Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 13.09.2017, Az.: 4 B 2967/17
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 13.09.2017
- Aktenzeichen
- 4 B 2967/17
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2017, 25692
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Fundstelle
- ZfSH/SGB 2018, 572
Gründe
I.
Der Antragsteller stammt nach eigenen Angaben aus der Elfenbeinküste. Er reiste zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt in das Bundesgebiet ein, ohne im Besitz hierfür erforderlicher Reisedokumente oder eines Visums gewesen zu sein.
Am 31.12.2016 beantragte er beim Polizeipräsidium Freiburg, Polizeirevier Weil am Rhein, Asyl. Pass- oder Passersatzdokumente führte er nicht mit. Die daraufhin ausgestellte Anlaufbescheinigung vom 31.12.2016 enthielt als Geburtsdatum "25.05.1990". Die in diesem Zusammenhang erfolgte und vom Antragsteller unterschriebene Belehrung nach § 20 Abs. 2 AsylVfG vom 31.12.2016 enthielt ebenfalls als Geburtsdatum "25.05.1990".
Am 03.01.2017 stufte das Jugendamt der D. den Antragsteller als volljährig ein und setzte sein fiktives Geburtsdatum auf den 01.01.1999 fest. Dabei bewertete ihn das Jugendamt körperlich als "erwachsen/reif" sowie geistig/emotional als "gesprächig", "ruhig/still" und "aufmerksam". Unter dem Punkt "Hinweise, Widersprüche, Umstände, die bei der Befragung offenbar wurden" kreuzte das Jugendamt das Feld "Verhalten im Gespräch" an.
Am 04.01.2017 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Antragsteller eine Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender aus, die der Antragsteller unterschrieb und die als Geburtsdatum den 01.01.1999 enthielt. Die vom Antragsteller ebenfalls unterschriebene Niederschrift zum Asylantrag vom 12.01.2017 enthielt beim Geburtsdatum die Angabe "01.01.1999".
Mit Schreiben vom 15.08.2017 beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner seine Inobhutnahme. Er trug vor, das bei der Ausländerbehörde geführte Geburtsdatum 01.01.1999 stimme nicht. Vielmehr sei er am 25.10.1999 geboren. Dies habe er nur deswegen nicht mehr angegeben, weil ihm sein wahres Geburtsdatum - nach der Altersfeststellung durch das Jugendamt der D. - nicht mehr geglaubt worden sei. Die Altersfeststellung sei unbeachtlich, weil sie nicht den fachlichen Kriterien entspreche. Die abgegebenen Bewertungen seien ungenau und nicht nachvollziehbar. Darüber hinaus sei es widersprüchlich, wenn er einerseits als "gesprächig" und andererseits als "ruhig/still" bezeichnet werde. Aus dem Vermerk "Verhalten im Gespräch" seien keine nachprüfbaren Rückschlüsse auf konkrete Widersprüche möglich. Die Altersfeststellung sei zudem nicht durch zwei Fachkräfte durchgeführt worden. Aus dem Formular gehe ferner nicht hervor, welche Fachkraft die Befragung durchgeführt und welche an dieser nur teilgenommen habe. Vorliegend gelte die Maxime, dass im Zweifel die Minderjährigkeit anzunehmen sei, um einen hinreichenden Minderjährigenschutz zu gewährleisten.
Mit Bescheid vom 22.08.2017 lehnte der Antragsgegner die Einleitung einer Schutzmaßnahme ab, weil es sich beim Antragsteller um einen jungen Volljährigen handle, für den Jugendhilfe nicht in Betracht komme. Der Antragsgegner gehe von dem Geburtsdatum 01.01.1999 aus. Beanstandungen in Bezug auf die Altersfeststellung seien gegenüber dem Jugendamt der D. geltend zu machen.
Am 23.08.2017 erhob der Antragsteller hiergegen Klage. Er vertieft seine im behördlichen Verfahren vorgetragene Begründung. Darüber hinaus trägt er ergänzend vor, ein Rückgriff auf die Altersfeststellung vom Jugendamt der D. sei dem Antragsgegner verwehrt. Vielmehr habe sich dieser selbst einen Eindruck zu verschaffen und den Sachverhalt in eigener Verantwortung zu würdigen.
Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn in Obhut zu nehmen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er verweist auf das im Rahmen des Asylverfahrens vom Antragsteller angegebene und durch seine Unterschrift bestätigte Geburtsdatum "01.01.1999". Im Übrigen sei nicht ersichtlich, wie der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers auf das Geburtsdatum 25.10.1999 komme.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II.
Der Eilantrag hat Erfolg. Der als Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthafte Eilantrag ist zulässig und begründet.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) hat der Antragsteller die Eilbedürftigkeit der begehrten gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund) und seine materielle Anspruchsberechtigung (Anordnungsanspruch) glaubhaft zu machen. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
a) Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die einstweilige Anordnung ist zur Wahrung eines effektiven Rechtsschutzes im Sinne von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG geboten. Bei dem als richtig unterstellten Geburtsdatum des 25.10.1999 käme die Entscheidung in der Hauptsache mit Blick auf die alsbaldige Volljährigkeit des Antragstellers zu spät, was zu einem Anspruchsverlust führen würde (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 20.10.2011 - OVG 6 S 51.11 und 6 M 63.11, [...] Rn. 8). Der Antragsteller kann auch nicht darauf verwiesen werden, bis zur ordnungsgemäß durchgeführten Alterseinschätzung einstweilen in einer Asylbewerberunterkunft für Erwachsene zu verbleiben. Denn die dortige Unterbringung und Leistungsgewährung sind mit denen in einer Jugendhilfeeinrichtung oder Pflegefamilie nicht vergleichbar (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.06.1999 - 5 C 24/98, Rn. 29 f.; Bayerischer VGH, B. v. 23.09.2014 - 12 CE 14.1833, Rn. 18).
b) Der Antragsteller hat zudem einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Denn die Interessen des Antragstellers am Erlass der einstweiligen Anordnung überwiegen im Rahmen einer Nachteilsabwägung die öffentlichen Belange.
Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch - Achtes Buch (SGB VIII) ist das Jugendamt berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten. Nach § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist das Jugendamt berechtigt und verpflichtet, ein ausländisches Kind oder einen ausländischen Jugendlichen vorläufig in Obhut zu nehmen, sobald dessen unbegleitete Einreise nach Deutschland festgestellt wird. Die (vorläufige) Inobhutnahme setzt voraus, dass die betroffene Person minderjährig ist. Gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 und 2 SGB VIII sind von der (vorläufigen) Inobhutnahme nur Kinder und Jugendliche umfasst. Kind ist, wer noch nicht 14 Jahre alt ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII) und Jugendlicher ist, wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII).
(1) Zwar kann eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Antragsteller in der Hauptsache einen Anspruch auf die beantragte Inobhutnahme hat, nicht festgestellt werden. Allerdings kann die Ablehnung der Inobhutnahme durch den Antragsgegner nicht auf die vom Jugendamt der D. am 03.01.2017 durchgeführte Altersfeststellung gestützt werden, sodass die Erfolgsaussichten der Klage mit Blick auf die im Hauptsacheverfahren vorzunehmende Altersfeststellung offen sind. Die Altersfeststellung des Jugendamtes der E. ist für den Antragsgegner weder verbindlich (vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 18/6392, S. 20; Bayerischer VGH, B. v. 23.09.2014 - 12 CE 14.1833, Rn. 21), noch kann er sich die Feststellungen erfolgreich zu Eigen machen. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners können Einwendungen gegen die Altersfeststellung nicht (nur) gegenüber dem Jugendamt der D. geltend gemacht werden. Denn die Voraussetzungen einer Inobhutnahme durch den Antragsgegner hat dieser in einer eigenständigen Prüfung zu klären. Die Altersfeststellung selbst stellt mangels Regelungscharakter keinen Verwaltungsakt dar. Sie ist vielmehr "bloße" Vorfrage zu einem Verwaltungsakt - hier: der Inobhutnahme. Der Antragsgegner kann zwar eine bereits vorgenommene Altersfeststellung eines anderen Jugendamtes heranziehen. Allerdings ist dies nur insoweit tragfähig, als die Altersfeststellung nicht zu beanstanden ist. Das ist hier aber gerade nicht der Fall. Es bestehen konkrete, auf den Einzelfall bezogene Anhaltspunkte dafür, dass die Richtigkeit der Altersfeststellung ernstlich in Frage gestellt ist, weswegen auch eine Bindung an die Feststellung des Jugendamtes der D. nach § 33a SGB I nicht in Betracht kommt (vgl. Weselski in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, § 33a Rn. 11). Dabei unterliegt die Altersfeststellung einer vollumfänglichen gerichtlichen Überprüfung. Dem Jugendamt steht bei der Altersfeststellung kein Beurteilungsspielraum zu, der die gerichtliche Überprüfung einschränken würde (vgl. Bayerischer VGH, B. v. 05.04.2017 - 12 BV 17.185, Rn. 34 ff.).
Gemäß § 42f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist die Minderjährigkeit im Falle fehlender Ausweispapiere hilfsweise mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme einzuschätzen und festzustellen. Dabei ist nach dem Willen des Gesetzgebers der Gesamteindruck zu würdigen, der neben dem äußeren Erscheinungsbild insbesondere die Bewertung der im Gespräch gewonnenen Informationen zum Entwicklungsstand umfasst. Die Altersfeststellung hat auf der Grundlage von Standards zu erfolgen, wie sie bspw. die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter (BAG LJÄ) in ihren Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen beschlossen hat (vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 18/6392, S. 20). Diese stellt maßgeblich auf das äußere Erscheinungsbild, den Entwicklungsstand und den Gesamteindruck ab. Es werden bestimmte äußere Merkmale der Person (z. B. Stimmlage, Körperbau, Bartwuchs), etwaige Hinweise, Widersprüche und Umstände, die bei der Befragung offenbar wurden, sowie die Darlegung des Gesamteindrucks empfohlen (vgl. Anlage 1b zur Handlungsempfehlung, http://www.bumf.de/de/startseite/handlungsempfehlung-der-bag-ljae-zu-umf, Stand: 12.09.2017). Ob neben der körperlichen Untersuchung eine zusammenfassende Begutachtung mit weiteren (zahn-)ärztlichen Untersuchungen vorzunehmen ist (dafür: Bayerischer VGH, B. v. 23.09.2014 - 12 CE 14.1833, Rn. 21; Arbeitsgemeinschaft für Forensische Altersdiagnostik der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin, Empfehlungen für die Altersdiagnostik bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen außerhalb des Strafverfahrens, https://campus.uni-muenster.de/fileadmin/einrichtung/agfad/empfehlungen/empfehlung_asylverfahren.pdf, Stand: 12.09.2017) oder aber das Abstellen auf bestimmte äußere körperliche Merkmale im Wege einer "einfachen" Inaugenscheinnahme genügt, kann vorliegend offen bleiben. Jedenfalls bedarf es einer nachvollziehbaren und überprüfbaren Dokumentation des Ergebnisses der Inaugenscheinnahme, wobei insbesondere die Gesamtwürdigung in ihren einzelnen Begründungsschritten transparent sein muss (vgl. Bayerischer VGH, B. v. 05.04.2017 - 12 BV 17.185, Rn. 32; OVG B-Stadt, B. v. 22.02.2016 - 1 B 303/15, Rn. 16). Diesen Anforderungen wird die Altersfeststellung des Jugendamtes der D. nicht gerecht. Es fehlen bereits Feststellungen zu konkreten äußeren körperlichen Merkmalen.
Ob die Angaben "gesprächig" und "ruhig/still" - wie der Antragsteller meint - zu einem unauflösbaren Widerspruch führen, kann dahinstehen. Sie bilden jedenfalls keine tragfähige Grundlage für die Einstufung des Antragstellers als minderjährig oder erwachsen. Denn jene Eigenschaften können sowohl bei Erwachsenen als auch Minderjährigen auftreten und sind nicht typisch für eine der beiden Altersklassen. Die entscheidenden Felder (kindlich und erwachsen) sind im Formular gerade nicht markiert. Zur körperlichen Statur des Antragstellers enthält die Altersfeststellung lediglich die Angabe "erwachsen/reif". Worauf sich diese Einschätzung stützt, insbesondere Haarwuchs, Körperbau und -größe, wird nicht dargelegt. Auch der unter "Hinweise, Widersprüche, Umstände, die bei der Befragung offenbar wurden" angekreuzte Punkt "Verhalten im Gespräch" enthält keinerlei erläuternden Ausführungen. Insbesondere bleibt offen, welche Hinweise, Widersprüche oder Umstände sich durch welches konkrete Verhalten ergeben haben. Dass die Handlungsempfehlungen der BAG LJÄ zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen diesbezüglich ebenfalls nur den Punkt "Verhalten im Gespräch" vorsehen, ändert daran nichts. Denn ungeachtet der fehlenden Nachprüfbarkeit empfiehlt die BAG LJÄ darüber hinaus weitere - detaillierte - Angaben zum äußeren Erscheinungsbild und zum Gesamteindruck. In der Zusammenschau mit dem Fragebogen zur Altersfeststellung besteht zumindest die Möglichkeit, mehr Rückschlüsse auf etwaige Widersprüche ziehen. Solche detaillierten Angaben fehlen indes vorliegend, sodass auch eine Zusammenschau mit dem Fragebogen die Feststellung der Volljährigkeit des Antragstellers nicht rechtfertigt.
Die offenen Erfolgsaussichten der Hauptsache können allein aufgrund der widersprüchlichen Angaben des Antragstellers im Asylverfahren einerseits und im Jugendhilfeverfahren andererseits nicht verneint werden. Die Widersprüche rechtfertigen zwar Zweifel an dem vom Antragsteller im Rahmen des Antrags auf Inobhutnahme angegebenen Geburtsdatum, weshalb auch hinreichender Anlass für eine Altersfeststellung besteht (vgl. Bayerischer VGH, B. v. 05.04.2017 - 12 BV 17.185, Rn. 40). Allerdings sind allein widersprüchliche Angaben für die Entscheidung über das Vorliegen einer Minderjährigkeit nicht maßgeblich und vermögen auch nicht die Anforderungen an eine qualifizierte Altersfeststellung zu senken. Im Übrigen sind im Falle ernsthafter Zweifel hinsichtlich des Alters des Betroffenen von Amts wegen alle Möglichkeiten auszuschöpfen, das Alter des Betroffenen festzustellen. Die dem Betroffenen obliegende materielle Beweislast für das von ihm behauptete Alter als anspruchsbegründende Tatsache tritt erst dann ein, wenn alle möglichen Erkenntnisquellen ausgeschöpft sind (vgl. Bayerischer VGH, B. v. 23.09.2014 - 12 CE 14.1833, Rn. 22; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 20.10.2011 - 6 S 51.11, [...] Rn. 6).
(2) In dem Fall, dass - wie hier - die Erfolgsaussichten der Hauptsache offen sind, ist ein Anordnungsanspruch dann zu bejahen, wenn eine Nachteilsabwägung zu einem Überwiegen der Interessen des Antragstellers führt (vgl. Bayerischer VGH, B. v. 23.09.2014 - 12 CE 14.1833, Rn. 25; B. v. 13.08.2014 - 19 CS 14.1196, [...] Rn. 21). Dies ist gegeben, wenn die Folgen, die entstehen würden, wenn die einstweilige Anordnung unterbleibt, das Hauptsacheverfahren später aber erfolgreich ist, gegenüber den Folgen, die entstehen würden, wenn die einstweilige Anordnung ergeht, das Hauptsacheverfahren aber später erfolglos ist, als unerträglicher anzusehen sind. Das Überwiegen der Interessen des Antragstellers ist bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen und dem Gericht allein möglichen summarischen Prüfung vorliegend gegeben.
Im Falle des Unterbleibens der einstweiligen Anordnung und des späteren Erfolgs in der Hauptsache kann die Inobhutnahme nicht mehr umgesetzt werden. Eine solche kommt gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 und 2 i. V. m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB VIII nur für Kinder und Jugendliche in Betracht, die noch nicht 18 Jahre alt sind. Im Zeitpunkt der Entscheidung in der Hauptsache wird der Antragsteller - auch nach dem von ihm angegebenen Geburtsdatum - aber bereits volljährig sein. Die fehlende Nachholbarkeit der Inobhutnahme ist deswegen als besonders schwerwiegend zu bewerten, weil damit der Sinn und Zweck von §§ 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII unterlaufen wird. Mit diesen Regelungen wollte der Gesetzgeber gerade sicherstellen, dass unbegleitet eingereiste Minderjährige nicht in asylrechtlichen Aufnahmeeinrichtungen oder Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden. Dies allein entspricht auch den Anforderungen an Art. 20 UN-Kinderrechtskonvention, wonach Kinder, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und aus ihrer familiären Umgebung herausgelöst sind, Anspruch auf besonderen staatlichen Schutz und Beistand in Form einer kindgerechten Betreuung in einer Pflegefamilie oder in einer geeigneten Kinderbetreuungseinrichtung haben. Dies ist in einer asylrechtlichen Aufnahmeeinrichtung regelmäßig nicht gewährleistet. Das Asylbewerberleistungsgesetz enthält zudem keine dem SGB VIII vergleichbaren Leistungen. Demgegenüber wiegen etwaige finanzielle Nachteile des Antragsgegners infolge der vorläufigen - aber im Nachhinein aufgrund einer die Volljährigkeit bestätigenden Altersfeststellung sich als überflüssig erweisenden - Inobhutnahme deutlich geringer (vgl. Bayerischer VGH, B. v. 23.09.2014 - 12 CE 14.1833, Rn. 18 und 26).
Soweit in der bis zur Entscheidung in der Hauptsache vorläufig angeordneten Inobhutnahme eine Vorwegnahme der Hauptsache zu sehen wäre, ist diese jedenfalls ausnahmsweise zulässig. Denn der Erlass der einstweiligen Anordnung ist zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes im Sinne des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, insbesondere mit Blick auf die alsbaldige Vollendung des 18. Lebensjahres des Antragstellers, unerlässlich. Dem steht nicht entgegen, dass die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht "sehr wahrscheinlich" (so fordernd aber OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 20.10.2011 - OVG 6 S 51.11 und 6 M 63.11, [...] Rn. 9), sondern "nur" offen sind. Zwar hat der Antragsteller durch die unterschiedlichen Angaben seines Geburtsdatums im Asyl- und Jugendhilfeverfahren die Glaubhaftigkeit seiner Behauptung geschmälert. Anders als in dem vom OVG Berlin-Brandenburg zu entscheidenden Fall liegt hier aber bereits eine Altersfeststellung vor. Dass diese nicht den fachlichen Standards entspricht, kann im einstweiligen Rechtsschutz nicht dazu führen, den Antragsteller auf den für ihn in zeitlicher Hinsicht unzumutbaren Ausgang der Hauptsache zu verweisen (so auch Bayerischer VGH, B. v. 23.09.2014, a. a. O., Rn. 28).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.
Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz, wobei die Kammer die Hälfte des Auffangwertes hier als der Bedeutung der Sache für den Antragsteller entsprechend ansieht.