamFG § 352e
- Subdelegationsverordnung-Justiz § 1 Nr. 7
- ZustVO-Justiz § 14
- ZustVO-Justiz § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 4
- ZustVO-Justiz § 14 Abs. 1 S. 2
- GNotKG § 61 Abs. 1 S. 1
Fundstellen
- ErbR 2021, 357-359
- FamRZ 2021, 988
- ZAP EN-Nr. 125/2021
- ZAP 2021, 223
- ZEV 2021, 197-198
- ZErb 2021, 113-115
- ZErb 2021, 159-160
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Werden gegen die Einziehung eines Erbscheins Einwände erhoben, hat der Rechtspfleger das Verfahren nach dem landesrechtlichen Richtervorbehalt des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nds. ZustVO-Justiz dem Nachlassrichter zur weiteren Bearbeitung vorzulegen.
- 2.
Hat statt des zuständigen Richters der unzuständige Rechtspfleger entschieden, ist die Sache - unabhängig von ihrer etwaigen inhaltlichen Richtigkeit - vom Beschwerdegericht aufzuheben, an das Nachlassgericht zurückzuverweisen und zugleich dem Richter vorzulegen.
Tenor:
Auf die Beschwerde vom 6. Juli 2020 wird der Beschluss des Amtsgerichts Göttingen - Nachlassgericht - vom 4. Juni 2020 - 9 VI 881/19 - aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - durch den zuständigen Nachlassrichter - an das Amtsgericht Göttingen zurückverwiesen.
Gerichtskosten werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 20.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Einziehung eines gemeinschaftlichen Erbscheins.
1. Die Beteiligten sind die einzigen Kinder der Erblasserin. Die Erblasserin hat mit privatschriftlichem Testament vom 29. Dezember 2005 (Bl. 55 d.BA 9 IV 184/95) beide Beteiligte zu ihren Erben eingesetzt. Auf Antrag des Beschwerdeführers hat das Nachlassgericht auf Basis dieses Testaments den gemeinschaftlichen Erbschein vom 28. August 2019 erteilt, der beide Beteiligte als Erben zu je ½ ausweist.
Am 21. Februar 2020 hat die Beteiligte zu 2. das privatschriftliche Testament der Erblasserin vom 3. März 2008 (Bl. 63 d.BA 9 IV 184/95) bei dem Nachlassgericht abgeliefert; sie habe dieses in einem Umschlag beim Auflösen der Wohnung der Erblasserin gefunden (Bl. 72, 111 d.A.). Die Beteiligte zu 2. geht davon aus, dass das Testament vom 3. März 2008 richtig datiert und tatsächlich jünger als das Testament vom 29. Dezember 2005 sei, so dass der Erbschein einzuziehen sei. Der Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz vom 23. April 2020 (Bl. 84 f. d.A.) Einwände gegen die Einziehung des Erbscheins erhoben; er zweifelt an, dass das Testament vom 3. März 2008 tatsächlich zeitlich nach dem vom 29. Dezember 2005 errichtet worden sei; es bestehe der Verdacht, dass das Datum auf dem vermeintlich jüngeren Testament nachträglich angebracht worden sei.
2. Das Nachlassgericht hat durch angefochtenen Beschluss der Rechtspflegerin vom 4. Juni 2020 (Bl. 112-114 d.A.) den Erbschein vom 28. August 2019 eingezogen. Nach dem Testament vom 3. März 2008 hätten sich die Erbteile geändert. Das Datum auf diesem Testament stamme augenscheinlich von der Erblasserin; es seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, die dafür sprächen, dass das Datum erst später auf dem Testament angebracht worden sei.
Der Beschwerdeführer hat gegen den seinem Verfahrensbevollmächtigten am 10. Juni 2020 zugestellten Beschluss mit Schriftsatz vom 6. Juli 2020 - eingegangen am selben Tage - Beschwerde eingelegt. Es könne nicht übergangen werden, dass ein Sachverständigengutachten unter anderem zur Frage der Datierung des neuen Testaments beantragt worden sei. Es sei nicht auszuschließen, dass es sich zunächst um ein Testament ohne Datumsangabe gehandelt habe, sodass es ungültig sei, § 2247 Abs. 5 BGB. Nur die Zeichen des Datums seien bis in die Rückseite des Papiers durchgedrückt, nicht aber der Rest der Schrift. Die Beteiligte zu 2. habe die Erblasserin stets bedrängt, in ihrem Sinne zu testieren. Das Testament vom 29. Dezember 2005 habe die Erblasserin in Kopie beiden Beteiligten gegeben; das vom 3. März 2008 habe sie gegenüber dem Beschwerdeführer nicht erwähnt. Vorsorglich werde das jüngere Testament angefochten, weil der Erblasserin offensichtlich nicht mehr bewusst gewesen sei, dass sie bereits im Jahr 2005 ausdrücklich über ihre Immobilien verfügt habe. Hilfsweise halte der Beschwerdeführer an seinem Erbscheinsantrag fest, lediglich erweitert um einen Testamentsvollstreckungsvermerk. Hilfsweise beantrage er, die Beteiligte zu 2. als Alleinerbin auszuweisen, wenn die Verfügung über die Grundstücke als Vermächtnis zu seinen Gunsten zu werten sein sollten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 28. August, 15. September und 4. November 2020 (Bl. 146, 149-151, 173-176 d.A) Bezug genommen.
Die Beteiligte zu 2. ist der Ansicht, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht erforderlich sei; es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass das Datum nachträglich oder durch Dritte angebracht worden sei. Auch daraus, dass nicht mehr die beiden älteren Enkel der Erblasserin, sondern nunmehr deren beiden jüngeren Enkelkinder mit einem Vermächtnis bedacht seien, zeige, dass das Testament jünger sei als dasjenige aus dem Jahr 2005. Eine Anfechtung wegen Irrtums scheide aus; die Erblasserin habe mit der Teilungsanordnung erreichen wollen, dass die Beteiligte zu 2. - die Eigentümerin eines angrenzenden Grundstücks sei - das Nachlassgrundstück so teilen könne, dass beide Immobilien eine Einheit bildeten. Das bessere Verhältnis der Erblasserin zur Beteiligten zu 2. beruhe auch darauf, dass der Beschwerdeführer nach dem Tod seines Vaters Pflichtteilsansprüche geltend gemacht habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 5. Oktober 2020 (Bl. 158-161 d.A.) Bezug genommen.
Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss der Rechtspflegerin vom 11. November 2020 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Der eingezogene Erbschein sei auch deshalb unrichtig, weil er keinen Testamentsvollstreckungsvermerk enthalte, der aber nach dem Testament vom 8. März 2008 erforderlich sei, da danach die Beteiligte zu 2. das mit zwei Häusern bebaute Nachlassgrundstück teilen solle. Die Frage der Höhe der Erbteile sei in einem neuen Erbscheinsverfahren neu zu beurteilen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 11. November 2020 (Bl. 207 f. d.A.) Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg, weil der angefochtene Beschluss vom hier funktionell unzuständigen Rechtspfleger erlassen worden und daher aufzuheben ist.
1. Zur Entscheidung über die Einziehung von Erbscheinen ist beim Nachlassgericht funktionell grundsätzlich der Rechtspfleger zuständig, § 3 Nr. 2 lit. c RPflG i.V.m. § 342 Abs. 1 Nr. 6 FamFG. Es gibt jedoch bundes- und landesrechtliche Richtervorbehalte. Der bundesrechtliche Richtervorbehalt des § 16 Abs. 1 Nr. 7 RPflG ist in Niedersachsen nicht anwendbar (a); nach dem landesrechtlichen Richtervorbehalt des § 14 Abs. 1 Satz 2 ZustVO-Justiz ist hier funktionell der Nachlassrichter zuständig (b).
a) Der Richtervorbehalt § 16 Abs. 1 Nr. 7 RPflG ist in Niedersachsen nicht anwendbar: Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 RPflG sind die Landesregierungen ermächtigt, Richtervorbehalte aufzuheben, soweit sie (unter anderem) Geschäfte nach § 16 Abs. 1 Nr. 7 RPflG betreffen. Dies umfasst auch die Einziehung von Erbscheinen.
Das Land Niedersachsen hat diese Befugnis dem Ministerium für Justiz übertragen (§ 1 Nr. 7 der Verordnung zur Übertragung von Ermächtigungen auf den Gebieten der Rechtspflege und der Justizverwaltung [Subdelegationsverordnung-Justiz] vom 6. Juli 2007). Dieses hat von der Ermächtigungsgrundlage durch die Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten in der Gerichtsbarkeit und der Justizverwaltung (ZustVO-Justiz) vom 18. Dezember 2009 Gebrauch gemacht. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 ZustVO-Justiz sind die Richtervorbehalte unter anderem für die Geschäfte nach § 16 Abs. 1 Nr. 7 RPflG aufgehoben, also auch für die Einziehung von Erbscheinen.
b) Der niedersächsische Verordnungsgeber hat - auf Basis der Öffnungsklausel des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 RPflG - statt des Richtervorbehalts nach § 16 Abs. 1 Nr. 7 RPflG den in § 19 Abs. 2 RPflG für den Fall des Gebrauchs der Öffnungsklausel vorgeschriebenen anderen Richtervorbehalt geschaffen (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 10. August 2020 - 3 W 92/20 -, MDR 2020, S. 1321 [1322] m.w.N.). Die Aufhebung des Richtervorbehaltes ist nur für einvernehmliche Verfahren vorgesehen; für den Fall, dass gegen den Erlass der beantragten Entscheidung Einwände erhoben werden, sieht § 19 Abs. 2 RPflG eine Vorlagepflicht an den Richter vor (Schmid, RPflG, 1. Auflage 2012, § 19, Rn. 2). Ein solches streitiges Verfahren liegt vor, wenn zwischen widerstreitenden, im Verfahren klar zum Ausdruck gebrachten Positionen verschiedener Beteiligter zu entscheiden ist. Dabei kommt es weder auf einen förmlichen Antrag noch auf die förmliche Beteiligtenrolle der Vertreter der widerstreitenden Interessen an. Insoweit sind maßgeblich allein die im Verfahren zum Ausdruck gebrachten unterschiedlichen Rechtspositionen (Gierl, in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, 3. Auflage 2019, § 352e FamFG, Rn. 6; Krätzschel, in: Firsching/Graf, Nachlassrecht, 11. Auflage 2019, § 38 Rn. 16). Diese Vorlagepflicht ist in § 14 Abs. 1 Satz 2 ZustVO-Justiz umgesetzt worden. Danach hat der Rechtspfleger das Verfahren dem Richter zur weiteren Bearbeitung vorzulegen, soweit gegen den Erlass der beantragten Entscheidung Einwände erhoben werden (vgl. Krätzschel, a.a.O., § 38, Rn. 16, § 39, Rn. 5).
Dies ist hier der Fall, denn der Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz vom 23. April 2020 Einwände gegen die Einziehung des Erbscheins erhoben; er zweifelt an, dass das Testament vom 3. März 2008 tatsächlich zeitlich nach dem vom 29. Dezember 2005 errichtet worden sei; es bestehe der Verdacht, dass das Datum auf dem vermeintlich jüngeren Testament nachträglich angebracht worden sei. Aufgrund des Schriftsatzes vom 23. April 2020 hätte der Rechtspfleger die Sache gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 ZustVO-Justiz dem Nachlassrichter zur weiteren Bearbeitung vorlegen müssen (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 10. August 2020 - 3 W 92/20 -, MDR 2020, S. 1321 [1322] m.w.N.).
2. Hat - wie hier - statt des zuständigen Richters der unzuständige Rechtspfleger entschieden, ist die Sache - unabhängig von ihrer etwaigen inhaltlichen Richtigkeit - vom Beschwerdegericht aufzuheben, an das Nachlassgericht zurückzuverweisen und zugleich dem Richter vorzulegen (OLG Braunschweig, a.a.O. m.w.N.).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG.
Die Festsetzung des Gegenstandswertes des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 61 Abs. 1 Satz 1 GNotKG. Danach ist für den Wert eines Beschwerdeverfahrens der Antrag des Beschwerdeführers maßgeblich. Der Beschwerdeführer möchte hier erreichen, dass es bei dem Erbschein vom 28. August 2019 verbleibt, nach dem der gesamte Nachlass zu je ½ auf die Beteiligten aufgeteilt würde und nicht - wie nach dem Testament vom 3. März 2008 - nur das Immobilienvermögen, während die Beteiligte zu 2. das Mobiliarvermögen allein erhielte. Der Wert des Mobiliarvermögens beträgt nach Angaben der Beteiligten zu 2. im Erbscheinsverfahren ca. 40.000,00 € (Bl. 89 d.A.), so dass das Interesse des Beschwerdeführers am Erhalt des ursprünglichen Erbscheins mit 20.000,00 € zu beziffern ist.
Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG besteht kein Anlass.