Arbeitsgericht Osnabrück
Urt. v. 19.03.1997, Az.: 1 Ca 639/96

Verhaltensbedingte Kündigung eines mit Netzwerkpflege betrauten Arbeitnehmers bei Einsichtnahme in die Datei Beurteilungen und Ausdruck der Datei; Entbehrlichkeit einer Abmahnung bei Abruf geschützter, nicht offenkundiger, personenbezogener Daten; Fristlose Kündigung bei rechtswidriger Einsichtnahme in personenbezogene Daten

Bibliographie

Gericht
ArbG Osnabrück
Datum
19.03.1997
Aktenzeichen
1 Ca 639/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 10389
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:ARBGOSN:1997:0319.1CA639.96.0A

Fundstelle

  • RDV 1998, 118

Verfahrensgegenstand

Feststellung

In dem Rechtsstreit
hat die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Osnabrück
auf die mündliche Verhandlung vom 19.03.97
durch
den Richter am Arbeitsgericht ... als Vorsitzenden ... und
die ehrenamtlichen Richter ... und ... als Beisitzer
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 07.10.1996 erst zum 31.05.1997 aufgelöst wird.

  2. 2.

    Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

  3. 3.

    Kosten:

    1. a)

      Kläger 75 %,

    2. b)

      Beklagte 25 %.

  4. 4.

    Streitwert: 25.000,00.

Tatbestand

1

Der am 02.08.1942 geborene Kläger stand zuletzt als Betriebsingenieur seit dem 12.08.1963 in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten, einem Unternehmen der Lebensmittelindustrie. Die Beklagten kündigte das Arbeitsverhältnis unter dem 07.10.1996 fristlos, hilfsweise fristgerecht. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 14.10.1996 bei Gericht eingegangenen Klage.

2

Dem Kläger waren - befugt oder unbefugt - vom Zeugen Elischberger, dem Leiter der EDV-Abteilung, die sogenannten Supervisor-Äquivalente übertragen worden, mit denen die Kenntnis der Serfer-Passworte verbunden war, die es ermöglichte, in das EDV-System der Beklagten Einblick zu nehmen. Der Kläger hatte sich von seiner Wohnung aus on-line in das EDV-System der Beklagten hineinbegeben, war dort auf eine "Datei BEURT." gestoßen, diese Datei ausgedruckt und später die Ausdrucke in der "grünen Tonne" (für Papier) entsorgt. Diese Datei enthielt in streitigem Umfang Beurteilungen von Mitarbeitern der technischen - Abteilung, in der auch der Kläger beschäftigt war.

3

Der Kläger trägt vor:

4

Der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Ein Kündigungsgrund läge nicht vor. Die ordnungsgemäße Zustimmung der Gewerkschaft zur ordentlichen Kündigung werde bestritten. Er habe zur Netzwerkpflege zulässig und ordnungsgemäß vom Zeugen ... die Supervisor-Äquivalente erhalten und diese gemäß Anordnung des Zeugen ... auch an den Zeugen Böker weitergegeben. Er habe nur in seine eigene Beurteilung zulässigerweise Einblick nehmen wollen. Im übrigen sei ihm auch als Netzwerkbetreuer/Systemverwalter erlaubt gewesen, in die Dateien Einblick zu nehmen.

5

Der Kläger stellt deshalb den Antrag,

festzustellen, daß die fristlose wie die fristgerechte Kündigung vom 07.10.1996 rechtsunwirksam ist und das Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit fortbesteht.

6

Die Beklagte beantragt,

Klagabweisung.

7

Die Beklagte trägt vor:

8

Der Kläger habe unbefugt in die Dateien Einblick genommen und hiermit auch einen Straftatbestand verwirkt. Zudem sei der Kläger auch unbefugt in den Besitz der Supervisor-Äquivalente gekommen. Dies habe dem Kläger auch klar sein müssen. Es liege ein schwerer Eingriff in den Datenschutz vor. Eine Weiterbeschäftigung komme nicht in Betracht.

9

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

10

Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen ..., und .... Auf das Protokoll vom 19.03.1997 wird Bezug genommen.

Gründe

11

Die Klage ist nur teilweise begründet.

12

Die Kammer ist der Überzeugung, daß die streitgegenständliche Kündigung der Beklagten aus verhaltensbedingten Gründen gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist. Hierbei unterstellt die Kammer, daß der Kläger befugt oder zumindestens gutgläubig in den Besitz der Supervisor-Äquivalente gelangt ist. Zwar ist es nicht unbedingt nachvollziehbar, warum dem Kläger von dem damaligen EDV-Leiter ... noch die Passworte übergeben wurden, nachdem der Kläger an sich mit der Netzwerkpflege nichts mehr zu tun hatte. Doch ist es fraglich, ob dem Kläger insoweit vertragswidriges Verhalten vorgeworfen werden kann.

13

Jedenfalls hatte nach Auffassung der Kammer die Einsichtnahme in die Datei Beurteilungen und ihr Ausdruck mit einer ordnungsgemäßen Netzwerkpflege nichts mehr zu tun. Dies räumt der Kläger im Grunde auch ein, wenn er angibt, aus Neugier gehandelt zu haben, um seine eigene Beurteilung einzusehen. Auch diese Motivation würde allerdings das Verhalten des Klägers nicht rechtfertigen können. Soweit er Einblick nehmen will in seine Personalakte, hat er das hierzu notwendige Verfahren einzuhalten. Im vorliegenden Fall handelt es sich um dateimäßig erfaßte Aufzeichnungen seines Vorgesetzten, des technischen Leiters .... Diese vertraulichen Aufzeichnungen gingen den Kläger überhaupt nichts an. Der ganze Vorgang hat jedenfalls mit Systempflege nichts zu tun. Deshalb hat der Kläger nach Auffassung der Kammer auch unbefugt im Sinne der Strafvorschrift § 43 Bundesdatenschutzgesetz von diesem Gesetz geschützte personenbezogene Daten, die nicht offenkundig sind, abgerufen und sich verschafft. Hierbei handelt es sich um einen äußerst gravierenden Verstoß, der die Vertrauensgrundlage zwischen den Parteien erschüttert hat, so daß das Verhalten des Klägers auch durch eine Abmahnung nicht "geheilt" werden kann (vgl. zu dem Komplex etwa BAG v. 25.11.1981 - 7 AZR 463/97 -, LAG Baden-Württemberg v. 11.01.1994 in Betriebsberater 1994, Beilage 7 Seite 5, KR-Etzel § 1 KSchG Rd.-Nr. 471, Sowka und andere § 1 KSchG Rd.-Nr. 360 - und Kittner und andere "Kündigungsschutzrecht" 2. Auflage, § 626 BGB Rd.-Nr. 129).

14

Den Kläger kann nicht entlasten, daß er möglicherweise erst über einen Ausdruck der Datei Einblick in deren Inhalt nehmen konnte. Vielmehr mußte dem Kläger von vom herein klar sein, daß ihm der Inhalt dieser Datei, den er nur über die Serfer-Passworte erlangen kannte, nichts anging. Wertungen über Mitarbeiter gehören zum sensibelsten Bereich des Personalgeschäftes. Es muß jedem Mitarbeiter klar sein, daß das widerrechtliche Beschaffen derartiger höchstsensibler personenbezogener Daten einen schweren Vertrauensbruch darstellt, den der Arbeitgeber nicht sanktionslos hinnehmen kann. Dies muß insbesondere für den Kläger gelten, der jahrelang mit dem Aufbau und der Betreuung des EDV-Netzwerkes betraut war. Von daher war dem Kläger der hohe Stellenwert der absoluten Vertraulichkeit personenbezogener Daten bekannt.

15

Der Beklagten muß es grundsätzlich um die Wahrung der Betriebsdisziplin gehen. Eine derartige rechtswidrige Einsichtnahme in personenbezogene Daten kann einfach nicht hingenommen werden. Der Beklagten muß es deshalb bereits aus generalpräventiven Gründen gestattet sein, im vorliegenden Fall eine Beendigungskündigung auszusprechen, um derartige Übergriffe zu verhindern.

16

Allerdings meint die Kammer bei einer sorgfältigen Gesamtabwägung aller Umstände, daß die Gründe für eine fristlose Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB nicht ausreichen. Hierfür sind entscheidend insbesondere die lange und beanstandungsfreie Dauer des Arbeitsverhältnisses.

17

Die Zustimmung der zuständigen Gewerkschaft NGG zur ordentlichen Kündigung des Klägers gemäß Haustarifvertrag liegt vor. Dies hat die Beweisaufnahme ergeben. Die Zustimmung konnte befugt durch die Verwaltungsstelle Osnabrück der Gewerkschaft ausgesprochen werden, § 22 Ziff. 6 Satzung der NGG.

18

Auch der Betriebsrat ist ordnungsgemäß beteiligt worden. Auch dies hat die Beweisaufnahme ergeben. Das Anhörungsverfahren war eingeleitet worden durch den Anhörungsbogen vom 01.10.1996. Der Betriebsrat ist von der Geschäftsleitung am 01. und 02.10.1996 ausführlich unterrichtet worden. Ihm sind sämtliche hier erörterten Kündigungsgründe vorgetragen worden.

19

Deshalb verbleibt es nach Auffassung der Kammer bei der ordentlichen Kündigung zum 31.05.1997.

20

Entsprechend war die Klage im übrigen abzuweisen.

21

Die Nebenentscheidungen folgen aus dem Gesetz.