Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 05.02.1996, Az.: 1 Ss 350/95
Antragserfordernis bei Verfolgung des Vergehens der Kindesentziehung und Antragsberechtigung des Inhabers des Sorgerechts
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 05.02.1996
- Aktenzeichen
- 1 Ss 350/95
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1996, 25233
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1996:0205.1SS350.95.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- StA ... - AZ: 34 Js 6487/94
- AG ... - 09.10.1995
Rechtsgrundlagen
- § 206 a StPO
- § 235 StGB
- § 238 Abs. 1 StGB
Fundstelle
- NJW 1996, 2666 (Volltext mit amtl. LS)
In der Strafsache
...
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die Revision der Angeklagten
gegen
das Urteil des Amtsgerichts ... vom 9. Oktober 1995
nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...
den Richter am Oberlandesgericht ...
und den Richter am Landgericht ...
am 5. Februar 1996
einstimmig
beschlossen:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.
Das Verfahren wird eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten trägt die Landeskasse.
Gründe
I.
Das Amtsgericht ... hat die Angeklagte wegen Kindesentziehung zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 20 DM verurteilt.
Nach den Feststellungen hatte das Amtsgericht ... der Angeklagten und ihrem Ehemann, ..., mit Beschluß vom 6. Juli 1994 - 7 X K 2589 - das Sorgerecht für die gemeinsame, am ... geborene Tochter ... entzogen und es dem Jugendamt des Landkreises ... übertragen. Der Ehemann, der seinerzeit eine Haftstrafe verbüßte, hatte in dem Verdacht gestanden, sich während regelmäßiger Hafturlaube an seiner Tochter sexuell vergangen zu haben. Der Angeklagten wurde zur Last gelegt, dies bemerkt oder erahnt, dagegen jedoch nichts unternommen zu haben. Mit Beschluß vom 7. Juli 1994 gab das Amtsgerichte ... der Angeklagten und ihrem Ehemann auf, die Tochter an das Kreisjugendamt herauszugeben. Die Angeklagte befolgte den Beschluß nicht. In der Folgezeit versteckte sie ihre Tochter an ständig wechselnden Orten und verweigerte jede Auskunft über deren Aufenthaltsort. Am 13. Juli 1994 stellte der Landkreis ... Strafantrag gegen die Angeklagte wegen Kindesentziehung.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte u.a. mit der Rüge, es bestehe ein Verfahrenshindernis. Ihr Ehemann habe den Strafantrag im Hauptverhandlungstermin vom 28. September 1995 wirksam zurückgenommen, nachdem das Amtsgericht ... vorher mit Beschluß vom 30. Januar 1995 die Beschlüsse vom 6. und 7. Juli 1994 aufgehoben habe. Im übrigen rügt sie die Verletzung sachlichen Rechts.
II.
Die Revision hat Erfolg.
Die von Amts wegen gebotene Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen führt zur Einstellung des Verfahrens gemäß § 206 a StPO. Die Angeklagte kann wegen Kindesentziehung (§ 235 StGB) nicht verfolgt werden. Es fehlt an dem nach § 238 Abs. 1 StGB erforderlichen Strafantrag. Der Ehemann der Angeklagten hat den Strafantrag am 28. September 1995 wirksam zurückgenommen (§ 77 d Abs. 1 StGB).
Das Vergehen der Kindesentziehung wird nur auf Antrag verfolgt. Da der Tatbestand der Kindesentziehung einen Angriff auf die Muntgewalt enthält, ist lediglich der Inhaber des Sorgerechts, nicht aber die entzogene Person antragsberechtigt (h.M., vgl. dazu BayObLG NJW 61, 1033; Schönke/Schröder-Eser, StGB, 24. Aufl., § 238 Rdn. 3; LK-Vogler, StGB, 10. Aufl., § 238 Rdn. 1; SK-Horn, StGB, 5. Aufl., § 238 Rdn. 3; Dreher/Tröndle, StGB, 47. Aufl., § 238 Rdn. 2). Zum Zeitpunkt der Rücknahme des Strafantrags am 28. September 1995 war der Ehemann der Angeklagten Sorgerechtsinhaber, nachdem das Amtsgericht ... mit Beschluß vom 30. Januar 1995 die Beschlüsse vom 6. und 7. Juli 1994 aufgehoben hatte. Bei einem Wechsel der Person des Sorgerechtsinhabers (gesetzlicher Vertreter) tritt der Nachfolger in die Rechte des Vorgängers ein (vgl. LK-Vogler, StGB, 10. Aufl., § 77 d Rdn. 5). Der Ehemann der Angeklagten konnte den am 13. Juni 1994 gestellten Strafantrag deshalb aus eigenem Recht zurücknehmen. Der Wirksamkeit der Rücknahme steht deswegen auch nicht entgegen, daß sich der Strafantrag gegen seine Ehefrau gerichtet hatte. Für solche Erwägungen ist kein Raum, wenn die Befugnis zur Stellung und Rücknahme eines Strafantrags der Verletzung eines einem Elternteil allein zustehenden Rechts entspringt (BayObLG a.a.O.).
Schließlich war der Ehemann der Angeklagten auch nicht aus sonstigen Gründen rechtlich gehindert, den Strafantrag zurückzunehmen. Anhaltspunkte, daß er an der Tat der Angeklagten beteiligt war, bestehen nicht (§ 77 d Abs. 2 Satz 3 StGB).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 470 Satz 2 StPO. Es wäre unbillig, die Beteiligten mit den Kosten und den notwendigen Auslagen der Angeklagten zu belasten. Das angefochtene Urteil hätte sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht standgehalten. Den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen ist nicht zu entnehmen, daß die Angeklagte ihr Kind dem Jugendamt des Landkreises ... durch "List" entzogen hat. List erfordert einen gewissen Grad von Klugheit, Schlauheit und Fertigkeit, ohne daß es erforderlich wäre, daß bei dem Überlisten irrige Vorstellungen hervorgerufen werden. Es genügt vielmehr ein geflissentliches Verbergen der Absicht oder der zur Erreichung der Absicht gebrauchten Mittel (vgl. dazu BGHSt 10, 376 ff.). Daran fehlt es jedoch, wenn der Täter das Kind versteckt und lediglich die Auskunft über seinen Aufenthaltsort verweigert (OLG Bremen JR 61, 107; LK-Vogler, StGB, 10. Aufl., § 235 Rdn. 11).