Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 04.03.1975, Az.: 1 Ss 334/74
Notwendigkeit einer Reisegewerbekarte i.R.d. Werbens von Abonennten zur Bestellung von Zeitschriften oder Büchern außerhalb des Ortes einer gewerblichen Niederlassung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 04.03.1975
- Aktenzeichen
- 1 Ss 334/74
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1975, 15680
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1975:0304.1SS334.74.0A
Rechtsgrundlagen
- § 2 NdsPrG
- § 55 Abs. 1 Nr. 1 GewO a.F.
- § 148 Abs. 1 Nr. 5 GewO a.F.
- § 145 Abs. 1 Nr. 1a GewO
- § 31 Abs. 2 Nr. 4 OWiG
- Art. 317 EGStGB
Fundstelle
- NJW 1975, 1048 (amtl. Leitsatz)
Verfahrensgegenstand
Übertretung der Gewerbeordnung
Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg hat
in der Sitzung vom 4. März 1975,
an der teilgenommen haben:
Versitzender Richter am Oberlandesgericht XXX,
Richter am Oberlandesgericht XXX,
Richter am Oberlandesgericht XXX,
Oberstaatsanwalt XXX als Beamter der Staatsanwaltschaft,
Justizassistent XXX als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
beschlossen:
Tenor:
Die Sache wird dem Bundessgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:
Muß derjenige, der im Reisegewerbe Bestellungen auf Zeitschriften oder Bücher aufsucht, nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 GewO Inhaber einer Reisegewerbekarte sein?
Gründe
Das Amtsgericht hat den Angeklagten, der am 17. April 1974 - ersichtlich außerhalb des Ortes einer gewerblichen Niederlassung oder ohne eine solche zu haben - in XXX Abonnenten für einen Bücherband warb, vom Vorwurf einer Übertretung nach § 55 GewO freigesprochen, da nach § 2 des Niedersächsischen Pressegesetzes [...] von keinen Zulassungen abhängig gemacht werden dürfe. Die Revision der Staatsanwaltschaft die Verletzung des sachlichen Rechts rügt, steht auf dem Standpunkt, § 2 NdsPrG stehe dem Erfordernis einer Reisegewerbekarte beim Vertrieb von Presseerzeugnissen im Reisegewerbe nicht entgegen. Der Senat hält die Revision für begründet, vermag aber zur Zeit nicht abschließend darüber zu entscheiden.
Das Rechtsmittel war bei seiner Einlegung nach §§ 334, 313 StPO zulässig. Das dem Angeklagten vorgeworfene Verhalten war seinerzeit eine Übertretung nach§§ 55 Abs. 1 Nr. 1; 148 Abs. 1 Nr. 5 GewO. Gemäß Gesetz vom 13. Juni 1974, BGBl. I S. 1281, in Kraft insoweit ab 1. Januar 1975, handelt es sich jetzt um eine Ordnungswidrigkeit nach § 145 Abs. 1 Nr. 1a GewO neuer Fassung. Gleichwohl ist das Rechtsmittel nach wie vor als Revision zu behandeln. Eine Regelung dahin, daß ein eingelegtes Rechtsmittel seine Rechtsnatur durch eine Änderung des anzuwendenden sachlichen Rechts ändert, besteht nicht. Auch wennArt. 317 EGStGB für eine außerhalb des EGStGB-getroffenen Rechtsänderung gilt, würden aber die Vorschriften über die Rechtsbeschwerde nach Art. 317 Abs. 2 EGStGB ausgeschlossen sein; daß der Angeklagte nicht verurteilt, sondern freigesprochen war, wäre das Urteil wegen einer Zuwiderhandlung ergangen, die nach neuem Recht nur noch mit Geldbuße bedroht ist.
Die Verfolgung ist bislang nicht verjährt. Für die Tat des Angeklagten gilt die Verjährungsfrist des § 67 Abs. 3 StGB alter Fassung, § 31 Abs. 2 Nr. 4 OWiG neuer Fassung bleibt dabei außer Betracht. Den Bestimmungen des § 155 Abs. 2 Satz 2 EGOWiG undArt. 309 Abs. 3 EGStGB ist der allgemeine Rechtsgedanke zu entnehmen, daß im Falle einer mittelbaren Verlängerung der Verjährungsfrist, die auf eine gesetzliche Änderung der Deliktsart zurückzuführen ist, die kürzere Verjährungsfrist weiter gilt (OLG Saarbrücken NJW 1974 [...]). Die Verjährung ist jeweils rechtzeitig unterbrochen worden, zuletzt durch die Terminsbestimmung vom 4. Februar 1973 und die Hauptverhandlung vom 4. März 1975.
Die Entscheidung die Revision hängt von der Frage ab, ob derjenige, der in Reisegewerbe Bestellungen auf Zeitschriften oder Bücher aufsucht, nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 GewO Inhaber einer Reisegewerbekarte sein muß.
Zutreffend ist das Amtsgericht davon ausgegangen, daß die von dem Angeklagten entwickelte Tätigkeit dem Pressewesen zuzurechnen ist und daß sie daher den Schutz genießt, der grundsätzlich für die gesamte Presse garantiert ist (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG). Denn die institutionelle Sicherung der Presse durch das Grundgesetz erstreckt sich auf das gesamte Presswesen, auch auf Vertriebsgeschäfte (Hamann-Lenz, Grundgesetz, 3, Aufl., 1970, Anm. 6 zuArt. 5 GG; übereinstimmender Meinung auch das BayObLG in BayObLGSt 1971, 131 = NJW 1971, 1761 und der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 4. Juni 1973 - VI 518/71 - teilweise abgedruckt im Archiv für Presserecht XIII 1973 S. 127, sonst offenbar nicht veröffentlicht; S. 17 der vorliegenden Fotokopie der Urteilsausfertigung). Dabei konnte das Amtsgericht offenlassen, ob der Angeklagte Abonnements für Zeitungen, Zeitschriften oder Bücher aufsuchen wellte; in jedem dieser Fälle handelte es sich um Presseerzeugnisse, für dieser Fälle handelte es sich um Presseerzeugnisse, für deren Herstellung und Vertrieb der Grundsatz der Pressefreiheit gitl (vgl. Löffler, Presserecht, 2. Aufl. Band II, Anm. 35 zu § 1 LPG; Band I, 5. Kapital, Rn. 86).
Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts ist aber der Senat der Auffassung, daß der Abonnertenwerber im Reisegewerbe nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 GewO Inhaber einer Reisegewerbekarte sein muß, daß die Wirksamkeit dieser nach Art. 74 Nr. 11 GG bundesrechtlich geltenden Vorschrift durch Bestimmungen der landesrechtlichen Pressegesetze nicht beeinträchtigt wird und [...] das Erfordernis der Reisegewerbekarte nicht in unzulässiger Weise in das Grundrecht der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) eingreift.
Gründe der Gesetzgehungszuständigkeit stehen der Gültigkeit der §§ 55 ff GewO für den Abonnentenwerben im Reisegewerbe nicht entgegen. Eine gesetzliche Regelung presserechtlicher Materien durch den Bund, die über den Bereich einer Rahmengesetzgebung hinausginge, würde zwar seine Zuständigkeit nach Art. 72, Art. 75 Nr. 2 GG überschreiten. In die Sondermaterie des Presserechts darf der Bunddesgesetzgeber nicht durch Gesetze, die gerade sie zum Gegenstand haben, eingreifen; er würde damit die Gesetzgebungshoheit der Länder beeinträchtigen. Eine solche Beeinträchtigung liegt jedoch nicht vor, wenn eine Vorschrift, die der Bundesgesetzgeber im Rahmen seiner Gesetzgebungszuständigkeit für das Wirtschaftsrecht, von dem das Gewerberecht ein Teil ist, eine Reflexwirkung auf einen der Landesgesetzgehung unterstehenden Gegenstand oder Bereich ausübt. Wirksam sind daher auch die bundesrechtlichen Bestimmungen des Gewerberechts, soweit sie für Presseunternehmungen gelten. Namentlich kollidieren die gewerberechtliche Bestimmungen der §§ 55 ff GewO nicht notwendig schon deshalb mit dem Presserecht, weil dieses landesrechtlich zu regeln ist; sie sind nicht unzulässige Sondervorschriften für das Presserecht, sondern allgemeine gewerberechtliche Bestimmungen, deren Auswirkung auf Presseunternehmungen durch die Landesgesetzgebung nicht beeinträchtigt werden kann und die lediglich in ihrer inhaltlichen Gültigkeit an den grundrechtlichen Bestimmungen über die Pressefreiheit zu messen sind. - Daß das Bundesverfassungsgericht die Regelung der kurzen Verjährung für Pressestraftaten nicht als strafrechtliche Angelegenheit dem Bundesrecht, sondern als Teil des Presserechts dem Landesrecht zugewiesen hat (BVerfGE 7, 29, 40 [BVerfG 04.06.1957 - 2 BvL 17/56]), beruht darauf, daß die Verjährungsregelung aus historischen Gründen als zum Presserecht gehörend betrachtet [...] die Konkurrenz zwischen Gewerberecht und Presserecht sich dieser Entscheidung nichts entnehmen.
Ohne Bedeutung bleibt nach Auffassung des Senats für diskompetenzrechtliche Frage, in welchem Verhältnis §§ 55 ff GewO zum NdsPrG stehen, der Umstand, daß das Grundgesetz für das Presserecht in Art. 5 GG bestimmte inhaltliche Grundrechtsgarantien enthält. Denn die ausschließlich gesetzgebungstechnische Frage, ob und in welchem Umfang der Bund und die Länder Zur Regelung bestimmter Materien berufen sind, hängt nicht von der Frage ab, nach welchen Grundsätzen die jeweilige Materie inhaltlich zu regeln ist; diese ergibt sich vielmehr ausschließlich aus denjenigen grundgesetzlichen Bestimmungen, die solche inhaltlichen Regeln enthalten, namentlich im Abschnitt über die Grundrechte und den Art. 101-104 GG.
Im Gegensatz zu der nicht näher begründeten Auffassung des BayObLG schließt der Senat sich im Ergebnis der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg an (a.a.O., S. 18 ff der vorliegenden Fotokopie der Urteilsausfertigung).
Einen unzulässigen Eingriff in das Grundrecht der Pressefreiheit sieht der Senat in dem Erfordernis der Reisegewerbekarte nicht.
Die für die Tätigkeit des Abonnentenwerber geltende grundgesetzliche Freiheit ist nach Art. 5 Abs. 2 GG durch die Vorschriften der allgemeinen Gesetze eingeschränkt. Zu diesen Gesetzen gehört auch die Gewerbeordnung. Denn allgemeine Gesetze im Sinne des Grundgesetzes sind alle diejenigen, die nicht spezielle Eingriffe in die Meinungs- und Pressefreiheit als solche gestatten (Hamann-Lenz a.a.O., Anm. 10 zu Art. 5 GG), oder solche, die die Meinungsäußerung, die Information und das Pressewesen betreffen, die aber nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten, sondern vielmehr dem Schutze eines schlechthin zu schützenden Rechtsguts ohne Rücksicht auf bestimmte Meinungen dienen; die einen Gemeinschaftszweck schützen wollen, welcher gegenüber der Betätigung der Meinungsfreiheit Vorrang hat (Schmidt-Bleibtreu-Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 2. Aufl., Anm. 11 und 13 zu Art. 5 GG in Anschluß an BVerfG 7, 209 ff; ähnlich auch von Mangold-Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 2. Aufl., Bdl. 1 Anm. 248 ff zu Art. 5 GG im Anschluß an Formulierungen von Anschütz). Da die Gewerbeordnung weder ihrer allgemeinen Zweckbestimmung nach noch in einzelnen ihrer Bestimmungen auf die Pressetätigkeit oder auf bestimmte in der Presse vertretene Meinungen ausgerichtet ist, vielmehr für jede gewerbliche Betätigung gilt, trifft diese Begriffsbestimmung auch auf sie zu.
Mit der grundsätzlichen Anwendbarkeit der Gewerbeordnung ist jedoch nicht jede Anwendung ihrer einzelnen Bestimmungen als eine zulässige Einschränkung des Grundrechts der Pressefreiheit anzusehen. Denn auch eine zulässige Einschränkung dieses Grundrechts darf nicht zu seiner Aushöhlung führen; so hat die Rechtsprechung angenommen, daß § 35 GewO im Bereich des Pressewesens nicht zu einer Untersagung eines ganzen Gewerbebetriebes, sondern nur zu Teiluntersagungen ermächtige (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg a.a.O. S. 26). Auch für die §§ 55 ff GewO gilt, daß sie als allgemeine Gesetze in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung ihrerseits im Licht der Bedeutung dieses Grundrechts gesehen und so interpretiert werden müssen, daß der besondere Wertgehalt dieses Rechts, der in der freiheitlichen Demokratie zu einer grundsätzlichen Vermutung für die Freiheit ... in allen Bereichen, namentlich aber im öffentlichen Leben führen muß, auf jeden Fall gewahrt bleibt (sogenannte Lüth-Formel, BVerfGE 7, 198 ff, 208 [BVerfG 15.01.1958 - 1 BvR 400/51]). Dieser Grundsatz berechtigt jedoch nicht zu verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die allgemeine Anwendbarkeit des § 55 ff GewO, da eine Verfassungskonforme Auslegung dieser Bestimmungen, wie das Bundesverfassungsgericht sie hier voraussetzt, möglich erscheint. Diese hat nicht bei der Vorschrift des § 55 GewO einzusetzen, die die Tätigkeit eines Werbers auch im Pressegewerbe von der Erteilung einer Reisegewerbekarte abhängig macht, sondern bei den §§ 57 57a GewO, die die Möglichkeit einer Versagung dieses gewerblichen Auseises regeln. Einer abschließenden Entscheidung der Frage, nach welchen Gesichtspunkten die Auslegung dieser Bestimmungen sich im einzelnen zu richten hat und ob etwa der nach dem Gesetz zwingende Versagungsgrund der persönlichen Unzuverlässigkeit (§ 57 Abs. 1 Nr. 1 GewO) allgemein unanwendbar ist, während die Versagungsgründe des § 57 Abs. 1 Nr. 2 - 4 GewO und die fakultativen Versagungsgründe des § 57a GewO auch im Pressewesen anwendbar sein mögen, bedarf es an dieser Stelle nicht. Denn schon dann, wenn die zuständigen Verwaltungsbehörden die Erteilung der Reisegewerbekarte teils in uneingeschränkter, teils in verfassungskonformer Anwendung der einschlägigen Vorschriften ohne Grundrechtsverstoß ablehnen können, stellt das Erfordernis der Reisegewerbekarte keine zulässige Einschränkung des Grundrechts der Pressefreiheit dar.
Das Bayrische Oberste Landesgericht hat zwar nur für den Bereich des Landes Bayern ausgesprochen, daß der Zeitschriftenwerber im Reisegewerbe keiner Reisegewerbekarte bedürfe, und sich dabei auf § 2 Abs. 1 des Bayerischen Gesetzes über die Presse vom 3. Oktober 1949 gestützt. Inhaltlich entspricht diese Bestimmung jedoch auch der Vorschrift des § NdsPrg; auch die Pressegesetze der anderen Bundesländer (wiedergegeben bei Löffle, Presserecht, Bd. II im Textanhang sowie bei den Erläuterungen der einzelnen Bestimmungen) enthalten gleichlautende, nur im Einzelfall im Wortlaut oder in angefügten zusätzlichen Bestimmungen abweichende Vorschriften. Auch im Fall einer Auslegung inhaltsgleicher Vorschriften verschiedener Landesrechte sicht der Senat sich jedoch nicht in der Lage, von der Entscheidung des [...] Obersten Landesgerichts abzuweichen, ohne die Sache nach § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof vorzulegen (vgl. BGHSt 11, 228 im Anschluß an BGHSt 6, 41; entsprechend gehandhabt für den Fall der presserechtlichen Verjährung, BGHSt 25, 347).