Amtsgericht Bremervörde
Urt. v. 16.12.2008, Az.: 5 C 296/08
Erstattungsfähigkeit von Inkassokosten zusätzlich zu Rechtsanwaltskosten
Bibliographie
- Gericht
- AG Bremervörde
- Datum
- 16.12.2008
- Aktenzeichen
- 5 C 296/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 37291
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGBREMV:2008:1216.5C296.08.0A
Rechtsgrundlagen
- § 19 Abs. 1 RVG
- Nr. 2300 VV RVG
- Nr. 2302 VV RVG
- Nr. 3100 VV RVG
- Nr. 3101 VV RVG
- § 254 BGB
- § 118 Abs. 2 S. 1 BRAGO
Fundstellen
- AGS 2009, 302-303
- FoVo 2009, 125-127
- NJW 2009, 1615-1616
In dem Rechtsstreit
...
hat das Amtsgericht Bremervörde
nach der Sachlage am 28.11.2008
durch den Direktor des Amtsgerichts Claudé
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 95,84 EUR vom 27.03.2008 bis zum 01.09.2008 sowie 2,50 EUR zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 3/10 und der Beklagte zu 7/10.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §495 a ZPO abgesehen.
Der Beklagte schuldete der Klägerin 95,84 EUR und befand sich aufgrund der Mahnung vom 17.03.2008 seit dem 26.03.2008 im Zahlungsverzug, so dass er gem. §§286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB der Klägerin Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 95,84 EUR bis zur Zahlung der geforderten Summe am 01.09.2008 zu zahlen hat. Die Klage ist weiter aus §286 Abs. 1 BGB in Höhe von 2,50 EUR für die Mahnung der Klägerin vom 21.04.2008 begründet. Sie ist nicht begründet, soweit die Klägerin 2,50 EUR für die Mahnung vom 17.03.2008 begehrt, weil es sich insoweit um die verzugsbegründende Mahnung handelt.
Die Klage ist nicht begründet, soweit die Klägerin die nach Nr. 2300 VV RVG berechneten außergerichtlichen Anwaltskosten von 39,00 EUR von dem Beklagten als Verzugsschaden gem. §§280, 286, 249 ff BGB ersetzt verlangt.
Die von der Klägerin gewählte Art der Beauftragung ihres Prozessbevollmächtigten mit zwei nach Nr. 2300 und Nr. 3100 VV RVG vergütungspflichtigen Aufträgen verstößt gegen die aus §254 BGB folgende Schadensminderungspflicht, weil nicht die kostengünstigste Möglichkeit der Beitreibung der Forderung gewählt wurde.
Wird zu demselben Gegenstand ein Klageauftrag erteilt, dienen vorprozessuale Aufforderungsschreiben des Rechtsanwaltes an den Schuldner der Vorbereitung der Klage und gehören deshalb gem. §19 Abs. 1 RVG zum Rechtszug. Eine Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG entsteht nicht (OLG Hamm in NJW RR 2006, 242 f [OLG Hamm 31.10.2005 - 24 W 23/05]; Gerold/Schmidt/v. Eicken, RVG, 16. Aufl., §19 RVG, Rn 10). Wenn die Klägerin ihrem Prozessbevollmächtigten sogleich einen Klageauftrag erteilt hätte, wäre für das außergerichtliche Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 28.5.2008 keine Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG angefallen.
Nach der Rechtsprechung des BGH sind nicht alle durch das Schadensereignis verursachten Rechtsverfolgungskosten des Geschädigten zu ersetzen. Die Anwendung der in §254 BGB enthaltenen Regeln führt dazu, dass nur solche Aufwendungen des Gläubigers zu ersetzen sind, die aus der Sicht eines wirtschaftlich denkenden Menschen zur Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (BGH in NJW 1986, 2243 ff [BGH 30.04.1986 - VIII ZR 112/85]). Der Geschädigte ist grundsätzlich gehalten, von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwenden Kosten beeinflussen kann (BGH in NJW 2007, 2916 [BGH 26.06.2007 - VI ZR 163/06], [BGH 26.06.2007 - VI ZR 163/06] BGH in NJW 2003, 2085 f [BGH 29.04.2003 - VI ZR 393/02], [BGH 29.04.2003 - VI ZR 393/02] BGH in NJW 2003, 2086 ff [BGH 29.04.2003 - VI ZR 398/02][BGH 29.04.2003 - VI ZR 398/02]). Unter mehreren Möglichkeiten, eine Forderung geltend zu machen, hat der Geschädigte die kostengünstigste zu wählen (vgl. BGH in NJW 2006, 466 ff).
§118 Abs. 2 Satz 1 BRAGO sah die volle Anrechnung der für die außergerichtliche Tätigkeit eines Rechtsanwaltes entstandenen Gebühr auf die im anschließenden gerichtlichen Verfahren entstehende Gebühr vor. Unabhängig von der Art des dem Rechtsanwalt erteilten Auftrages entstanden durch die außergerichtliche Tätigkeit bei einem späteren Rechtsstreit über dieselbe Forderung keine höheren Rechtsverfolgungskosten. Die Beauftragung eines Rechtsanwaltes entspricht dem adäquaten Kausalverlauf und verstößt in der Regel nicht gegen §254 BGB (vgl. Palandt §286 BGB Rn 47). Nach dem RVG kommt nunmehr aber bei der Beitreibung einer Forderung eine gestufte Beauftragung in Betracht, bei der die außergerichtliche Tätigkeit zusätzlich zu vergüten ist. Denn das RVG sieht nur noch eine anteilige Anrechnung der Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG für außergerichtliche Tätigkeit auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG vor. Die gestufte Beauftragung eines Rechtsanwaltes, bei der Gebühren nach Nr. 2300 VV RVG und 3100 VV RVG entstehen, verstößt deshalb in der Regel gegen die Schadensminderungspflicht (§254 BGB), weil stets höhere Rechtsverfolgungskosten als bei Erteilung eines unbedingten Klageauftrages entstehen.
Der Rechtsanwalt ist zu einer umfassenden Belehrung seines Auftraggebers verpflichtet. Er hat die Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziel zu führen geeignet sind, und Nachteile für den Auftraggeber zu verhindern (vgl. BGH in NJW 1991, 2079 ff [BGH 16.05.1991 - IX ZR 131/90]). Er muss über die günstigste Verfahrensgestaltung belehren und vorab klären, ob im Falle der Erfolglosigkeit außergerichtlicher Bemühungen Klage erhoben werden soll.
Die Klägerin ist also darüber aufgeklärt worden, dass bei der gestuften Beauftragung zusätzlich zu der für die außergerichtliche Tätigkeit zu zählenden 1,3-fachen Geschäftsgebühr die aufgrund der Anrechnungsvorschrift auf das 0,65-fache verminderte Verfahrensgebühr für den späteren Rechtsstreit zu zahlen ist, während bei Erteilung eines unbedingten Klageauftrages die Kosten für die außergerichtliche Tätigkeit von der 1,3-fachen Verfahrensgebühr erfasst worden wäre. Ferner müsste mitgeteilt worden sein, dass sich die Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VV RVG auf den 0,8-fachen Gebührensatz mindert, wenn der Beklagte auf die außergerichtliche Aufforderung vom 28.05.2008 gezahlt oder die Klägerin sich entschlossen hätte, den Auftrag vor Anrufung des Gerichts zu kündigen. Eine vergleichbare Minderung der Gebühr sieht Nr. 2300 VV RVG nicht vor.
Wer einen Rechtsanwalt mit der Beitreibung einer Forderung beauftragt, will im Zweifel auch Klage erheben. Ein wirtschaftlich denkender Geschädigter rechnet mit der Insolvenz des Schuldners und will deshalb eine möglichst geringe Vergütung an den Rechtsanwalt zahlen. Wer wie hier für außergerichtliche Tätigkeit eine 1,3 Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG ausgibt, obwohl bei Erteilung eines Klageauftrages diese Tätigkeit neben der 1,3 Verfahrensgebühr nicht zu vergüten ist, verhält sich wirtschaftlich nicht vernünftig und löst Kosten aus, die nicht erforderlich sind.
Die Klägerin durfte auch sogleich einen Klageauftrag erteilen. Denn aus §254 BGB lässt sich nicht die Verpflichtung eines Gläubigers ableiten, vor Erteilung eines Klageauftrages zunächst etwa durch ein einfaches, nach Nr. 2302 VV RVG vergütungspflichtiges Schreiben eine außergerichtliche Regulierung zu versuchen. Der Geschädigte kann sogleich den zweckmäßigsten und sichersten Weg der Beitreibung durch Erteilung eines Klageauftrages wählen.
Der von der Klägerin zitierten Auffassung des OLG Celle (Urteil vom 25.10.2007, Az. 13 U 146/07), dass bei einem bedingten Klageauftrag, der nur für den Fall des Scheiterns außergerichtlicher Bemühungen erteilt wird, die Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG entsteht, kann nicht gefolgt werden. Sie differenziert nicht zwischen aufschiebender und auflösender Bedingung. Die Erfolglosigkeit außergerichtlicher Bemühungen ist schon begrifflich keine Bedingung. Eine Bedingung ist ein zukünftiges Ereignis, das für einen Dritten ersichtlich und nachprüfbar - objektiv - eintreten kann. Die Bedingung, die hier eintreten konnte, war die Zahlung. Eine Nichtzahlung kann nicht eintreten und ist deshalb keine Bedingung. Ein nur für den Fall des Scheiterns außergerichtlicher Bemühungen erteilter Klageauftrag ist also ein durch die Zahlung des Schuldners auflösend bedingter Klageauftrag, der gem. §158 Abs. 2 BGB endet, wenn der Schuldner zahlt und damit die Bedingung eintritt. Bei einem auflösend bedingten Klageauftrag entsteht sofort die Gebühr nach Nr. 3100 VV RVG und keine Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG.
Angesichts der Mahnung der Klägerin vom 21.04.2008, in der sie formulierte, dass es sich um die 2. und letzte außergerichtliche Mahnung handele und sie ankündigte, bei ausbleibender Zahlung das gerichtliche Mahnverfahren einzuleiten, ist es unverständlich, warum sie entgegen ihrer eigenen Ankündigung einen nach Nr. 2300 VV RVG vergütungspflichtigen Auftrag zur außergerichtlichen Tätigkeit erteilte.
Die durch die gestufte Beauftragung entstandenen Mehrkosten sind nicht zu ersetzen, weil die Klägerin ihrer Obliegenheit nicht nachgekommen ist, unter zwei Arten der Beauftragung ihres Prozessbevollmächtigten, die kostengünstigste zu wählen (vgl. BGH a.a.O.).
Die hier vertretene Auffassung steht im Einklang mit der überwiegenden Rechtsprechung zur Erstattungsfähigkeit von Inkassokosten. Danach können Inkassokosten nicht zusätzlich zu den Rechtsanwaltskosten verlangt werden, wenn es anschließend zum Prozess kommt, weil der Gläubiger zur Schadenminderung sogleich einen Rechtsanwalt hätte beauftragen können (vgl. Palandt/Heinrichs §286 BGB, Rn 49). Etwas anderes kann nicht für die Kosten der außergerichtlichen Tätigkeit eines Rechtsanwaltes gelten, dem der Gläubiger sogleich einen unbedingten Klageauftrag hätte erteilen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§92 Abs. 1, 91 a ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.