Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 14.05.2019, Az.: 4 A 189/19

Asylverfahren; erkennungsdienstliche Behandlung; Ermächtigungsgrundlage; Eurodac

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
14.05.2019
Aktenzeichen
4 A 189/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 69941
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Wenn das Asylverfahren in der Art abgeschlossen wurde, dass der Ausländer nicht mehr als asylnachsuchend im Sinne von § 16 Abs. 1 S.1 AsylG anzusehen ist, und aktuell kein Widerrufs- oder Rücknahmeverfahren betrieben wird, ist die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung rechtswidrig.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer von der Beklagten nachträglich angeordneten erkennungsdienstlichen Behandlung.

Der Kläger ist ein am C. in der Bundesrepublik Deutschland geborener kosovarischer Staatsangehöriger.

Der Kläger hat ein Asylerstverfahren erfolglos betrieben. Dieses wurde bestandskräftig abgeschlossen. Der Kläger stellte im Jahr 2014 einen Asylfolgeantrag und beantragte die Feststellung von Abschiebungsverboten wieder aufzugreifen. Mit Bescheid vom 28.07.2016 lehnte die Beklagte den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab. Zugleich lehnte sie den Antrag, den Bescheid des Asylerstverfahrens bzgl. der Feststellungen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG zugunsten des Klägers abzuändern, ab. Der Bescheid ist seit dem 18.08.2016 bestandskräftig.

Mit Schreiben vom 11.10.2018 wurde der Kläger zu einer erkennungsdienstlichen Behandlung geladen.

Nachdem der Kläger zu diesem Termin nicht erschien, ordnete die Beklagte mit Bescheid vom 27.02.2019 die nachträgliche Durchführung einer erkennungsdienstlichen Behandlung im Sinne des § 15 Abs. 2 Nr. 7 i.V.m. § 16 Abs. 1 AsylG in Form der Abnahme von Fingerabdrücken und der Fertigung eines digitalen Lichtbildes an und gab dem Kläger auf, zu einem bestimmten Termin in der Außenstelle des Bundesamtes zu erscheinen (Nummer 1). Für den Fall, dass der Kläger zu diesem Termin nicht erscheinen sollte, ordnete die Beklagte seine zwangsweise Vorführung sowie die zwangsweise Abnahme von Fingerabdrücken und zwangsweise Aufnahme eines digitalen Lichtbildes an (Nummer 2).

Zur Begründung berief sich die Beklagte darauf, dass eine nachträgliche erkennungsdienstliche Behandlung der Asylantragsteller, die nicht erkennungsdienstlich behandelt worden seien, erforderlich sei. Diese erkennungsdienstlichen Maßnahmen seien nach § 15 Abs. 2 Nr. 7 i.V.m. § 16 Abs. 1 Satz 1 AsylG zu dulden. Die einmal begründete Mitwirkungspflicht bestehe auch noch nach Abschluss des Asylverfahrens. Für den Fall der Nichtbefolgung seien mildere Zwangsmittel als der angedrohte unmittelbare Zwang nicht geeignet, das Ziel einer unverzüglichen Identitätsfeststellung zu erreichen. Insbesondere sei Zwangsgeld untunlich.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 13.03.2019 Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben. Der Kläger ist der Ansicht, für eine Anordnung durch das Bundesamt fehle es an einer Rechtsgrundlage für die Anordnung. Der Kläger sei nämlich kein Asylantragsteller mehr. Er ist ferner der Ansicht, die Anordnung sei nicht erforderlich, weil seine biometrischen Daten der vorlägen – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – und er einer Übermittlung der schon „von anderen Behörden erhobenen ED-Daten“ an die Beklagte ausdrücklich zugestimmt habe (Bl. 78 Asylakte). Der Kläger hält schließlich das angedrohte Zwangsmittel für unverhältnismäßig und stellt in Frage, warum die Androhung eines milderen Zwangsgeldes von vornherein „untunlich“ sei.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 27.02.2019 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S.1 VwGO).

Die Anordnung der Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung ist rechtswidrig, denn sie lässt sich nicht auf § 16 Abs. 1 S.1 AsylG, der im vorliegenden Fall einzig in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlage, stützen.

Nach § 16 Abs. 1 S.1 AsylG ist die Identität eines Ausländers, der um Asyl nachsucht, durch erkennungsdienstliche Maßnahmen zu sichern. Zu diesem Zwecke dürfen nach § 16 Abs. 1 S.2 AsylG nur Lichtbilder und Abdrucke aller zehn Finger aufgenommen werden; soweit der Ausländer noch nicht das 14. Lebensjahr vollendet hat, dürfen nur Lichtbilder aufgenommen werden. Erst wenn und soweit die Anordnungsbefugnis eröffnet ist, ist der Ausländer nach § 15 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG verpflichtet, die vorgeschriebenen erkennungsdienstlichen Maßnahmen zu dulden.

Die Anordnungsbefugnis setzt nach § 16 Abs. 1 S.1 AsylG tatbestandlich voraus, dass die erkennungsdienstliche Maßnahme gegenüber einem Ausländer ergeht, „der um Asyl nachsucht“.

Bereits die sprachliche Formulierung im Präsens („nachsucht“) und die systematische Platzierung der Ermächtigungsgrundlage im Gesetz in „Abschnitt 4. Asylverfahren“ (§§ 12 – 43 AsylG) legen nahe, dass die Anordnungsbefugnis nur im laufenden Asylverfahren besteht. Diese Lesart wird durch die Tatsache bestätigt, dass der Gesetzgeber die seit dem 12.12.2018 gültige Vorschrift des § 73 Abs. 3a AsylG nachträglich eingefügt hat. Nach § 73 Abs. 3a AsylG wird nunmehr im Widerrufs- und Rücknahmeverfahren von Schutzberechtigten (also zuvor anerkannten Asylberechtigten oder Ausländern, denen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist) die Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen zur Identitätssicherung und die damit korrespondierende Duldungspflicht für entsprechend anwendbar erklärt. In der Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 24.09.2018 (BT-Drucks. 19/4456, S.1) wird hierzu einleitend in der Problembeschreibung ausgeführt, dass das aktuelle Asylgesetz eine ausdrückliche Regelung zur Mitwirkungspflicht des Ausländers nur im Asylantragsverfahren, nicht jedoch im Widerrufs- und Rücknahmeverfahren enthalte.

Der Lesart, dass die Anordnungsbefugnis nur im laufenden Asylverfahren besteht, steht die Eurodac-Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 (Verordnung (EU) Nr. 603/213) nicht entgegen. Nach Erwägungsgrund 1 der Eurodac-Verordnung soll diese der effektiven Umsetzung des Dubliner Übereinkommens dienen. Ziel ist demnach die Bestimmung desjenigen Staates der Europäischen Gemeinschaft, der für die Prüfung des Antrages von international Schutzsuchenden zuständig ist, zu optimieren, was in Art. 1 Abs. 1 Eurodac-Verordnung als Aufgabe von „Eurodac“ ausdrücklich umschrieben wird. Nach Art. 9 Abs. 1 Eurodac-Verordnung ist jeder Gemeinschaftsstaat grds. verpflichtet, jeder Person, die internationalen Schutz beantragt und mindestens 14 Jahre alt ist, umgehend alle Fingerabdrücke abzunehmen und sobald wie möglich, spätestens 72 Stunden nach Antragstellung an das Zentralsystem zu übermitteln. Die auch hier im Präsens gehaltene Formulierung („Schutz beantragt“) und die Zielsetzung der Eurodac-Verordnung lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Abnahme von Fingerabdrücken nur im laufenden Asylantragsverfahren nicht aber nach Abschluss des Verfahrens gewollt ist.

Ohne Zweifel beginnt das Asylverfahren mit Stellung eines Asyl(erst)antrages nach § 13 AsylG bzw. eines Asylfolgeantrages nach § 71 oder eines Asylzweitantrages nach § 71a AsylG. Das Asylverfahren ist dann i.S.d. § 16 Abs. 1 S.1 AsylG abgeschlossen und der Ausländer nicht mehr als asylnachsuchend anzusehen, wenn

- entweder eine bestandskräftige Schutzgewährung (Asylanerkennung, Zuerkennung von Flüchtlingseigenschaft) vorliegt und aktuell kein Widerrufs- oder Rücknahmeverfahren vom Bundesamt mit dem Ziel aufenthaltsbeendender Maßnahmen betrieben wird (in diesem Sinne: VG Frankfurt, Beschluss v. 17.12.2018, 5 L 445.F.A; VG Halle, Beschluss v. 13.02.2018, 7 B 64/18 HAL, beide veröffentlicht in JURIS: jeweils anknüpfend an das Tatbestandsmerkmal „der um Asyl nachsucht“)

- oder der Antrag des schutzsuchenden Ausländers bestandskräftig abgelehnt worden ist

- oder wenn der zunächst schutzsuchende Ausländer seinen Antrag zurücknimmt und das Asylverfahren daraufhin nach § 32 AsylG eingestellt wird.

Die Kammer folgt nicht der vom VG Würzburg (Beschluss v. 16.11.2018,W 3S 18.32283, veröffentlicht in JURIS: betreffend die bestandskräftige Ablehnung eines Asylantrages) vertretenen Ansicht, dass § 16 AsylG auch nach Abschluss des Asylverfahrens noch anwendbar sei. Ebenso wenig überzeugen die Ansichten des VG Leipzig (Beschluss v. 19.06.2018, 7 L 64.A, veröffentlicht in JURIS: betreffend die Einstellung eines Asylverfahrens nach Antragsrücknahme), des VG Chemnitz (Beschluss v. 21.02.2018, 6 L 7.A, veröffentlicht in JURIS: betreffend bestandskräftige Schutzgewährung) und des VG Schleswig-Holstein (Beschluss v. 14.03.2019,13 A 91/19, unveröffentlicht: betreffend bestandskräftige Schutzgewährung), die ihrerseits mit ähnlicher Begründung von einem Fortbestehen der Pflicht zur Duldung erkennungsdienstlicher Maßnahmen nach § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylG ausgehen.

Soweit in den vorgenannten Entscheidungen mit dem Zweck der Vorschrift auch unter Bezugnahme auf die Eurodac-Verordnung argumentiert und darauf abstellt wird, dass Mehrfachanträge unter Verwendung verschiedener Namen aufgedeckt werden sollen und dem nur dadurch begegnet werden könne, dass die Pflicht zur – zuvor versäumten – erkennungsdienstlichen Behandlung über den Abschluss des Asylverfahrens hinaus fortbesteht und umgesetzt wird, ist dem entgegenzuhalten, dass eine Auseinandersetzung mit dem Tatbestandsmerkmal „der um Asyl nachsucht“ nicht erfolgt. Entgegen dem Wortlaut der Ermächtigungsgrundlage wird der Tatbestand von § 16 Abs. 1 S.1 AsylG im Sinne eines „der um Asyl nachsucht oder nachgesucht hat“ unzulässiger Weise erweitert, und damit die Vorschrift zu einer „Carte blanche“ für eine jederzeit zulässige nachträgliche Anordnungsbefugnis für erkennungsdienstliche Maßnahme umfunktioniert. Dies widerspräche im Übrigen dem neu eingefügten § 73 Abs. 3a AsylG, der somit völlig überflüssig wäre.

Soweit teilweise auf die nach § 15 Abs. 5 AsylG fortbestehende Duldungspflicht aus § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylG im Falle der Rücknahme eines Asylantrages abgestellt wird (hierzu kritisch: Bergmann/Dienelt/Bergmann, 12. Aufl. 2018, AsylG § 15 Rn. 14), führt dies nicht weiter, denn nicht § 15 Abs. 2 AsylG sondern § 16 Abs. 1 S.1 AsylG stellt die Ermächtigungsgrundlage dar. Abermals findet keine Auseinandersetzung mit dem Tatbestandsmerkmal „der um Asyl nachsucht“ statt. Auch hier spricht die systematische Konzeption des Asylfolgeantrages in § 71 Abs. 1 AsylG dafür, dass auch nach erfolgter Rücknahme eines Erstantrages das Asyl(erst)verfahren zunächst beendet ist, denn darin heißt es: „Stellt der Ausländer nach Rücknahme (…) eines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn (…)“.

An den vorstehenden Maßstäben gemessen ist der Tatbestand von § 16 Abs. 1 S.1 AsylG nicht erfüllt. Nach bestandskräftiger Ablehnung des Asylfolgeantrages des Klägers war nämlich dessen Asylverfahren seit dem 18.08.2016 beendet. Daraus folgt, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Anordnung der erkennungsdienstlichen Maßnahme nicht mehr als asylnachsuchend anzusehen war.

Eine andere Ermächtigungsgrundlage, die der Beklagten die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung in Form der Abnahme von Fingerabdrücken und der Fertigung eines digitalen Lichtbildes gestattet, ist nicht ersichtlich.

Art. 9 Eurodac-Verordnung stellt keine Ermächtigungsgrundlage dar, die es einem Gemeinschaftsstaat erlaubt, gegenüber einem international Schutzsuchenden erkennungsdienstliche Maßnahmen in Form der Abnahme von Fingerabdrücken anzuordnen und ggf. zwangsweise durchzusetzen. Die Eurodac-Verordung im Allgemeinen und Art. 9 im Speziellen ist an den Gemeinschaftsstaat adressiert. Der Gemeinschaftsstaat wird verpflichtet und muss seinerseits durch Schaffung nationaler Ermächtigungsgrundlagen dafür Sorge tragen, dass die ihn treffenden Verpflichtungen nach der Eurodac-Verordnung umgesetzt werden können.

Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung ist unabhängig vom zuvor Ausgeführten auch deshalb rechtswidrig, weil an der Identität des Klägers, der in der Bundesrepublik Deutschland geboren wurde, kein Zweifel besteht und unstreitig dessen biometrische Daten der vorliegen. Die nach § 16 Abs. 1 AsylG vorgesehene Befugnis, erkennungsdienstliche Maßnahmen anzuordnen besteht nämlich nicht um ihrer selbst willen, sondern dient nach Satz 1 der Vorschrift dem Zweck, die Identität des Ausländers zu sichern. Bestehen – wie vorliegend – jedoch keine Zweifel an der Identität, ist die Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen unzulässig. Dementsprechend ist in dem für das Widerrufs-/Rücknahmeverfahren neu eingefügten § 73 Abs. 3a S.2, 2. Halbsatz AsylG klarstellend ausgeführt, dass erkennungsdienstliche Maßnahmen nur zulässig sind, soweit die Identität des Ausländers nicht bereits gesichert ist.

Die Androhung des unmittelbaren Zwanges zur Durchsetzung eines (aus den vorstehend genannten Gründen) nicht bestandskräftigen rechtswidrigen Verwaltungsaktes ist ihrerseits rechtswidrig.

Ob darüber hinaus die Androhung des unmittelbaren Zwanges auch deshalb rechtswidrig ist, weil der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach §§ 9, 12 VwVG nicht gewahrt ist und die Beklagte zunächst ein eigentlich erfolgversprechendes Zwangsgeld hätte androhen müssen (so etwa VG Würzburg; VG Frankfurt; a.A.: VG Leipzig; VG Chemnitz; VG Schleswig-Holstein; alle a.a.O.) kann offenbleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.