Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 15.09.2022, Az.: 2 A 12/20

Einfügen; Innenbereich; Überbaubare Grundstücksfläche

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
15.09.2022
Aktenzeichen
2 A 12/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 59658
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Merkmale des § 34 Abs. 1 BauGB sind jeweils gesondert voneinander zu prüfen. Bei der Prüfung des Merkmals der überbaubaren Grundstücksfläche spielt es deshalb grundsätzlich keine Rolle, wie die Anlage baulich genutzt wird.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Erteilung eines Bauvorbescheids für die Errichtung eines Wohnhauses.

Er ist Eigentümer des Grundstücks Im D. 3 (Flurstück 45/8 der Gemarkung E.) in F. einem dörflich geprägten Ortsteil von G.. Auf dem Grundstück befindet sich im vorderen Grundstücksbereich ein Wohnhaus, im hinteren mehrere landwirtschaftlich genutzte Anlagen. Es handelt sich um ein großes verschachteltes Gebäude auf der westlichen Grundstücksseite, eine Maschinenhalle, sowie zwei kleinere Nebenanlagen, darunter ein Hühnerstall, die teilweise bis an die östliche Grundstücksgrenze heranreichen.

Der Kläger beabsichtigt die Errichtung eines weiteren Wohnhauses im hinteren Grundstücksbereich. Zu diesem Zweck soll der Hühnerstall auf der östlichen Seite vollständig abgerissen werden. Der Neubau soll im Wesentlichen auf der Fläche des Hühnerstalles errichtet werden.

Am 24. Januar 2019 beantragte der Kläger die Erteilung eines entsprechenden Bauvorbescheids, mit dem er – unter dem Hinweis, dass bereits einige Wohnhäuser in 2. Reihe erstellt worden seien – im Wesentlichen geklärt wissen wollte, ob die Errichtung des geplanten Wohnhauses an diesem Standort auf dem Grundstück genehmigungsfähig sei.

In einer ersten planungsrechtlichen Beurteilung ging der Beklagte davon aus, das Vorhaben sei im Außenbereich gelegen. Für die Zulässigkeit des Vorhabens komme es darum auf die Stellungnahme der Landwirtschaftskammer zur Nebenerwerbstätigkeit des Klägers als Landwirt an (s. Vermerk vom 14.2.2019, lfd. Nr. 16 VV 1). Die Landwirtschaftskammer nahm mit Schreiben vom 26. März 2019 dahingehend Stellung, dass aus ihrer Sicht die Errichtung eines Altenteilerhauses im Außenbereich nicht erforderlich sei.

Nach Anhörung lehnte der Beklagte die Erteilung des begehrten Bauvorbescheids mit Bescheid vom 7. Mai 2019 ab. In dem Bescheid ging der Beklagte indes nicht mehr davon aus, dass sich der für das Vorhaben vorgesehene Standort im Außenbereich befinde. Er führte aus, die vorhandenen Nebengebäude auf dem Baugrundstück nähmen am Bebauungszusammenhang teil. Die Vorhabenfläche befinde sich auf diesen bauakzessorischen Flächen des Grundstücks und damit im Innenbereich im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB. Die nähere Umgebung sei durch Hauptgebäude geprägt, die entlang der Erschließungsstraße „Im D.“ und „H. Straße“ in einer Tiefe bis ca. 48,00 m mit sehr unterschiedlichen Abständen zur Straße lägen. Trotz der verschiedenen Tiefen der vorhandenen Hauptgebäude sei die Ortslage F. nicht dadurch geprägt, dass neben der straßenbegleitenden Hauptbebauung auch eine Bebauung in zweiter Reihe im Hinterland vorhanden sei. Das Vorhaben füge sich hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche darum nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Der geplante Standort würde die unzulässige städtebauliche Spannung, die durch das vorhandene genehmigte Wohnhaus Nr. 15 in zweiter Reihe vorhanden seien, verstärken, weil sich so ein nicht beabsichtigter zweiter Bebauungsring um die Ortslage F. bilden könne. Diese städtebauliche Entwicklung bedürfe weitergehender Steuerung durch Bauleitplanung.

Am 5. Juni 2019 erhob der Kläger Widerspruch. Er führte aus: Das Vorhaben füge sich ein, auch hinsichtlich des Kriterium der überbaubaren Grundstücksfläche. Im sogenannten Hintergelände seien tatsächlich bereits Gebäude vorhanden, und zwar nicht nur Nebenanlagen. Wie eine Anlage genutzt werde, sei für die Unterscheidung von Haupt- und Nebenanlage ohne Relevanz. Auf den Nachbargrundstücken befinde sich östlich des Grundstücks des Klägers eine Scheune, die der Hofanlage diene. Auf dem Grundstück Im D. 10 gebe es eine rückwärtige Bebauung, die zeitweise als Wohngebäude genutzt werde und keinesfalls in der Nutzung gleich zu setzen sei mit einer Garage oder einem Abstellraum. Auf dem Hofgrundstück Nr. 16 greife die Bebauung weit in Richtung Norden über die geplanten Baugrenzen des Vorhabens hinaus. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gebe es keinen allgemeinen Grundsatz, wonach eine Hinterlandbebauung nicht erwünscht sei. Sie werde erst dann unzulässig, wenn sie konkrete, nur durch förmliche Bauleitplanung zu bewältigende Spannungen hervorrufe. Hier könnten solche Probleme jedoch ersichtlich nicht entstehen, zumal neben dem entsprechenden Vorhaben weitere rückwärtige Bebauung vorhanden sei, so z. B. die Wohnhäuser H. Straße 15 und H. Straße 7 sowie im D. 10.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2019 zurück. Zur Begründung führte er aus, das Vorhaben fügt sich nicht nach § 34 Abs. 1 BauGB hinsichtlich des Maßes der überbaubaren Grundstücksfläche in die maßgebliche nähere Umgebung ein. Entlang der Straße Im D. fänden sich Hauptgebäude nur in einer Reihe entlang der Straße, wobei die Tiefe der einzeiligen Bebauung zwischen 1-15 m variiere. Eine genehmigte Hauptnutzung in zweiter Zeile gebe es nicht. Insbesondere liege für die Nutzung des hinter Nr. 10 liegenden Gebäudes keine Genehmigung vor, vielmehr werde diesbezüglich ein bauaufsichtliches Verfahren geführt. Auch das rückwärtige Gebäude Nr. 16 könne nicht als Vorbild für das beantragte Bauvorhaben dienen. Denn die vermeintliche rückwärtige Bebauung sei der Ecklage des Gebäudes an der H. Straße geschuldet. Die auf dem Grundstück H. Straße 16 weiter hinten gelegenen Gebäude seien nur Nebenanlagen (Stall und Reitanlagen) und damit kein Vorbild für die von dem Kläger angestrebte Nutzung. Insofern entfalte das Vorhabe selbst negative Vorbildwirkung. Eine zu befürchtende weitere Bauzeile löse wegen ihrer Auswirkungen auf Natur, Bewohner, Verkehr usw. das Bedürfnis nach Planung aus.

Am 14. Januar 2020 hat der Kläger Klage erhoben. Er widerholt und vertieft sein Vorbringen aus der Widerspruchsbegründung. Es gehe fehl, wenn der Beklagte meine, es gebe keine Vorbilder für eine Bebauung in zweiter Reihe. Es würde durch das Vorhaben keine negative Vorbildwirkung hervorgerufen. Die Begründung des Beklagten, dass die bereits existente weitere Bauzeile hinter der Straßenbebauung Auswirkungen habe, sei nicht substantiiert. Es sei völlig unklar, welche Auswirkungen hier auftreten sollten. Die von dem Beklagten angeführten Belangen (Natur, Bewohner, Verkehr usw.) würden durch das Vorhaben ersichtlich nicht berührt.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, ihm unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 7. Mai 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Dezember 2019 hinsichtlich Ziff. 1 seiner Bauvoranfrage vom 24. Januar 2019 einen positiven Bauvorbescheid zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt er auf sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren Bezug.

Auf entsprechende Anfrage des Gerichts vom 5. Juli 2022 zum Stand des hinsichtlich F. 10 geführten bauaufsichtlichen Verfahrens hat der Beklagte mitgeteilt, dass die Wohnnutzung in dem Gebäude bereits im Oktober 2020 aufgegeben worden sei; der Rückbau der Sanitäranlagen und der Küche seien nachgewiesen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie auf die Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung vom 15. September 2022 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 7. Mai 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Dezember 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung des begehrten Bauvorbescheids (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Rechtsgrundlage für den begehrten Verwaltungsakt ist § 73 Niedersächsische Bauordnung (NBauO). Danach ist auf Antrag über einzelne Fragen, über die im Baugenehmigungsverfahren zu entscheiden wäre und die selbständig beurteilt werden können, durch Bauvorbescheid zu entscheiden. Gegenstand der Bauvoranfrage kann nach § 73 Abs. 1 Satz 2 NBauO auch die Frage sein, ob eine Baumaßnahme nach städtebaulichem Planungsrecht zulässig ist. Gemäß § 73 Abs. 2 Satz 2 NBauO gilt bei der Entscheidung über den Bauvorbescheid u. a. § 70 NBauO entsprechend. Der begehrte Bauvorbescheid ist darum zu erteilen, wenn das Vorhaben, so wie es mit der Bauvoranfrage zur Prüfung gestellt wird, dem öffentlichen Baurecht entspricht.

Hier entspricht das mit der Bauvoranfrage zur Prüfung gestellte Vorhaben dem öffentlichen Baurecht. Dabei ist nach den entsprechenden Erklärungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung davon auszugehen, dass es ihm im vorliegenden Klageverfahren allein um die gerichtliche Klärung der in Ziff. 1 seiner Bauvoranfrage aufgeworfenen Fragestellung geht, ob das Vorhaben an dem vorgesehenen Standort auf seinem Grundstück bauplanungsrechtlich zulässig ist.

Diese Frage ist zu bejahen. Das Bauvorhaben befindet sich, wovon mittlerweile auch die Beteiligten übereinstimmend ausgehen und was auch die Einzelrichterin nicht in Zweifel zieht, im unbeplanten Innenbereich, so dass sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 34 BauGB richtet. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist.

1. Für die Prüfung, ob sich das Vorhaben im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, ist zunächst der Rahmen der näheren Umgebung zu bestimmen. Entscheidend ist insoweit, welche Bebauung das Baugrundstück prägt und im Falle seiner Bebauung ihrerseits von ihm geprägt werden würde. Für die Frage, ob sich das Vorhaben in den ermittelten Rahmen einfügt, ist sodann zu prüfen, ob es sich in jeder Hinsicht innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmens hält. Ist dies der Fall, fügt es sich in der Regel in seine Umgebung ein (BVerwG, Urt. v. 26. 5. 1978 - 4 C 9.77 -, juris Rn. 46). Bei einer Überschreitung des von der Bebauung bisher eingehaltenen Rahmens ist in der Regel davon auszugehen, dass die gegebene Situation durch die Zulassung des Vorhabens verschlechtert, gestört, belastet oder in Bewegung gebracht wird und sich das Vorhaben deshalb nicht einfügt (BVerwG, Urt. v. 15.12.1994 - 4 C 13.93 -, juris Rn. 21 sowie Urt. v. 4.7.1980 - 4 C 99.77 -, juris Rn. 22). Anderes gilt nur, wenn durch das Überschreiten des Rahmens ausnahmsweise keine bodenrechtlichen Spannungen ausgelöst werden (BVerwG, Urt. v. 26. 5. 1978 - 4 C 9.77 -, juris Rn. 47).

2. Nach diesen Vorgaben ist das Vorhaben hinsichtlich seines Standortes zulässig. Es hält sich hinsichtlich der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in dem durch die Eigenart der näheren Umgebung abgesteckten Rahmen. Denn aus der Eigenart der näheren Umgebung lässt sich nicht ableiten, dass der für das Vorhaben vorgesehene Standort in einem Grundstücksbereich vorgesehen wäre, der für eine Bebauung der hier beantragten Art nicht freigegeben wäre.

Bei dem Merkmal der überbaubaren Grundstücksfläche geht es um die konkrete Größe der Grundfläche eines Bauvorhabens und ihre räumliche Lage innerhalb der vorhandenen Bebauung, also um den Standort des Bauvorhabens im Sinne des § 23 BauNVO (BVerwG, Beschl. v. 13. 5.2014 - 4 B 38.13 -, juris Rn. 8 und Beschl. v. 28.9.1988 - 4 B 175.88 -, juris Rn. 4). Ein Vorhaben fügt sich bezüglich dieses Kriteriums ein, wenn und soweit auch die maßgebliche Umgebung im rückwärtigen Bereich eine Bebauung aufweist (BVerwG, Beschl. v. 6.11.1997 -, 4 B 172.97 -, juris Rn. 5). Der für die Beurteilung der überbaubaren Grundstücksfläche maßgebliche Rahmen ist regelmäßig eher eng zu ziehen; entscheidend ist, welche Bebauung das Baugrundstück prägt und im Falle seiner Bebauung ihrerseits von ihm geprägt werden würde. Geht es, wie hier, um die Frage, ob die vorhandene Bebauung eine faktische Baugrenze bildet und ob ein bislang von Bebauung freier rückwärtiger Bereich besteht, ist maßstabbildend regelmäßig allein die Häuserzeile, die die faktische Baugrenze bilden soll bzw. das jeweilige Straßenkarree. Denn die Bebauung im rückwärtigen Bereich einer Straßenrandbebauung steht regelmäßig hinsichtlich der Bebauungstiefe nicht in einer Wechselbeziehung mit der Bebauung im rückwärtigen Bereich der gegenüberliegenden Straßenseite (Nds. OVG, Beschl. v. 26. 8.2019 - 1 LA 41/19 -, juris Rn. 8).

Nach diesen Maßgaben bilden die nördlich der Straße Im D. gelegenen Grundstücke den maßgeblichen Rahmen. Hinsichtlich dieser Straßen hat auch der Beklagte angenommen, es liege eine durch die dort im vorderen Bereich vorhandenen Wohnhäuser gebildete Baugrenze vor.

Diese Grundstücke weisen indes allesamt auch im rückwärtigen Bereich bauliche Anlagen auf. So befindet sich auf dem Baugrundstück selbst eine große Maschinenhalle sowie kleinere Stallgebäude. Das Vorhaben soll – teilweise – auf einer Fläche errichtet werden, auf der sich bisher ein, allerdings deutlich kleinerer, Hühnerstall befindet. Auch auf den Nachbargrundstücken befinden sich jenseits der Wohnhäuser bauliche Anlagen. Auch insoweit handelt es sich um Stallungen, Schuppen oder Ähnliches.

Entgegen der Auffassung des Beklagten lässt sich aus der vorhandenen Bebauung keine faktische Baugrenze hinter den Wohnhäusern, jenseits der die Grundstücke grundsätzlich von Bebauung freizuhalten wäre, ableiten.

Eine faktische Baugrenze lässt sich nicht entlang der Rückseite der im vorderen Bereich der vorhandenen Wohnhäuser ziehen. Dies käme nur in Betracht, wenn die genannten Anlagen im rückwärtigen Bereich – unter Einschluss der Maschinenhalle auf dem Grundstück des Klägers – die Eigenart der näheren Umgebung nicht dahin prägen würden, dass auch der rückwärtige Bereich entlang der Straße Im D. einer Bebauung zugeführt wäre. Das ist indes nicht der Fall. Namentlich der Maschinenhalle auf dem Grundstück des Klägers kann die prägende Kraft nicht abgesprochen werden.

Die Eigenart der näheren Umgebung wird durch dasjenige bestimmt, was auf dem Baugrundstück selbst und in der näheren Umgebung tatsächlich vorhanden ist (BVerwG, Urt. v. 8.12.2016 - 4 C 7.16 -, juris Rn. 10). Eine Beschränkung auf das, was von der vorhandenen Bebauung städtebaulich wünschenswert oder auch nur vertretbar ist, darf nicht vorgenommen werden. Nicht jegliche vorhandene Bebauung in der näheren Umgebung bestimmt jedoch ihren Charakter. Vielmehr muss die Betrachtung auf das Wesentliche zurückgeführt werden. Es muss alles außer Acht gelassen werden, was die vorhandene Bebauung nicht prägt oder in ihr gar als Fremdkörper erscheint. Auszusondern sind deshalb zum einen solche baulichen Anlagen, die von ihrem quantitativen Erscheinungsbild (Ausdehnung, Höhe, Zahl usw.) nicht die Kraft haben, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen, die der Betrachter also nicht oder nur am Rande wahrnimmt. Ihre Aussonderung hat mit dem Begriff „Fremdkörper“ nichts zu tun, sondern ist Ergebnis einer Beschränkung auf das Wesentliche. Zum anderen können auch solche Anlagen aus der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung auszusondern sein, die zwar quantitativ die Erheblichkeitsschwelle überschreiten, aber nach ihrer Qualität völlig aus dem Rahmen der sonst in der näheren Umgebung anzutreffenden Bebauung herausfallen. Das wird insbesondere dann anzunehmen sein, wenn eine singuläre Anlage in einem auffälligen Kontrast zur übrigen Bebauung steht. In Betracht kommen insbesondere solche baulichen Anlagen, die nach ihrer - auch äußerlich erkennbaren - Zweckbestimmung in der näheren Umgebung einzigartig sind. Sie erlangen die Stellung eines „Unikats“ umso eher, je einheitlicher die nähere Umgebung im Übrigen baulich genutzt ist. Trotz ihrer deutlich in Erscheinung tretenden Größe und ihres nicht zu übersehenden Gewichts in der näheren Umgebung bestimmen sie nicht deren Eigenart, weil sie wegen ihrer mehr oder weniger ausgeprägt vom übrigen Charakter der Umgebung abweichenden Struktur gleichsam isoliert dastehen. Grundlage für ein solches Ausklammern ist zwar auch das tatsächlich Festgestellte; als Ergebnis beruht es aber auf einer überwiegend wertenden Betrachtung (BVerwG, Urt. v. 15.2.1990 - 4 C 23/86 -, juris Rn. 12 ff. m. w. Nachw.).

Nach diesen Vorgaben prägt die Maschinenhalle auf dem Grundstück des Klägers die Eigenart der näheren Umgebung mit. Schon aufgrund ihres quantitativen Erscheinungsbildes – ihre Grundfläche dürfte etwa viermal so groß sein wie das auf dem Grundstück des Klägers im vorderen Bereich befindliche Wohnhaus – kann diese bauliche Anlage nicht als unwesentlich aus der Betrachtung ausgeklammert werden. Es handelt sich insoweit auch nicht um einen Fremdkörper. Auch auf den Grundstücken Im D. 10 und Im D. 8 finden sich nach den Angaben der Beteiligten landwirtschaftlich genutzte bauliche Anlagen, die eine vergleichbare Grundfläche wie die vorhandenen Wohnhäuser aufweisen. Zudem entsprechen derartige Anlagen auch dem Charakter des Gebiets, das einem Dorfgebiet entsprechen dürfte, da sich dort verschiedene landwirtschaftliche Betriebe befinden. Insofern erscheint es ohnehin schwierig, lediglich die Wohnhäuser als „Hauptnutzung“ und die sonstigen baulichen Anlagen als „Nebennutzung“ zu bezeichnen.

Die im rückwärtigen Bereich vorhandene landwirtschaftliche Bebauung kann schließlich auch nicht deshalb im Rahmen der hier vorzunehmenden Betrachtung die prägende Kraft abgesprochen werden, weil sich im rückwärtigen Bereich der Grundstücke keine Wohnnutzung finden würde. Diese Feststellung begegnet zunächst bereits in tatsächlicher Hinsicht Bedenken, nachdem der Beklagte für die Maschinenhalle auf dem Grundstück des Klägers teilweise eine Wohnnutzung zugelassen hat. Hinzukommt, dass bei der Betrachtung, ob und inwieweit sich Vorbilder für eine Bebauung im rückwärtigen Bereich finden, nicht per se zwischen Wohn- und sonstiger Nutzung differenziert werden darf.

Die Merkmale, nach denen sich ein Vorhaben im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen muss, sind jeweils unabhängig voneinander zu prüfen. Fügt sich etwa ein Vorhaben seiner Art nach ein, kommt es im Rahmen der Prüfung, ob es sich auch seinem Maße nach einfügt, nicht mehr erneut auf seine Art an, also darauf, welches Maß von anderen baulichen Anlagen gleicher Art in der näheren Umgebung bereits verwirklicht ist. Auch das Kriterium der überbaubaren Grundstücksfläche ist deshalb grundsätzlich zu prüfen, ohne die mit der baulichen Anlage an dem konkreten Standort verfolgte Nutzung zu berücksichtigen (BVerwG, Beschl. v. 6.11.1997 - 4 B 172/97 -, juris Rn. 5; vgl. VG Lüneburg, Urt. v. 15.7.2022 - 2 A 185/20 -, juris Rn. 32).

Allerdings lässt das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf das Merkmal der überbaubaren Grundstücksfläche zu, dass bei Prüfung des Merkmals der überbaubaren Grundstücksfläche hinsichtlich der Art der Nutzung differenziert werden kann, soweit dies normativ vorgegeben ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 6.11.1997 - 4 B 172.97 -, juris Rn. 6; vgl. auch VG Lüneburg, Urt. v. 15.7.2022 - 2 A 185/22 -, juris Rn. 32). Es ist allgemein anerkannt, dass zur Auslegung bzw. Konkretisierung des Begriffs des Einfügens auf die Vorgaben der Baunutzungsverordnung (BauNVO) zurückgegriffen werden kann (Dürr, in: Brügelmann, BauGB, Stand: Jan. 2022, § 34 Rn.36). Das gilt auch hinsichtlich des Merkmals der überbaubaren Grundstücksfläche. Insoweit ist die Regelung des § 23 BauNVO heranzuziehen (Bay. VGH, Beschl. v. 10.2.2022 - 2 ZB 21.1560 -, juris Rn. 6; Beschl. v. 19.10.2020 - 15 ZB 20.280 -, juris Rn. 9; Beschl. v. 25.4.2005 - 1 CS 04.3461 -, juris Rn. 16; OVG NRW, Urt. v. 19.6.2008 - 7 A 2053/07 -, juris Rn. 27 ff.; Thür. OVG, Urt. v. 26.4.2017 - 1 KO 347/14 -, juris Rn. 44 ff.). Aus § 23 BauNVO ergeben sich aber für bestimmte Arten von baulichen Anlagen – nämlich zum einen für Nebenanlagen im Sinne des § 14 BauNVO, zum anderen für nach Abstandsflächenrecht zulässige oder zulassungsfähige Anlagen – hinsichtlich ihrer räumlichen Lage gewisse Erleichterungen: So bestimmt § 23 Abs. 5 BauNVO, dass diese Anlagen auch jenseits einer (faktischen) Baugrenze errichtet werden dürfen. Daraus folgt zugleich, dass diese baulichen Anlagen bei der Prüfung der Frage, ob nach der Eigenart der näheren Umgebung ein bestimmter Standort für eine Bebauung freigegeben ist, außer Betracht zu bleiben haben.

Um aufgrund dieser Rechtsprechung im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis zu kommen, dass die rückwärtigen Bereiche der Grundstücke trotz der vorhandenen Bebauung für eine Bebauung nicht freigegeben sind, wäre hier aber erforderlich, dass es sich bei den vorhandenen baulichen Anlagen in den rückwärtigen Grundstücksbereichen um nach § 23 Abs. 5 BauNVO privilegierte Anlagen handeln würde. Das ist aber nicht der Fall. Namentlich die Maschinenhalle auf dem Grundstück des Klägers ist aufgrund ihrer Größe nicht nach Landesrecht abstandsrechtlich privilegiert. Es handelt sich auch nicht um eine Nebenanlage im Sinne des § 14 BauNVO. § 14 BauNVO erfasst nur untergeordnete Nebenanlagen. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass zu den Wesensmerkmalen einer untergeordneten Nebenanlage im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nicht nur gehört, dass die Anlage in ihrer Funktion, sondern auch räumlichgegenständlich dem primären Nutzungszweck des Grundstücks sowie der diesem entsprechenden Bebauung dienend zugeordnet und untergeordnet ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.4.2004 - 4 C 10.03 -, juris Rn. 24; Urt. v. 17.12.1976 - 4 C 6.75 -, juris Leitsatz 2; Sächs. OVG Urt. v. 29.2.2016 - 1 A 277/14, juris Rn. 25). Ein solches Verhältnis lässt sich hier zwischen der Wohnnutzung auf dem Grundstück des Klägers sowie der Maschinenhalle nicht erkennen. Es ist insofern bereits fraglich, ob primärer Nutzungszweck des Grundstücks des Klägers bzw. der benachbarten Grundstücke überhaupt das Wohnen ist. Denn nach den Angaben der Beteiligten handelt es sich bei den Grundstücken um Hofstellen. Schon deshalb kann nicht davon gesprochen werden, dass die im rückwärtigen Bereich vorhandenen, landwirtschaftlich genutzten Anlagen dem Wohnen als primärem Nutzungszweck zugeordnet wären. Zudem kann aufgrund der Größe der im rückwärtigen Bereich vorhandenen Anlagen – insbesondere der auf dem Grundstück des Klägers befindlichen Maschinenhalle – nicht die Rede davon sein, dass diese Anlage dem angeblichen Hauptzweck des Wohnens dienend untergeordnet wäre.

Auch mit dem von dem Beklagten angeführten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Juni 2015 (- 4 C 5.14 -, juris) lässt sich nicht begründen, dass sich das Bauvorhaben hinsichtlich des Kriteriums der überbaubaren Grundstücksfläche nicht einfügen würde. In diesem Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht seine Rechtsprechung zur Frage, welche Bauwerke einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zugerechnet werden können, dahin zusammengefasst, zur „Bebauung“ im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB gehörten grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienten. Baulichkeiten, die nur vorübergehend genutzt würden oder in einem weiteren Sinne "Nebenanlagen" zu einer landwirtschaftlichen, (klein)gärtnerischen oder sonstigen Hauptnutzung seien, seien in aller Regel keine Bauten, die für sich genommen ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element darstellten (BVerwG, Urt. v. 30.6.2015 - 4 C 5.14 -, juris Rn. 15).

Dieses Urteil rechtfertigt es nicht, die auf dem Grundstück des Klägers befindliche Maschinenhalle sowie die weiteren landwirtschaftlichen Anlagen im rückwärtigen Bereich der Nachbargrundstücke bei Bestimmung der prägenden Umgebung außer Acht zu lassen. Denn es befasst sich nicht mit dem hier allein relevanten Tatbestandsmerkmal der Eigenart der näheren Umgebung, sondern mit dem Merkmal des im Zusammenhang bebauten Ortsteils. Nur hinsichtlich dieses Merkmals ist nach dem Bundesverwaltungsgericht Gebäuden, die nicht dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen, sowie Nebengebäuden „in der Regel“ die prägende und damit maßstabbildende Kraft abzusprechen (BVerwG, Urt. v. 30.6.2015 - 4 C 5.14 -, juris Rn. 15). Für die Beurteilung der Eigenart der näheren Umgebung ist demgegenüber, wie bereits ausgeführt, alles an Bebauung in den Blick zu nehmen, was tatsächlich vorhanden ist und nach außen wahrnehmbar in Erscheinung tritt. Das Bundesverwaltungsgericht hat deshalb schon 2016 klargestellt, dass sein Urteil aus dem Jahr 2015 nicht den Schluss rechtfertige, dass Baulichkeiten, die keinen im Zusammenhang bebauten Ortsteil bilden könnten, auch nicht in der Lage seien, in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil die Eigenart der näheren Umgebung zu prägen (BVerwG, Urt. v. 8.12.2016 - 4 C 7.15 -, juris Rn. 13).

Das Vorhaben ist schließlich auch nicht deshalb unzulässig, weil es in geringem Umfang tiefer als die Maschinenhalle in den rückwärtigen Bereich hineinragt. Denn insoweit lässt sich eine faktische Baugrenze von vornherein nicht erkennen. Für die Annahme einer faktischen Baugrenze als eine sich durch die tatsächliche Bebauung faktisch herausgebildete Linie, die entsprechend § 23 Abs. 3 BauNVO von Gebäuden und Gebäudeteilen im rückwärtigen oder vorderen (straßenseitigen) Bereich nicht überschritten werden darf, muss aus der Lage der in der vorhandenen Umgebungsbebauung befindlichen Hauptgebäude eine Regel ableitbar - d.h. erkennbar und formulierbar - sein, wie aus der Flucht der straßenseitigen Vorderfassaden eine gemeinsame Grenze gebildet wird. Hierfür bedarf es unter Berücksichtigung grundrechtlicher Wertungen aus Art. 14 Abs. 1 GG wegen der einschränkenden Wirkung auf das Grundeigentum hinreichender Anhaltspunkte für eine städtebaulich verfestigte Situation; die tatsächlich vorhandene Bebauung darf kein bloßes „Zufallsprodukt“ ohne eigenen städtebaulichen Aussagewert sein (BayVGH, Beschl. v. 19.10.2020 - 15 ZB 20.280 - juris Rn. 8 m.w.Nachw.). Daran fehlt es hier. Denn eine städtebaulich verfestigte Ordnung, wie tief die landwirtschaftlich genutzten Anlagen in die rückwärtigen Grundstücksbereiche hineinragen, ist nicht erkennbar.

Das Vorhaben fügt sich somit hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche in die Eigenart der näheren Umgebung ein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Berufung gemäß § 124 a Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor.