Sozialgericht Oldenburg
Urt. v. 16.11.2021, Az.: S 37 AS 1268/19
digital; digitale Medien; elektronisch; elektronisches Wörterbuch; Lernmittelfreiheit; Mehrbedarf; Persönlicher Schulbedarf; Schulbücher; Wörterbuch
Bibliographie
- Gericht
- SG Oldenburg
- Datum
- 16.11.2021
- Aktenzeichen
- S 37 AS 1268/19
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2021, 70759
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 20 Abs 1 SGB 2
- § 21 Abs 6 S 1 SGB 2
- § 21 Abs 6 S 2 SGB 2
- § 21 Abs 6 SGB 2
- § 28 Abs 3 SGB 2
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Der Härtefallmehrbedarf für Schulbücher, die Schüler mangels Lernmittelfreiheit selbst kaufen müssen, erfasst auch digitale Schulbücher, sofern diese digitalen Medien eine unmittelbar schulbuchersetzende Funktion haben.
Tenor:
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 2. Oktober 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2019 verurteilt, an die Klägerin für die Kosten der Anschaffung eines elektronischen Wörterbuches 138,95 € zu zahlen.
Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten für die Anschaffung eines elektronischen Wörterbuches.
Die H. 2003 geborene Klägerin steht gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren beiden Geschwistern im ergänzenden Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit Bescheid vom 5. September 2019 bewilligte der Beklagte der Klägerin und den weiteren Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II für die Zeit von September 2019 bis August 2020 in Höhe von monatlich insgesamt 691,91 €, wobei 86,63 € im Monat auf die Klägerin entfielen. Mit den Änderungsbescheiden vom 29. Oktober 2019 und 23. November 2019 bewilligte der Beklagte der Klägerin für die Monate August 2019 und Januar bis August 2020 weitere Leistungen. Mit Bescheid vom 5. September 2019 bewilligte der Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 1. September 2019 bis zum 31. August 2020 Leistungen zur Ausstattung mit persönlichem Schuldbedarf zum 1. Februar 2020 in Höhe von 50,- € und zum 1. August 2020 in Höhe von 100,- €. Mit Bescheid vom 10. September 2019 bewilligte der Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 1. September 2018 bis 31. August 2019 Leistungen zur Ausstattung mit persönlichem Schuldbedarf zum 1. August 2019 in Höhe von 100,- €.
Die Klägerin besuchte im Jahr 2019 die 11. Klasse der Berufsbildenden Schulen I. (BBS) in J.. Im September 2019 wurde die Mutter der Klägerin aufgefordert, für den Sprachunterricht des folgenden Schuljahres ein elektronisches Wörterbuch des Modells Casio EW-G570 C zum Preis von 138,95 € im Wege einer Sammelbestellung anzuschaffen.
Mit Email vom 30. September 2019 bat die Mutter der Klägerin den Beklagten um Erstattung der Kosten in Höhe von 138,95 €.
Mit Bescheid vom 2. Oktober 2019 lehnte der Beklagte die Übernahme der Kosten für das elektronische Wörterbuch ab. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass die begehrte Erstattung der Kosten für das Wörterbuch bereits als Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf Teil der Leistungen für Bildung und Teilhabe nach § 28 SGB II sei. Die Leistungen zur Teilhabe seien der Klägerin bereits mit Bescheid vom 10. September 2019 für den Monat August 2019 bewilligt worden.
Hiergegen legte die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, am 24. Oktober 2019 Widerspruch ein. Zur Begründung führte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin aus, dass der Beklagte zur Erstattung der Kosten für die Anschaffung eines elektronischen Wörterbuches verpflichtet sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 2019 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung vertiefte der Beklagte seine Ausführungen aus dem Ablehnungsbescheid. Zwar läge der Betrag für das elektronische Wörterbuch in Höhe von 138,95 € oberhalb der Schulbedarfspauschale von 100 €. Es sei insoweit jedoch zu berücksichtigen, dass die Kosten für das elektronische Wörterbuch nicht erneut anfallen würden, weil das Wörterbuch nur einmal für die gesamte Schulzeit zu beschaffen sei und für die folgenden Schuljahre erneut Anspruch auf die Gewährung der Pauschale bestehe. Da die Kosten für das elektronische Wörterbuch bereits nach § 28 Abs. 3 SGB II erfasst seien, liege kein Mehrbedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II vor. Es handele sich bei den Kosten überdies auch nicht um einen laufenden Bedarf. Sie müssten daher unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten bzw. der Bedarfsgemeinschaft gedeckt werden.
Hiergegen hat die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, am 19. November 2019 Klage vor dem Sozialgericht Oldenburg erhoben. Zur Begründung bezieht sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin insbesondere auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 8. Mai 2019 zur Erstattung von Kosten für die Anschaffung von Schulbüchern. Die Klägerin sei ohne das elektronische Wörterbuch nicht in der Lage, an dem Schulunterricht in der erforderlichen Form teilzunehmen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 2. Oktober 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2019 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin die Kosten für die Anschaffung eines elektronischen Wörterbuches in Höhe von 138,95 € zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung vertieft der Beklagte sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und führt ergänzend aus, dass es im Hinblick auf die Anschaffung eines elektrischen Wörterbuches an einer strukturellen Ungleichbehandlung fehle.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- sowie die beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 2. Oktober 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Oktober 2019 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 2. Oktober 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2019. Inhaltlich geht es um das Begehren der Klägerin auf Übernahme der Kosten für die Beschaffung eines elektronischen Wörterbuches in Höhe von 138,95 €, das für das Schuljahr 2019/2020 angeschafft werden musste.
Die Klägerin, die im vorliegend relevanten Zeitraum leistungsberechtigt nach dem SGB II gewesen ist, hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Übernahme der Beschaffungskosten für ein elektronisches Wörterbuch in Höhe von 138,95 €.
Die Klägerin war insbesondere im September 2019, in dem die Mutter der Klägerin die Übernahme der Kosten für das elektronische Wörterbuch bei dem Beklagten beantragt hat, leistungsberechtigt nach § 7 Abs. 1 SGB II. Danach erhalten Personen nur Leistungen nach dem SGB II, wenn sie das 15. Lebensjahr vollendet haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und der gewöhnliche Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland besteht. Die Klägerin hatte das 15. Lebensjahr vollendet, war erwerbsfähig und hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik. Die Klägerin war überdies auch hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II, da sie ihren Lebensunterhalt in dieser Zeit nicht ausreichend aus dem ihr zur Verfügung stehenden Einkommen in Gestalt der Waisenrente in Höhe von monatlich 160,93 € und dem Kindergeld in Höhe von 204,- € sichern konnte und sie die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhalten hat. Ihr wurden mit Bescheid vom 5. September 2019 für die Zeit von September 2019 bis August 2020 Leistungen nach dem SGB II bewilligt.
Die Klägerin hat nach § 21 Abs. 6 SGB II, in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung vom 29. April 2019, gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für das elektronische Wörterbuch Casio EW-G 570 C in Höhe von 138,95 €. Nach § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II a.F. wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Dies ist vorliegend der Fall.
Bei den Kosten für das elektronische Wörterbuch handelt es sich insbesondere um einen besonderen Bedarf im Einzelfall. Ein Bedarf ist besonders, wenn er aufgrund der statistischen Durchschnittsbetrachtung auf Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zur Ermittlung der Bedarfe der Art nach durch die Leistungen des SGB II nicht erfasst wird, er atypischen Ursprungs oder in überdurchschnittlicher Höhe anfällt (BT-Drs. 17/1465 Seite 8). Die Kosten für die Anschaffung eines elektronischen Wörterbuches werden insoweit weder von den Leistungen zur Ausstattung von Schülerinnen und Schülern mit persönlichem Schulbedarf nach § 28 Abs. 3 SGB II noch von dem Regelbedarf nach § 20 Abs. 1 SGB II abgedeckt.
Nach § 28 Abs. 3 SGB II i.V.m. § 34 Abs. 3 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch erhalten Schülerinnen und Schüler zum Beginn des 1. Schulhalbjahres ergänzend 100 € und für das 2. Schulhalbjahr ergänzend 50 € zur Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf. Ausweislich der Gesetzesbegründung dient die Pauschale der Ergänzung des Regelbedarfes und soll weitergehende typische Bedarfslagen im Zusammenhang mit dem Schulbesuch abdecken. Die Anschaffung von Schulbüchern ist jedoch bereits vom Regelbedarf umfasst, soweit die Länder nicht ohnehin Lernmittelfreiheit gewähren (BT-Drs. 17/3404 Seite 104). Die Kosten zur Anschaffung von Schulbüchern ist damit grundsätzlich dem Regelbedarf zuzuordnen (BSG vom 08.05.2019 – B 14 AS 13/18 R, juris Rn. 15). Neben den Schulbüchern in gedruckter Form gilt dies nach der Auffassung der Kammer gleichermaßen auch für schulbuchersetzende elektronische Geräte. Auch diese sind nicht von der Pauschale für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf nach § 28 Abs. 3 SGB II erfasst, sondern dem Regelbedarf zuzuordnen, weil bei der insoweit maßgeblichen Ermittlung der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben in Abteilung 9 für Jugendliche von 14 bis unter 18 Jahren keine Unterscheidung zwischen analogen oder digitalen Medien vorgenommen worden ist. Unter der lfd. Nr. 62 zu dem Code 0951 000 waren Gegenstand der Nachweisung Bücher und Broschüren (einschließlich Downloads und Apps).
Leistungsempfänger können hinsichtlich der Kosten für die Anschaffung eines elektronischen Wörterbuches auch nicht auf den Regelbedarf nach § 20 SGB II oder die Gewährung eines Darlehens verwiesen werden, da der maßgebliche Bedarf bei der Ermittlung des Regelbedarfs nicht in strukturell realitätsgerechter Weise zutreffend erfasst worden ist. Der Bedarf für Schulbücher ist bei der Ermittlung des Regelbedarfs zwar der Art nach berücksichtigt worden. Er ist jedoch der Höhe nach strukturell unzutreffend erfasst für Schüler, die mangels Lehrmittelfreiheit in ihrem Bundesland ihre Schulbücher selbst kaufen müssen (BSG, Urteil vom 08. Mai 2019 – B 14 AS 13/18 R, juris Rn. 16). Die unzureichende Erfassung bestand auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (RBEG 2017) vom 22. Dezember 2016 einschließlich der Fortschreibungen im Jahr 2017 und 2018 weiter fort. Kosten für Schulbücher wurden im Rahmen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2013 unter O/27 zu Freizeit, Unterhaltung und Kultur – Bücher und Broschüren (einschließlich Downloads und Apps) abgefragt. Hiervon erfasst sind ausweislich der zugehörigen Ausfüllhinweise insbesondere Bücher (auch Schulbücher), Atlanten, Wörterbücher und Enzyklopädien (Statistisches Bundesamt, Fachserie 15, Heft 7, EVS 2013, erschienen 20. November 2017, S. 52, abrufbar unter www.destatis.de). Dem Gesetzentwurf des RBEG 2017 lässt sich entnehmen, dass bei der Regelbedarfsermittlung für Jugendliche von 14 bis unter 18 Jahren Kosten für die Anschaffung von Schulbüchern lediglich in Höhe von 2,55 € in der Abteilung Freizeit, Unterhaltung, Kultur zur lfd. Nr. 62 mit dem Code 0951 000 Berücksichtigung gefunden haben (BT-Drs. 18/9984 Seite 77). Dabei sind von der Bedarfsermittlung neben Büchern in gedruckter Form auch zugleich digitale Medien erfasst, da die EVS 2013 keine Unterscheidung zwischen analogen und digitalen Medien vorgenommen hat.
Der Bedarf zur Deckung der Kosten für die Anschaffung eines elektronischen Wörterbuches ist auch unabweisbar. Ein Mehrbedarf ist nach § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II a.F. unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Ein unabweisbarer Bedarf entsteht, wenn eine unaufschiebbare Investition notwendig wird, um im Einzelfall das menschenwürdige, soziokulturelle Existenzminimum zu sichern (Münder/Geiger, SGB II - Grundsicherung für Arbeitsuchende, SGB II § 21 Rn. 41). Notwendige Aufwendungen zur Erfüllung schulischer Pflichten gehören dabei grundsätzlich zum existenziellen Bedarf schulpflichtiger Kinder (BVerfG, Urteil vom 09. Februar 2010 – 1 BvL 1/09, juris Rn. 192). Sie sind unabweisbar, wenn die Schule die Unterrichtsmaterialien als zu beschaffende Eigenleistung verpflichtend vorgibt (BSG, Urteil vom 12. Mai 2021 – B 4 AS 88/20 R, juris Rn. 20). Ausweislich der schriftlichen Auskunft des Schulleiters der BBS vom 16. Juni 2021 ist die Anschaffung eines elektronischen Wörterbuchs und auch das konkrete Modell Casio EW-G 570 C von der Fachkonferenz Fremdsprachen Berufliches Gymnasium/Fachoberschulden in der Sitzung vom 6. März 2017 verbindlich festgelegt worden. In dem von dem Schulleiter übersandten Protokoll zur Sitzung vom 6. März 2017 heißt es unter TOP 5 – elektronisches Wörterbuch: „… Bei der Arbeit mit diesem Wörterbuch zeigten sich im Verlauf des Schuljahres deutliche Schwächen, sodass einstimmig beschlossen wird, ab dem Schuljahr 2017/2018 auf das umfangreichere und sowohl für das Abitur als auch für ggfs. anschließendes Studium deutlich besser geeignete Casio EW-G570C umzusteigen, dass auch von vielen anderen beruflichen Gymnasium der Umgebung genutzt wird.“.
Die Kosten für die Anschaffung des elektronischen Wörterbuches weichen zudem auch erheblich von dem durchschnittlichen Bedarf ab. Aufgrund der in Niedersachsen nicht bestehenden Lernmittelfreiheit ist der Bedarf an Schulbüchern in die EVS 2013 nur im geringen Umfang eingeflossen (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 11. Dezember 2017 – L 11 AS 1503/15, juris Rn. 27). Der Jahresbetrag für die im Regelbedarf nach dem RBEG 2017 berücksichtigten Verbrauchsausgaben beträgt 30,60 € und unterschreitet damit deutlich die hier streitbefangenen Kosten von 138,95 €.
Die Kosten für die Anschaffung des elektronischen Wörterbuches war für die Klägerin vorliegend auch nicht durch anderweitig verfügbare Mittel zu decken (BT-Drs. 17/1465 Seite 9). Dabei scheiden Einsparmöglichkeiten aufgrund der erheblichen Höhe der Kosten für das elektronische Wörterbuch vorliegend aus (Wietfeld, NZS 2019, 801, 803). Darüber hinaus kommen Einsparmöglichkeiten ohnehin nur in Betracht, wenn der streitgegenständliche Bedarf vom Regelbedarf hinreichend erfasst ist (BSG, Urteil vom 04. Juni 2014 – B 14 AS 30/13 R, juris Rn. 25). Auch vorrangige Zuwendungen Dritter existierten vorliegend nicht. Insbesondere bestanden nach der Auskunft des Schulleiters vom 16. Juni 2021 für die Klägerin keine Möglichkeit zur Ausleihe des Gerätes bei der Schule.
Es handelt sich bei dem Bedarf an Schulbüchern zudem auch um einen laufenden, nicht nur einmaligen Bedarf. Zur Abgrenzung mit einmaligen Bedarfen ist es insoweit erforderlich, dass der Bedarf innerhalb eines voraussehbaren Zeitraumes regelmäßig erneut auftrete (Wietfeld, NZS 2019, 801, 803). Dies ist bei Schulbüchern der Fall, da der Bedarf während der gesamten Schulzeit regelmäßig und absehbar in jedem Schuljahr erneut anfalle (BSG, Urteil vom 08. Mai 2019 – B 14 AS 13/18 R, juris Rn. 29). Dabei werden von dem Bedarf an Schulbüchern nach Auffassung der Kammer neben analogen Schulbüchern auch digitale Schulbücher erfasst, sofern diese digitalen Medien eine unmittelbar ersetzende Funktion haben. Für eine rein technische Betrachtungsweise in Bezug auf die unterschiedliche Funktionsweise bzw. der Handhabung von analogen und digitalen Büchern besteht kein sachlicher Grund. Aus der vorzugswürdigen bedarfsorientierten Betrachtungsweise besteht für den Leistungsempfänger kein Unterschied zwischen der Anschaffung eines analogen Wörterbuches und der Anschaffung eines digitalen Wörterbuches. Der abzudeckende Bedarf des jeweiligen Lernmittels – hier die Übersetzung – ist vielmehr identisch. In Abgrenzung zur Rechtsprechung des BSG zum Mehrbedarf zur Anschaffung eines Tablets als notwendige Voraussetzung für die Teilnahme am Schulunterricht (BSG, Urteil vom 12.05.2021 – B 4 AS 88/20 R) ist es erforderlich, dass das digitale Schulbuch eine unmittelbar schulbuchersetzende Funktion hat. Dabei muss die ersetzende Funktion im Vordergrund des technischen Gerätes stehen. Nicht ausreichend ist hingegen, wenn die schulbuchersetzende Funktion lediglich eine Funktion von vielen des Gerätes ist oder die schulbuchersetzende Funktion lediglich mittelbar durch das technische Gerät erfolgt. So unterfallen insbesondere technische Geräte wie Tabletts oder Laptops nicht dem Bedarf an Schulbüchern nach § 21 Abs. 6 SGB II a.F., da diese lediglich mittelbar mithilfe von weiteren Anwendungen die Funktion des Schulbuches ersetzen. In diesem Fall können allenfalls die ggfs. anfallenden Kosten für die unmittelbar schulbuchersetzenden Anwendungen vom laufenden Bedarf an Schulbüchern erfasst werden. Der Bedarf ist vorliegend auch nicht deshalb einmalig, da Kosten für ein elektronisches Wörterbuch nur einmal für die gesamte Schulzeit anfallen. Der laufende Bedarf ergibt sich nach der Rechtsprechung des BSG vielmehr daraus, dass prognostisch jedes Schuljahr ein wiederkehrender Bedarf an Schulbüchern im Allgemeinen entsteht (BSG, Urteil vom 08. Mai 2019 – B 14 AS 13/18 R, juris Rn. 29). Nicht erforderlich ist jedoch, dass der Bedarf des konkret anzuschaffenden – analogen oder digitalen – Buches in jedem Schuljahr neu entsteht. Andernfalls würden auch sämtliche gedruckten Bücher, die typischerweise nur einmal für die gesamte Schulzeit angeschafft werden – wie Formelsammlungen, Wörterbücher oder Atlanten – nicht von dem Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II erfasst werden.
Bei dem im Streit stehenden elektronischen Wörterbuch des Modells Casio EW-G 570 C handelt es sich um ein digitales Schulbuch mit unmittelbar schulbuchersetzende Funktion. Dabei steht die Funktion der Übersetzung im Vordergrund des Gerätes. Zusätzliche Funktionen, wie ein integrierten Taschenrechner, sind lediglich ergänzend und treten hinter der Hauptfunktion zurück. Nach den Herstellerinformationen enthält das Gerät die Inhalte der Wörterbücher von Pons, Oxford und Duden für die Sprachen Englisch, Französisch, Spanisch, Latein und Deutsch (abrufbar unter https://www.casio-europe.com/de/produkte/elektronische-woerterbuecher/ew-g570c/). Das Gerät verfügt über eine eigene ISBN-Nummer (ISBN-13: 978-3-941321-37-3) und insbesondere nicht über einen PC- oder Internetanschluss.
Der Anspruch auf Erstattung der Kosten für ein elektronisches Wörterbuch besteht vorliegend auch gegenüber dem Beklagten. Insoweit hat das BSG bereits entschieden, dass in der Sondersituation des vom Regelbedarf nicht zutreffend erfassten Bedarfes für Schulbücher, wenn keine Lernmittelfreiheit besteht, die Kosten durch die Jobcenter auf Grundlage des § 21 Abs. 6 SGB II zu übernehmen sind und diesen insoweit die Stellung eines „Ausfallbürgen“ zukomme (BSG, Urteil vom 08. Mai 2019 – B 14 AS 13/18 R, juris Rn. 31).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, § 144 Abs. 2 SGG. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn die zu treffende Entscheidung sich über den Einzelfall hinaus auswirkt (Breitenwirkung) und von der Antwort auf eine klärungsbedürftige Rechtsfrage abhängt. (Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 144 SGG (Stand: 05.11.2021), Rn. 31). Dies ist nach Auffassung der Kammer der Fall, da der Umfang des Mehrbedarfs für Schulbücher sowohl in der vorliegend anzuwendenden Fassung des § 21 Abs. 6 SGB II als auch für den mittlerweile neu eingeführten § 21 Abs. 6a SGB II eine über den Einzelfall hinausgehende allgemeine Bedeutung in wenigstens einer Mehrzahl weiterer Fälle hat.