Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 17.05.1995, Az.: 3 U 19/95

Haftungserweiterung eines Bürgen für Rechtsgeschäfte, welche nach Übernahme der Bürgschaft entstehen; Ableitung von Sorgfaltspflichten aus einem Bürgschaftsvertrag; Anwendbarkeit der Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage auf die Bürgschaft

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
17.05.1995
Aktenzeichen
3 U 19/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 17643
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:1995:0517.3U19.95.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG ... - 05.01.1995 - AZ: 4 O 472/94

Prozessführer

Frau ...

Prozessgegner

...
vertr. d.d. Geschäftsführer, ...

In dem Rechtsstreit
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
auf die mündliche Verhandlung
vom 26. April 1995
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...
die Richterin am Oberlandesgericht ... und
die Richterin am Landgericht ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts ... vom 5. Januar 1995 abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 14.050,00 DM nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank ab 27. Januar 1992 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte ist mit 18.100,00 DM beschwert, die Klägerin mit 649,64 DM.

Entscheidungsgründe

1

Die zulässige Berufung ist nur zu einem geringen Teil begründet.

2

Die Klägerin kann die Beklagte als Bürgin in Anspruch nehmen, soweit die Hauptschuld nicht nachträglich durch Rechtsgeschäfte erweitert worden ist.

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Der Abschluß des Prolongationsvertrages vom 18. Mai/28. August 1992 hat die Bürgschaftsverpflichtung aus dem Vertrag vom 25. Januar 1991 nicht zum Erlöschen gebracht. Die ursprüngliche Hauptschuld wurde dadurch lediglich hinsichtlich der Laufzeit verändert. Das war zwar mit einer Verteuerung um 2.749,10 DM verbunden, doch ließ dies die Identität der Hauptschuld von - noch - 14.350,00 DM unberührt.

4

Nach § 767 Abs. 1 S. 2 BGB wird die Verpflichtung des Bürgen durch ein Rechtsgeschäft, das der Hauptschuldner nach der Übernahme der Bürgschaft vornimmt, nicht erweitert. Der Bürge haftet demgemäß auch nicht für eine nachträglich vereinbarte Kreditverteuerung. Daraus kann die Beklagte allerdings nicht eine Verkürzung ihrer Bürgschaftsschuld um 2.749,10 DM herleiten. Da sie sich auch für Zinsen und Kosten verbürgt hatte, muß sie für eine Kreditverteuerung durch Zinsen und Kosten auf gesetzlicher Grundlage aufkommen. Daraus folgt, daß die Beklagte sowohl für die umfinanzierte Restrate von 14.350,00 DM, als auch für die darauf entfallenden Verzugszinsen aufzukommen hat, weil es sich dabei um gesetzliche Zinsen handelt.

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Die Restrate war am 26. Januar 1992 fällig. Damit wurde gleichzeitig Verzug begründet (§ 284 Abs. 2 BGB). Die Klägerin kann daher gemäß § 288 Abs. 1 BGB i.V.m. Nr. 6 des Darlehensvertrages und § 11 Abs. 1 VerbrKrG 5 % Zinsen über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank verlangen. Soweit die Summe der auf der Grundlage des Prolongationsvertrages berechneten Zinsen die Summe der Verzugszinsen übersteigt, steht einer Inanspruchnahme der Beklagten § 767 Abs. 1 S. 2 BGB entgegen.

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Auch die weiteren Berufungsangriffe haben keinen Erfolg.

7

Aus der fehlenden Unterschrift der Beklagten auf dem Antragsformular für die Umfinanzierung der Restrate läßt sich schon deshalb nichts zugunsten der Beklagten ableiten, weil deren Verpflichtung sich aus der ursprünglichen Bürgschaft für das ursprüngliche Darlehen ergibt. Aus diesem Grunde bedurfte es auch keiner Entscheidung, ob die im Bürgschaftsformular vorgesehene Erstreckung der Bürgschaft "für das Rechtsverhältnis, das im Falle der Ungültigkeit, Aufhebung oder Umwandlung des Darlehensvertrages an seine Stelle tritt", gegen § 9 AGBG verstößt.

8

Eine analoge Anwendung des § 776 BGB wegen nicht alsbaldigen Rückgriffs auf das Sicherungseigentum am Pkw scheidet aus den vom Landgericht dargelegten Gründen aus. Die Klägerin hat ihr Sicherungseigentum nicht aufgegeben, wenn sie nur davon abgesehen hat, alsbald Befriedigung aus dem Sicherungsgut zu suchen.

9

Die Klägerin hat sich auch keiner Pflichtverletzung schuldig gemacht, wegen derer es ihr verwehrt wäre, die Beklagte als Bürgin in Anspruch zu nehmen. Wie das Landgericht mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zutreffend ausgeführt hat, sind aus dem Bürgschaftsvertrag als einem einseitig den Bürgen verpflichtenden Vertrag grundsätzlich keine Sorgfaltspflichten abzuleiten (s. zuletzt BGH NJW 1994, 2146, 2148) [BGH 17.03.1994 - IX ZR 174/93]. Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zur Inhaltskontrolle von Bürgschaften vom 19. Oktober 1993 (NJW 1994, 36) gibt keinen Anlaß, diese Rechtsprechung in Frage zu stellen. Die Privatautonomie des Bürgen ist nicht berührt, wenn es allein darum geht, den Umfang der aus dem Bürgschaftsvertrag fließenden Pflichten des Gläubigers festzulegen.

10

Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise anerkannte Sorgfaltspflichtverletzung des Gläubigers liegen nicht vor. So ist nicht ersichtlich, daß die Klägerin selbst durch ihr Verhalten und für sie erkennbar einen Irrtum der Beklagten über ihr Bürgschaftsrisiko veranlaßt hätte (s. dazu BGH WM 1983, 499, 500). Auch die Verletzung einer aus § 242 BGB abgeleiteten Verpflichtung, in zumutbarem Maße auf die Belange des Schuldners Rücksicht zu nehmen, ist nicht ersichtlich. Der Gläubiger ist insbesondere nicht verpflichtet, mit Rücksicht auf den Bürgen zum frühestmöglichen Zeitpunkt Befriedigung durch Verwertung von Sicherungsgut zu suchen. Soweit eine Verpflichtung der kreditgebenden Bank angenommen wird, das Haftungsrisiko des Bürgen nicht leichtfertig zu erhöhen (so KG NJW RR 1988, 109, 111), kann auch das nicht zugunsten der Beklagten ausschlagen. Der Klägerin kann nicht der Vorwurf gemacht werden, bei der Entscheidung zugunsten einer Umschuldung und damit gegen einen alsbaldigen Zugriff auf das Sicherungseigentum leichtfertig gehandelt zu haben. Es ist nicht ersichtlich, daß die Klägerin das Untertauchen des Hauptschuldners mit dem zur Sicherheit übereigneten Fahrzeug hätte voraussehen können.

11

Schließlich läßt sich die Erwartung der Beklagten, die Klägerin werde sich bei Zahlungsschwierigkeiten des Hauptschuldners am Sicherungseigentum schadlos halten, auch nicht als Wegfall der Geschäftsgrundlage berücksichtigen. Die Erwartung des Bürgen, der Gläubiger werde primär aus einer Realsicherheit Befriedigung suchen, ist nichts anderes als die Erwartung, nicht aus der Bürgschaft in Anspruch genommen zu werden. Eine solche Erwartung wird nicht als Geschäftsgrundlage berücksichtigt, weil das der gesetzlichen Risikoverteilung entgegenstehen würde. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß bei der Annahme, die Geschäftsgrundlage einer Bürgschaft sei weggefallen, besondere Vorsicht geboten ist, weil der Bürge nach § 765 BGB einseitig und uneingeschränkt das Risiko der Leistungsfähigkeit des Hauptschuldners übernimmt, während der Gläubiger nur begünstigt wird (zuletzt BGH NJW 1994, 2146, 2147) [BGH 17.03.1994 - IX ZR 174/93]. Eine Anwendung der Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage auf die Bürgschaft ist gleichwohl nicht ausgeschlossen und kommt insoweit in Betracht, als Umstände außerhalb des Bürgschaftsrisikos zur Geschäftsgrundlage gemacht werden (BGH a.a.O.). Davon ist hier nicht die Rede, denn die Erwartung der Beklagten, nicht als Bürgin in Anspruch genommen zu werden, bezog sich gerade auf das von ihr übernommene Bürgschaftsrisiko.

12

Die Berufung hatte nach alledem nur den geringfügigen Erfolg, daß die Beklagte nicht für die über die Verzugszinsen hinausgehende, durch die Prolongation herbeigeführte Kreditverteuerung aufkommen muß.

13

Bei der Tenorierung hat der Senat vereinfachend die Restrate aus dem Ursprungskredit als Zahlungssumme ausgeworfen und die Verzinsung seit Fälligkeit der Schlußrate angeordnet. Die Verkürzung um 300,00 DM folgt daraus, daß die Klage eine Zahlung in dieser Höhe berücksichtigt.

14

Die Ermittlung der Beschwer (546 Abs. 2 ZPO) erfolgte unter pauschalisierter Hinzurechnung von Zinsen. Dabei erwies sich der Erfolg der Berufung als so geringfügig, daß der Beklagten die Kosten der Berufung gemäß §§ 97, 92 Abs. 2 ZPO insgesamt aufzuerlegen waren. Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Die Beklagte ist mit 18.100,00 DM beschwert, die Klägerin mit 649,64 DM.