Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 04.11.1992, Az.: L 4 Kr 41/92
Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Studenten (KVdS) durch Aufnahme eines Studiums nachÜberschreiten der Höchstaltersgrenze; Zwingende persönliche Rechtfertigungsgrund für das Überschreiten der Höchstaltersgrenze; Ausschluss der Versicherungspflicht in der KVdS bei Erwerb des Hochschulzugangs im Zweiten Bildungsweg sowie anschließende und kurz nach Vollendung des 30. Lebensjahres erfolgte Aufnahme des Studiums ; Berücksichtigung besonderer Ausbildungsumstände des Antragstellers; Vorliegen objektiver Gegebenheiten, die einer früheren Aufnahme eines Studiums entgegenstanden; Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz durch die gesetzliche Höchstaltersgrenze
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 04.11.1992
- Aktenzeichen
- L 4 Kr 41/92
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1992, 15786
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:1992:1104.L4KR41.92.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Stade - 21.01.1992 - AZ: S 4 Kr 109/90
Rechtsgrundlagen
- § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BAföG
- § 5 Abs. 1 Nr. 9 2. Hs. SGB V
- Art. 3 Abs. 1 GG
Der 4. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle
hat ohne mündliche Verhandlung
am 4. November 1992
durch
die Vorsitzende Richterin am Landessozialgericht S. S.
den Richter am Landessozialgericht S. W.
den Richter am Landessozialgericht Dr. F.
sowie die ehrenamtlichen Richter H. W. und U. M.
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 21. Januar 1992 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Feststellung der beklagten Ersatzkasse, die Aufnahme ihres Studiums habe nicht zur Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Studenten (KVdS) geführt.
Die im Jahre 1954 geborene Klägerin erwarb 1974 die Fachhochschulreife und ließ sich von 1977 bis 1979 zur technischen Assistentin für Gestaltung ausbilden. In der Folgezeit arbeitete sie als Sekretärin. 1988 gab sie diesen Beruf aus gesundheitlichen Gründen auf und wurde arbeitslos. Von 1977 bis 1987 war sie - in erster Ehe - verheiratet und finanzierte ihrem früheren Ehemann durch ihre Beschäftigung als Sekretärin die Berufsausbildung.
Am 1. Januar 1989 nahm sie an der Freien Kunst-Studienstätte O. einer staatlich anerkannten, privaten Fachhochschule, das Studium der Kunsttherapie-Kunstpädagogik auf. Das achtsemestrige Studium (12 Trisemester) dauert an.
Obwohl die Klägerin bei Beginn ihres Studiums das 30. Lebensjahr - das 34. Lebensjahr - vollendet hatte, erhält sie für die Dauer dieses Studiums Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Rechtsgrundlage ist § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BAföG: Trotz Überschreitens der Altersgrenze (Vollendung des 30. Lebensjahres) ist die Förderung durch die "Art. der Ausbildung" gerechtfertigt. Das ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) dann der Fall, wenn eine solche Ausbildung häufig erst in höherem Lebensalter begonnen wird, dh, wenn in dem betreffenden Fach die Zahl der Auszubildenden, die bei Ausbildungsbeginn die Altersgrenze überschritten haben, einigermaßen konstant 10 vH der Zahl aller Sudienanfänger erreicht (BVerwG, Urteil vom 16.10.1980 - BVerwG 5 C 27.79 -, BVerwGE 61, 92 = FamRZ 1981, 210). Diese Voraussetzung ist im Studiengang Kunsttherapie an der Freien Kunst-Studienstätte Ottersberg erfüllt.
Mit Bescheid vom 14. August 1990/Widerspruchsbescheid vom 12. November 1990 stellte die Beklagte fest, die Klägerin sei wegen Überschreitens der Höchstaltersgrenze (Vollendung des 30. Lebensjahres) nicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Fünften Sozialgesetzbuchs (SGB V) in der KVdS versicherungspflichtig.
Das Sozialgericht (SG) Stade hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 21.01.1992): Studenten, die ihr Studium erst nach Vollendung ihres 30. Lebensjahres aufnähmen, seien nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V nicht in der KVdS pflichtversichert (LSG Berlin, Urteil vom 16.01.1991 - L 15 Kr 18/90 -, Die Beiträge 1991, 213 <= Breithaupt 1991, 881>). Die zum Teil wortgleich formulierte Vorschrift des § 10 Abs. 3 BAföG verfolge bildungspolitische Ziele, die jedoch im Krankenversicherungsrecht im Hintergrund stünden.
Gegen dieses der Klägerin am 6. Februar 1992 zugestellte Urteil richtet sich deren am 6. März 1992 beim erkennenden Gericht eingegangene Berufung, zu deren Begründung sie vorträgt: Die Rechtsaufassung des SG, wonach jeder Student, der bei Beginn seines Studiums bereits das 30. Lebensjahr vollendet habe, nicht in der KVdS pflichtversichert sei, sei unzutreffend. In den Motiven heiße es ausdrücklich, daß die Eingehung einer insgesamt mindestens achtjährigen Dienstverpflichtung als Soldat oder Polizeivollzugsbeamter bei einem Dienstbeginn vor Vollendung des 22. Lebensjahres das überschreiten der Höchstaltersgrenze rechtfertige. Nach dem Willen des Gesetzgebers solle deshalb auch ein Student, der sich im Alter von 21 Jahren für 12 Jahre bei der Bundeswehr verpflichte, nach Ende der Dienstzeit in der KVdS versichert sein, obwohl er bei Beginn seines Studiums zwangsläufig älter als 30 Jahre sei. Sie - die Klägerin - habe beachtliche persönliche Gründe für den späten Studienbeginn. Sie habe während ihrer ersten Ehe eine Berufstätigkeit ausgeübt, um die Berufsausbildung ihres früheren Ehemannes zu finanzieren. Ihr eigenes Studium habe sie erst beginnen können, nachdem sie ihre Berufstätigkeit aus gesundheitlichen Gründen habe aufgeben müssen. Durch die Aufnahme des Studiums sei sie einer ansonsten unumgänglichen Arbeitslosigkeit entgangen. Überdies rechtfertige die Art. der Ausbildung die Überschreitung der Altersgrenze (§ 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BAföG; BVerwG aaO). Der Gesetzgeber habe mit der Ausnahmeregelung des § 5 Abs. 1 Nr. 9 2. Halbsatz SGB V eine Regelung geschaffen, die der Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BAföG nach Wortlaut und Regelungsgehalt entspreche, um Studenten, die Ausbildungsförderung bezögen, in der KVdS zu versichern. Das folge auch aus § 13 Abs. 2a BAföG. Danach erhielten BAföG-Bezieher, die in der KVdS pflichtversichert seien, eine um 65,00 DM höhere Ausbildungsförderung. Dies sei der in der KVdS zu entrichtende Beitrag.
Die Klägerin beantragt nach ihrem gesamten Vorbringen,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 21. Januar 1991 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. August 1990 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. November 1990 aufzuheben,
- 2.
festzustellen, daß sie seit dem 1. Januar 1989 in der KVdS pflichtversichert ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und vertritt zudem die Auffassung, daß Ausnahmegründe im Sinne des 2. Halbsatzes des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V, welche ein überschreiten der Altersgrenze rechtfertigen könnten, nicht vorlägen.
Die Akten des Berufungsverfahrens vor dem Landessozialgericht Niedersachsen L 4 Kr 69/90 und die Verwaltungsakten der Beklagten sind Gegenstand des Verfahrens gewesen. Auf die Prozeß- und vorerwähnten Beiakten wird wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die im Sinne der §§ 143, 151 Abs. 1 SGG zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das sozialgerichtliche Urteil ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Allerdings teilt der Senat die das Urteil des SG tragende Rechtsauffassung nicht, wonach die Ausnahmeregelung des § 5 Abs. 1 Nr. 9 2. Halbsatz SGB V nur Anwendung finden soll, wenn der Student sein Studium zumindest vor Vollendung des 30. Lebensjahres aufgenommen hat (LSG Berlin, Urteil vom 16.01.1991 - L 15 Kr 18/90 - aaO). Mit Recht weist die Klägerin darauf hin, daß der Gesetzgeber die Neuregelung der KVdS so nicht verstanden wissen wollte: Er hat als zwingenden persönlichen Rechtfertigungsgrund für das überschreiten der Höchstaltersgrenze zB eine mindestens achtjährige Dienstverpflichtung als Soldat oder Polizeivollzugsbeamter im Bundesgrenzschutz auf Zeit bei Dienstbeginn vor Vollendung des 22. Lebensjahres anerkannt (vgl. BT-Drucks 11/2237 S 159). Im Falle einer längerfristigen Dienstverpflichtung hat der Student bei Studienbeginn aber das 30. Lebensjahr vollendet. Gerade diese Fälle wollte der Gesetzgeber der beitragsgünstigen studentischen Krankenversicherung unterstellen.
Auch Behinderung und Schwangerschaft hat der Gesetzgeber als persönliche Rechtfertigungsgründe für das überschreiten der Höchstaltersgrenze anerkannt. Entsprechendes hat für den Rechtfertigungsgrund der Krankheit zu gelten. Dauert diese nach Art. und Schwere besonders lange - etwa über ein Jahrzehnt - an, führte ein deswegen nach Vollendung des 30. Lebensjahres aufgenommenes Studium nach der Rechtsauffassung des SG und des LSG Berlin aaO nicht zur Krankenversicherungspflicht in der KVdS. Ein solches Ergebnis hat der Gesetzgeber nach den Motiven aaO nicht gebilligt.
Zudem hat der Senat der Pressemitteilung des Bundessozialgerichts - BSG - Nr. 60/92 (zum Presse-Vorbericht Nr. 60/92) vom 1. Oktober 1992 entnommen, daß das BSG durch Urteil vom 30. September 1992 - 12 RK 3/91 - das Urteil des LSG Berlin vom 16. Januar 1991 aaO aufgehoben und ausgesprochen hat, daß die Versicherungspflicht in der KVdS nicht schlechthin ausgeschlossen sei, wenn der Hochschulzugang im Zweiten Bildungsweg erworben und anschließend sowie kurz nach Vollendung des 30. Lebensjahres mit dem Studium begonnen werde. Wenngleich das schriftliche Urteil noch nicht vorliegt, sieht sich der Senat hierdurch in seiner Rechtsprechung bestätigt.
Gleichwohl ist die Klage unbegründet.
Nach der Ausnahmeregelung des 2. Absatzes des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V sind Studenten nach Vollendung des 30. Lebensjahres nur dann noch versicherungspflichtig, wenn die Art. der Ausbildung oder familiäre oder persönliche Gründe, insbesondere der Erwerb der Zugangsvoraussetzungen in einer Ausbildungsstätte des Zweiten Bildungsweges, die Überschreitung der Altersgrenze rechtfertigen. Ob derartige Rechtfertigungsgründe vorliegen, ist an den Zielen des Gesetzes zu messen (BT-Drucks aaO, S 1 und 159). Diese sind auf Mißbrauchsabwehr sowie darauf gerichtet, der Tendenz einer Studienverlängerung entgegenzuwirken (BT-Drucks aaO, S 159). Gleichzeitig geht es dem Gesetzgeber jedoch auch darum, die Kosten im Gesundheitswesen zu begrenzen und durch eine Entlastung der Krankenkassen zur Beitragsstabilität beizutragen (BT-Drucks aaO, S 1; Senatsurteil vom 14.10.1992 - L 4 Kr 69/90 -). Wegen der vom Gesetzgeber in den Motiven aaO S 159 angeordneten strengen Auslegung der Ausnahmeregelung muß im Einzelfall gewährleistet sein, daß durch die geltend gemachten Gründe die gesetzgeberischen Anliegen nicht unterlaufen werden.
Die von der Klägerin hervorgehobenen besonderen Ausbildungsumstände (erheblicher Anteil der Studienanfänger in höherem Lebensalter) kommen als Rechtfertigungsgrund "Art. der Ausbildung" für das überschreiten der Höchstaltersgrenze in der KVdS nicht in Betracht. Wenngleich der Klägerin zuzugeben ist, daß der Gesetzgeber diese Ausnahmeregelung in Anlehnung an § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BAföG getroffen hat, kann selbst unter Berücksichtigung des Gesichtspunktes der Einheitlichkeit der Rechtsordnung nicht außer Acht bleiben, daß er mit der KVdS und der Förderung eines Studiums nach dem BAföG unterschiedliche Ziele verfolgt und auch deren Dauer unterschiedlich konzipiert hat. Das schließt es, wie der Senat aaO entschieden hat, aus, den Rechtfertigungsgründen für eine Verlängerung der KVdS und einer Förderung nach dem BAföG denselben Inhalt beizulegen. Daran ändert auch der Hinweis der Klägerin auf § 13 Abs. 2a BAföG nichts. Er erweist sich als nicht schlüssig. Die Bedarfserhöhung um 65,00 DM monatlich kommt auch anderen Versicherten zugute (§ 13 Abs. 2a Nrn 2 und 3 BAföG).
Die Dauer der KVdS und die Förderungsdauer nach dem BAföG entsprechen sich nicht. Hat der Auszubildende bei Beginn des Ausbildungsabschnitts, für den er Ausbildungsförderung beantragt, das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet, ist die Ausbildung bis zur Höchstförderungsdauer zeitlich uneingeschränkt förderungsfähig. Nur wenn der Auszubildende das 30. Lebensjahr bei Ausbildungsbeginn bereits vollendet hat, kommt es für die Förderung auf das Vorliegen der Ausnahmetatbestände des Satzes 2 des § 10 Abs. 3 BAföG an. Demgegenüber läßt § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 SGB V die KVdS nach Vollendung des 30. Lebensjahres enden. Sie verlängert sich ausnahmsweise nur dann, wenn und soweit Tatbestände im Sinne des 2. Halbsatzes vorliegen. Ist dies der Fall, ist der Student nicht etwa hinsichtlich des gesamten weiteren Studiums - bis zur Höchstsemesterzahl - versicherungspflichtig, sondern nur für die Dauer, für die er durch die Ausnahmetatbestände an einer frühzeitigeren Aufnahme des Studiums nach Erlangung der Hochschulreife gehindert war. Hierfür ist entscheidend, ob und inwieweit die Art. der Ausbildung oder persönliche oder familiäre Gründe eine Verlängerung des Studiums unumgänglich gemacht haben. Nur insoweit kann das Beibehalten der KVdS gerechtfertigt sein (Senatsurteile vom 19.08.1992 - L 4 Kr 81/90 - und vom 14.10.1992 - L 4 Kr 69/90 -; Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 27.09.1989, S 5).
Auf die unterschiedliche Zielsetzung der Berufsausbildungsförderung und der KVdS hat - insoweit zutreffend - schon das LSG Berlin (Urteile vom 16.01.1991 - L 15 Kr 15/90 -, ZFS 1991, 181 = Die Beiträge 1991, 195, und - L 15 Kr 18/90 - aaO) hingewiesen und ausgesprochen, im Gegensatz zum BAföG verfolge § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V nicht unmittelbar bildungspolitische Ziele, sondern sei eine Norm des Krankenversicherungsrechts mit dem Bestreben, die Kosten im Gesundheitswesen zu begrenzen und durch eine Entlastung der Krankenkassen zur Beitragsstabilität beizutragen (BT-Drucks aaO, S 1).
Unter Beachtung dieser Unterschiede ist es, wie der Senat aaO zu den Voraussetzungen persönlicher und familiärer Rechtfertigungsgründe wiederholt entschieden hat, geboten, auch für den Rechtfertigungsgrund der Art. der Ausbildung in der KVdS zu fordern, daß objektive Gegebenheiten vorliegen müssen, die einer früheren Aufnahme und einem früheren Abschluß des Studiums zwingend entgegengestanden und ein späteres Studium unumgänglich gemacht haben. Diesen Anforderungen genügt der Umstand nicht, daß eine erhebliche Zahl aller Studienanfänger das Studium der Kunsttherapie-Kunstpädagogik an der Freien Kunst-Studienstätte O. erst im höheren Lebensalter aufnehmen. Notwendig ist dies nicht. Das Mindestalter für den Studiengang Kunsttherapie-Kunstpädagogik beträgt 22 Jahre (Auskunft der Freien Kunst-Studienstätte O. vom 29.06.1992 in dem Berufungsrechtsstreit L 4 Kr 69/90). Daß die Klägerin das achtsemestrige Studium (12 Trisemester) nicht vor Vollendung ihres 30. Lebensjahres aufgenommen und abgeschlossen hat, beruht allein auf ihrer Entscheidung, nach Erlangung der Fachhochschulreife zunächst einen Beruf zu erlernen und sodann einen (anderen) Beruf auszuüben, um ihrem ersten Ehemann die Berufsausbildung zu finanzieren.
Dieses Motiv kann sie auch nicht als persönlichen Rechtfertigungsgrund im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 9 2. Halbsatz SGB V anführen. Es ist nicht mit den Umständen vergleichbar, die der Gesetzgeber als zwingende persönliche oder familiäre Gründe im Auge gehabt hat: Behinderung, Schwangerschaft, Nichtzulassung zur gewählten Ausbildung im Auswahlverfahren, mindestens achtjährige Dienstverpflichtung als Soldat oder Polizeivollzugsbeamter im Bundesgrenzschutz auf Zeit bei Dienstbeginn vor Vollendung des 22. Lebensjahres, Betreuung von Behinderten oder aus anderen Gründen auf Hilfe angewiesenen Kindern (BT-Drucks aaO, S 159).
Auch ihre gesundheitlichen Einschränkungen, die zur Aufgabe ihrer Beschäftigung als Sekretärin geführt haben, oder die danach eingetretene Arbeitslosigkeit stehen ihr als persönliche Rechtfertigungsgründe nicht zur Seite. Zu dieser Zeit (1988) hätte sie das Studium bereits aufgenommen und abgeschlossen haben können, wenn sie in den Jahren zuvor keine anderen Berufs- und Lebensentscheidungen getroffen hätte. Wirtschaftliche Gründe scheiden als Rechtfertigung für das überschreiten der Altersgrenze aus (Senatsurteil vom 25.01.1991 - L 4 Kr 92/90 -, Breithaupt 1991 S 8 ... Senatsbeschluß vom 26.06.1992 - L 4 S (Kr) 80/92 -).
Soweit den Ausführungen von Wasem (BArbBl 1989, S 6) und Zipperer (BKK 1989, S 80, 81) entnommen werden könnte, eine nach dem Erwerb der Zugangsvoraussetzung abgeschlossene Berufsausbildung mit anschließender Berufstätigkeit rechtfertige das überschreiten der Höchstaltersgrenze in der KVdS, vermag der Senat dem aus den dargelegten Gründen nicht zu folgen.
Dahinstehen kann, ob die sog "Zehnjahrestheorie" der Spitzenverbände der Krankenkassen (Rundschreiben aaO), auf die sich die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid berufen hat, mit dem Gesetz in Einklang steht.
Die Einführung der gesetzlichen Höchstaltersgrenze verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz - GG -). Die Grenze orientiert sich an typischen Geschehensabläufen. Sie ist sachgerecht und geeignet, die Ziele des Gesetzgebers zu verwirklichen. Ausnahmefälle hat der Gesetzgeber in ausreichendem Umfang berücksichtigt (Senatsurteile vom 19.08.1992 - L 4 Kr 70/90 - und vom 14.10.1992 - L 4 Kr 69/90 -). Auch im übrigen begegnet § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (Senatsurteil vom 25.01.1991 aaO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).