Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.01.1999, Az.: 1 W 23/98

Bestimmung des zuständigen Gerichts für einen Antrag auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens; Anforderungen an eine dringende Gefahr im Sinne des § 486 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO); Umfang der gerichtlichen Zuständigkeitsbindung hinsichtlich eines späteren Hauptverfahrens

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
08.01.1999
Aktenzeichen
1 W 23/98
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1999, 30760
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1999:0108.1W23.98.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 16.11.1998 - AZ: 19 O 282/98

Fundstellen

  • BauR 2001, 460
  • NJW-RR 2000, 1737-1738 (Volltext mit red. LS)
  • OLGReport Gerichtsort 1999, 311-312

In dem Prozesskostenhilfeverfahren
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die Beschwerde der Antragstellerin vom 7. Dezember 1998
gegen den Beschluss der 19. Zivilkammer des Landgerichts Hannover
vom 16. November 1998
am 8. Januar 1999
beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Das Landgericht wird angewiesen, über den Prozesskostenhilfeantrag der Antragstellerin in der Sache zu entscheiden.

Gründe

1

Das Landgericht hat die beantragte Prozesskostenhilfe deshalb abgelehnt, weil es sachlich nicht zuständig sei. Es hat dies damit begründet, dass die Antragstellerin einen Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens beim Amtsgericht Hannover gestellt und damit dessen Zuständigkeit mit Bindungswirkung auch für das Hauptsacheverfahren herbeigeführt habe (§ 486 Abs. 2 ZPO). Diese Begründung trägt die Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags indessen nicht.

2

Nach § 486 Abs. 2 ZPO ist, wenn ein Rechtsstreit - wie es hier war - noch nicht anhängig ist, der Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens bei dem Gericht zu stellen, das nach dem Vortrag des Antragstellers zur Entscheidung in der Hauptsache berufen wäre; in dem nachfolgenden Streitverfahren kann sich der Antragsteller auf die Unzuständigkeit des Gerichtes nicht berufen. Im vorliegenden Fall ist der Antrag beim Amtsgericht Hannover gestellt worden, ohne dass ein Fall dringender Gefahr i.S.d. § 486 Abs. 3 ZPO vorlag. Letzteres folgt schon daraus, dass der Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens einen solchen Fall dringender Gefahr, der das in § 485 Abs. 1 ZPO vorausgesetzte Verlust- oder Beeinträchtigungsrisiko übersteigen muss (vgl. Zöller-Herget, ZPO, 21. Aufl., § 486 Rn. 5), nicht dargetan hat. Vielmehr ist das Amtsgericht - nach Rückfrage auch im Einvernehmen mit dem Bevollmächtigten der Antragstellerin - von einem die Zuständigkeit des Amtsgerichts begründenden Streitwert von 9.000 DM ausgegangen, den es auch entsprechend festgesetzt hat. Abgesehen davon ist ein Fall dringender Gefahr i.S.d. § 486 Abs. 3 ZPO auch regelmäßig dann nicht gegeben, wenn das in Frage kommende Landgericht am selben Ort wie das angerufene Amtsgericht gelegen ist (vgl. Baumbach-Hartmann, ZPO, 57. Aufl., § 486 Rn. 9).

3

Somit ist zwar davon auszugehen, dass die Antragstellerin den Antrag bei dem Gericht gestellt hat, das nach ihrer Darstellung zur Entscheidung in der Hauptsache berufen gewesen wäre, also dem Amtsgericht Hannover. Daraus folgt indessen entgegen der Auffassung des Landgerichts keine so weitgehende Bindungswirkung, dass die Antragstellerin jedes nachfolgende Streitverfahren in derselben Sache zwingend beim Amtsgericht Hannover anhängig machen müsste. Das ergibt sich schon aus dem Gesetzeswortlaut des § 486 Abs. 2 Satz 2 ZPO, in dem für das nachfolgende Streitverfahren lediglich geregelt ist, dass sich ein Antragsteller nicht auf die Unzuständigkeit des von ihm im selbständigen Beweisverfahren angerufenen Gerichts berufen darf. Das würde lediglich bedeuten, dass dann, wenn ein nachfolgendes Streitverfahren beim Amtsgericht anhängig gemacht worden wäre, sich der Antragsteller (sei es als Kläger, sei es als Beklagter, vgl. dazu Baumbach-Hartmann, a.a.O., § 486 Rn. 7) nicht auf die Unzuständigkeit dieses (Amts-)Gerichts berufen und das Amtsgericht den Rechtsstreit deshalb nicht verweisen oder abgeben dürfte. § 486 Abs. 2 Satz 2 ZPO enthält aber keine absolute Zuständigkeitsregelung dahin, dass der Antragsteller nicht mehr - obwohl es nach dem Streitwert zuständig ist - das Landgericht anrufen darf. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, hätte er eine so weitgehende Zuständigkeitsbindung ausdrücklich regeln müssen, etwa dergestalt, dass es im Satz 2 des Abs. 2 des § 486 ZPO geheißen hätte: Dieses ist sodann (in jedem Falle) für die Entscheidung im nachfolgenden Streitverfahren zuständig. Dies ist indessen nicht geschehen.

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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Landgericht herangezogenen Kommentierung in Zöller-Herget, 21. Aufl., Rn. 4. Auch dort ist nur ausgeführt, dass sich der Antragsteller im Interesse der fortdauernden Beweisunmittelbarkeit in einem späteren Hauptsacheverfahren auf die etwa fehlende Zuständigkeit des von ihm selbst als zuständig bezeichneten Gerichts nicht berufen darf; das bedeutet, dass er sich im Hauptsacheverfahren nicht selbst mit seinem früheren Verhalten in Widerspruch setzen darf, indem er - wenn das Verfahren, sei es von ihm oder vom Prozessgegner, bei dem Gericht, das früher im selbständigen Beweisverfahren entschieden hat, anhängig gemacht worden ist - dieses Gericht, als unzuständig bezeichnet. Er ist aber nach Auffassung des Senats nicht gezwungen, von vornherein eine Klage beim Amtsgericht anhängig zu machen, auch wenn dessen sachliche Zuständigkeit wegen eines über 10.000 DM liegenden Streitwerts nicht besteht, nur weil zuvor ein selbständiges Beweisverfahren vor dem Amtsgericht geschwebt hat. Auch die vom Gesetzgeber sicherlich angestrebte Beweisunmittelbarkeit erfordert dies nicht, zumal § 486 Abs. 3 ZPO für dringende Fälle ohnehin eine Ausnahme enthält. Darüber hinaus führt Zöller-Herget a.a.O. in der angesprochenen Kommentierung zutreffend aus, dass der Antragsgegner, selbst wenn er im selbständigen Beweisverfahren die Zuständigkeit des für dieses Verfahren angerufenen Gerichts nicht beanstandet hatte, im späteren Hauptsacheverfahren die Unzuständigkeit desselben Gerichts rügen darf, weil es eine Prorogation gemäß § 39 ZPO im selbständigen Beweisverfahren nicht gibt. Das bedeutet, dass auch dann, wenn man eine uneingeschränkte Bindung des Antragstellers an die von ihm im selbständigen Beweisverfahren gewählte Zuständigkeit annehmen wollte, diese im Ergebnis ohnehin nicht zum Tragen käme, wenn der Antragsgegner die fehlende sachliche Zuständigkeit des im Hauptsacheverfahren angerufenen Gerichts rügt; denn er unterliegt in keinem Falle der Bindungswirkung. Abgesehen davon führte es zu unbefriedigenden Ergebnissen, wenn ein Antragsteller zwar für das selbständige Beweisverfahren nach dem damaligen Erkenntnisstand von einem Streitwert von unter 10.000 DM ausgeht, sich aber - was nicht selten der Fall sein wird - ein (möglicherweise sogar wesentlich) höherer Streitwert erst nach der Beweiserhebung oder durch eine fortlaufende Schadensentwicklung herausstellt. Dass auch für solche Fälle - unabhängig vom Streitwert - eine zwingende Zuständigkeit des Gerichts, das im selbständigen Beweisverfahren gemäß § 486 Abs. 2 ZPO angerufen worden ist, bestehen sollte, ist nicht anzunehmen.

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Das Landgericht wird daher von seinen Bedenken gegen seine sachliche Zuständigkeit Abstand nehmen messen und über das Prozesskostenhilfegesuch der Antragstellerin in der Sache selbst zu entscheiden haben, was es - aus seiner rechtlichen Sicht her konsequent - bisher nicht getan hat.