Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 17.10.1990, Az.: 21 U 22/89
Schadensersatzanspruch aufgrund fahrlässiger Aushändigung von Orderschecks; Unterlassen der Überprüfung der Verfügungsbefugnis; Entstehen von Verdachtsmomenten aufgrund formaler Prüfung der Einreicherlegitimation
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 17.10.1990
- Aktenzeichen
- 21 U 22/89
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1990, 14479
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1990:1017.21U22.89.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Verden - 18.09.1989 - AZ: 10 O 48/89
Fundstellen
- NJW-RR 1991, 503 (Volltext mit red. LS)
- WM 1990, 2069-2070 (Volltext mit amtl. LS)
- ZBB 1991, 50
Verfahrensgegenstand
Schadensersatzforderung
Prozessführer
der XXX
Prozessgegner
die Firma YYY
In dem Rechtsstreit
hat der 21. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 12. September 1990
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richterin am Oberlandesgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten und die Anschlußberufung der Klägerin gegen das Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Verden vom 18. September 1989 werden unter Aufhebung des Versäumnisurteils des Senats vom 21. März 1990 zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden mit Ausnahme der durch die Säumnis der Klägerin entstandenen Kosten, die diese allein trägt, gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 45.500,00 DM abzuwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe geleistet hat.
Die Sicherheit kann auch in Form einer unwiderruflichen, selbstschuldnerischen Bürgschaft einer deutschen Großbank, Volksbank oder öffentlichen Sparkasse erbracht werden.
Beschwer für beide Parteien: 42.500,00 DM.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 85.000,00 DM.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt Schadensersatz, weil die Beklagte zwei die Klägerin als Begünstigte ausweisende Orderschecks über 75.000,00 DM und 10.000,00 DM hereingenommen und dem Privatkonto der Ehefrau des Anfang 1989 fristlos entlassenen Verkaufsgruppenleiters der Klägerin ... gutgeschrieben hat. Die beiden von der türkischen ... ausgestellten, auf die ... Bank ... gezogenen Verrechnungsschecks Nr. 384943 und 384608 hatte der türkische Geschäftspartner der Klägerin ... zur Begleichung offener Forderungen der Klägerin übergeben. ... der 1983 wegen erheblicher, aus der Erkrankung seiner Tochter herrührender Schulden die eidesstattliche Versicherung abgegeben hatte und bereits seit 1982 sein Gehalt auf das bei der Klägerin bestehende Konto seiner Ehefrau überweisen ließ, leitete die Schecks nicht an die Klägerin weiter, sondern reichte sie mit dem Firmenstempel der Klägerin und seiner Unterschrift versehen der Beklagten zur Gutschrift auf das Konto seiner Ehefrau ein. Auf der Rückseite der Schecks befindet sich außerdem die Unterschrift der Ehefrau ... Dabei ist streitig, ob diese auch den Scheck über 75.000,00 DM von vornherein oder erst auf Wunsch der Beklagten indossiert hat.
Die Klägerin hat behauptet, der Beklagten sei sowohl die desolate Vermögenssituation des ... als auch dessen Tätigkeit bei der Klägerin bekannt gewesen. Die Beklagte hätte daher - so hat die Klägerin gemeint - die erkennbar aus Geschäftsbeziehungen stammenden Schecks nicht ohne Rückfrage einem Privatkonto gutschreiben dürfen. Hierin liege ein grob fahrlässiges, zum Schadensersatz verpflichtendes Verhalten.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 85.000,00 DM nebst 7 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
ihr nachzulassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung abzuwenden und zu gestatten, daß die Sicherheitsleistung durch Bürgschaft eines als Zoll- und Steuerbürger zugelassenen Kreditinstituts erfolgen kann.
Sie hat bestritten, von der Vermögenssituation des Bethke und dessen Anstellungsverhältnis bei der Klägerin gewußt zu haben. Im übrigen hat sie geltend gemacht, die Kontoinhaberin ... sei durch eine lückenlose Indossamentenkette als Berechtigte ausgewiesen gewesen, so daß keine Veranlassung für weitere Nachprüfungen bestanden habe. Der eingetretene Schaden sei vielmehr einem Organisationsverschulden der Klägerin zuzuschreiben.
Das Landgericht hat der Klage durch Urteil vom 18. September 1989, auf dessen Inhalt verwiesen wird, in Höhe von 42.500,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 5. Juni 1989 stattgegeben und ein hälftiges Mitverschulden der Klägerin angenommen.
Gegen dieses ihr am 26.09.1989 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 23.10.1989 Berufung eingelegt und diese mit am 23.11.1989 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz begründet.
Sie meint, die Schecks gutgläubig erworben zu haben, da sie nach dem Orderscheckabkommen vom 01.11.1967 nur zu überprüfen habe, ob der Scheckeinreicher durch eine ordnungsgemäße Indossamentenkette legitimiert sei. Diese Voraussetzung sei erfüllt gewesen. Besondere Verdachtsmomente, die Zweifel an der Verfügungsberechtigung der Eheleute ... hätten aufkommen lassen müssen, seien entgegen der Annahme des Landgerichts nicht gegeben, so daß ein Schadensersatzanspruch entfalle.
Unabhängig davon sei aber auch das Mitverschulden der Klägerin weit höher als mit 50 % zu bewerten. Zum einen bestehe ein erhebliches Organisationsverschulden, da die Klägerin den Verlust der Schecks erst nach zwei Jahren bemerkt habe. Im übrigen habe die Klägerin ... wegen seiner desolaten Vermögensverhältnisse unter keinen Umständen die Einziehung von Rechnungen überlassen dürfen.
Auf entsprechenden Antrag der Beklagten hat der Senat unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage durch Versäumnisurteil vom 21. März 1990 in vollem Umfange abgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin form- und fristgerecht Einspruch eingelegt und sich der Berufung der Beklagten angeschlossen.
Sie vertritt weiterhin die Auffassung, die Beklagte habe ihre Sorgfaltspflicht durch Gutschrift der beiden Schecks in gröblicher Weise verletzt und meint im übrigen, ihr selbst sei ein Mitverschulden nicht anzulasten. Hierzu trägt sie vor, ... habe während der 14 1/2-jährigen Tätigkeit bei ihr erfolgreich gearbeitet und zu erheblichen Umsatzsteigerungen im Auslandsgeschäft beigetragen. Über die Lohn- und Gehaltsbuchhaltung habe man zwar Einblick in seine Verdienst- und Vermögensverhältnisse gehabt. Da es aber niemals zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei, habe keine Veranlassung zu besonderem Mißtrauen bestanden. ... sei auch nicht mit der Einziehung von Rechnungen beauftragt gewesen. Insbesondere im Auslandsgeschäft sei es unumgänglich und deshalb auch bei anderen Unternehmen üblich, daß Mitarbeiter gelegentlich auch Zahlungen entgegennehmen müßten. Die Veruntreuungen des ... seien besonders schwer erkennbar gewesen, da der Kunde ... seine Geschäfte über fünf verschiedene Firmen abgewickelt und nur ... über die Zusammenhänge genau Bescheid gewußt habe. Auch die Kundenbuchhaltung sei deshalb auf seine ergänzenden Informationen angewiesen gewesen, was es ihm möglich gemacht habe, die tatsächlichen Verhältnisse zu verschleiern. Es sei auch sachgerecht und zeige kein Organisationsverschulden, die Entscheidung über Mahnschreiben nicht der Buchhaltung, sondern der Verkaufsabteilung zu überlassen, weil nur hier die Berechtigung von Reklamationen beurteilt werden könne und Kulanzfragen besser zu klären seien. Dies sei im Fall ... in besonderer Weise zum Tragen gekommen, weil er für den Verkauf wertgeminderter Waren - gerade auch im Falle ... - zuständig gewesen sei.
Die Klägerin beantragt,
das Versäumnisurteil des Senats vom 21. März 1990 aufzuheben und unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten das Urteil des Landgerichts Verden vom 18. September 1989 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin insgesamt 85.000,00 DM nebst 7 % Zinsen seit dem 05.06.1989 zu zahlen,
hilfsweise,
für den Fall einer Maßnahme nach § 711 ZPO anzuordnen, daß die Klägerin Sicherheit auch durch eine selbstschuldnerische, unbedingte und unbefristete Bürgschaft einer deutschen Großbank, Volksbank oder öffentlichen Sparkasse leisten darf.
Die Beklagte beantragt,
die Anschlußberufung der Klägerin zurückzuweisen und das Versäumnisurteil des Senats vom 21. März 1990 aufrechtzuerhalten,
hilfsweise,
für den Fall der Gewährung von Vollstreckungsnachlaß der Beklagten zu gestatten, Sicherheit in Form einer Bürgschaft der Norddeutschen Landesbank zu leisten.
Sie behauptet ergänzend, ihre Sachbearbeiter hätten trotz laufender Gehaltszahlungen nicht gewußt und ohne besondere Nachforschungen auch nicht erkennen können, daß Bethke bei der Klägerin beschäftigt gewesen sei. Die Überweisungen erfolgten nämlich im beleglosen Datenträgeraustausch. Der Auftraggeber werde zwar für den Kunden auf dem Kontoauszug ausgedruckt, der die Bankangestellten jedoch nicht zu interessieren habe.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Parteivortrages wird auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Berufung und Anschlußberufung sind nicht begründet.
Das Landgericht hat zutreffend einen Schadensersatzanspruch der Klägerin aus den §§ 990, 989 BGB i.V.m. Art. 21 ScheckG bejaht, mit Recht aber auch ein erhebliches Mitverschulden der Klägerin nach § 254 BGB angenommen.
Beide Orderschecks sind mit Aushändigung an den Angestellten Bethke in das Eigentum der Klägerin gelangt und ihr durch dessen Unterschlagung im Sinne von Art. 21 ScheckG abhandengekommen. Bei Erwerb der Schecks hat die Beklagte es grob fahrlässig unterlassen, die Verfügungsbefugnis des ... bzw. seiner Ehefrau zu überprüfen. Nach dem Orderscheckabkommen obliegt es den Kreditinstituten zwar grundsätzlich nur zu kontrollieren, ob der Einreicher durch eine ordnungsgemäße Indossamentenkette im Sinne von Art. 35 ScheckG legitimiert ist. Das aber gilt nur, solange keine besonderen Verdachtsmomente bestehen.
Hier hingegen mußte bereits dem Schalterbeamten der Beklagten auch bei einer nur formalen Prüfung der Einreicherlegitimation auffallen, daß es sich um von einer türkischen Bank ausgestellte Orderschecks handelte, die als Begünstigter die Klägerin, ein bekanntes Industrieunternehmen, auswiesen. Schon diese Umstände deuten daraufhin, daß die Schecks im Geschäftsverkehr begeben waren. Hinzu kommt, daß sich auf den Schecks links unten der Zusatz "our ref/210438/4" befindet, der zweifelsfrei erkennen läßt, daß die Schecks zur Begleichung von Geschäftsschulden und nicht etwa zur Erfüllung privater Verbindlichkeiten dienten. Daß ein großes Industrieunternehmen, zu denen die Klägerin bekanntermaßen zählt, solche noch dazu aus dem Ausland stammende Schecks an private Dritte weitergibt, ist gänzlich ungewöhnlich. Vielmehr werden sie regelmäßig unmittelbar zur Einziehung auf ein eigenes Konto eingereicht. Selbst wenn also der Namenszug im Firmenstempel der Klägerin nicht als Unterschrift des ... zu identifizieren war und auch nicht offenkundig war, daß ... bei der Klägerin angestellt war, mußte der Schalterbeamte der Beklagten stutzig werden und wenigstens hausintern eine Überprüfung des Einreicherkontos veranlassen. Aus den Kontounterlagen hätte sich dann unschwer zum einen ergeben, daß es sich um ein privates Girokonto und nicht etwa um ein Geschäftskonto handelte. Zum anderen wäre aufgefallen, daß Zugänge in der Größenordnung der Scheckbeträge, wie die vorliegenden Kontoblätter ausweisen, bisher nicht vorhanden waren. Insbesondere die Einreichung der Schecks zur Gutschrift auf ein Privatkonto mußte angesichts der eindeutig zu Geschäftszwecken begebenden Schecks weiteren Argwohn erregen. Insoweit treffen die Ausführungen, die der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung NJW 87, 1264 bei Scheckeinreichung zugunsten eines Sparbuchs gemacht hat, entgegen der Meinung der Beklagten auch den vorliegenden Fall. Wenn sich die Beklagte angesichts der vorhandenen Verdachtsmomente nicht durch Rückruf bei der Klägerin Klarheit über die Verfügungsberechtigung des ... verschaffte, so verletzte sie damit grob fahrlässig ihre Sorgfaltspflicht, was einen Schadensersatzanspruch gegen sie begründet.
Der Forderung der Klägerin ist jedoch nicht in vollem Umfange stattzugeben, denn sie trifft nach § 254 BGB ein erhebliches Mitverschulden an der Entstehung des Schadens.
Hierfür spricht schon, daß die Unterschlagungen erst nach 2 bzw. 1 1/2 Jahren aufgefallen sind. Bereits dieser Umstand deutet auf das Fehlen geeigneter, allgemeiner Kontrollmaßnahmen hin. Hinzu kommt, daß sie selbst eingeräumt hat, von der schlechten wirtschaftlichen Situation ihres Angestellten Bethke und von seiner eidesstattlichen Versicherung im Rahmen der Zwangsvollstreckung als zahlungsunfähiger Schuldner seit Jahren gewußt zu haben. Auch die Gründe hierfür, nämlich die Krankheit seiner Tochter, waren der Klägerin bekannt. Trotzdem hat sie davon abgesehen, ... entweder von seiner Position als Verkaufsgruppenleiter zu entbinden oder ihn hinsichtlich des Umgangs mit Firmengeld in besonderer Weise zu überwachen. Letzteres war um so mehr geboten, als die Klägerin selbst im einzelnen dargelegt hat, welche tatsächlichen Möglichkeiten der Manipulation gerade ein im Auslandsgeschäft tätiger Verkaufsgruppenleiter besitzt. Wenn die Klägerin gleichwohl auf die von ihr geschätzten kaufmännischen Fähigkeiten des ... nicht verzichten wollte, so ist sie damit bewußt ein Risiko eingegangen, von dem sie sich im Schadensfall nicht lossagen kann. Das gilt um so mehr, als gerade der spezielle Aufgabenbereich des ... in hohem Maße unübersichtlich war. Es hätte daher nahegelegen, eine andere Verwendung für ihn zu suchen. Daß schließlich andere Großunternehmen, wie die Klägerin behauptet, in ähnlicher Weise verfahren und es allgemein üblich ist, daß Angehörige des mittleren Managements im Ausland Zahlungsmittel von Kunden entgegennehmen, entlastet die Klägerin ebenfalls nicht. Auch insoweit handelt es sich um eine innerbetriebliche Entscheidung, die nicht zu einer Risikoverlagerung auf Dritte führen darf.
Der Senat meint daher mit dem Landgericht, daß das Mitverschulden der Klägerin der groben Fahrlässigkeit der Beklagten gleichsteht, so daß diese nur die Hälfte des Schadens zu ersetzen hat.
Die Schadensersatzforderung ist gemäß den §§ 291, 288 BGB mit 4 % zu verzinsen. Einen darüber hinausgehenden Verzugsschaden hat die Klägerin nicht unter Beweis gestellt.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 92, 97 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Ziff. 10, 711, 712 ZPO.