Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 06.09.2022, Az.: 3 A 58/21
Nutztierhalter; Wolf
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 06.09.2022
- Aktenzeichen
- 3 A 58/21
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2022, 59639
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 26 BJagdG
- § 8 WaffG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ein Schäfer hat kein anzuerkennendes Bedürfnis für waffenrechtliche Erlaubnisse, um seine Herde vor Wölfen zu schützen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Berechtigung zum Besitz, Führen und Verwenden einer Flinte zum Schutz seiner Schafherde vor Wölfen. Er ist Berufsschäfer und Vorsitzender des Fördervereins der G. e.V. und sieht seine Existenzgrundlage durch Wolfsübergriffe auf seine Herde gefährdet.
Mit Schreiben vom 30. August 2018 beantragte er bei der Beklagten als örtlich zuständige Waffenbehörde
1. die Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis zum Erwerb einer Flinte Kaliber 12 nebst Munition,
2. die Erlaubnis, die Waffe führen zu dürfen und
3. die Planung von Vergrämungsmaßnahmen sowie die Berechtigung zur Entnahme der Wölfe, die sich Weidetieren auf unter 300 Metern nähern.
Er begründete den Antrag mit der zunehmenden Gefahr von Wolfsübergriffen auf seine Herde, die er anders als durch den Einsatz einer Schusswaffe nicht effektiv verhindern könne. Er müsse sein Eigentum und die ihm anvertrauten Tiere schützen. Es habe schon mehrere Wolfsübergriffe auf seine Herde, die er als Wanderschäfer an ein bis acht Standorten gleichzeitig weiden lasse, gegeben. Die geltenden Ausgleichsmaßnahmen des Landes Niedersachsen im Rahmen der sogenannten „Richtlinie Wolf“ reichten nicht aus.
Die Beklagte holte zunächst Stellungnahmen der unteren Naturschutzbehörde des H. und der Vereinigung I. e.V. ein. Die Naturschutzbehörde teilte mit, ein Abschuss von Wölfen sei verboten und strafbewehrt. Der Bauernverband erklärte, eine Bewaffnung von Schäfern erachte er nicht als geeignetes Mittel, den Konflikt zwischen Weidetierhaltern und Wölfen zu lösen. Die Vereinigung I. antwortete, die bestehenden Möglichkeiten zum Herdenschutz würden keine vollkommene Sicherheit gewährleisten, man lehne aber die Nutzung einer Waffe zu diesem Zweck ab.
Mit Bescheid vom 25. Oktober 2018 hat die Beklagte den Antrag zu 1. auf Ausstellung einer Waffenbesitzkarte, zu 2. auf Erteilung eines Waffenscheins sowie zu 3. auf eine Schießerlaubnis abgelehnt. Sie begründet diese Ablehnung in erster Linie mit dem fehlenden waffenrechtlichen Bedürfnis des Klägers für die begehrten Erlaubnisse. Das Töten von Wölfen sei nicht genehmigungsfähig, so dass waffenrechtliche Erlaubnisse hierzu nicht erteilt werden dürften. Wölfe zu töten stelle eine Straftat gemäß §§ 71a Abs. 1 Nr. 2 a), 44 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) i.V.m. Anhang IV (Eintrag „Canis lupus“) zur Richtlinie 92/43/EWG dar. Neben dem fehlenden Bedürfnis sei der Antrag auch abzulehnen, weil der Kläger eine Sachkunde nicht nachgewiesen und einen Versicherungsnachweis nicht vorgelegt habe.
Gegen den Bescheid hat der Kläger am 22. November 2018 Klage erhoben und sein vorgerichtliches Vorbringen wiederholt. Im weiteren gerichtlichen Verfahren hat er sein Klagebegehren um waffenrechtliche Erlaubnisse für Gummigeschosse ergänzt.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger erklärt, Wölfe hätten zuletzt am 26. April 2022 25 seiner Schafe gerissen. Das sei des nachts geschehen, er sei nicht zugegen gewesen. Die Flinte benötige er vornehmlich zur Vergrämung der Wölfe, um sie negativ zu konditionieren.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 25. Oktober 2018 zu verpflichten,
1. dem Kläger eine Waffenbesitzkarte auszustellen mit Eintragung der Berechtigung zum Erwerb und Besitz einer Flinte im Kaliber 12 sowie Eintragung einer Berechtigung zum Erwerb und Besitz der für diese Waffe bestimmten Munition,
2. dem Kläger einen Waffenschein auszustellen zwecks Erlaubnis des Führens einer erlaubnispflichtigen Schusswaffe,
3. dem Kläger eine Schießerlaubnis zu erteilen,
4. hilfsweise dem Kläger eine Waffenbesitzkarte auszustellen mit Eintragung der Berechtigung zum Erwerb und Besitz einer Flinte im Kaliber 12 sowie Eintragung zum Erwerb und Besitz der für diese Waffe bestimmten Gummigeschosse samt Erteilung einer entsprechenden Schießerlaubnis.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf die Ausführungen im streitigen Bescheid und hat in der mündlichen Verhandlung ergänzt, zur Vergrämung genüge eine Schreckschusswaffe für welche ein kleiner Waffenschein erforderlich sei. Diesen habe der Kläger nicht beantragt. Ein Wolfsabschuss sei nur in den engen Grenzen des § 28b Niedersächsischen Jagdgesetzes (NJagdG) möglich.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
I. Der Hauptantrag ist unbegründet.
Der streitgegenständliche Bescheid vom 25. Oktober 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrten waffenrechtlichen Erlaubnisse.
Dem Kläger fehlen für die Erteilung von waffenrechtlichen Erlaubnissen wie einer Waffenbesitzkarte (§ 10 Abs. 1 WaffG), einem Waffenschein (§ 10 Abs. 4 Satz 1 WaffG) und einer Schießerlaubnis (§ 10 Abs. 5 WaffG) ein anzuerkennendes Bedürfnis (1.) und der Sachkunde- und Versicherungsnachweis (2.) (§ 4 Abs. 1 Nr. 4, 3, 5 WaffG).
1. Der Kläger hat kein gesetzlich anzuerkennendes Bedürfnis im Sinne des § 8 Nr. 1 des Waffengesetzes (WaffG) für die begehrten Erlaubnisse nachgewiesen.
Der Nachweis eines Bedürfnisses ist gemäß § 8 WaffG erbracht, wenn gegenüber den Belangen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, nämlich der Pflicht des Staates, die ganz überwiegende waffenlose Mehrheit der Bevölkerung hinsichtlich der Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit und des Lebens vor missbräuchlichem Schusswaffengebrauch zu schützen,
Nr. 1 besonders anzuerkennende persönliche oder wirtschaftliche Interessen, vor allem als Jäger, Sportschütze, Brauchtumsschütze, Waffen- oder Munitionssammler, Waffen- oder Munitionssachverständiger, gefährdete Person, als Waffenhersteller oder -händler oder als Bewachungsunternehmer, und
Nr. 2 die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Waffen oder Munition für den beantragten Zweck
glaubhaft gemacht sind.
a) Ein derartiges besonders anzuerkennendes persönliches oder wirtschaftliches Interesse hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht.
Der Kläger fällt nicht unter die in § 8 Nr. 1 WaffG benannten privilegierten Nutzergruppen, denen das Gesetz dieses Bedürfnis ausdrücklich zubilligt. Er ist weder Jäger, Sportschütze, Brauchtumsschütze, Waffen- oder Munitionssammler, Waffen- oder Munitionssachverständiger, gefährdete Person, Waffenhersteller oder -händler noch Bewachungsunternehmer.
Der Kläger ist insbesondere keine gefährdete Person. Gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 WaffG ist hierfür glaubhaft zu machen, dass man wesentlich mehr als die Allgemeinheit durch Angriffe auf Leib oder Leben gefährdet ist. Diese Gefahr muss von einem Menschen ausgehen (Gade, Waffengesetz, 3. Auflage 2022, § 19 Rn. 3). Tiergefahren fallen nicht darunter. Folglich würde die Glaubhaftmachung eines Wolfsangriffs auf die Person des Klägers selbst, den Kläger nicht zur gefährdeten Person im Sinne des Waffengesetzes machen. Eine solchen Angriff hat der Kläger auch nicht vorgetragen. Eine Gefährdung des Eigentums, d.h. seiner Schafe, ist gemäß dem klaren Wortlaut der Norm nicht ausreichend, um als gefährdete Person zu gelten.
Der Kläger, der eine landwirtschaftliche Tätigkeit als Tierwirt, Fachrichtung Schäferei, ausübt, ist ferner kein Bewachungsunternehmer. Ein Bedürfnis zum Erwerb, Besitz und Führen von Schusswaffen wird laut § 28 Abs. 1 Satz 1 WaffG bei einem Bewachungsunternehmer nach § 34a der Gewerbeordnung (GewO) anerkannt, wenn er glaubhaft macht, dass Bewachungsaufträge wahrgenommen werden oder werden sollen, die aus Gründen der Sicherung einer gefährdeten Person im Sinne des § 19 WaffG oder eines gefährdeten Objektes Schusswaffen erfordern. Der Kläger ist kein Bewachungsunternehmer nach § 34a GewO, weil das Hüten, die Zucht und die Verwertung von Schaffleisch sowie das Pflegen der Kulturlandschaft „J.“ schon der Sache nach keine Bewachung im Sinne des Waffengesetzes darstellt. Ungeachtet dessen fehlt dem Kläger die notwendige Erlaubnis der zuständigen Behörde zum Betrieb eines Bewachungsgewerbes nach § 34a GewO. Im Übrigen stehen die Schafe im Eigentum des Klägers, so dass er nicht beabsichtigt, das Eigentum fremder Personen zu bewachen, vgl. § 34a Abs. 1 Satz 1 GewO.
Es liegt auch kein sonstiges anzuerkennendes persönliches oder wirtschaftliches Interesse vor.
Dem Kläger ist zwar in tatsächlicher Hinsicht zuzugestehen, dass er durch die Wolfsübergriffe in der Vergangenheit persönlich und wirtschaftlich betroffen ist. Ein Interesse des Klägers, Wölfe zum Schutz der Herde mit einer Schusswaffe zu töten oder zu verletzen, ist im Rahmen der Prüfung der waffenrechtlichen Erlaubnis nach der derzeitigen Rechtslage aber nicht anzuerkennen.
Die Art „Canis lupus“ steht sowohl europarechtlich nach der Flora-Fauna-Habitat Richtlinie als auch national nach §§ 44 Abs. 1 Nr. 1, 7 Nr. 14 Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) in Verbindung mit Anhang IV der Richtlinie 92/43/EWG unter besonderem Schutz.
Derjenige, der eigenmächtig einen Wolf tötet, begeht eine naturschutzrechtliche Straftat gemäß §§ 71a Abs. 1 Nr. 2 a), 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG i.V.m. Anhang IV (Eintrag „Canis lupus“) zur Richtlinie 92/43/EWG und in den Fällen, dass er nicht der Jagdausübungsberechtigte ist, den Straftatbestand der Jagdwilderei gemäß § 292 des Strafgesetzbuches (StGB).
Ausnahmen hiervon sind nur in den engen Grenzen des § 45 Abs. 7 BNatSchG zulässig und bedürfen einer behördlichen Zulassung (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 24.11.2020 - 4 ME 199/20 -, juris Rn.11). Das Begehren des Klägers ist – dies hat er in der mündlichen Verhandlung erläutert – nicht auf den Erlass einer entsprechenden Ausnahmegenehmigung gerichtet. Für eine derartige Zulassung wäre auch nicht die Beklagte, sondern der Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz NLWKN zuständig (§ 32 Abs. 4 NAGBNatSchG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 7 ZustVO-Naturschutz).
Die Voraussetzungen für eine derartige Zulassung liegen auch nicht vor. Der Kläger hat keine Nachweise für wiederholte Risse durch einen bestimmbaren Wolf vorgelegt (vgl. zu den Anforderungen Nds. OVG, Beschl. v. 24.11.2020 - 4 ME 199/20 -, juris Rn. 17).
Selbst wenn die Voraussetzungen für eine Entnahme eines oder mehrerer Wölfe vorliegen würde, wäre diese nicht durch den Kläger als Nutztierhalter, sondern in der Regel durch Jagdausübungsberechtigte vorzunehmen (vgl. § 45a Abs. 4 BNatSchG).
Nach dem Niedersächsischen Jagdgesetz (NJagdG) besteht für den Wolf zudem keine Jagdzeit (vgl. § 2 DVO NJagdG), so dass ihm auch von Jägern ganzjährig nicht nachgestellt werden darf.
Ferner ist zu berücksichtigen, dass sich das Land Niedersachsen nach der sogenannten „Richtlinie Wolf“ (Nds. MBl. 2017, S. 1067, zuletzt geändert durch RdErl. vom 08.12.2019 (Nds. MBl. 2021, S. 1823) verpflichtet hat, den Wolf zu schützen. Im Gegenzug gewährt das Land Niedersachsen freiwillig anteilige finanzielle Ausgleichsleistungen bei Nutztierrissen und Billigkeitsleistungen von bis zu 100% des ermittelten Wertes der Tierverluste (Ziffer II 4.1.1 der „Richtlinie Wolf“) und stellt Zuschüsse zu Wolfsschutzmaßnahmen bereit (Ziffer III der Richtlinie).
Aufgrund dieser bewussten gesetzgeberischen Entscheidungen zum Schutz des Wolfes ist das Interesse des Klägers als Weidetierhalter, zum Schutz seiner Tiere einen Wolf verletzen oder töten zu dürfen, nicht anzuerkennen.
Der Kläger kann sich zum Nachweis des waffenrechtlichen Bedürfnisses auch nicht auf gesetzliche Rechtfertigungsgründe stützen.
aa) Die Straftat wegen des Tötens eines Wolfes kann nicht durch Notwehr gemäß § 32 des Strafgesetzbuches (StGB) oder entschuldigenden Notstand gemäß § 35 StGB gerechtfertigt werden.
Notwehr gemäß § 32 StGB setzt einen menschlichen Angriff voraus, ein entschuldigender Notstand gemäß § 35 StGB liegt nur bei Gefahren für Menschen vor. Beides ist nicht einschlägig.
bb) Ebenso wenig kann der Kläger einen rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB geltend machen.
Ein rechtfertigender Notstand liegt nur dann vor, wenn in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begangen wird, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.
Vorliegend ist schon die Gegenwärtigkeit einer Gefahr nicht gegeben. Das ist nur dann der Fall, wenn die Gefahr alsbald oder in allernächster Zeit in einen Schaden umschlagen kann (Schönke/Schröder/Perron, StGB § 34 Rn. 17). Dies ist hier nicht der Fall.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger vielmehr vorbeugend waffenrechtliche Erlaubnisse, nämlich für einen erwarteten zukünftigen Angriff eines Wolfes auf seine Schafe. Ungeachtet dessen geht die zum jetzigen Zeitpunkt generell und abstrakt vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen zulasten des Klägers aus. Das Interesse des Klägers am Schutz seines Eigentums und des Wohls seiner Schafe (Tierschutz) überwiegt nach dem Gesagten nicht wesentlich das beeinträchtigte Interesse des Gesetzgebers am Schutz der Art „Canis lupus“. Insoweit kann ein (vorbeugend) geltend gemachter Rechtfertigungsgrund keine andere Entscheidung rechtfertigen als das Waffengesetz zulässt.
cc) Auf Belange des zivilrechtlichen Besitzschutzes nach § 858 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) kann sich der Kläger ebenfalls nicht mit Erfolg berufen.
Zivilrechtlicher Besitzschutz nach § 858 ff. BGB ist nicht möglich, weil Naturereignisse und von Menschen nicht veranlasstes Tierverhalten keine verbotene Eigenmacht darstellen (BeckOGK BGB, § 858 Rn. 16).
dd) Auch ein Verteidigungsnotstand gemäß § 228 BGB, auf den sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung berufen hat, rechtfertigt nach Überzeugung der Kammer keine abweichende Entscheidung.
Nach § 228 Satz 1 BGB handelt nicht widerrechtlich, wer eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, um eine durch sie drohende Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, die Beschädigung oder die Zerstörung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht.
Ob die Norm im Wege der Rechtsfortbildung bzw. im erst recht Schluss auch für herrenlose Sachen wie den Wolf Anwendung finden kann, kann dahinstehen. Zwar braucht die Gefahr im Gegensatz zur Notwehr nicht gegenwärtig sein (Grothe, Müko, 9. Auflage 2021, § 228 BGB, Rn. 7), doch geht die erforderliche Verhältnismäßigkeitsprüfung zu Lasten des Klägers aus. Denn die Rechtfertigung nach § 228 BGB tritt nur unter der Bedingung ein, dass der durch die Notstandshandlung eintretende Schaden nicht außer Verhältnis zur abgewendeten Gefahr steht.
Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Verletzung oder Tötung eines Wolfes durch Schusswaffen angesichts der gesetzgeberischen Wertung, die in dem Spannungsverhältnis zwischen den Interessen von Nutztierhaltern und der Wiederansiedelung und Schutz des Wolfes steht, nach den voranstehenden Ausführungen außer Verhältnis steht. Denn auch hier macht der Kläger den Rechtfertigungsgrund bloß vorbeugend geltend.
Gegen die Anwendung von Rechtfertigungsgründen wie den § 228 BGB zur Begründung des rechtmäßigen Erwerbs, Besitzes, Führens und des Schießens mit Waffen im Fall einer zukünftig erwarteten Notstandslage sprechen - die Entscheidung selbständig tragend - überdies systematische Gründe. Denn das Waffengesetz verdrängt als lex specialis insoweit die Rechtfertigungsgründe. Anderenfalls würde das Bedürfnisprinzip aufgegeben und die engen Voraussetzungen des Waffengesetzes umgangen. Es wäre nicht mehr sicherzustellen, dass die ganz überwiegende Mehrheit der Bevölkerung waffenlos ist. Denn jedermann könnte in mehr oder weniger konkreter Erwartung eines Angriffes oder einer Verletzung seiner Rechtsgüter unter Berufung bspw. auf § 228 BGB bei der Waffenbehörde eine Waffe beantragen und erhalten. Die engen waffenrechtlichen Voraussetzungen des § 8 WaffenG würden dann nicht mehr geprüft werden können. Das würde die speziellen Wertungen des Gesetzgebers für das Gebiet des Waffenrechts aushebeln. Folglich geht das Waffengesetz den Rechtfertigungsregelungen insoweit vor.
Des Weiteren ist § 228 BGB in Fällen des Jagdnotstands (§§ 23ff. BJagdG), worunter auch Gefahren durch Raubwild zählen, nicht anwendbar (MüKo BGB, § 228 Rn. 5; BeckOGK BGB, § 228 Rn. 7; Staudinger BGB § 228 Rn. 8; Erbs/Kohlhaas/Metzger BJagdG § 26 Rn. 7; aA BeckOK BGB, § 228 Rn. 3). Der Wolf unterliegt seit kurzem dem Jagdrecht (§ 5 NJagdG in der Fassung durch G. v. 17.5.2022, Nds. GVBl. 2022, S. 315) und bei den Schafen handelt es sich um Tiere, die der grundstücksbezogenen Landwirtschaft zuzuordnen sind. Auch insoweit verdrängt § 26 BJagdG als lex specialis den Anwendungsbereich der Rechtfertigungsgründe. Die Kammer weist der Vollständigkeit darauf hin, dass bei drohenden Personenschäden oder Schäden an Haustieren (BayObLGSt 1963, 158, 170) die jagdrechtliche Einschränkung nicht gilt. In diesen Kontext dürfte auch das vom Kläger angeführte Verfahren nach einer Wolfstötung zum Schutz eines Jagdhundes einzubetten sein (AG Potsdam, Urt. v. 21.6.2021 – 82 Ds 82/20 –, Veröffentlichung nicht bekannt).
Nach § 26 BJagdG darf der Eigentümer oder Nutzungsberechtigte eines Grundstücks zur Verhütung von Wildschäden das Wild weder gefährden noch verletzen, sondern nur abhalten oder verscheuchen. Dem Kläger kann im vorliegenden Fall daher über die Rechtfertigungsgründe nicht mehr gewährt werden als dem Nutzungsberechtigten (vgl. Schuck, BJagdG, 3. Aufl. 2019, § 26 Rn. 1, Düsing/Martinez/Gies/v. Bardeleben, BJagdG, 2. Aufl. 2022 § 26 Rn. 7). Wölfe dürfen zur Vermeidung von Schäden an einer Herde daher nur verscheucht werden.
Auch unter verfassungsrechtlichen Erwägungen folgt nicht anderes. Die Tiere des Klägers sind, anders als das Leben oder die körperliche Unversehrtheit, gemäß Art. 14 des Grundgesetzes (GG) als Eigentum geschützt. Gemäß Satz 2 dieses Grundrechts werden Inhalt und Schranken durch die Gesetze bestimmt. Dies hat der Gesetzgeber aufgrund des WaffenG, BNatschG und NJagdG getan. Wenn der Gesetzgeber den Konflikt zwischen Eigentumsinteressen von Weidetierhaltern und dem Bedürfnis nach Schutz von Wölfen bewusst derart beantwortet, dass er den Wolf unter besonderen Schutz stellt und in Niedersachsen nach der sogenannten „Richtlinie Wolf“ Wertersatz für Weidetiere bietet, dann stellt das eine zulässige Schranke des Eigentumsrechts dar. Die vom Kläger überzeugend geschilderten emotionalen Auswirkungen eines Wolfsrisses für ihn und seine Familie, aber auch die möglicherweise zeitintensive Abwicklung des Wertersatzes oder die Nichtabdeckung von Folgeschäden lassen verfassungsrechtliche Bedenken nicht entstehen. Es besteht keine allgemeine, unmittelbar aus den Grundrechten abzuleitende Verpflichtung des Staates, seine Bürger vor dem Verlust von Einnahmen zu schützen, die ihm durch wildlebende Tiere entstehen können. Somit bleibt es nach der derzeitigen Rechtslage im Grundsatz Sache des Einzelnen, sich bei seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit auf die natürlichen Rahmenbedingungen und ggf. auch auf deren Änderung einzustellen (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 6.4.2010 - 12 U 11/10 -, juris Rn. 25).
b) Darüber hinaus ist auch die Erforderlichkeit von Flinte und Munition des Kalibers 12 für den Zweck des Herdenschutzes im Sinne des § 8 Nr. 2 WaffG nicht glaubhaft gemacht.
Das Schießen und Töten eines Wolfes zum Schutz der Schafe ist objektiv nicht erforderlich. Es gilt der Grundsatz des geringsten Eingriffs, d.h. unter mehreren gleich geeigneten Abwehrmöglichkeiten ist die am wenigsten schädigende auszuwählen; der Kläger hat ggf. zunächst ein weniger eingriffsintensives Abwehrmittel auszuprobieren.
Eine Glaubhaftmachung setzt voraus, dass dargestellt werden kann, dass sich die Gefährdung nicht auf andere zumutbare Weise verhindern lässt.
Der Kläger konnte nicht überzeugend darstellen, dass das Töten von Wölfen – das Alleinstellungsmerkmal der begehrten Erlaubnisse gegenüber etwa einer Abschreckung mit einer bei sich geführten Schreckschusspistole (erfordert einen kleinen Waffenschein, § 10 Abs. 4 Satz 4 WaffG, keine Bedürfnisprüfung) – zum Herdenschutz erforderlich ist.
Ausweislich des Antrags bei der Behörde vom 30. August 2018 stellt sich der Kläger vor, beim Herannahen von Wölfen an seine Herde auf 300 Metern keine andere Wahl zu haben, als diese zu töten. Das setzt voraus, dass er in dieser Situation selbst zugegen und in Schussreichweite ist. Das ist nach den Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung bislang nicht der Fall gewesen. Zumal zu bedenken ist, dass mit einer Flinte lediglich auf eine Distanz bis zu 50 Metern geschossen werden kann und die Streuung des Schrots erheblich ist. Ein zielgenaues Schießen wie mit einer Büchse ist damit naturgemäß ausgeschlossen. Für die Kammer ist nicht hinreichend nachgewiesen, wie die Wölfe sich in diesem Szenario der Herde schon so weit genähert haben können, ohne vom anwesenden Kläger durch Rufe, Hupen oder Blendlicht verjagt worden zu sein. Dass derartige andere Abwehrmaßnahmen von vornherein erfolglos sind, hat der Kläger nicht konkret darstellen können. Er hat in diesem Zusammenhang auf internationale Erfahrungen in dem Bereich Herdenschutz vor Wölfen verwiesen. Dieser pauschale Verweis genügt nicht. Ein durch sein Triebverhalten zu allem entschlossener Wolf mag sich möglicherweise nicht anders als durch Gewalt von seiner Beute abbringen lassen, der Kläger konnte der Kammer allerdings nicht näherbringen, dass die in seiner Region umherziehenden Wölfe derart unaufhaltsam – das dürfte in erster Linie bedeuten: ausgehungert – sind. Wie der Vertreter der Beklagten ausführt, bestehen andere Möglichkeiten der Abschreckung. Diese hat der Kläger bislang nicht versucht und wegen Ortsabwesenheit auch nicht versuchen können. Die Tötung der Wölfe hat in diesen Szenarien lediglich den „Mehrwert“, dass die getöteten Wölfe nicht wiederkehren könnten, um erneut über die Herde herzufallen. Inwieweit eine negative Konditionierung durch Waffeneinsatz bezogen auf Wölfe generell herbeigeführt werden kann, ist ebenfalls nicht belegt.
2. Auch fehlen weitere Erteilungsvoraussetzungen.
Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 WaffG ist für waffenrechtliche Erlaubnisse eine Sachkunde nachzuweisen, gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 5 WaffG eine Versicherungsbescheinigung für Personen- und Sachschäden. Beides hat der Kläger nicht vorlegen können.
Auch aus diesem Grund ist die Klage abzuweisen.
II. Der erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens gestellte Hilfsantrag des Klägers, ihm hilfsweise die Benutzung einer Flinte mit Gummigeschossen zu gestatten, ist unzulässig.
Dem Antrag fehlt schon ein Rechtsschutzbedürfnis, da der Kläger einen entsprechenden Antrag bei der Beklagten noch nicht gestellt hat und diese noch nicht mit der Sache befasst war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Berufung gemäß § 124 a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor.