Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.10.1992, Az.: L 4 Kr 69/90
Überschreitung der Altersgrenze für die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Studenten (KVdS) ; Voraussetzungen persönlicher und familiärer Rechtfertigungsgründe für die Überschreitung des Höchstalters für die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Studenten (KVdS) ; Berücksichtigung besonderer Ausbildungsumstände für die Überschreitung der Höchstaltersgrenze; Verletzung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes durch die gesetzliche Höchstaltersgrenze
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 14.10.1992
- Aktenzeichen
- L 4 Kr 69/90
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1992, 15787
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:1992:1014.L4KR69.90.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Stade - 14.03.1990 - AZ: S 3 Kr 58/89
Rechtsgrundlagen
- § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BAföG
- § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 SGB V
- Art. 3 Abs. 1 GG
Der 4. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle
hat ohne mündliche Verhandlung
am 14. Oktober 1992
durch
den Richter am Landessozialgericht S. W. - als Vorsitzender -,
den Richter am Landessozialgericht Dr. F.,
den Richter am Landessozialgericht H.
sowie die ehrenamtlichen Richter J. S. und A. W.
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 14. März 1990 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, durch den die beklagte Ersatzkasse das Ende der Versicherungspflicht der Klägerin in der Krankenversicherung der Studenten (KVdS) auf den 31. März 1989 festgestellt hat. Sie begehrt die Feststellung, sie sei für die gesamte Dauer ihres inzwischen am 31. Dezember 1991 abgeschlossenen Studiums als Studentin pflichtversichert gewesen.
Die im Jahre 1951 geborene Klägerin erwarb im Mai 1970 mit dem Abitur die Hochschulreife, ließ sich von Oktober 1970 bis August 1972 zur Elektrotechnischen Assistentin ausbilden und war anschließend, in diesem Beruf - unterbrochen von Zeiten der Weiterbildung, Arbeitslosigkeit und Krankheit - bis Dezember 1987 beschäftigt (Aufstellung der Klägerin über Ausbildungs- und Beschäftigungszeiten vom 3. Januar 1989).
Am 1. Januar 1988 nahm sie an der Freien Kunst-Studienstätte Ottersberg das Studium der Kunsttherapie-Kunstpädagogik auf und war dort bis zum 31. Dezember 1991 eingeschrieben.
Obwohl die Klägerin bei Beginn des Studiums das 30. Lebensjahr - das 36. Lebensjahr - bereits vollendet hatte, erhielt sie für die Dauer ihres Studiums Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföG -(Abhilfebescheid der Universität Hannover - Amt für Ausbildungsförderung - vom 21. Mai 1987; Bescheid vom 30. Dezember 1988). In dem Abhilfebescheid heißt es, ein Förderungsanspruch bestehe nach § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BAföG, wenn die Art. der Ausbildung die Überschreitung der Altersgrenze (Vollendung des 30. Lebensjahres) rechtfertige. Diese Voraussetzung sei erfüllt, wenn in dem betreffenden Fach die Zahl der Auszubildenden, die bei Ausbildungsbeginn die Altersgrenze überschritten hätten, einigermaßen konstant 10 vH der Zahl aller Studienanfänger erreiche (BVerwG, Urteil vom 16.10.1980, FamRZ 1981, 210 - = BVerwGE 61, 92). Diese Voraussetzungen seien im Studiengang Kunsttherapie an der Freien Kunst-Studienstätte Ottersberg gegeben.
Aufgrund ihres Studiums war die Klägerin nach § 165 Abs. 1 Nr. 5 Reichsversicherungsordnung - RVO - idF des Gesetzes über die Krankenversicherung der Studenten vom 24.06.1975 (BGBl I S 1536), der bis zum 31. Dezember 1988 galt, in der KVdS pflichtversichert. Mit Bescheid vom 11. April 1989/Widerspruchsbescheid vom 21. August 1989 stellte die Beklagte fest, diese Versicherungspflicht habe gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 des am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen Fünften Sozialgesetzbuchs - SGB V - i.V.m. Art. 56 Abs. 6 Gesundheitsreformgesetz (GRG) vom 20.12.1988 (BGBl I S 2477) wegen Überschreitens der Höchstaltersgrenze (Vollendung des 30. Lebensjahres) mit Ablauf des 31. März 1989 geendet.
Das Sozialgericht (SG) Stade hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, die Klägerin über den 31. März 1989 hinaus in die - für die KVdS maßgebende - Beitragsklasse 487 einzustufen (Urteil vom 14. März 1990). In den Entscheidungsgründen hat es im wesentlichen ausgeführt: Die Versicherungspflicht der Klägerin dauere über den 31. März 1989 an, weil die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 9 Halbs 2 SGB V gegeben seien, wonach Studenten auch nach Vollendung des 30. Lebensjahres der KVdS angehörten, wenn die Art. der Ausbildung oder persönliche Gründe die Überschreitung der Altersgrenze rechtfertigten. Dabei dürfe die Frage offenbleiben, ob bei der Auslegung des Rechtfertigungsgrundes "Art. der Ausbildung" die Rechtsprechung des BVerwG aaO, auf die sich die Klägerin berufe, und die ihm folgende Verwaltungspraxis zu § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BAföG herangezogen werden könne (Zipperer BKK 1989, 80, 81). Denn bei der Klägerin seien persönliche Rechtfertigungsgründe anzuerkennen. Der Anwendungsbereich dieser Ausnahmeregelung sei nicht auf die in den Motiven genannten Fälle oder den im Gesetz ausdrücklich genannten Fall beschränkt, daß die Zugangsvoraussetzung für das Studium in einer Ausbildungsstätte des Zweiten Bildungsweges erworben werde (BT-Drucks 11/2237; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 5 SGB V Anm. 204, S 76 f). Er sei auch auf den vorliegenden Fall zu erstrecken, in dem der Student nach Erlangung der Hochschulreife eine Berufsausbildung absolviert, anschließend bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres in seinem Ausbildungsberuf versicherungspflichtig gearbeitet und das Studium wegen Krankheit und Arbeitslosigkeit erst später aufgenommen habe (Wasem, BArbBl 1989, S 6). Mit dieser Auslegung werde entgegen der Ansicht der Beklagten dem Gesetzeszweck ausreichend Rechnung getragen, zumal der Gesetzgeber mit der Begrenzung der KVdS auf ein Höchstalter Mißbräuchen habe begegnen wollen, die insbesondere von sog Parkstudenten praktiziert worden seien.
Gegen dieses der Beklagten am 25. April 1990 zugestellte Urteil richtet sich deren am 17. Mai 1990 beim erkennenden Gericht eingegangene Berufung, zu deren Begründung sie vorträgt: Das SG sei dem Sinn und Zweck des § 9 Abs. 1 Nr. 9 SGB V nicht gerecht geworden. Die KVdS sei auf eine Höchstdauer der Fachstudienzeit und auf ein Höchstalter begrenzt, um Mißbräuche zu vermeiden und der Tendenz, das Hochschulstudium zu verlängern, entgegenzuwirken (BT-Drucks aaO, S 159). In Anlehnung an diesen Normzweck hätten die Spitzenverbände der Krankenkassen die "Zehn jahrestheorie" entwickelt (vgl. Rundschreiben vom 27.09.1989, S 5). Danach sei die maximal anzuerkennende Zeit für die Versicherung in der KVdS mit 10 Jahren zwischen Abitur und Abschluß des Studiums zu bemessen. Bei Anwendung dieser Theorie sei die Versicherungspflicht der Klägerin in der KVdS ausgeschlossen: Zwischen dem Erwerb der Hochschulreife im Jahre 1970 und dem 1. April 1989 lägen insgesamt 19 Jahre. Nach der Rechtsprechung des LSG Berlin (Urteile vom 16.01.1991 - L 15 Kr 18/90 -, Breithaupt 1991, S 881, und vom 02.10.1991 - L 8 Kr 87/90 -) verfolge der Gesetzgeber mit der Altersgrenze auch den Zweck, die beitragsgünstige KVdS zu beschränken. Diese sei nur Studenten in jüngeren Lebensjahren vorbehalten, da mit zunehmendem Lebensalter das Krankheitsrisiko steige. Diese enge Auslegung des Gesetzes sei auch dann geboten, wenn ein Student die KVdS nicht mißbräuchlich in Anspruch nehme.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 14. März 1990 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor: Die Art. ihrer Ausbildung rechtfertige die Überschreitung der Höchstaltersgrenze (§ 10 Abs. 3 Nr. 2 BAföG; BVerwG aaO). Der Gesetzgeber habe mit der Ausnahmeregelung des § 5 Abs. 1 Nr. 9 2. Halbs SGB V eine Regelung geschaffen, die der Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 3 Nr. 2 BAföG nach Wortlaut und Regelungsgehalt entspreche, um Studenten, die Ausbildungsförderung bezögen, in der Krankenversicherung der Studenten zu versichern. Das folge auch aus § 13 Abs. 2a BAföG. Danach erhielten BAföG-Bezieher, die in der KVdS pflichtversichert seien, eine um 65,00 DM höhere Ausbildungsförderung. Dies sei exakt der in der KVdS zu entrichtende Beitrag. Sie habe das Studium im fortgeschrittenerem Lebensalter aufgenommen, um dadurch einer mehrjährigen krankheitsbedingten Arbeitslosigkeit zu entgehen. Das sei auch ein beachtlicher persönlicher Rechtfertigungsgrund für die Überschreitung der Höchstaltersgrenze. Die "Zehn jahrestheorie" der Spitzenverbände der Krankenkassen sei mit Wortlaut, Sinn und Zweck des Gesetzes nicht zu vereinbaren.
Das Gericht hat die Auskünfte der Freien Kunst-Studienstätte Ottersberg vom 29. Juni 1992 sowie der Fachhochschule für Kunsttherapie, Nürtingen, ohne Datum - eingegangen am 14. Juli 1992 - über Mindestaltersvoraussetzungen und das durchschnittliche Lebensalter der Studienanfänger im Studiengang Kunsttherapie-Kunstpädagogik eingeholt. Wegen des Beweisergebnisses wird auf den Inhalt dieser Auskünfte verwiesen.
Die Verwaltungsakten der Beklagten sind Gegenstand des Verfahrens gewesen. Auf die Prozeß- und vorerwähnten Beiakten wird wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Sachvortrags der Beteiligten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die iS der §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Entgegen der vom SG bestätigten Rechtsauffassung der Klägerin ist die angefochtene Feststellung der Beklagten rechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin ist - da sie bei Inkrafttreten des SGB V am 1. Januar 1989 das 30. Lebensjahr überschritten hatte - gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 1. Halbs SGB V i.V.m. Art. 56 Abs. 6 GRG mit Ablauf des 31. März 1989 aus der KVdS ausgeschieden. Die von ihr vorgetragenen Gründe rechtfertigen das überschreiten der Höchstaltersgrenze nicht.
Nach der Ausnahmeregelung des 2. Halbsatzes des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V sind Studenten nach Vollendung des 30. Lebensjahres nur dann noch versicherungspflichtig, wenn die Art. der Ausbildung oder familiäre oder persönliche Gründe, insbesondere der Erwerb der Zugangsvoraussetzungen in einer Ausbildungsstätte des Zweiten Bildungsweges, die Überschreitung der Altersgrenze rechtfertigen. Ob derartige Rechtfertigungsgründe (hierzu ausführlich Senatsbeschluß vom 09.05.1990 - L 4 S (Kr) 61/90 -, Breithaupt 1990, 793) vorliegen, ist an den Zielen des Gesetzes zu messen (vgl. BT-Drucksache 11/2237 S 1 und 159). Diese sind in erster Linie auf Mißbrauchsabwehr sowie darauf gerichtet, der Tendenz einer Studienverlängerung entgegenzuwirken (BT-Drucks aaO, S 159). Wegen der vom Gesetzgeber in den Motiven aaO angeordneten strengen Auslegung der Ausnahmeregelung muß im Einzelfall gewährleistet sein, daß durch die geltend gemachten Gründe die gesetzgeberischen Anliegen nicht unterlaufen werden.
Die von der Klägerin hervorgehobenen besonderen Ausbildungsumstände, die durch die eingeholten Auskünfte belegt sind (erheblicher Anteil der Studienanfängern in höherem Lebensalter), kommen als "Art. der Ausbildung" als Rechtfertigungsgrund für die Überschreitung der Höchstaltersgrenze nicht in Betracht. Wenngleich der Klägerin zuzugeben ist, daß der Gesetzgeber diese Ausnahmeregelung in Anlehnung an § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BAföG getroffen hat, kann selbst unter Berücksichtigung des Gesichtspunktes der Einheitlichkeit der Rechtsordnung nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Gesetzgeber mit der KVdS und der Förderung eines Studiums nach dem BAföG unterschiedliche Ziele verfolgt und auch deren Dauer unterschiedlich konzipiert hat. Das schließt es aus, den Rechtfertigungsgründen für eine Verlängerung der KVdS und einer Förderung nach dem BAföG den selben Inhalt beizulegen.
Wie der Senat hinsichtlich der Dauer der KVdS und der Förderungsdauer nach dem BAföG entschieden hat, entsprechen sich diese Zeiträume nicht. Hat der Auszubildende bei Beginn des Ausbildungsabschnitts, für den er Ausbildungförderung beantragt, das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet, ist die Ausbildung bis zur Höchstförderungsdauer zeitlich uneingeschränkt förderungsfähig. Nur wenn der Auszubildende das 30. Lebensjahr bei Ausbildungsbeginn bereits vollendet hat, kommt es für die Förderung auf das Vorliegen der Ausnahmetatbestände des Satzes 2 des § 13 Abs. 3 BAföG an. Demgegenüber läßt § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 SGB V die KVdS nach Vollendung des 30. Lebensjahres enden. Sie verlängert sich ausnahmsweise nur dann, wenn und soweit Tatbestände iS des 2. Halbsatzes vorliegen. Ist dies der Fall, ist der Student nicht etwa hinsichtlich des gesamten weiteren Studiums - bis zur Höchstsemesterzahl - versicherungspflichtig, sondern nur für die Dauer, für die er durch die Ausnahmetatbestände an einer frühzeitigeren Aufnahme des Studiums nach Erlangung der Hochschulreife gehindert war. Hierfür ist entscheidend, ob und inwieweit die Art. der Ausbildung oder persönliche oder familiäre Gründe eine Verlängerung des Studiums unumgänglich gemacht haben. Nur insoweit kann das Beibehalten der KVdS gerechtfertigt sein (Senatsurteil vom 19.08.1992 - L 4 Kr 81/90; Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 27.09.1989, S 5).
Auf die unterschiedliche Zielsetzung der Berufsausbildungsförderung und der KVdS hat bereits das LSG Berlin (Urteile vom 16.01.1991 - L 15 Kr 15/90 - ZfS 1991, 181 = Die Beiträge 1991, 195, und - L 15 Kr 18/90 -, Breithaupt 1991, 881), hingewiesen und ausgesprochen, im Gegensatz zum BAföG verfolge § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V nicht unmittelbar bildungspolitische Ziele, sondern sei eine Norm des Krankenversicherungsrechts mit dem Bestreben, die Kosten im Gesundheitswesen zu begrenzen und durch eine Entlastung der Krankenkassen zur Beitragsstabilität beizutragen (BT-Drucks aaO S 1).
Unter Beachtung dieser Unterschiede ist es geboten, wie der Senat aaO zu den Voraussetzungen persönlicher und familiärer Rechtfertigungsgründe entschieden hat, auch für den Rechtfertigungsgrund der Art. der Ausbildung in der KVdS zu fordern, daß objektive Gegebenheiten vorliegen müssen, die einer früheren Aufnahme und einem früheren Abschluß des Studiums zwingend entgegengestanden und ein späteres Studium unumgänglich gemacht haben. Diesen Anforderungen genügt der Umstand nicht, daß eine erhebliche Zahl aller Studienanfänger das Studium der Kunsttherapie-Kunstpädagogik erst im höheren Lebensalter aufgenommen haben. Notwendig ist dies nicht. Das Mindestalter für den Studiengang Kunsttherapie-Kunstpädagogik beträgt 22 Jahre (Auskunft der Freien Kunst-Studienstätte Ottersberg vom 29. Juni 1992). Daß die Klägerin das achtsemestrige Studium (12 Trisemester) nicht vor Vollendung ihres 30. Lebensjahres aufgenommen und abgeschlossen hat, beruht auf ihrer freien beruflichen Disposition, nach dem Abitur zunächst einen Beruf zu erlernen und diesen anschließend auszuüben.
Die Klägerin kann damit ihre Berufsausbildung sowie die Zeiten ihrer Beschäftigung und Arbeitslosigkeit auch nicht als persönliche Rechtfertigungsgründe iS des § 5 Abs. 1 Nr. 9 2. Halbs SGB V anführen. Diese Umstände sind nicht diejenige oder denjenigen vergleichbar, die der Gesetzgeber als zwingende persönliche oder familiäre Gründe im Auge gehabt hat: Behinderung, Schwangerschaft, Nichtzulassung zur gewählten Ausbildung im Auswahlverfahren, mindestens 8jährige Dienstverpflichtung als Soldat oder Polizeivollzugsbeamter im Bundesgrenzschutz auf Zeit bei Dienstbeginn vor Vollendung des 22. Lebensjahres, Betreuung von Behinderten oder aus anderen Gründen auf Hilfe angewiesenen Kindern (BT-Drucks aaO, S 159).
Auch die Zeit ihrer Erkrankung von November 1983 bis Mai 1984 (Aufstellung der Klägerin vom 3. Januar 1989) steht ihr als persönlicher Rechtfertigungsgrund nicht zur Seite. Zu dieser Zeit hätte sie ihr Studium bereits aufgenommen und abgeschlossen haben können, wenn sie in den Jahren zuvor keine anderen Berufsentscheidungen getroffen hätte.
Aus diesen Gründen vermag der Senat der auf Wasem aaO (vgl. auch Zipperer aaO) gestützten Auffassung des SG nicht zu folgen, eine nach dem Erwerb der Zugangsvoraussetzung abgeschlossene Berufsausbildung mit anschließender Berufstätigkeit rechtfertige das Überschreiten der Höchstaltersgrenze in der KVdS.
Dahinstehen kann, ob, wie das LSG Berlin entschieden hat (Breithaupt 1991, 5 181), die Ausnahmeregelung des § 5 Abs. 1 Nr. 9 2. Halbs SGB V nur Anwendung findet, wenn der Student sein Studium zumindest vor Vollendung des 30. Lebensjahres aufgenommen hat. Desgleichen kann der Senat die Frage offen lassen, ob die sog "Zehnjahrestheorie" der Spitzenverbände der Krankenkassen (Rundschreiben aaO), auf die sich die Beklagte beruft, mit dem Gesetz in Einklang steht.
Die Einführung der gesetzlichen Höchstaltersgrenze verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz). Die Grenze orientiert sich an typischen Geschehensabläufen. Sie ist sachgerecht und geeignet, die Ziele des Gesetzgebers zu verwirklichen. Ausnahmefälle hat der Gesetzgeber in ausreichendem Umfang berücksichtigt (Senatsurteil vom 19.08.1992 - L 4 Kr 70/90 -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).