Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 13.08.1996, Az.: 1 Ss 180/96
Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer strafrechtlichen Verurteilung wegen Meineids zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 13.08.1996
- Aktenzeichen
- 1 Ss 180/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 24889
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1996:0813.1SS180.96.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- StA Bückeburg - 13.02.1996 - AZ: 34 Js 2410/94
Rechtsgrundlage
- § 157 Abs. 1 StGB
Fundstelle
- NJW 1997, 1084-1085 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Meineid
In der Strafsache
...
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die Revision der Staatsanwaltschaft gegen
das Urteil des Schöffengerichts bei dem Amtsgericht Bückeburg vom 13. Februar 1996
in der Sitzung vom 13. August 1996,
an der teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Oberlandesgerichts ... als Vorsitzender,
Richter am Oberlandesgericht ...
Richter am Oberlandesgericht ... als beisitzende Richter,
Staatsanwalt ... als Beamter der Generalstaatsanwaltschaft,
Justizamtsinspektorin ... als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenauspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an ein anderes Schöffengericht in Bückeburg zurückverwiesen.
Gründe
Das Schöffengericht in Bückeburg hat die Angeklagte wegen Meineids zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Dagegen richtet sich die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Die Revision hat Erfolg.
Nach den - insoweit in Rechtskraft erwachsenen - Feststellungen sagte die Angeklagte am 12.04.1994 in der Hauptverhandlung in einem Strafverfahren gegen den damaligen Angeklagten L. als Zeugin unter Eid die Unwahrheit. Dem damaligen Angeklagten L. war zur Last gelegt worden, er habe am 09.01.1994 in fahruntüchtigem Zustand als Fahrer seines PKW einen Verkehrsunfall mit erheblichem Sachschaden und unter Gefährdung der jetzigen Angeklagten verursacht. Als Zeugin erklärte die jetzige Angeklagte jedoch nach Belehrung gem. § 55 StPO in der damaligen Hauptverhandlung, nicht L., sondern sie selbst habe am Steuer gesessen. Sie wurde bezüglich dieser Aussage vereidigt. Der damalige Angeklagte L. wurde gleichwohl wegen Vergehens gegen § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 2 StGB verurteilt, weil das Gericht ihn aufgrund der Aussagen anderer Zeugen als überführt betrachtete und die Aussage der jetzigen Angeklagten als falsch ansah.
Das angefochtene Urteil hat die Aussage der jetzigen Angeklagten als Verwirklichung des § 154 StGB gewertet, der Angeklagten jedoch unter Anwendung des § 157 Abs. 1 StGB eine Strafmilderung wegen Aussagenotstands zugebilligt. Zwar sei - so ist ausgeführt worden - die Angeklagte zum Aussagezeitpunkt keine Angehörige, insbesondere nicht die Verlobte L.s gewesen. Dies schon deswegen nicht, weil er zum damaligen Zeitpunkt noch mit einer anderen Frau verheiratet gewesen sei. Doch habe sie - wie auch heute noch - mit ihm in eheähnlicher Gemeinschaft zusammengelebt. Deshalb sei § 157 Abs. 1 StGB entsprechend anzuwenden.
Die Rechtsmittelbeschränkung der Staatsanwaltschaft, die die analoge Anwendung des § 157 Abs. 1 StGB für fehlerhaft hält, ist wirksam. Zwar wird § 157 StGB allgemein als Vorschrift angesehen, die vor allem dem Gesichtspunkt geminderter Schuld - in formalisierter Form - wegen einer notstandsähnlichen Lage Rechnung trägt (OLG Braunschweig NStZ 1994, 344 [OLG Braunschweig 29.12.1993 - Ss 75/93]; Schönke/Schröder/Lenckner, StGB, 21. Aufl., § 157 Rn. 11; SK-Rudolphi, § 157 Rn. 1). Derartige strafmildernde Umstände werden häufig eine auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Urteilsanfechtung ausschließen. Eine Rechtsmittelbeschränkung wird aber dann als zulässig angesehen, wenn die Umstände in besonderen Eigenschaften oder Verhältnissen des Täters liegen, wie etwa in Umständen gem. § 213 StGB (KK-Pikart, StPO, 3. Aufl., § 344 Rn. 10). Im vorliegenden Fall geht es allein um, die Berücksichtigung des § 157 Abs. 1 StGB für die Situation der nichtehelichen Lebensgemeinschaft.
In der Sache tritt der Senat der Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft bei. In der Lehre wird allerdings teilweise die analoge Anwendung des § 157 Abs. 1 StGB auf nichteheliche Lebensgemeinschaften befürwortet (LK-Tröndle, StGB, 10. Aufl., § 11 Rn. 9; SK-Rudolphi, § 157 Rn. 1; Krümpelmann/Heusel JR 1987, 41; Ostendorf JZ 1987, 338; Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft und Angehörigenbegriff im Straf- und Strafprozeßrecht, 1990, S. 137). Einer Analogie stehen jedoch methodologische Erwägungen entgegen. Sie setzte voraus, daß das Gesetz eine planwidrige Lücke enthielte, die dann der Richter durch Anwendung von Rechtsgedanken, die der Gesamtrechtsordnung innewohnen, schließen könnte. Das ist hier nicht der Fall. Bei der Schaffung des geltenden § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB, der den Begriff des Angehörigen definiert, war im Gesetzgebungsverfahren die Frage diskutiert worden, ob auch nichteheliche Lebensgemeinschaften in den Kreis der in der Vorschrift genannten Personen aufgenommen werden sollten. Der Gesetzgeber hat sich jedoch bewußt dazu entschlossen, dies nicht zu tun und die Definition des Angehörigen im 2. StrRG vom 04.07.1969 in der heute geltenden Form des § 11 StGB getroffen, während durch dasselbe Gesetz in § 35 StGB ausdrücklich auch die "nahestehende Person" aufgenommen wurde. (Protokolle des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform IV, S. 610 ff; BT-Drs.V/4095 S. 4, 7). Im Jahre 1974 wurde dann durch das EGStGB u.a. auch § 157 StGB geändert, jedoch in dieser Vorschrift eine Erweiterung auf "nahestehende Personen" nicht vorgenommen. Obwohl der Gesetzgeber also die Problematik der Privilegierung "nahestehender Personen" in Verbindung mit dem Begriff des Angehörigen kannte, hat er § 157 StGB auf diesen Personenkreis nicht ausgedehnt.
Es kann dahinstehen, ob sachlich gegen die Einbeziehung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft in den Kreis der Personen gem. § 157 Abs. 1 StGB - wie das BayObLG NJW 1986, 202 [BayObLG 25.06.1985 - RReg. 4 St 60/85] und das OLG Braunschweig a.a.O. - meinen, in erster Linie das Erfordernis der Rechtssicherheit spricht, weil nur der formalisierte Angehörigenbegriff eine feste Abgrenzung zulasse. Dagegen könnte eingewandt werden, daߧ 35 StGB, der nicht nur eine Strafmilderung, sondern - obligatorisch - den Freispruch des Angeklagten von diesem Umstand abhängig macht, erst recht auf den Begriff der "nahestehenden Person" verzichten müßte, was er aber gerade nicht tut. Ein entscheidendes Argument gegen die Einbeziehung nichtehelicher Lebensgemeinschaften in den Kreis der Personen gem. § 157 StGB ist aber jedenfalls der Umstand, daß der Gesetzgeber den Anwendungsbereich der Vorschrift bewußt formalisiert hat. Es war dem Gesetzgeber klar, daß unter Umständen trotz des formellen Bestehens der Angehörigeneigenschaft eine innere Verbundenheit mit einem Angehörigen, die für die Aussageperson das Motiv für die Falschaussage bilden kann, im Einzel fall auch einmal fehlen kann, etwa im Falle des geschiedenen Ehegatten. Trotzdem soll nach dem Willen des Gesetzgebers auch in einem solchen Fall § 157 StGB anwendbar sein. Diese Formalisierung kann nicht dadurch überspielt werden, daß durch richterliche Entscheidung nichteheliche Lebenspartner und andere nahestehende Personen wegen möglicher tatsächlicher Konfliktlagen in den Kreis der Personen gem. § 157 StGB einbezogen werden. Der Senat folgt demgemäß jenen Entscheidungen und jenen Stimmen in der Lehre, die eine analoge Anwendung des § 157 StGB auf nichteheliche Lebensgemeinschaften ablehnen (BayObLG a.a.O.; OLG Braunschweig a.a.O.; Lackner/Kühl, StGB, 21. Aufl., § 157 Rn. 9; Schönke/Schröder/Lenckner, StGB, 24. Aufl., § 157 Rn. 6).
Ob im vorliegenden Fall wegen des bei der Angeklagten möglicherweise bestehenden Motivationsdrucks zugunsten ihres Lebenspartners ein minder schwerer Fall des Meineids (§ 154 Abs. 2 StGB) anzunehmen ist, wird der Tatrichter anhand aller strafzumessungsrelevanten Umstände zu entscheiden haben.