Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 11.02.2009, Az.: 1 A 45/08

Kostenbescheid aus Anlass einer Abschleppmaßnahme; Beginn des durch das Verkehrszeichen (Zeichen 297) mit Richtungspfeil ausgewiesenen Haltverbots; Mehrstündiges Parken auf der Rechtsabbiegespur als Verstoß gegen das allgemeine Gebot der Rücksichtnahme nach § 1 Abs. 2 Straßenverkehrsordnung (StVO)

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
11.02.2009
Aktenzeichen
1 A 45/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 11108
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2009:0211.1A45.08.0A

Verfahrensgegenstand

Abschleppkosten

Redaktioneller Leitsatz

Ein Halten oder Parken kann auch dann, wenn es nicht aufgrund von § 12 StVO verboten ist, ausnahmsweise nach § 1 Abs. 2 StVO unzulässig sein, weil es andere gefährdet oder mehr als unvermeidbar behindert. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn durch ein für mehrere Stunden parkendes Fahrzeug mehrere Rechtsabbieger zu unbeabsichtigten und nicht ungefährlichen Bremsmanövern und Ausweichbewegungen gezwungen werden.

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Göttingen - 1. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 11. Februar 2009
durch
den Präsidenten des Verwaltungsgerichts D.,
den Richter am Verwaltungsgericht E.,
die Richterin F. sowie
die ehrenamtliche Richterin G. und
den ehrenamtlichen Richter H.
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen einen Kostenbescheid aus Anlass einer Abschleppmaßnahme.

2

Er parkte Dienstag, den 18. September 2007, in der Zeit von 8.45 Uhr bis 18.00 Uhr den Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen I. in Göttingen in der Bürgerstraße in Fahrtrichtung Reinhäuser Landstraße im Bereich zwischen den Einmündungen Rosdorfer Weg und Wiesenstraße. Als er gegen 18.00 Uhr zu seinem Pkw zurückkehrte, bemerkte er einen mehr als 300 Meter langen Rückstau hinter seinem Fahrzeug. Später stellte er fest, dass ihm die Polizei im Lauf des Vormittags eine Nachricht auf der Mailbox seines Handys hinterlassen und ihn hierin aufgefordert hatte, sein Fahrzeug zu entfernen, da ansonsten weitere Maßnahmen eingeleitet würden. Tatsächlich war jedoch keine Abschleppmaßnahme veranlasst worden. Am Fahrzeug befand sich auch kein Hinweis darauf, dass der Parkvorgang von den Ordnungsbehörden beanstandet worden war. Hintergrund dessen war die durch einen Mitarbeiter der Beklagten erteilte Auskunft an die Polizei, das Auto dürfe dort parken.

3

Am Folgetag parkte der Kläger sein Fahrzeug ab 8.45 Uhr erneut in der Bürgerstraße, nunmehr jedoch in der Gegenrichtung, d.h. in Fahrtrichtung Groner Tor. Er beabsichtigte, dort bis in den frühen Abend zu parken. Die Bürgerstraße verfügt in beiden Fahrtrichtungen fast durchgängig über zwei Fahrspuren. Im Bereich der Einmündung in die Angerstraße, wo der Kläger sein Fahrzeug diesmal abstellte, teilen sich die nach Nordwesten führenden Fahrspuren auf einem knapp 100 m langen Teilstück in eine mit Richtungspfeilen (Zeichen 297 der StVO) versehene Rechtsabbiegespur sowie zwei geradeaus führende Fahrspuren. Im vorderen Abschnitt des dreispurigen Bereichs befindet sich auf der rechten Fahrspur eine Bushaltestelle, kurz dahinter liegt die Einfahrt zu einem gebührenpflichtigen öffentlichen Parkplatz. Einige Meter hinter dieser Einfahrt beginnt die Markierung durch Richtungspfeile. Die drei Fahrspuren sind im letzten Bereich vor der Einmündung in die Angerstraße durch Fahrstreifenbegrenzungen (durchgezogene Linien) voneinander getrennt. Der Kläger parkte sein Fahrzeug auf der Rechtsabbiegespur zwischen der Einfahrt in den öffentlichen Parkplatz und dem Beginn der Richtungspfeile. Das Halten und Parken ist dort nicht durch entsprechende Verkehrsschilder verboten oder eingeschränkt.

4

Auf Veranlassung der Beklagten wurde das Fahrzeug des Klägers gegen 12:00 Uhr durch ein Abschleppunternehmen auf einen Stellplatz des angrenzenden öffentlichen Parkplatzes umgesetzt. Mit Bescheid vom 14. Januar 2008 machte die Beklagte gegenüber dem Kläger die ihr von dem Unternehmen in Rechnung gestellten Kosten (102,10 EUR) sowie eine Verwaltungsgebühr (41,00 EUR) und die angefallenen Auslagen (2,63 EUR) geltend. Zur Begründung wies sie darauf hin, dass das Parken auf einer mit Richtungspfeilen versehenen Fahrbahn verboten sei. Zudem habe das Fahrzeug des Klägers den Verkehr im Sinne von § 1 Abs. 2 StVO behindert.

5

Am 08. Februar 2008 hat der Kläger Klage gegen diesen Bescheid erhoben. Zur Begründung trägt er vor: § 12 Abs. 1 Nr. 6d StVO verbiete es zwar, auf einer mit Richtungspfeilen markierten Fahrbahn zu halten bzw. zu parken. Der von dieser Norm umfasste Bereich beginne jedoch erst mit dem Ende des vom Fahrer zuerst erreichten Richtungspfeils und ende an der Spitze des vordersten Pfeils. Er habe sein Fahrzeug sechs Meter vor dem Beginn des ersten Richtungspfeils und damit außerhalb des örtlichen Geltungsbereichs von § 12 Abs. 1 Nr. 6d StVO geparkt. Durch sein Fahrzeug sei es auch nicht zu einer mehr als nach den Umständen vermeidbaren Behinderung des übrigen Verkehrs gekommen. Der Bereich der Bürgerstraße, in dem er sein Fahrzeug abgestellt habe, sei auf mehr als 100 Meter vom herannahenden Verkehr einsehbar. Er (der Kläger) habe mehr als zwanzig Meter hinter der Bushaltestelle geparkt, weshalb ein Einfädeln der Busse in den fließenden Verkehr nicht mehr als leicht behindert worden sei. Die Fahrzeuge, die vom Parkplatz aus in die Bürgerstraße hätten einbiegen wollen, hätten ohnehin dem fließenden Verkehr Vorrang geben und somit vor dem Einbiegen in die Bürgerstraße anhalten müssen. Andere Verkehrsteilnehmer müssten leichte Behinderungen durch korrekt geparkte Fahrzeuge hinnehmen. Die Entfernung zwischen seiner Fahrzeugfront und dem Beginn der durchgezogenen Linie habe ca. 26 Meter betragen; es sei daher möglich gewesen, hinter seinem Fahrzeug und vor Erreichen der durchgezogenen Linie von der Mittelspur auf die Rechtsabbiegespur zu wechseln. Die von der Beklagten im Rahmen der Abschleppmaßnahme erstellten Fotos würden keine Behinderung zeigen. Überdies erlaube die StVO das Parken dort, wo es nicht verboten sei. Die Beklagte sei demnach verpflichtet, durch eine eindeutige Beschilderung zu kennzeichnen, wo und wann das Parken zulässig sei. Andere Städte und Gemeinden kämen dieser Verpflichtung nach.

6

Der Kläger beantragt,

den Kostenbescheid der Beklagten vom 14. Januar 2008 aufzuheben.

7

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Sie hält ihren Bescheid für rechtmäßig und tritt den Ausführungen des Klägers im Einzelnen entgegen. Das Fahrzeug des Klägers habe unzulässig und verkehrsbehindernd im Straßenverkehr geparkt, weshalb es aus Gründen der Verkehrssicherheit habe umgesetzt werden müssen. Es habe sich zwar drei Meter vor Beginn der Richtungspfeile, aber in einer als solche deutlich erkennbare Rechtsabbiegespur befunden. Diese Fahrspur ermögliche es den Verkehrsteilnehmern auf der gewöhnlich sehr stark befahrenen Bürgerstraße, sich zügig und ohne den Verkehrsfluss zu beeinträchtigen für ein Rechtsabbiegen einzuordnen. Sie solle dem Verkehr daher grundsätzlich in voller Länge zur Verfügung stehen. Durch das Fahrzeug des Klägers seien insbesondere die Fahrzeugführer, die sich frühzeitig zum Abbiegen auf die rechte Fahrspur eingeordnet hätten, zu gefährlichen Fahrstreifenwechseln gezwungen worden. Die Rechtsabbiegespur werde zudem üblicherweise von den aus dem Parkplatz herausfahrenden Fahrzeugen als Beschleunigungsspur genutzt. Erschwerend komme hinzu, dass sowohl die an der Bushaltestelle haltenden Busse als auch die den Parkplatz verlassenden Fahrzeuge den geparkten Wagen verdeckt hätten. Der Abstand zwischen der Vorderkante des klägerischen Fahrzeugs und dem Beginn der durchgezogenen Linie habe nur ca. 20 bis 22 Meter betragen; diese Entfernung sei für einen durchschnittlichen Autofahrer äußerst kurz, um von der rechten Geradeausspur auf die Rechtsabbiegespur zu wechseln. Dem Kläger sei es außerdem zumutbar gewesen, sein Fahrzeug auf dem unmittelbar angrenzenden öffentlichen Parkplatz abzustellen. In den vergangenen 10 bis 15 Jahren sei ihr (der Beklagten) kein einziger Vorfall bekannt geworden, in dem ein Verkehrsteilnehmer sein Fahrzeug auf einer der großen Hauptein- oder -ausfallstraßen geparkt habe. Offenbar sei allen Verkehrsteilnehmern bislang vollkommen bewusst gewesen, dass ein Parken in diesen Bereichen unzulässig sein müsse.

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Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung die beiden Mitarbeiter des Ordnungsamtes, die den geparkten Wagen des Klägers am 19. September 2007 beobachtet hatten, zu den Verkehrsverhältnissen auf der Bürgerstraße am maßgeblichen Tag informatorisch befragt. Hinsichtlich ihrer Ausführungen wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11. Februar 2009 Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Kostenanspruch ist § 66 Abs. 1 Satz 1 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG). Diese Vorschrift regelt: "Wird die Verpflichtung, eine Handlung vorzunehmen, deren Vornahme durch eine andere Person möglich ist (vertretbare Handlung), nicht erfüllt, so kann die Verwaltungsbehörde oder die Polizei auf Kosten der betroffenen Person die Handlung selbst ausführen oder eine andere Person mit der Ausführung beauftragen." Eine auf § 66 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG gestützte Kostenerhebung ist rechtmäßig, wenn eine rechtmäßige Ersatzvornahme stattgefunden hat, der Betreffende der richtige Kostenschuldner ist und der Kostenerhebung im Übrigen Bedenken nicht entgegen stehen. Gemäß § 64 Abs. 1 Nds. SOG ist vor der Durchführung der Ersatzvornahme in der Regel der Erlass eines Verwaltungsaktes erforderlich, mit dem die Vornahme der vertretbaren Handlung unanfechtbar oder sofort vollziehbar dem Verpflichteten aufgegeben wird. Ein solcher Verwaltungsakt ist hier nicht ergangen. Nach § 64 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Nds. SOG können Zwangsmittel jedoch auch ohne vorausgehenden Verwaltungsakt angewendet werden, wenn diese zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr erforderlich sind, insbesondere wenn Maßnahmen gegen Personen nach §§ 6 bis 8 Nds. SOG nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen, und die Verwaltungsbehörde hierbei innerhalb ihrer Befugnisse handelt.

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Diese Voraussetzungen sind im Hinblick auf die in dem angefochtenen Leistungsbescheid dem Kläger auferlegten Kosten erfüllt. Von dem Fahrzeug des Klägers ging im Zeitpunkt des Einschreitens durch die Beklagte eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus. Eine gegenwärtige Gefahr ist gemäß § 2 Nr. 1b Nds. SOG eine Gefahr (d.h. ein drohender Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, vgl. § 2 Nr. 1a Nds. SOG), bei der die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unmittelbar bevorsteht. Die öffentliche Sicherheit ist dann beeinträchtigt, wenn es zu einem Verstoß gegen Rechtsvorschriften gekommen ist oder Individualrechtsgüter betroffen sind.

13

Der Kläger verstieß zwar nicht gegen § 12 Abs. 1 Nr. 6d StVO. Nach dieser Vorschrift ist das Halten eines Fahrzeugs unzulässig, soweit es durch Richtungspfeile auf der Fahrbahn (Zeichen 297) verboten ist. Dieses Haltverbot dient dazu, den Verkehr auf den Fahrstreifen flüssig zu halten und das Abbiegen zu erleichtern. Ein Halten würde hier das zügige Einordnen und Abbiegen erschweren, andere Verkehrsteilnehmer zu gefährlichen Fahrstreifenwechseln veranlassen oder sie ungebührlich aufhalten (OLG Hamm, Urteil vom 09. November 1998 - 6 U 147/98 -, [...]; Jago/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 20. Auflage, 2008, § 12 StVO, RdNr. 28). Das Haltverbot beginnt aus Gründen der Erforderlichkeit eindeutiger Verkehrsregelungen erst mit dem vom Fahrer zuerst erreichten Richtungspfeil (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. November 1983 - 5 Ss (Owi) 436/83 - , VRS 66, 380; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Auflage, 2007, § 41 StVO, RdNr. 248, Stichwort: "Z 297: Richtungspfeile auf der Fahrbahn"). Der Kläger hat einige Meter vor dem (in Fahrtrichtung gesehen) ersten Richtungspfeil geparkt und damit den von § 12 Abs. 1 Nr. 6d StVO erfassten Bereich freigehalten.

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Er hat jedoch gegen die allgemeine Regel des § 1 Abs. 2 StVO verstoßen. Hiernach hat sich jeder Verkehrsteilnehmer so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Ein Halten oder Parken kann auch dann, wenn es nicht aufgrund von § 12 StVO verboten ist, nach § 1 Abs. 2 StVO unzulässig sein, weil es andere gefährdet oder mehr als unvermeidbar behindert. Dabei muss es sich um eine wirkliche Ausnahmesituation handeln. Grundsätzlich muss der fließende Verkehr die Behinderungen hinnehmen, die von einem Halten oder Parken ausgehen, das nach der detaillierten Regelung des § 12 Abs. 1 und 3 StVO nicht unzulässig ist. Ein Kraftfahrer kann in der Regel davon ausgehen, dort, wo ein allgemeines Halt- oder Parkverbot nicht besteht, auch wirklich halten oder parken zu dürfen. Von ihm ist im Allgemeinen nicht zu verlangen, dass er, bevor er sein Fahrzeug an einer solchen Stelle abstellt, verkehrstechnische Überlegungen anstellt. Vielmehr darf er in der Regel davon ausgehen, dass von ihm damit geschaffene Behinderungen vom übrigen Verkehr als unvermeidbar hinzunehmen sind. Es ist grundsätzlich Aufgabe der zuständigen Straßenverkehrsbehörde zu prüfen, ob es im Interesse des fließenden Verkehrs notwendig ist, den Fahrbahnrand von haltenden bzw. parkenden Fahrzeugen freizuhalten, und gegebenenfalls durch das Aufstellen entsprechender Verkehrsschilder das Halten bzw. Parken zu verbieten oder einzuschränken. Etwas anderes gilt nur, wenn im Einzelfall besondere Umstände für den Fahrzeugführer die Prüfung nahe legen, ob durch das Halten/Parken auf der Fahrbahn der fließende Verkehr nicht in unzumutbarer Weise behindert wird (VG Münster, Beschluss vom 07. Februar 2006 - 1 L 1054/06 -, [...], RdNr. 15; BGH, Urteil vom 7. Januar 1986 - VI ZR 198/84 -, NJW-RR 1986, 450; Bayer. Oberstes Landesgericht , Beschluss vom 10. Juli 1980 - 1 Ob OWI 282/80 -, [...]).

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Bei Prüfung der Frage, ob es einem Kraftfahrer aus besonderen Gründen nach § 1 Abs. 2 StVO verboten ist, sein Fahrzeug an einer bestimmten Stelle abzustellen, sind zum einen das Ausmaß der von dem haltenden/parkenden Fahrzeug ausgehenden Behinderung sowie die Entfernung zu einem geeigneten Halteplatz zu berücksichtigen. Von entscheidender Bedeutung sind zum anderen Dauer und Anlass des Haltens/Parkens. So wird in einem länger dauernden Parken viel eher eine gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßende vermeidbare Behinderung anderer zu erblicken sein als in einem nur kurzfristigen Anhalten (Bayer. Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 10. Juli 1980, a.a.O.).

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Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger gegen das allgemeine Gebot der Rücksichtnahme nach § 1 Abs. 2 StVO verstoßen. Er hat durch das mehrstündige Parken auf der Rechtsabbiegespur andere Verkehrsteilnehmer im Sinne der genannten Norm behindert. Eine Behinderung ist die im Einzelnen festzustellende Beeinträchtigung des zulässigen, beabsichtigten Verkehrsverhaltens eines Anderen, ohne dass dieser gefährdet oder geschädigt zu sein braucht. Dies setzt voraus, dass der andere Verkehrsteilnehmer zu einem von ihm nicht beabsichtigten Verkehrsverhalten gezwungen wird. Sie liegt nicht nur dann vor, wenn der Andere nicht zügig weiterfahren kann, sondern auch dann, wenn der Andere zu nicht ganz ungefährlichen Ausweichbewegungen gezwungen oder in Verwirrung versetzt und dadurch zu plötzlichen, möglicherweise unsachgemäßen Maßnahmen veranlasst wird. Gleiches gilt, wenn in ihm die begründete Besorgnis der Missachtung seines Vorrechts hervorgerufen und er dadurch verunsichert wird. Da die Vielfältigkeit der Verkehrsteilnahme ständig zu gegenseitigen Behinderungen führt, muss insoweit immer geprüft werden, ob diese zumutbar sind (Jagow/Burmann/Heß, a.a.O., § 1 StVO, RdNr. 79 f.; Hentschel, a.a.O, § 1 StVO, RdNr. 40 f.).

17

Für die Kammer steht aufgrund der von den beiden Mitarbeitern des Ordnungsamtes in der mündlichen Verhandlung gemachten Ausführungen fest, dass das Fahrzeug des Klägers bereits mehrere Rechtsabbieger im Sinne von § 1 Abs. 2 StVO behindert hatte, als es auf den angrenzenden Parkplatz umgesetzt wurde. Mehrere Rechtsabbieger sind durch das parkende Fahrzeug nämlich zu nicht ganz ungefährlichen Ausweichbewegungen gezwungen worden. Es war zudem zu befürchten, dass weitere Behinderungen dieser Art unmittelbar bevorstanden. Die Mitarbeiter des Ordnungsamtes haben insoweit ausgeführt, dass im Zeitpunkt ihres Einschreitens auf der Bürgerstraße relativ viel Verkehr geherrscht habe. Sie hätten zudem insgesamt drei bis vier Verkehrsteilnehmer beobachtet, die bereits auf die Abbiegespur gefahren seien, dann erst den geparkten Wagen des Klägers wahrgenommen hätten und daher - unter deutlich sichtbarem Abbremsen - gezwungen gewesen seien, über die Mittelspur auszuweichen. Diese Fahrzeugführer wurden demnach zu einem nicht beabsichtigten Verkehrsverhalten gezwungen und folglich behindert. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung insoweit sinngemäß vorgetragen hat, dass die Bürgerstraße im maßgeblichen Straßenabschnitt gut einsehbar sei, und die Rechtsabbieger ihrerseits das erforderliche Maß an Sorgfalt hätten erbringen müssen, ändert dies das gefundene Ergebnis nicht. Innerhalb der vergleichsweise kurzen Zeit, in der die beiden Mitarbeiter des Ordnungsamtes am Tatort anwesend gewesen sind, sind mindestens drei Fahrzeugführer von dem auf der Rechtsabbiegespur parkenden Wagen sichtlich überrascht worden. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass diese Fahrzeugführer allesamt das von einem durchschnittlichen Kraftfahrer zu erfüllende Maß an Aufmerksamkeit und Vorausschau nicht erfüllt haben. Da auf der Bürgerstraße im maßgeblichen Zeitpunkt relativ viel Verkehr herrschte, stellten sich ihre Ausweichbewegungen auch als nicht ganz ungefährlich dar.

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Zwar sind - wie bereits dargelegt - an die Annahme eines auf § 1 Abs. 2 StVO gestützten Parkverbots strenge Anforderungen zu stellen. Möglicherweise ist die durch den Kläger hervorgerufene Behinderung des Rechtsabbiegeverkehrs deswegen nicht so gravierend, als dass sie bereits für sich alleine ein Parkverbot hätte begründen können. Dies bedarf jedoch keiner abschließenden Klärung. Denn jedenfalls die weiteren konkreten Umstände des vorliegenden Falls begründen den Ausnahmefall, der für ein auf § 1 Abs. 2 StVO gestütztes Parkverbot erforderlich ist. Zum einen grenzt ein öffentlicher Parkplatz unmittelbar an den Abschnitt der Bürgerstraße an, in dem der Kläger sein Fahrzeug abgestellt hat. Das Bestreben des Klägers, Parkgebühren zu sparen, rechtfertigt die Verursachung von ansonsten vermeidbaren Behinderungen des Straßenverkehrs nicht. Zum anderen hat der Kläger auf der Rechtsabbiegespur nicht nur kurz gehalten; im Zeitpunkt des Einschreitens der Beklagten hatte er vielmehr bereits mehrere Stunden lang geparkt. Die Beklagte war nicht gehalten, die Behinderung für einen weiteren - ihr unbekannten - Zeitraum hinzunehmen. Die durch den Kläger hervorgerufene Behinderung, die Nähe zu einem zweifelsfrei geeigneteren Parkplatz sowie die Dauer des Parkens lassen somit im Zusammenspiel miteinander das Parken auf der Rechtsabbiegespur in der konkreten Situation als unzumutbar im Sinne von § 1 Abs. 2 StVO erscheinen.

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Für die Kammer ist hingegen nicht erkennbar geworden, dass das Fahrzeug des Klägers auch die den Parkplatz verlassenden Fahrzeugführer im Sinne von § 1 Abs. 2 StVO behindert hat. Sie teilt auch nicht die von der Beklagten hinsichtlich der Bushaltestelle geäußerten Bedenken.

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Die Anordnung, den Wagen des Klägers umsetzen zu lassen, verstieß nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Insbesondere stand ein milderes Mittel nicht zur Verfügung. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sein Handy bis ca. 13:00 Uhr ausgeschaltet gewesen sei, und er der rechtzeitig vor dem Abschleppen erfolgten telefonischen Aufforderung durch Mitarbeiter der Beklagten zum Wegfahren seines Fahrzeugs nicht habe nachkommen können.

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Der Kläger ist folglich zu Recht als Verursacher des ordnungswidrigen Zustandes in Anspruch genommen worden und zur Erstattung der durch die Abschleppmaßnahme entstandenen Kosten verpflichtet. Dies umfasst neben den Kosten der Abschleppmaßnahme auch die Verwaltungsgebühr und den Auslagenersatz. Weder die Höhe der Verwaltungsgebühr (41,00 EUR) noch die von dem Abschleppunternehmer in Rechnung gestellten Kosten (102,10 EUR) sind zu beanstanden.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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Rechtsmittelbelehrung

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Gegen dieses Urteil ist die Berufung nur zulässig, wenn sie von dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg zugelassen worden ist.

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