Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.02.2015, Az.: 3 K 57/14

Erlass der aus der Änderung diverser Einkommensteuerbescheide entstandenden Abgaben bei krankheitsbedingt fehlender Vermietungsabsicht trotz zunächst erklärter Werbungskostenüberschüsse

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
11.02.2015
Aktenzeichen
3 K 57/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 27879
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2015:0211.3K57.14.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 17.08.2015 - AZ: IX B 38/15

Amtlicher Leitsatz

Zum Erlass bei (krankheitsbedingt) fehlender Vermietungsabsicht trotz zunächst erklärter Werbungskostenüberschüsse.

Tatbestand

Streitig ist der Erlass von Abgaben, die aus der Änderung diverser Einkommensteuerbescheide entstanden sind.

Der Kläger erzielt zurzeit keine eigenen Einkünfte. Der Kläger lebte mindestens seit 1994 selbst in einem 3-Familien-Haus, das ihm im Jahre 1994 von seinen Eltern im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragen worden war. Eine der drei Wohnungen stand seit mindestens 1996 leer. Eine Wohnung war noch bis in das Jahr 2000 hinein vermietet. Für die Jahre 1996 bis 2003 hatte der Kläger in der Vergangenheit laufend Werbungskostenüberschüsse bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung erklärt. Die Bescheide ergingen - mit Ausnahme für 1997 - vorläufig nach § 165 der Abgabenordnung im Hinblick auf die Einkünfteerzielungsabsicht. Das FA änderte später die Bescheide und berücksichtigte die auf den Leerstand entfallenden Wohnflächen nicht mehr bei der Ermittlung der Einkünfte. Mit ihrer Klage (3 K 10327/11) und ihrer Nichtzulassungsbeschwerde (IX B 175/12) gegen die Änderungsbescheide hatten die Kläger keinen Erfolg. Damit endete die vom FA zunächst gewährte Aussetzung der Vollziehung. Daraus ergaben sich mit Stand April 2013 Abgabenrückstände von rund 35.000 € (inklusive Zinsen).

Die Kläger beantragten mit Schriftsatz vom 4. Juni 2013 Erlass dieser Abgaben. Das FA lehnte einen Erlass ab. Im Einspruchsverfahren begründeten sie den Erlass u.a. damit, dass eine Veräußerung der Immobilie zur Bezahlung der Abgabenrückstände dem Kläger nicht zumutbar sei, da er - wie inzwischen festgestellt worden sei - seit seiner Kindheit an einer autistischen Störung (Asperger-Syndrom; F84.5 nach dem ICD-Code) leide. Die Übertragung der Immobilie "zu treuen Händen" durch seine Eltern sei für ihn eine Bürde. Gleichzeitig könne er sich von der Immobilie nicht trennen, da sie einen ideellen Wert für ihn habe. Es sei zu befürchten, dass durch einen Verkauf nachhaltige Schäden für die Psyche des Klägers eintreten könnten. Dies drohe ebenfalls bei einer Vollstreckung in das Gebäude. Ebenso könne er die nicht vermieteten Teile des Gebäudes nicht vermieten, da er aufgrund seiner Erkrankung im gleichen Haus Dritte nicht so nah an sich heranlassen könne. Er verfüge nicht über ausreichende Mittel, um die Abgabenrückstände zu bezahlen. Er sei arbeitslos. Die Immobilie sei mit einem Darlehen in Höhe von 37.000 € belastet. Ein Girokonto befinde sich mit rund 8.000 € im Soll. Er habe im Bekanntenkreis Darlehen über rund 49.000 € aufgenommen. Mit einer Arbeitsaufnahme sei angesichts seines Alters und seiner Erkrankung kaum zu rechnen. Die Einziehung sei im Einzelfall unbillig.

Das FA lehnte im Einspruchsbescheid vom 21. Februar 2014 den Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen weiterhin ab, da die Kläger - entgegen der Aufforderung des FA vom 22. August 2013 (Bl. 35 der Erlassheftung) - ihre wirtschaftlichen Verhältnisse nicht insgesamt dargestellt und nachgewiesen hatten. Gegen die Ablehnung des Erlasses richtet sich die Klage.

Die Kläger sind der Ansicht, die Einziehung der Abgabenrückstände sei bereits aufgrund der diagnostizierten Erkrankung in jedem Fall unbillig. Bereits eine ablehnende Entscheidung könne sich negativ auf den Krankheitsverlauf auswirken. Zugleich scheide eine Verwertung/ ein Verkauf, Vermietung oder Beleihung der Immobilie wegen der Erkrankung des Klägers aus. Er könne sich weder von der Immobilie trennen noch mit Dritten zusammen in der Immobilie leben. Der Kläger werde auch in Zukunft nicht in der Lage sein, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Das Gericht solle insoweit Beweis durch Sachverständigengutachten erheben. Wegen der Einzelheiten wird auf die in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge verwiesen (vgl. Anlage zum Protokoll). Letztlich komme es unter diesen besonderen Umständen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse gar nicht mehr an.

Im Übrigen sei, das habe das FA übersehen, dass auch sachliche Billigkeitsgründe bestünden. Der Kläger habe nämlich in allen Streitjahren des Vorprozesses wegen seiner Erkrankung gar keine Wohnung vermieten können, da ihm die Aufnahme fremder Personen ins Haus gar nicht möglich gewesen wäre. Diese - unverschuldet erst später erkannten - Umstände hätten, so die Kläger, zu einer anderen Entscheidung in der Sache geführt. Deshalb müsse dies nunmehr ausnahmsweise im Erlassverfahren berücksichtigt werden.

Die Kläger machen darüber hinaus erstmals im Klageverfahren geltend, dass der Kläger lediglich Arbeitslosengeld II beziehe und sich daran nichts mehr ändern werde. Zu den Vermögensverhältnissen der Kläger könnten diese im Wege der Parteivernehmung gehört werden.

Die Kläger beantragen,

dass Finanzamt zu verpflichten, den Klägern die im Ablehnungsbescheid vom 22. August 2013 aufgelisteten Abgaben zu erlassen und

hilfsweise

das Finanzamt zu verpflichten, den Erlassantrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

und hält daran fest, dass ein Erlass schon deshalb abzulehnen war, weil die Kläger - trotz entsprechender ausdrücklicher Aufforderung - den übersandten Vordruck "Darstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse" dem FA nicht zurückgesandt hätten. Die Angabe zu einzelnen Positionen (Grundschuld und Kontostand eines Kontos) habe nicht ausgereicht. Aus den bis zum Abschluss des Einspruchsverfahrens vorgelegten Befundberichten ergäbe sich nicht, dass eine Verwertung oder Beleihung der Immobilie nicht möglich sei. Die Angaben der Kläger seien insoweit sowohl unsubstantiiert als auch widersprüchlich. Der Kläger habe nämlich nach eigenen Angaben noch kürzlich die Verbindlichkeiten auf der Immobilie umgeschuldet, so dass nicht erkennbar sei, warum dann eine anderweitige Beleihung zur Bezahlung der Abgabenrückstände nicht möglich sein solle.

Sachliche Billigkeitsgründe seien aus dem Akteninhalt nicht bekannt gewesen und von den Klägern nicht bereits bis zum Abschluss des Einspruchsverfahrens geltend gemacht worden. Solche kämen auch aus den geschilderten Gründen nicht in Betracht.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Das FA war nicht verpflichtet, die Einkommensteuer und die Nebenleistungen gemäß § 227 der Abgabenordnung (AO) zu erlassen, da für einen Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen die erforderlichen Angaben der Kläger zu ihrer Erlassbedürftigkeit nicht im Einzelnen dargelegt und nachgewiesen worden waren und sachliche Billigkeitsgründe bis zum Abschluss des Einspruchsverfahrens nicht geltend gemacht worden sind oder sich aus dem Akteninhalt ergeben haben.

1. Nach § 227 Abs. 1 AO kann die Finanzbehörde Ansprüche aus dem Steuerverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Entscheidung über einen Erlassantrag aus Billigkeitsgründen ist dabei eine Ermessenentscheidung, die im finanzgerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt darauf überprüft werden kann, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung des Verwaltungsaktes rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck des Ermessens nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (BFH-Urteil vom 16. September 1992 X R 169/90, BFH/NV 1993, 510 m.w.N.). Zur Überprüfung gestellt werden dabei die Gründe, die das Finanzamt in der letzten Verwaltungsentscheidung - somit in der Einspruchsentscheidung - angestellt hat.

Im Streitfall kommt unter diesen Voraussetzungen weder ein Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen noch aus sachlichen Billigkeitsgründen in Betracht.

a) Ein Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen setzt - neben anderen Voraussetzungen - immer voraus, dass der Steuerpflichtige erlassbedürftig ist. Dies bemisst sich nach seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen. Erst wenn die Erlassbedürftigkeit als Tatbestandsvoraussetzung in einem ersten Schritt nachgewiesen ist, kann die Finanzbehörde in einem zweiten Schritt im Rahmen einer Ermessensentscheidung im Einzelfall zu einem Erlass verpflichtet sein. Im Streitfall fehlt es bereits daran, dass nach Aktenlagen eine Erlassbedürftigkeit der Kläger nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden kann (vgl. dazu BFH-Urteil vom 29. April 1987 X R 22/82, BFH/NV 1988, 22).

Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers sind auch in diesem Verfahren trotz wiederholter Bemühungen bis zuletzt in entscheidenden Punkten ungeklärt. Die Kläger haben weder Angaben zum Wert der Immobilie, ihrem übrigen Vermögen und den Verbindlichkeiten gemacht, obwohl sie dazu vom FA aufgefordert worden waren. Alleinige Ursache hierfür ist eine schwerwiegende Verletzung der dem Kläger im Verwaltungs- und Rechtsbehelfsverfahren obliegenden Verpflichtung zur Mitwirkung bei der Sachaufklärung (§ 90, § 365 AO, § 204 Abs.2, § 246 AO), welche die Sachaufklärungspflicht der Finanzbehörden (§ 88 AO 1977, § 204 Abs.1, § 246 AO) begrenzt.

Die Klageabweisung muss schon allein aus diesem rechtlichen Gesichtspunkt erfolgen, denn die Kläger haben bereits im Verfahren vor den Finanzbehörden ihre Mitwirkungspflichten bei der Sachaufklärung verletzt und damit wesentlich dazu beigetragen, dass der bis zur Entscheidung über ihren Einspruch aufgeklärte Sachverhalt den begehrten Erlass nicht rechtfertigte. Diesen Mangel müssen sich die Kläger zurechnen lassen.

Dieser Mangel kann auch im Klageverfahren nicht geheilt werden, da die Entscheidung des FA über den Erlass nur nach Maßgabe der ihm vorliegenden konkreten Informationen getroffen werden konnte. Nur diese Entscheidung kann das Gericht auf eventuelle Ermessensfehler überprüfen. Deshalb kommt eine Beweiserhebung zur Einkommens- und Vermögenslage der Kläger in diesem Verfahren nicht in Betracht.

Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob und ggf. welche neuen Gründe die Prozessbevollmächtigten der Kläger im Klageverfahren zu einem Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen vorgetragen haben. Ob überhaupt die von den Klägern geltend gemachten psychischen Gründe einen Erlass zwingend erfordern, kann deshalb hier dahinstehen (vgl. dazu Finanzgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 27. November 2002, 2 K 99/02, EFG 2003, 590).

b) Aus sachlichen Billigkeitsgründen kommt in diesem Verfahren ein Erlass ebenfalls nicht in Betracht, da solche Gründe von den Klägern bis zum Abschluss des Einspruchsverfahrens nicht geltend gemacht worden sind noch sich aus den Akten ergeben haben. Durch das Gericht können dabei nur die Gründe überprüft werden, die dem Finanzamt in der letzten Verwaltungsentscheidung - somit in der Einspruchsentscheidung - bekannt waren.

Soweit die Kläger nunmehr erstmals im Klageverfahren geltend machen, dass eine Vermietung der leerstehenden Wohnungen in der Immobilie aufgrund der Erkrankung (unerkannt) nicht möglich gewesen sei und ein Verkauf der Immobilie nicht zumutbar sei, erscheint schon zweifelhaft, ob dies überhaupt Erlassgründe sein können. Jedenfalls waren solche Gründe dem FA bis zur Einspruchsentscheidung noch nicht bekannt. Ebenso haben sich solche etwaigen Gründe nicht aus der Aktenlage ergeben.

Im Übrigen erscheint zweifelhaft, ob solche Gründe das FA im Ergebnis überhaupt verpflichten würden (Ermessensreduzierung auf null), einen Erlass aussprechen zu müssen. Unterstellt die jetzige Darstellung der Kläger trifft zu, dass in den Streitjahren des vorangegangenen Klageverfahrens (3 K 10327/11) irgendwelche Vermietungen letztlich nicht zustande gekommen sind, weil der Kläger fremde Personen im Hause nicht ertragen konnte, war dies den Klägern bereits damals tatsächlich bekannt. Sie haben sich nämlich regelmäßig gegen eine Vermietung entschieden bzw. sich gar nicht erst ernsthaft um eine Vermietung gekümmert. Gleichwohl haben sie in klarem Widerspruch dazu gegenüber dem FA ihre fortbestehende Absicht zur Vermietung geltend gemacht. Sie haben nämlich Werbungskostenüberschüsse bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in ihren Steuererklärungen angegeben. Nicht durch die Erkrankung des Klägers sondern durch die jahrelange (wahrheitswidrige) Erklärung von Vermietungseinkünften sind die hier streitigen Steuer- und Abgabenrückstände überhaupt erst entstanden.

Entgegen der Ansicht der Prozessbevollmächtigten der Kläger hätte der krankheitsbedingte Leerstand der anderen Wohnungen keine andere Entscheidung im Klageverfahren 3 K 10327/11 nach sich gezogen. Die Kläger hätten durch einen solchen Vortrag im damaligen Verfahren im Gegenteil unstreitig gestellt, dass keine Vermietungsabsicht bestand. Bei der Vermietungsabsicht kommt es nicht darauf an, aus welchem Grund der Steuerpflichtige die Vermietung der Immobilie unterlässt. Das FA muss nicht nachweisen, dass keine Vermietungsabsicht bestand. Vielmehr müssen die jeweiligen Kläger, wenn es um Werbungskostenüberschüsse geht, nachweisen, dass sie vermieten wollten und alles dazu Erforderliche getan haben. Das nunmehr bekannte Krankheitsbild des Klägers hat bereits damals (unerkannt) dazu geführt, dass die Kläger von jedweder Vermietung Abstand genommen haben. Den Nachweis der Vermietungsabsicht hätten sie so ebenfalls nicht führen können. Damit erweist sich die damalige Steuerfestsetzung (und die damalige Entscheidung des Senats) - entgegen der Ansicht der Kläger - gerade nicht als offensichtlich falsch im Sinne eines Grundes für einen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen sondern als erst recht zutreffend.

2. Da die Voraussetzungen für einen Erlass schon nicht feststehen, ist auch der Hilfsantrag der Kläger unbegründet. Das FA konnte in der Einspruchsentscheidung aufgrund des unzureichenden Tatsachenstoffs insbesondere zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Kläger gar keine Ermessensentscheidung treffen. Das Gericht kann unter diesen besonderen Umständen auch keine Ermessensfehler feststellen, die Behörde verpflichten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden und nur isoliert den Einspruchsbescheid aufheben.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.