Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 22.05.2018, Az.: 8 U 130/17

Anspruch des Patienten auf Erstattung nicht geschuldeter Umsatzsteuer bei der Berechnung der individuellen Herstellung von Zytostatika

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
22.05.2018
Aktenzeichen
8 U 130/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 62951
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Göttingen - 21.09.2017 - AZ: 12 O 58/16

Fundstellen

  • GesR 2018, 606
  • MDR 2018, 1303-1304
  • Umsatzsteuer direkt digital 2018, 6-8
  • Umsatzsteuer direkt digital 2018, 5

Amtlicher Leitsatz

1. Hat das Krankenhaus in der Berechnung der individuellen Herstellung der Zytostatika im Rahmen einer ambulanten Behandlung die Umsatzsteuer ausgewiesen, kann darin eine Nettopreisabrede gesehen werden, weil das Krankenhaus mit der Rechnungslegung sein Leistungsbestimmungsrecht nach §§ 315 ff. BGB ausübt.

2. Eine solche Nettopreisabrede ist nicht dahingehend auszulegen, dass der Leistungsempfänger bereit und verpflichtet ist, den Nettopreis zuzüglich der tatsächlich festgesetzten Umsatzsteuer zu zahlen (entgegen BSG, Urt. v. 03.03.2009 - B 1 KR 7/08 - NZS 2010, 154 [BSG 03.03.2009 - B 1 KR 7/08 R], Tz.15 f.). Richtigerweise ist die Nettopreisabrede dahingehend auszulegen, dass neben dem Nettopreis die auf die Lieferung anfallende Umsatzsteuer geschuldet ist.

3. Ist die Umsatzsteuer entgegen der Annahme der Vertragsparteien nicht geschuldet, fehlt für die Zahlung des Umsatzsteuerbetrages der rechtliche Grund, so dass der Leistungsempfänger und damit auch seine private Krankenversicherung vom Krankenhaus die Rückzahlung dieses Betrages nach § 812 Abs. 1 S. 1, Alt. 1 BGB verlangen kann.

4. Das Krankenhaus trifft dabei die vertragliche Nebenpflicht, § 241 Abs. 2 BGB, die Rechnungen im Hinblick auf die zu Unrecht erhobene Umsatzsteuer zu berichtigen.

5. Das Krankenhaus kann sich auf Entreicherung aufgrund der Weiterleitung der Umsatzsteuerbeträge nur berufen, wenn sein Erstattungsanspruch gegenüber dem Fiskus praktisch wertlos ist, was der Fall ist, wenn der Anspruch uneinbringlich oder seine Durchsetzung nach den Umständen zumindest äußerst schwierig ist.

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 21.09.2017 - Az.: 12 O 58/16 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

5. Der Wert des Streitgegenstandes im Berufungsrechtszug wird auf 26.780,26 € festgesetzt.

Gründe

A.

Die Klägerin macht aus übergangenem Recht Rückzahlung von Umsatzsteuerbeträgen für die Abgabe von individuell hergestellter Zytostatika geltend.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes und der Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (LGU Seiten 2 R - 7, Bl. 119 R ff. d. A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben und ausgeführt, dass der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rückzahlung der streitgegenständlichen Umsatzsteuerbeträge aus § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB i. V. m. §§ 86 Abs. 1, 194 Abs. 2 VVG zustehe. Der Rückforderungsanspruch der Versicherungsnehmer der Klägerin (nachfolgend: Versicherungsnehmer) sei auf diese übergegangen. Die Beklagte habe infolge der Entrichtung der Umsatzsteuer durch die Versicherungsnehmer einen vermögenswerten Vorteil und damit "etwas" erlangt. Es sei unerheblich, dass dies für die Beklagte ein "Durchlaufposten" gewesen sei, da sie im Rechtsverhältnis zu den Versicherungsnehmern die gezahlte Umsatzsteuer erlangt habe. Die Weiterleitung dieser Beträge durch die Beklagte an das Finanzamt sei im Verhältnis der Beklagten zu den Versicherungsnehmern unerheblich. Auf zivilrechtlicher Ebene habe die Beklagte eine Vermögensmehrung durch eine Leistung der Versicherungsnehmer erfahren. Die Leistung sei ohne Rechtsgrund erfolgt. Der rechtliche Grund ergebe sich nicht aus der In-Rechnung-Stellung der Umsatzsteuer seitens der Beklagten. Zwar schulde der Unternehmer dem Fiskus nach § 14 c Abs. 1 UStG auch den Mehrbetrag, wenn er einen höheren Steuerbetrag als nach dem Gesetz geschuldet gesondert ausweise. Dies gelte aber nur im Verhältnis zwischen dem Rechnungsaussteller und der Finanzverwaltung. Es liege auch kein sonstiger vertraglicher Rechtsgrund für die Umsatzsteuerzahlung der Versicherungsnehmer an die Beklagte vor. Der Medikamentenerwerbsvertrag sei so auszulegen, dass die Leistungsempfänger zur Zahlung der Umsatzsteuer nur insoweit verpflichtet gewesen seien, als der Leistende einen steuerbaren Umsatz gehabt habe. Auch sei die privatärztliche Vereinbarung zwischen den Versicherungsnehmern und der Beklagten so auszulegen, dass es im Interesse der Versicherungsnehmer gelegen habe, nicht mit unnötigen Steuern belastet zu werden. Es sei auch kein schutzwürdiges Interesse der Beklagten erkennbar, eine vermeidbare Steuerbelastung an die Versicherungsnehmer weiterzuleiten. Der insoweit bei der Beklagten anfallende Verwaltungsaufwand sei eine konsequente Folge der vom Gesetzgeber vorgesehenen Regelung, wonach der Unternehmer die Umsatzsteuer einzuziehen und an das Finanzamt weiterzuleiten habe. Wenn der Unternehmer den dabei entstehenden Verwaltungsaufwand zu tragen habe, spreche auch ein eventueller Verwaltungsaufwand bei Rückabwicklungen von zu viel abgeführten Umsatzsteuern nicht gegen diese Auslegung. Hinzukomme, dass die Versicherungsnehmer keine Möglichkeit hätten, die richtige Besteuerung zu beantragen. Vorliegend sei auch weder eine Brutto- noch eine Nettopreisvereinbarung von der Beklagten behauptet worden. Gegen eine Bruttopreisvereinbarung spreche, dass in allen Rechnungen der Beklagten an die Versicherungsnehmer die "Mehrwertsteuer 19 %" ausgewiesen gewesen sei. Entscheidend sei daher, ob der von der Beklagten gegenüber den Versicherungsnehmern vorgenommene Steuerausweis nach steuerrechtlichen Grundsätzen zutreffend gewesen sei. § 4 Nr. 14 b UStG biete insoweit keinen Rechtsgrund für die Leistung. Die streitgegenständliche Behandlung nebst Medikamentenherstellung sei nach steuerrechtlichen Grundsätzen umsatzsteuerfrei gewesen, was auch die Parteien nicht in Zweifel zögen. Die Beklagte könne sich nicht auf Entreicherung berufen. Der Wegfall der Bereicherung komme nicht in Betracht, wenn der Empfänger einen inhaltsgleichen Anspruch gegen einen Dritten erlangt habe. Die Beklagte sei aufgrund einer vertraglichen Nebenpflicht verpflichtet, die Rechnungen gemäß §§ 14 c Abs. 1 S. 2, 17 Abs. 1 S. 1, 7 UStG zu berichtigen, so dass sie die gezahlten Umsatzsteuerbeträge vom Finanzamt erstattet verlangen könne. Hiervon gehe auch der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 18.04.2012 - Az: VIII ZR 253/11 - aus. Es sei zudem zu berücksichtigen, dass die Beklagte vorliegend letztendlich die Ursache für die Überzahlung gesetzt habe, indem sie die unzutreffende Besteuerung in Rechnung gestellt habe. Auch unabhängig von einer vertraglichen Nebenpflicht der Beklagten zur Berichtigung der Rechnungen bestehe die Bereicherung der Beklagten fort. Es könne nicht in der Hand des Unternehmers liegen, seine Entreicherung herbeizuführen, indem er darauf verzichte, die steuerlich unzutreffenden Rechnungen zu berichtigen. Der Anspruch der Beklagten gegenüber dem Fiskus auf Rückerstattung der Umsatzsteuerbeträge sei auch nicht praktisch wertlos. Weder sei der Anspruch uneinbringlich noch sei es äußerst schwierig, diesen Anspruch durchzusetzen. Zwar folge aus dem Schreiben des BMF vom 28.09.2016, dass es für die vor dem 01.04.2017 ausgeführten Umsätze nicht beanstandet werde, wenn der Unternehmer seine Leistungen dem allgemeinen Steuersatz unterwerfe und insoweit den Vorsteuerabzug geltend mache. Dies besage aber nur, dass der Unternehmer steuerrechtlich nicht verpflichtet sei, eine Berichtigung der Rechnungen vorzunehmen. Er bleibe allerdings zur Rechnungsberichtigung berechtigt. Die Durchsetzung der Forderung sei weder schwierig noch müsse hier gegen den Fiskus gerichtlich vorgegangen werden. Auch sei die Umsatzsteuer zulasten der Beklagten nicht bestandskräftig festgesetzt worden. Die Beklagte behaupte dies zwar, lasse aber Ausführungen hierzu vermissen. Sie habe insbesondere nicht näher dazu vorgetragen, wann und wodurch die Festsetzung der Umsatzsteuer bestandskräftig geworden sein solle. Ihr Vortrag sei insoweit nicht hinreichend substantiiert und daher unerheblich. Dies gelte umso mehr, als vorliegend nur durch die Aufhebung des Vorbehalts seitens des Finanzamtes eine vorzeitige Bestandskraft der Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2012 und 2013 hätte eintreten können, was die Beklagte nicht behaupte. Es sei daher vom steuerlichen Normallfall und damit von der fehlenden Rechtskraft der Steuerfestsetzung auszugehen. Es sei zwar richtig, dass die Beantragung der Rückzahlung der überzahlten Umsatzsteuer einen hohen Verwaltungsaufwand für die Beklagte bedeute, der keinen Vorteil für sie zur Folge habe. Dies sei aber die konsequente Folge der vom Gesetzgeber vorgesehenen Regelung, wonach der Unternehmer als gesetzlicher Geschäftsbesorger für den Staat und ebenfalls unentgeltlich die Umsatzsteuer einzuziehen und weiterzuleiten habe. Die Geltendmachung sei auch nicht äußerst schwierig. Zwar könne die Kammer die Erschwernisse der Rückforderung nachvollziehen. Diese Erschwernisse seien aber im Geschäftsbereich der Beklagten gelagert und stellten nur rein tatsächliche Erschwernisse dar, die die rechtliche Durchsetzbarkeit der Forderung gegenüber dem Finanzamt nicht beeinträchtigen würden. Der erhöhe Verwaltungsaufwand sei jedenfalls kein Grund, sich über die materiell-rechtlich geklärte Lage hinwegzusetzen. Im Übrigen könne die Beklagte die Rechnungsberichtigung für mehrere Rechnungen zusammenfassen. Der Anspruch sei nicht verjährt. Die Verjährung hinsichtlich der Umsatzsteuerbeträge aus dem Jahr 2012 sei infolge der Verjährungsverzichtserklärung der Beklagten nicht eingetreten. Zum Zeitpunkt der Abgabe dieser Erklärung am 10.12.2015 seien die bereicherungsrechtlichen Ansprüche der Klägerin noch nicht verjährt gewesen. Der Höhe nach sei die Klageforderung schlüssig dargelegt und nicht bestritten.

Gegen dieses der Beklagten am 26.09.2017 zugestellte Urteil hat sie mit Schriftsatz vom 11.10.2017, eingegangen beim Oberlandesgericht Braunschweig am 12.10.2017, Berufung eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 23.10.2017, eingegangen beim Oberlandesgericht Braunschweig am 24.10.2017, begründet hat.

Die Beklagte meint, dass das angefochtene Urteil aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht haltbar sei. Der Justitiar der Beklagten habe in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht eine Erklärung abgegeben, wonach es für die Beklagte so gut wie unmöglich sei, die in der Vergangenheit liegenden Sachverhalte so aufzubereiten, dass sie die überzahlte Umsatzsteuer zurückfordern könnte. Das Problem bestehe darin, dass die Entscheidung des Bundesfinanzhofes nur die Herstellung der Zytostatika im Rahmen einer ambulanten Behandlung, nicht aber im Rahmen einer stationären oder teilstationären Behandlung betreffe. Es sei aber anhand der Rechnungen nicht zu ersehen, welche Art der Behandlung (ambulant, stationär oder teilstationär) vorgelegen habe. Insoweit benötige die Beklagte die jeweiligen Rezepte, die von den Krankenversicherungen angefordert werden müssten. Danach müssten die Rechnungen dahingehend untersucht werden, ob es sich tatsächlich um individuell gefertigte Zytostatika oder um fertige Zytostatika oder um eine Begleitmedikation gehandelt habe. Letztere sei von der Umsatzsteuerfreiheit nicht betroffen. Diese Differenzierung sei fast nicht leistbar, schon gar nicht im Rahmen der reinen Verwaltungstätigkeit ohne ärztliche Hilfe bei der Auswertung von Unterlagen. Außerdem seien alle in Frage kommenden Aktenvorgänge nicht digitalisiert. Eine Retaxierung würde daher einen immensen Aufwand, auch kostenmäßig, nach sich ziehen. Hinzukomme, dass es sich bei dem hier zu entscheidenden Verfahren um "die Spitze des Eisbergs" handle, weil es eine Vielzahl von vergleichbaren Sachverhalten bei sehr vielen Patienten gebe. Es sei zu berücksichtigen, dass in den streitgegenständlichen Jahren 2012 und 2013 eine Änderung der Rechtsprechung durch den BFH noch nicht absehbar gewesen sei. Aus diesem Grund existiere bei der Beklagten auch keine Dokumentation in der Weise, dass die ambulant verordneten Zytostatika separat erfasst worden wären. Es gehe hier gerade nicht um die Pflicht der Beklagten, die Umsatzsteuer einzunehmen, sondern um die Rückforderung der Umsatzsteuer. Es sei unbillig, der Beklagten sämtliche Belastungen, die damit verbunden seien, aber auch das Risiko, dass sie ihrerseits die Umsatzsteuer nicht erstattet bekomme, aufzuerlegen. Es sei vielmehr billig, dass derjenige, der den Vorteil für sich anstrebe, auch den Aufwand und das Risiko zu tragen habe. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18.04.2012 (VIII ZR 253/11), auf die das Landgericht das angefochtene Urteil stütze, zeige, dass die dort angewandten Grundsätze im vorliegenden Fall nicht einschlägig seien. Der BGH habe ausgeführt, dass der Wegfall der Bereicherung nach Abführung der vereinnahmten Umsatzsteuer dann nicht anzunehmen sei, wenn der Anspruch auf Rückerstattung der Steuer gegenüber dem Finanzamt uneinbringlich oder dessen Durchsetzung nach den Umständen zumindest äußerst schwierig sei. Aus den obigen Ausführungen folge indes, dass die Durchsetzung der Forderung der Beklagten gegenüber dem Fiskus sehr schwierig wäre. Das Landgericht habe diese tatsächliche Situation nicht hinreichend gewürdigt. Nach einer weiteren Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 27.01.2015 - KZR 90/13) sei der Wegfall der Bereicherung nur dann nicht anzunehmen, wenn die Steuerbelastung vom Finanzamt ausgeglichen worden sei. In diesem Fall sei nur ein Anspruch des Vertragspartners auf die Abtretung eines etwaigen Steuerrückzahlungsanspruchs gegeben, der nicht geltend gemacht worden sei. Gerade die oben geschilderten tatsächlichen Probleme bei der Rückabwicklung der unrichtigen Umsatzsteuerzahlungen hätten zudem die Finanzverwaltung zu der Regelung im Schreiben des BMF vom 28.09.2016 veranlasst. Danach bestehe gerade keine Verpflichtung der Beklagten zur Rückabwicklung. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei zudem nicht davon auszugehen, dass die Beklagte etwas durch Leistung ohne Rechtsgrund erlangt habe. Die Beklagte habe die Umsatzsteuer nicht erlangt, sondern sie treuhänderisch für den Fiskus in Empfang genommen und weitergeleitet. Im Rahmen eines transparenten Treuhandverhältnisses oder aber einer offenen Stellvertretung werde aber mit der Leistung an den Treuhänder gleichsam wirksam die Leistung an den Gläubiger erbracht. Auch habe der Unternehmer es nicht in der Hand, zu entscheiden, ob der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer zu entrichten habe oder nicht. Dies sei eine Entscheidung des Staates. Es sei indes unstreitig, dass sich die Beklagte völlig rechtskonform verhalten habe, da bis zur Entscheidung des Bundesfinanzhofes vom 24.09.2014 die Zytostatikaabgaben im ambulanten Bereich als umsatzsteuerpflichtig zu behandeln gewesen seien. Es sei zudem nicht richtig, dass es der Klägerin nicht möglich wäre, die richtige Besteuerung zu beantragen. Sie könne sich den Anspruch gegen die Finanzverwaltung abtreten lassen. Schließlich sei es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung so, dass ohne eine entsprechende Abrede über den Preis von einer Bruttopreisvereinbarung auszugehen sei. Eine Nettopreisvereinbarung sei vorliegend unstreitig nicht getroffen worden. Sofern das BMF mit seinem Schreiben vom 28.09.2016 den Unternehmen ein Optionsrecht hinsichtlich der Rechnungsberichtigung einräume, sei nicht anzunehmen, dass das BMF einen Zustand postuliere, der geradezu rechtswidrig wäre.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Göttingen vom 21.09.2017, Az.: 12 O 58/16, die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie ist der Auffassung, dass es sich bei den Ausführungen des Justitiars der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht nicht um ordnungsgemäß in den Rechtsstreit eingebrachten Sachvortrag handle. Diese Ausführungen seien zudem mit Nichtwissen zu bestreiten. Das Vorbringen zu den vermeintlichen "tatsächlichen Hindernissen" sei verspätet, unsubstantiiert, widersprüchlich und werde bestritten. Es sei nicht relevant, ob es die Beklagte seinerzeit in der Hand gehabt habe, die Umsatzsteuer zu entrichten oder dies zu unterlassen. Maßgeblich sei, dass die Beklagte dies derzeit in der Hand habe. Der Hinweis auf die angebliche Abtretbarkeit der Ansprüche gegen den Fiskus sei irrelevant, solange die Beklagte ihre Rechnungen nicht korrigiere, wozu sie nicht bereit sei. Es sei im Übrigen nicht richtig, dass die Beklagte einen immensen Aufwand betreiben müsse, um alle Patienten mit den einschlägigen Verordnungen herauszufinden. Die Klägerin habe die Vorarbeit bereits geleistet - es müsse daher kein Aufwand von der Beklagten betrieben werden. Was der Beklagten dann noch obliege, sei kein Sonderopfer, sondern normale Verwaltungstätigkeit. Es seien in rechtlicher Hinsicht zudem die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu berücksichtigen. Außerdem sei zu bedenken, dass der Gesetzgeber die Kosten für die medizinisch notwendigen Heilbehandlungen von der Umsatzsteuer befreit habe. Vor diesem Hintergrund sei es einem Patienten regelmäßig nicht gleichgültig, ob der ihm berechnete Endpreis Umsatzsteuer enthalte oder nicht. Die Beklagte habe geglaubt, Umsatzsteuer einziehen und weiterleiten zu müssen, was sich später als unrichtig herausgestellt habe. Dies sei ein typischer Fall des § 313 Abs. 2 BGB.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

B.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

I.

Der Klägerin stehen gegen die Beklagte die geltend gemachten Ansprüche in Höhe von 26.780,26 € gemäß §§ 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB i. V. m. § 86 Abs. 1, 194 Abs. 2 VVG zu.

1.

Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Gemäß § 194 Abs. 2 VVG erfolgt der Forderungsübergang nach § 86 Abs. 1 VVG auch dann, wenn dem Versicherungsnehmer ein Anspruch auf Rückzahlung der ohne rechtlichen Grund gezahlten Entgelte gegen den Erbringer von Leistungen zusteht, für die der Versicherer aufgrund des Versicherungsvertrages Erstattungsleistungen erbracht hat. Zwischen den Parteien ist es unstreitig, dass die Klägerin die im Streit stehenden Umsatzsteuerbeträge ihren Versicherungsnehmern - den Patienten der Beklagten - erstattet hat.

2.

Den Versicherungsnehmern stehen gegen die Beklagte jeweils Ansprüche auf Rückzahlung der ohne Rechtsgrund geleisteten Umsatzsteuer zu.

a.

Die Beklagte hat durch die Leistung der Versicherungsnehmer "etwas" erlangt. Diese haben Zahlungen an die Beklagte erbracht, wobei die Beklagte die jeweiligen Beträge vereinnahmt hat. Dabei haben die Versicherungsnehmer nicht etwa auf eine gegenüber dem Fiskus bestehende Steuerschuld geleistet und die Beklagte hat auch nicht als bloße Zahlstelle agiert. Vielmehr sind die gezahlten Beträge bzw. die Gutschriften auf dem Bankkonto der Beklagten in ihr Vermögen übergegangen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Beklagte grundsätzlich zur Weiterleitung der Umsatzsteuerbeträge an den Fiskus verpflichtet ist. Vielmehr kann die Beklagte vor der Weiterleitung mit dem vereinnahmten Geld nach Belieben verfahren. Die Argumentation der Beklagten, wonach der Fiskus im Fall der Nichtabführung der Umsatzsteuer nicht an die jeweiligen Patienten der Beklagten zwecks Eintreibung der Steuer herantreten könne, greift zu kurz, da der Fiskus auch vor der Zahlung der Umsatzsteuerbeträge diese nicht von den Patienten verlangen kann, weil sie eben nicht Steuerschuldner sind. Dass der Unternehmer, der die Umsatzsteuer weiterleitet, sie zunächst "erlangt", hat auch der Bundesgerichtshof unproblematisch angenommen (vgl. Urteil vom 18.04.2012 - VIII ZR 253/11 - WM 2012, 2071). Sofern die Beklagte insoweit auf die Rechtsprechung des 1. Strafsenates des BGH verweist (Urteile vom 17.03.2009 - 1 StR 627/08 -, NJW 2009, 1979, Tz. 43; sowie 1 StR 479/08 -, NStZ 2009, 512 [BGH 17.03.2009 - 1 StR 479/08], Tz. 22), übersieht sie, dass es dort um die strafrechtliche Bewertung der umsatzsteuerrechtlichen Verpflichtung des Unternehmers geht, die nicht direkt für die Ausfüllung des zivilrechtlichen Bereicherungsbegriffs herangezogen werden kann. Im Übrigen ist bei Leistungen, die einem Treuhänder ohne rechtlichen Grund zugewendet werden, in der Regel der Treuhänder und nicht der Treugeber als unmittelbar bereichert anzusehen (vgl. BGH, Urteil vom 27.04.1961 - VII ZR 4/60 -, NJW 1961, 1461, Tz. 19 ff.).

b.

Die Beklagte hat die Umsatzsteuerbeträge ohne rechtlichen Grund erlangt.

aa.

Die jeweils zwischen der Beklagten und den Versicherungsnehmern bestehenden Heilbehandlungsverträge bilden keinen rechtlichen Grund für die Zahlung der Umsatzsteuerbeträge.

(1)

Ob die Zahlung der Umsatzsteuer von der vertraglichen Vereinbarung umfasst ist oder nicht, richtet sich danach, ob die Vertragsparteien eine Bruttoentgelt- oder eine Nettoentgeltvereinbarung getroffen haben. Bei einer Bruttoentgeltvereinbarung trägt der Rechnungsempfänger aufgrund der vertraglichen Gegenleistungsvereinbarung die volle Zahlungspflicht, auch wenn der Abrechnende die Umsatzsteuerpflicht zu Unrecht angenommen hat (vgl. BGH, Urteil vom 11.05.2001 - V ZR 492/99 -, NJW 2001, 2464, Tz. 6). Anderes gilt indes, wenn die Parteien eine Nettopreisabrede getroffen haben; in diesem Fall richtet sich die vom Leistungsempfänger zu tragende Umsatzsteuer nach dem vom Leistenden an das Finanzamt abzuführenden Betrag (vgl. Rohde/Knobbe, NJW 2012, 2156). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs schließt der vereinbarte Kaufpreis grundsätzlich auch die darauf zu entrichtende Umsatzsteuer mit ein, falls nicht etwas anderes vereinbart wurde oder sich ein abweichender Handelsbrauch entwickelt hat (vgl. BGH, Urteil vom 14.10.2000 - V ZR 416/97 -, NJW-RR 2000, 1652 [BGH 14.01.2000 - V ZR 416/97], Tz. 6; Urteil vom 28.02.2002 - I ZR 318/99 -, NJW 2002, 2312, Tz. 11).

(2)

Eine derartige Vereinbarung ist vorliegend anzunehmen. Denn es handelt sich bei den streitgegenständlichen Verträgen über die individuelle Herstellung der Zytostatika jeweils um Werklieferungsverträge, auf welche die Vorschriften über den Kauf und nicht etwa § 632 BGB Anwendung finden (vgl. OLG Köln, Urteil vom 22.06.2012 - 20 U 27/12 -, NJW-RR 2012, 1520, Tz. 23, 26). Die Versicherten haben mit der Beklagten keine ausdrückliche Vereinbarung über die Höhe der für die Herstellung der Zytostatika geschuldeten Vergütung getroffen. Nach § 433 Abs. 2 BGB ist primär der vereinbarte Kaufpreis zu entrichten. Fehlt, wie hier, eine Regelung der Parteien über die Höhe des Entgelts, sind die §§ 315 ff. BGB heranzuziehen (vgl. OLG Köln, a. a. O., OLG Stuttgart, Urteil vom 05.05.2010 - 3 U 79/09 -, NJW-RR 2011, 202, Tz. 20). Das ihr nach § 316 BGB zustehende Leistungsbestimmungsrecht hat die Beklagte durch die jeweilige Rechnungslegung ausgeübt. In den von ihr gestellten Rechnungen hat die Beklagte ausdrücklich die Mehrwertsteuer ausgewiesen (vgl. die Anlagen 3 - 5, Anlagenband Klägerin). Da diese Rechnungen weder an einen Unternehmer noch an eine juristische Person ausgestellt worden sind, war die Beklagte zum gesonderten Ausweis der Umsatzsteuer in den Rechnungen nicht gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 8 UStG verpflichtet (vgl. Kraeusel in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, Stand 01.08.2012, § 14, Rn. 165). Da die Beklagte gleichwohl in den jeweiligen Rechnungen, mit denen sie ihr Leistungsbestimmungsrecht ausgeübt hat, den Nettobetrag und daneben gesondert die Umsatzsteuer ausgewiesen hat, ist davon auszugehen, dass damit die Berechnung der Umsatzsteuer Gegenstand der vertraglichen Preisvereinbarung geworden ist, was die Annahme einer sog. Nettopreisabrede nach sich zieht.

(3)

Deswegen bildet die vertragliche Vereinbarung nur den Rechtsgrund für die Leistung der tatsächlich anfallenden Umsatzsteuerbeträge. Zwar bestimmt § 14 c Abs. 1 UStG, dass der Unternehmer den höheren Umsatzsteuerbetrag auch dann gegenüber dem Fiskus schuldet, wenn er ihn zu Unrecht ausgewiesen hat.

Indes ist die Nettopreisabrede nicht dahingehend auszulegen, dass der Leistungsempfänger bereit und verpflichtet ist, den Nettopreis zuzüglich der tatsächlich festgesetzten Umsatzsteuer zu zahlen (so aber BSG, Urteil vom 03.03.2009 - B 1 KR 7/08 -, NZS 2010, 154 [BSG 03.03.2009 - B 1 KR 7/08 R], Tz. 15 f.). Denn eine solche Auslegung der Nettopreisabrede entspricht in der Regel nicht dem Willen der Vertragsparteien (vgl. Rohde/Knobbe, NJW 2012, 2156). Gilt nach Maßgabe des § 14 c Abs. 1 UStG jegliche Umsatzsteuer, die der Unternehmer in seiner Rechnung ausgewiesen hat, als zu Recht festgesetzt, hätte die Nettopreisabrede keinen Sinn, da in jedem Fall die ausgewiesene Umsatzsteuer vom Finanzamt festgesetzt wird, obwohl sie nicht geschuldet war. Richtigerweise ist die Nettopreisabrede dahingehend auszulegen, dass neben dem Nettopreis die auf die Lieferung anfallende Umsatzsteuer geschuldet ist (Rohde/Knobbe a. a. O.; so im Ergebnis auch BGH, Urteil vom 19.06.1990 - XI ZR 280/89 -, NJW-RR 1990, 1199, Tz. 13).

Vorliegend war die Umsatzsteuer auf die im Rahmen der ambulanten Behandlung erfolge Lieferung der individuell hergestellten Zytostatika nicht geschuldet, wie dies der Bundesfinanzhof in dem Urteil vom 24.09.2014 (V R 19/11) festgestellt hat. Damit bildeten die jeweils zwischen den Versicherungsnehmern und der Beklagten geschlossenen Verträge nicht den rechtlichen Grund für die Zahlung der Umsatzsteuerbeträge.

bb.

Aus den obigen Ausführungen folgt zudem, dass auch die Regelung des § 14 c Abs. 1 UStG nicht als rechtlicher Grund für die Zahlung der Umsatzsteuer an die Beklagte herangezogen werden kann. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass laut der Anweisung des BMF vom 28.09.2016 (III C 3 - S 7170/11/10004) das Besteuerungsverfahren für Umsätze, die vor dem 01.04.2017 ausgeführt worden sind, nicht beanstandet wird, wenn der Unternehmer seine Leistungen dem allgemeinen Steuersatz unterwirft und insoweit aus den damit zusammenhängenden Eingangsleistungen den Vorsteuerabzug geltend macht.

Diese "Nichtbeanstandungs-Regelung" ändert nichts daran, dass die berechnete und vereinnahmte Umsatzsteuer für eine steuerfreie Leistung berechnet worden ist. Der Sinn dieser Regelung besteht ausschließlich darin, für die zu Unrecht erhobene Umsatzsteuer die Vorsteuerabzugsberechtigung beim Leistungsempfänger zu erhalten. Ist der Leistungsempfänger (wie hier) nicht vorsteuerabzugsberechtigt, bleibt es ohne die Rechnungsberichtigung bei seiner wirtschaftlichen Belastung, obwohl gerade der Leistungsempfänger durch den gesetzlichen Steuerbefreiungstatbestand entlastet werden sollte (vgl. Rohde/Knobbe, a. a. O.). Diese Regelung besagt nur, dass der leistende Unternehmer aus der Sicht der Finanzverwaltung steuerrechtlich nicht verpflichtet ist, eine Berichtigung von Rechnungen vorzunehmen. Die Berechtigung oder die zivilrechtliche Verpflichtung des Unternehmers, die Rechnungen zu berichtigen, wird dadurch gerade nicht berührt (vgl. BGH, Urteil vom 18.04.2012 - VIII ZR 253/11 -, WM 2012, 2071, Tz. 26.).

c.

Die Höhe der von der Beklagten erlangten und seitens der Klägerin an die jeweiligen Versicherungsnehmer erstatteten Umsatzsteuer beträgt 26.780,26 € und steht zwischen den Parteien nicht im Streit.

d.

Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg auf den Einwand der Entreicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB berufen.

Zwar kann sich der Bereicherungsschuldner im Hinblick auf die vereinnahmte Umsatzsteuer grundsätzlich auf den Wegfall der Bereicherung berufen, wenn und soweit er die Umsatzsteuer an den Fiskus abgeführt hat. Die Bereicherung besteht aber dann fort, wenn der Bereicherungsschuldner die Rechnungen berichtigen und sich die gezahlten Umsatzsteuerbeträge vom Finanzamt erstatten lassen kann. Eine fortbestehende Bereicherung ist nur dann nicht anzunehmen, wenn der Erstattungsanspruch gegenüber dem Fiskus praktisch wertlos ist, was der Fall ist, wenn der Anspruch uneinbringlich oder seine Durchsetzung nach den Umständen zumindest äußerst schwierig ist (vgl. BGH, Urteil vom 18.04.2012, a. a. O., Tz. 24 f.).

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Weder ist der Steuerrückerstattungsanspruch der Beklagten uneinbringlich noch ist seine Durchsetzung den Umständen nach äußerst schwierig.

Die Beklagte kann nach der durch die Entscheidung des BFH vom 24.09.2014 (V R 19/11, DStR 2014, 2505) und den entsprechenden Festlegungen in der Anweisung des BMF vom 28.09.2016 (III C 3 - S 7170/11/1004) eindeutig geklärten Rechtslage die hier streitgegenständlichen Rechnungen für die im Rahmen der ambulanten Behandlung erfolgte individuelle Herstellung der Zytostatika nach §§ 14 c Abs. 1 S. 2, 17 Abs. 1 UStG berichtigen und nach § 37 Abs. 2 AO die Rückzahlung der zu Unrecht geleisteten Umsatzsteuerbeträge verlangen. Dass der Fiskus die Erstattung der Umsatzsteuer entgegen der bestehenden Rechtslage verweigern würde, hat die Beklagte nicht dargetan.

Der erhöhte Verwaltungsaufwand, der für die Geltendmachung der Steuerrückerstattung bei der Beklagten anfällt, erscheint ebenso nicht derart hoch, dass von einer äußerst schwierigen Durchsetzung der Forderungen auszugehen wäre. Dabei muss zweierlei beachtet werden:

Zum einen folgt aus dem Urteil des BGH vom 18.04.2012 (a. a. O.), dass die äußerste Schwierigkeit der Forderungsdurchsetzung derart gravierend sein muss, dass sie der Uneinbringlichkeit der Forderung gleichkäme. Das mag bei einer komplizierten und unsicheren Beweisführung oder bei unverhältnismäßig hohen Verfahrenskosten der Fall sein. Ein erhöhter Verwaltungsaufwand wäre allenfalls in äußersten Ausnahmefällen mit der Uneinbringlichkeit der Forderung gleichzusetzen. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. So ist es bereits unzutreffend, dass die Beklagte für die Geltendmachung der Steuerrückerstattung zwischen der Herstellung der Zytostatika im Rahmen der ambulanten und in der stationären bzw. teilstationären Behandlung differenzieren müsste. Denn die Herstellung der Zytostatika in den letztgenannten Fällen war auch vor der Entscheidung des BFH vom 24.09.2014 umsatzsteuerfrei (vgl. Grube, jurisPR-SteuerR 37/2012, Anm. 6), so dass die entsprechenden Rechnungen (sollten sie versehentlich die Umsatzsteuer ausweisen) ebenfalls ohne Weiteres zu berichtigen wären. Eine besondere Schwierigkeit ist auch nicht deswegen anzunehmen, weil die Überprüfung der Richtigkeit der Umsatzbesteuerung ohne die dazugehörigen Rezepte nicht erfolgen könne. Es besteht keine Verpflichtung der Beklagten, ohne Aufforderung durch die einzelnen Patienten bzw. deren Krankenversicherung, sämtliche ohne rechtlichen Grund einbehaltenen Umsatzsteuerbeträge zu ermitteln und auszuzahlen. Macht aber die Krankenversicherung die entsprechende Forderung geltend, muss sie die ihr vorliegenden Rezepte einreichen, damit die Überprüfung sachgerecht erfolgen kann. Dass in den streitgegenständlichen Fällen die Einreichung der Rezepte durch die Klägerin nicht möglich ist, hat die Beklagte nicht dargetan. Sie hat aber auch nicht dargetan, dass die Anforderung der jeweiligen Rezepte für sie mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden ist. Im Übrigen kann es sich bei diesem Aufwand schon deswegen nicht um einen außergewöhnlichen Aufwand handeln, da es auch im Rahmen der weiteren Behandlung der jeweiligen Patienten durchaus dazu kommen kann, dass die früheren Medikamentenverschreibungen eingesehen werden müssen.

Zum anderen ist zu bedenken, dass aus dem jeweiligen Heilbehandlungsvertrag der Beklagten mit den einzelnen Patienten ihre vertragliche Nebenpflicht folgt, die Rechnungen zu berichtigen. Diese Nebenpflicht ergibt sich aus § 241 Abs. 2 BGB, wonach das Schuldverhältnis jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten kann. Aus der zwischen der Beklagten und den Versicherungsnehmern jeweils geschlossenen Nettopreisabrede folgt die Pflicht der Beklagten dafür zu sorgen, dass ihre Vertragspartner (die Versicherungsnehmer) nur insoweit mit den Umsatzsteuerbeträgen belastet werden, als diese tatsächlich anfallen. Insoweit ist auch insbesondere zu berücksichtigen, dass eine Rechnungsberichtigung ausschließlich von der Beklagten und nicht etwa von ihren Patienten oder gar der Klägerin vorgenommen werden kann. Dementsprechend heißt es auch in der oben zitierten Anweisung des BMF vom 28.09.2016:

"Die Rechnungsberichtigung darf grundsätzlich nur durch den leistenden Unternehmer erfolgen; eine Rechnungsberichtigung durch den Leistungsempfänger ist nicht zulässig". So hat auch der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 18.04.2012, a. a. O., Tz. 12) eine vertragliche Nebenpflicht des Unternehmers zur Berichtigung der Rechnungen angenommen.

Sofern die Beklagte zur Untermauerung ihres Entreicherungseinwandes auf das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 27.01.2015 (KZR 90/13, NJW.RR 20154, 659, Tz. 40) verwiesen hat, übersieht sie, dass in dem jener Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt gerade keine vertragliche Nebenpflicht des Unternehmers bestanden hat, die von ihm erteilten Rechnungen zu berichtigen. Denn es ging darin nicht um eine rechtsgrundlose Einziehung der Umsatzsteuer, sondern um die Rückabwicklung eines insgesamt unwirksamen Vertrages, bei dem die Umsatzsteuer als solche durchaus zu Recht erhoben worden ist.

3.

Der Geltendmachung der Klageforderung steht auch nicht der Einwand der Verjährung entgegen.

Zwar ist die Verjährung der Rückzahlungsansprüche bezüglich der im Jahr 2012 geleisteten Umsatzsteuerzahlungen am 31.12.2015 eingetreten (§ 199 Abs. 1 BGB). Indes hat die Beklagte am 10.12.2015 und damit vor Ablauf der Verjährungsfrist auf die Erhebung der Verjährungseinrede bis zum 31.12.2016 verzichtet. Zwar wird durch einen vom Schuldner erklärten befristeten Verjährungsverzicht der Ablauf der Verjährung nicht beeinflusst. Folge des Verzichts ist jedoch, dass die Befugnis des Schuldners, die Einrede der Verjährung zu erheben, für den genannten Zeitraum ausgeschlossen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 07.05.2014 - XII ZB 141/13 -, NJW 2014, 2267, Tz. 18). Da der Verzicht den Gläubiger von der Notwendigkeit der alsbaldigen gerichtlichen Geltendmachung seines Anspruchs entheben soll, bleibt er auch nach Ablauf der vom Schuldner eingeräumten Frist wirksam, wenn der Gläubiger die Streitsache vor Ablauf der Frist rechtshängig macht, wobei die Zustellung des Antrags in entsprechender Anwendung des § 167 ZPO auf den Eingang des Antrags zurückwirkt (BGH, a. a. O., Tz. 19). So lag der Fall auch hier. Die Klägerin hat die Klage am 28.12.2016 eingereicht. Am 02.01.2017 hat das Landgericht die Gerichtskosten angefordert, deren Begleichung von der Klägerin am 13.01.2017 veranlasst wurde. Daraufhin erfolgte am 20.01.2017 die Zustellung der Klage an die Beklagte. Die Zustellung der Klage ist dabei demnächst im Sinne des § 167 ZPO erfolgt. Eine Rückwirkung der Zustellung ist regelmäßig ausgeschlossen, wenn die dem Kläger vorwerfbaren Umstände dazu geführt haben, dass sich die Zustellung gegenüber der normalen Dauer um mehr als 14 Tage, gemessen am Ablauf der zu wahrenden Frist, verzögert hat (vgl. BGH, Urteil vom 10.07.2015 - V ZR 154/14 -, NJW 2015, 2666, Tz. 5). Eine hinnehmbare Verzögerung ist in der Regel dann zu bejahen, wenn der Gerichtskostenvorschuss nach seiner Anforderung innerhalb eines Zeitraumes eingezahlt wird, der sich "um zwei Wochen bewegt oder nur geringfügig darüber liegt" (vgl. BGH, Urteil vom 30.03.2012 - V ZR 148/11 -, ZMR 2012, 643, Tz. 7). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, sodass die Rückwirkung der Zustellung auf den Zeitpunkt der Klageeinreichung zu bejahen ist.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

III.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV.

Die Revision war zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO). Bei der Frage der Rückerstattung der zu Unrecht eingezogenen Umsatzsteuer handelt es sich um eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage, die sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann. Eine Auseinandersetzung des Bundesgerichtshofs mit den bei der Klärung dieser Rechtsfrage anstehenden Problemen ist bislang nicht erfolgt.

V.

Die Streitwertentscheidung folgt aus §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO.