Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 24.07.1987, Az.: 3 Ws 295/87

Aussetzung des Vollzugs eines Unterbringungsbefehls; Maßgeblichkeit der Heilung durch weniger einschneidende Maßnahmen als die Unterbringung für die Aussetzung des Unterbringungsbefehls

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
24.07.1987
Aktenzeichen
3 Ws 295/87
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1987, 14999
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1987:0724.3WS295.87.0A

Fundstellen

  • NStZ 1987, 524
  • StV 1987, 445-446

Verfahrensgegenstand

Sexuelle Nötigung u.a.

Prozessgegner

... geb. am ... in ..., wohnhaft ...
z. Zt. im Niedersächsischen Landeskrankenhaus ...

Auf die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluß der 1. Jugendkammer des Landgerichts ...
vom 7. Juli 1987
hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
nach Anhörung der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht am 24. Juli 1987
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Oberlandesgericht ...
beschlossen:

Tenor:

  1. I.

    Der Vollzug des Unterbringungsbefehls des Landgerichts ... vom 7. Juli 1987 wird ausgesetzt.

    Der Angeklagte wird angewiesen,

    1. 1.

      im Niedersächsischen Landeskrankenhaus ... zu bleiben, bis das Landgericht hierüber eine neue Entscheidung trifft,

    2. 2.

      sich der von den Ärzten des Krankenhauses für erforderlich gehaltenen Behandlung seiner psychischen Erkrankung, auch mit Medikamenten, zu unterziehen,

    3. 3.

      das Gelände des Krankenhauses nur vorübergehend zu verlassen, wenn und soweit sein behandelnder Arzt ihm dieses als Ausgang oder Urlaub gestattet.

  2. II.

    Der Angeklagte wird darauf hingewiesen, daß der Vollzug des Unterbringungsbefehls wieder angeordnet wird, wenn er den ihm auferlegten Pflichten und Beschränkungen zuwiderhandelt, wenn er Anstalten zur Flucht trifft, auf eine Ladung ohne genügende Entschuldigung ausbleibt oder wenn sich auf andere Weise zeigt, daß das in ihn gesetzte Vertrauen nicht gerechtfertigt war, oder wenn sonst neu hervorgetretene Umstände die Unterbringung erforderlich machen.

  3. III.

    Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe

1

Durch den angefochtenen Beschluß hat die Jugendkammer den Haftbefehl des Amtsgerichts ... vom 25.4.1987 in einen Unterbringungsbefehl nach § 126 a StPO umgewandelt. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, am 24.4.1987 im Zustand einer psychischen Erkrankung, der seine Schuldfähigkeit nach § 20 StGB ausschloß, versucht zu haben, die 17 Jahre alte ... zu vergewaltigen, und sie dabei an die Brust gefaßt zu haben.

2

Die Beschwerde des Angeklagten hat einen Teilerfolg. Die gesetzlichen Voraussetzungen des Unterbringungsbefehls sind an sich gegeben. Nach dem in der zugelassenen Anklage vom 25.5.1987 zusammengefaßten Ergebnis der Ermittlungen sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, daß der Angeklagte die darin bezeichnete rechtswidrige Tat begangen hat. Aus dem nach eingehender Untersuchung des Angeklagten angefertigten ausführlichen Gutachten des Arztes für Psychiatrie Dr. ... vom 20.6.1987 ergeben sich dringende Gründe für die Annahme, erstens, daß der Angeklagte bei der Tat psychisch krank war und in einem Zustand der Schuldunfähigkeit handelte, zweitens, daß diese Krankheit, eine "erhebliche Persönlichkeitsstörung mit einer Neigung zu psychotischen Episoden in Belastungssituationen vom Charakter einer schizoaffektiven Psychose (ICD 295.7) weiter andauert" und drittens, daß es bei erneuten psychotischen Dekompensationen, mit denen ohne psychotherapeutische und medikamentöse Behandlung gerechnet werden muß, zu Wiederholungstaten kommen kann, weil die der Tat zugrundeliegende konflikthafte Lebenssituation des Angeklagten fortbesteht. Es sind deshalb auch dringende Gründe für die Annahme vorhanden, daß nach § 63 StGB die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet werden wird.

3

Die öffentliche Sicherheit erfordert die Anordnung der einstweiligen Unterbringung. Der Angeklagte hat die rechtswidrige Tat während eines Schubes seiner psychischen Erkrankung begangen; das ihm von seinem Arzt verschriebene antipsychotische Medikament hat er sich seinerzeit unter dem Einfluß der Krankheit nicht beschafft und nicht eingenommen. Es ist zu befürchten, daß er sich künftig ähnlich verhalten wird, solange die nötigen Vorkehrungen, um die Krankheit unter Kontrolle zu halten, noch nicht getroffen sind.

4

Der Vollzug des Unterbringungsbefehls kann in entsprechender Anwendung des § 116 StPO ausgesetzt werden, weil weniger einschneidende Maßnahmen ausreichen. Wenn der Angeklagte im Niedersächsischen Landeskrankenhaus ... bleibt und sich der während der Untersuchungshaft bereits eingeleiteten, von dem Sachverständigen Dr. ... vorgeschlagenen Behandlung unterzieht, erfordert die öffentliche Sicherheit nicht den Vollzug, weil die Gefahr künftiger erheblicher rechtswidriger Taten dann verdrängt ist. Die Behandlung unter offenen Bedingungen, die es dem Angeklagten auch ermöglicht, das Krankenhaus kurzzeitig zu verlassen, genügt. Es ist nicht zu befürchten, daß der Angeklagte sich dieser Behandlung durch Flucht entzieht; in der Vergangenheit ist er schon wiederholt auf freiwilliger Grundlage im Niedersächsischen Landeskrankenhaus ... behandelt worden, ohne daß dabei Schwierigkeiten auftraten. Die Behandlung bedarf deshalb keines Freiheitsentzuges. Der Angeklagte willigt darin ein (vgl. § 56 c Abs. 3 StGB).

5

Die entsprechende Anwendung des an sich nur für den Haftbefehl geltenden § 116 StPO auf den Unterbringungsbefehl wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß § 126 a Abs. 2 StPO für andere Bestimmungen über die Untersuchungshaft die entsprechende Anwendung anordnet, die Außervollzugsetzung nach § 116 StPO indes hiervon ausnimmt. Im Schrifttum wird allerdings daraus der Schluß gezogen, eine entsprechende Anwendung des § 116 StPO sei unzulässig (KK-Boujong, § 126 a Rdz. 5; KMR-Müller, § 126 a Rdz. 10; Kleinknecht/Meyer, StPO, § 126 Rdz. 3). Diese Auffassung ist nicht richtig. Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht auch die einstweilige Unterbringung nach § 126 a StPO. Er verbietet es, den angeordneten Freiheitsentzug durchzusetzen, wenn weniger einschneidende Maßnahmen i.S. einer "kontrollierten Freiheit" (BVerfGE 19, 352 [BVerfG 15.12.1965 - 1 BvR 513/65]) genügen. So wie das Verhältnismäßigkeitserfordernis die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus im Hinblick auf Anordnung (§ 62 StGB), Durchsetzung (§ 67 StGB) und Dauer (BVerfGE 70, 297) bestimmt, so ist er auch bei der ihr meist vorangehenden einstweiligen Unterbringung gemäß § 126 StPO zu beachten. Er verbietet es, die rechtlichen Möglichkeiten auf das bloße "Entweder- oder" zu reduzieren. Der Verzicht auf den Vollzug des Unterbringungsbefehls ist danach hier geboten.

6

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO.

Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht ...
Richter am Oberlandesgericht ...
Richter am Oberlandesgericht ...