Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 25.01.2007, Az.: 2 A 264/05

Ablehnung; Abschiebehindernis; Abschiebung; Asyl; Asylantrag; Asylbewerberleistung; Asylfolgeantrag; atypischer Sonderfall; Aufenthalt; Aufenthaltserlaubnis; Bemühung; Duldung; Ermessen; Festnahmebefehl; häusliche Gemeinschaft; Identitätspapier; Kind; Lebensunterhalt; minderjähriges Kind; Pass; Passbeschaffung; Passbeschaffungsmaßnahme; Regelversorgungsgrund; Sippenhaft; Sonderfall; Staatsangehörigkeitspapiere; Syrien; verbotene kurdische Organisation

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
25.01.2007
Aktenzeichen
2 A 264/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 71965
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Minderjährige Kinder, die mit ihren Eltern, die Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 3 AufenthG haben, in häuslicher Gemeinschaft leben, haben trotz Vorliegens eines Regelversorgungsgrundes nach § 5 Abs. 1 AufenthG einen Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 AufenthG.

Tatbestand:

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Die 1994 und 1995 geborenen Kläger zu 1.) und 2.) stammen aus Syrien; die Kläger zu 3.) und 4.) sind 1998 und 2000 in der Bundesrepublik geborenen. Nach ihren Angaben sind die Kläger staatenlos. Sie werden gesetzlich vertreten durch ihre in Syrien geborenen Eltern H. und G. C., mit denen sie in einem gemeinsamen Haushalt leben. Soweit ersichtlich bezieht die Familie Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

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Die Kläger zu 1.) und 2.) reisten gemeinsam mit ihren Eltern am 16. Januar 1997 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten hier Asylanträge. Die Kläger zu 3.) und 4.) stellten jeweils nach ihrer Geburt Asylanträge. Sämtliche Asylanträge wurden abgelehnt, dagegen gerichtete Klagen blieben erfolglos. Die Kläger zu 1.) bis 3.) - für die Klägerin zu 4.) war das Asylerstverfahren noch nicht abgeschlossen - und deren Eltern stellten am 29. November 2000 Asylfolgeanträge. Sie legten einen Festnahmebefehl der Polizeistation in Kamishli vom 17. Mai 1997 vor, wonach der Vater der Kläger wegen seiner Zugehörigkeit zu einer verbotenen kurdischen Organisation zu einer Gefängnisstrafe von 5 Jahren verurteilt worden und deshalb festzunehmen sei. Die Eltern der Kläger gaben an, diesen Festnahmebefehl erst im Juli 2000 erhalten zu haben. Nach Überprüfung der Echtheit des Dokuments stellte daraufhin das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 19. Februar 2002 fest, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK hinsichtlich Syriens im Fall der Eltern der Kläger vorliegt. Für den Vater der Kläger bestehe wegen drohender Überweisung an den syrischen Geheimdienst die Gefahr der Folter. Gleiches drohe der Mutter der Kläger unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft. Das Asylverfahren könne nicht wieder aufgegriffen werden, weil die Eltern der Kläger den Folgeantrag nicht innerhalb der Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG gestellt hätten. Die Anträge der Kläger wurden mit Bescheiden vom 19. Februar 2002 insgesamt abgelehnt. Als minderjährigen Kindern drohe ihnen anders als ihrer Mutter eine Verfolgung unter Sippenhaftgesichtspunkten nicht. Gegen die Bescheide vom 19. Februar 2002 gerichtete Klagen der Kläger wurden zurückgenommen, diejenige ihrer Eltern durch rechtskräftiges Urteil der erkennenden Kammer vom 14. Oktober 2003 (2 A 2072/02) abgewiesen.

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Am 7. November 2003 beantragten die Kläger bei der Beklagten, ihnen Aufenthaltsbefugnisse zu erteilen. Im März 2005 kündigte der Beklagte an, nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes nunmehr den Eltern der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG und den Klägern eine solche nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen. Im Fall der Kläger sei jedoch zuvor der Nachweis der Staatenlosigkeit zu erbringen. Daraufhin beantragten die Kläger am 6. April 2005 ausdrücklich, ihnen Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen. Die geforderten Nachweise erbrachten die Kläger nicht. Es sind auch keine Bemühungen dokumentiert, aus denen sich ergibt, dass sie versucht hätten, sich um offizielle syrische Dokumente zu bemühen. Lediglich eine Bürgermeisterbescheinigung vom 18. Juli 2000 findet sich in den Akten, aus der sich ergibt, dass dem Bürgermeister des Allewa Viertels der Vater der Kläger persönlich bekannt ist.

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Mit Bescheiden vom 14. Juni 2005 erteilte der Beklagte den Eltern der Kläger, die bis dahin Duldungen erhalten hatten, zunächst befristet bis zum 31. Dezember 2005, Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 3 AufenthG. Auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung besitzen die Eltern der Kläger entsprechende Aufenthaltserlaubnisse.

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Den Antrag der Kläger, die seit ihrer Einreise bzw. ihrer Geburt ebenfalls Duldungen erhalten hatten, auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 22. Juni 2005 ab. Sie erfüllten zwar die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG, nicht aber die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG, weil sie keine gültigen Nationalpässe besäßen. Zwar könne von diesen Voraussetzungen gemäß § 5 Abs. 3 AufenthG abgesehen werden; hierzu bestehe jedoch kein Anlass, weil die Kläger bisher Nachweise über ihre Identität nicht vorgelegt und zumutbare Anstrengungen, diese zu erlangen, nicht unternommen hätten.

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Hiergegen haben die Kläger am 28. Juni 2005 Klage erhoben.

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Zur Begründung führen sie unter Beifügung von Lebensläufen ihrer Eltern im Wesentlichen an, sie seien staatenlos. Zwar besäßen jedenfalls die Kläger zu 1.) und 2.) nach den einschlägigen syrischen Staatsangehörigkeitsbestimmungen die syrische Staatsangehörigkeit, weil sie als Kinder von Eltern, deren Staatsangehörigkeit unbekannt oder die staatenlos seien, in Syrien geboren seien. Die syrische Rechtspraxis sei jedoch eine andere. Aufgrund dieser Praxis würden ihnen Staatsangehörigkeitspapiere vorenthalten. Um in den Besitz solcher Papiere gelangen zu können, müssten sich ihre Eltern identifizieren und nachweisen, dass sie sich zum Zeitpunkt der Geburt der Kinder legal in Syrien aufgehalten haben. Sie müssten ferner eine Geburtsurkunde vorlegen und ohne jeden Zweifel beweisen, dass ihnen ihre Staatsangehörigkeit nicht bekannt ist oder sie staatenlos sind. Dies sei ihren Eltern jedoch infolge der Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht zuzumuten.

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Die Kläger beantragen,

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den Bescheid des Beklagten vom 22. Juni 2005 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihnen Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er erwidert, zwar bestehe sowohl nach § 32 wie auch nach § 25 Abs. 5 AufenthG grundsätzlich ein Anspruch der Kläger auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen. Im Ergebnis stehe diesem Anspruch jedoch § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1 a entgegen, der allgemeine Erteilungsvoraussetzungen aufstelle, die für alle Aufenthaltstitel gelten würden. Der Lebensunterhalt der Kläger sei nicht gesichert und sie besäßen keine Identitätspapiere und hätten auch ihre angebliche Staatenlosigkeit nicht nachgewiesen. Eine Ausnahme nach § 5 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz AufenthG komme nicht in Betracht, da die Kläger zumutbare Anstrengungen, sich um Identitätspapiere zu bemühen, nicht nachgewiesen hätten. Aus den vorgelegten Lebensläufen ergebe sich, dass ihre Großeltern noch in Syrien lebten. Es sei ihnen daher möglich und zumutbar, über diese Verwandten Auszüge aus den Personenstandsregistern bzw. Identitätsnachweise zu beschaffen. Darüber hinaus bestehe die Möglichkeit, einen in Syrien ansässigen Rechtsanwalt mit der Beschaffung der entsprechenden Nachweise zu beauftragen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagte verwiesen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 22. Juni 2005 ist rechtswidrig und die Kläger haben Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

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Die Kläger erfüllen, was auch der Beklagte zugesteht, die speziellen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG. Ihre Abschiebung würde gegen Art. 6 Abs. 1 und Art. 8 EMRK verstoßen, so dass sie aus rechtlichen Gründen unmöglich ist. Dieses Abschiebungshindernis ist unverschuldet, so dass die Sonderregelung des § 25 Abs. 5 Satz 4 AufenthG auf die Kläger keine Anwendung findet. Da sie seit mehr als 18 Monaten im Besitz von Duldungen sind, ist das Ermessen des Beklagten begrenzt und in der Regel („soll“) zugunsten der Kläger auszuüben.

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Daneben sind, ohne das dies in Anbetracht der Tatsache, dass der Beklagte sich für seine Entscheidung allein auf § 5 Abs. 1 AufenthG beruft, näher auszuführen ist, auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 32 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 29 Abs. 3 AufenthG erfüllt. Die familiäre Lebensgemeinschaft kann infolge der Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK für die Eltern der Kläger nicht in Syrien hergestellt werden (vgl. Tz. 29.3.1.2 der Nds. VV zum AufenthG).

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Nicht festhalten lässt sich an der noch im PKH-Beschluss vom 9. Mai 2006 vertretenen Rechtsauffassung, den Klägern zu 3.) und 4.) stehe ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG zu. Danach ist einem Kind, das im Bundesgebiet geboren wird, abweichend von §§ 5 und 29 Abs. 1 Nr. 2 von Amts wegen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn die Mutter eine Aufenthaltserlaubnis besitzt. Unabhängig von der im Beschluss aufgeworfenen Frage der Verfassungsgemäßheit der Bestimmung findet sie, worauf der Beklagte zu Recht hinweist, nur Anwendung, wenn die Mutter im Zeitpunkt der Geburt eine Aufenthaltserlaubnis besaß. Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus § 33 Satz 2 AufenthG, der es auch genügen lässt, wenn die Mutter im Zeitpunkt der Geburt im Besitz eines Visums ist oder sich visumsfrei aufhalten darf (Ebenso: Nds. VV Tz. 33.2; Renner, AuslR, 8. Aufl., § 33 Rn. 3). Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben.

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Anders als im Fall des § 33 AufenthG müssen sowohl für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 32 Abs. 1 wie auch nach § 25 Abs. 5 AufenthG zusätzlich die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG erfüllt sein (Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl.,(§ 32 Rn. 7 und § 25 Rn. 9 und 23). Diese Vorschrift steht indes der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen an die Kläger nicht entgegen.

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Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird und der Lebensunterhalt gesichert ist. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 a AufenthG ist weitere Voraussetzung, dass die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist. Da die Kläger, anders als ihre Eltern, nicht Anspruch auf einen Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 3 AufenthG haben, kann von der Anwendung des § 5 Abs. 1 AufenthG nicht gemäß § 5 Abs. 3 AufenthG abgesehen werden.

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Der Lebensunterhalt der Kläger, die wie ihre Eltern Sozialleistungen beziehen, ist nicht gesichert. Ebenso wenig ist ihre Staatsangehörigkeit geklärt. Dennoch kann § 5 Abs. 1 AufenthG ihnen nicht entgegengehalten werden. Denn es liegt eine Ausnahme von den Regelversagungsgründen vor.

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Ein solcher atypischer Sonderfall ist anzunehmen, wenn die Versagung der Aufenthaltserlaubnis mit verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen nicht vereinbar wäre. Dazu gehört vor allem der nach Art. 6 Abs. 1 GG grundrechtlich gebotene Schutz von Ehe und Familie (BVerwG, Beschluss vom 26.3.1999 -1 B 28.99-, InfAuslR 1999, 332 [BVerwG 26.03.1999 - BVerwG 1 B 18.99; 1 PKH 4.99]; OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 2.11.2006 -11 ME 197/06- und vom 29.11.2006 -11 LB 127/06-, jeweils zitiert nach der Internetentscheidungssammlung des Gerichts). Auf diesen Schutz können sich die minderjährigen Kläger, die mit ihren Eltern in häuslicher Gemeinschaft leben, berufen. Es ist rechtlich ausgeschlossen, sie von ihren Eltern zu trennen, wie es ihrer Familie insgesamt auch nicht zuzumuten ist, die familiäre Lebensgemeinschaft in Syrien herzustellen. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen zu § 32 und § 29 AufenthG Bezug genommen. Diese verfassungsrechtliche Bindung erfasst sowohl den Regelversagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 1 (gesicherter Lebensunterhalt) wie auch den des § 5 Abs. 1 Nr. 1 a (Klärung der Staatsangehörigkeit) AufenthG. Im Ergebnis kommt es damit für den Anspruch der Kläger auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis weder auf den Bezug von Asylbewerberleistungen noch darauf an, dass ihre Staatsangehörigkeit ungeklärt ist und sie nichts zur Beschaffung von Identitätspapieren beigetragen haben.

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Unabhängig davon wirft der Beklagte den Klägern zu Unrecht vor, sie hätten nichts zur Klärung ihrer Staatsangehörigkeit dargetan. Zwar haben sie bzw. ihre gesetzlichen Vertreter, deren Verhalten sie sich zurechnen lassen müssen, keine Bemühungen unternommen, in den Besitz syrischer Identitätspapiere zu gelangen. Derartige Bemühungen können von ihnen jedoch nicht verlangt werden, weil sie entweder nutzlos oder unzumutbar sind.

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Die Kläger zu 3.) und 4.) sind in der Bundesrepublik Deutschland geboren. Nach dem vom Beklagten vorgelegten syrischen Gesetz Nr. 276 vom 24. November 1969 zur Regelung der Staatsangehörigkeit ist Voraussetzung für die Annahme einer syrischen Staatsangehörigkeit, dass jemand in Syrien als Kind von Eltern geboren wird, die unbekannter Staatsangehörigkeit oder staatenlos sind. Das trifft in ihrem Fall nicht zu, so dass die vom Beklagten verlangten Anstrengungen in ihrem Fall von vornherein nutzlos sind. Derartiges darf eine Behörde von Bürgern nicht verlangen (BVerwG, Beschluss vom 15.6.2006 -1 B 54/06-, zitiert nach juris).

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Im Übrigen, und das betrifft alle Kläger, ist es ihnen nicht zuzumuten, sich in Syrien um Identitätspapiere zu bemühen. Diese nach § 48 Abs. 3 AufenthG bestehende Beschaffungspflicht, die für die Kläger gemäß § 80 Abs. 4 AufenthG durch ihre Eltern zu erfüllen ist, besteht nur im Rahmen des Zumutbaren. Bei Anwendung von § 5 Abs. 1 AufenthG ist die Unzumutbarkeit der Passbeschaffung als atypischer Ausnahmefall anzusehen (Renner, a.a.O. § 5 Rn. 38, der sogar die Verursachung erheblicher Schwierigkeiten und eines ungewöhnlichen Zeitaufwandes bei der Beschaffung für ausreichend hält; ebenso: Bäuerle in: GK-AufenthG, § 5 Rn. 54). Für die Frage, wann eine Unzumutbarkeit in diesem Sinne vorliegt, kann auf die Rechtsprechung zu § 30 Abs. 3 AuslG a.F. bzw. § 25 Abs. 5 Satz 4 AufenthG zurückgegriffen werden. Danach ist unter Berücksichtigung aller Umstände und Besonderheiten des Einzelfalles zu entscheiden ob Passbeschaffungsmaßnahmen zumutbar sind (BVerwG, Beschlüsse vom 15.6.2006, a.a.O. und vom 16.12.1998 -1 B 105/98-, InfAuslR 1999, 110, jeweils zu § 30 Abs. 4 AuslG bzw. zur inhaltsgleichen Nachfolgevorschrift des § 25 Abs. 5 Satz 4 AufenthG).

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Dies vorausgesetzt, muss davon ausgegangen werden, dass Bemühungen der Kläger, sich Identitätspapiere von syrischen Behörden zu besorgen, mit enormen Schwierigkeiten verbunden, wenn nicht gar infolge klar rechtswidriger Verhaltensweisen der syrischen Behörden unmöglich sind. Der in der mündlichen Verhandlung anwesende Vater der Kläger hat glaubhaft und unwidersprochen Umstände dargelegt, die darauf schließen lassen, dass er ein unregistrierter Kurde, ein sog. ajnabi, aus Syrien ist. Dieser Personenkreis gilt in Syrien für die Behörden ungeachtet der staatsangehörigkeitsrechtlichen Situation als Ausländer. Dies ist Folge einer gegen das Gesetz erfolgenden Arabisierungspolitik des syrischen Staates. Für diesen Personenkreis und deren Familienangehörigen ist es faktisch unmöglich, Identitätspapiere aus Syrien zu erlangen (vgl. die Stellungnahme des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien an das VG Magdeburg vom 12. Juli 2005). Auch das Deutsche Orientinstitut geht davon aus, dass man in Syrien ohne Zivilregisternummer kein Personaldokument bekommen kann (Stellungnahme an das VG Wiesbaden vom 2. Juni 2006). Der Vater der Kläger hat als Unregistrierter eine derartige Zivilregisternummer indes nicht. Von derartigen Schwierigkeiten mit den Behörden ihres Heimatlandes selbst für syrische Staatsangehörige berichtet jüngst auch das Auswärtige Amt (Auskunft an das VG Magdeburg vom 8. Januar 2007). Ob es für die Kläger über einen Vertrauensanwalt in Syrien möglich ist, Identitätsnachweise zu beschaffen, kann auf sich beruhen. Die vom Gericht ausgewerteten Auskünfte und Stellungnahmen geben hierzu nichts her. Sinn macht ein solches Vorgehen, wenn überhaupt, nur, wenn die Ausländerbehörde den Anwalt mandatiert. Den Klägern kann ein entsprechendes Unterlassen daher nicht angelastet werden.

26

Schließlich fällt zugunsten der Kläger ins Gewicht, dass für ihre für sie handlungspflichtigen Eltern bindend ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK festgestellt worden ist. Ihnen droht ausweislich der vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 19. Februar 2002 getroffenen Feststellungen bei einer Rückkehr nach Syrien Folter. Der Sache nach lagen auch die Voraussetzungen für die Anerkennung der Eltern der Kläger als Asylberechtigte vor, da die den Eltern der Kläger drohende Verfolgung eine politische ist; zu einer entsprechenden Anerkennung ist es nur wegen Versäumung der Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG nicht gekommen. Sollten sich die Eltern der Kläger für diese in Syrien um Pass- und Identitätspapiere bemühen, müssten sie zwangsläufig ihre eigene Identität und ihren derzeitigen Aufenthalt angeben. Dies wäre auch erforderlich, wenn sie, wie der Beklagte es verlangt, über die Großeltern der Kläger oder einen Vertrauensanwalt in Syrien tätig werden würden. Eine solche, mit der Offenbarung persönlicher Daten verbundene Kontaktaufnahme ist jedoch einer Person, der von denselben staatlichen Behörden politisch motivierte Folter droht, ausnahmsweise nicht zumutbar. Jedenfalls sind erhebliche Schwierigkeiten bei der Beschaffung der Dokumente im Sinne der Meinung von Renner vorprogrammiert.

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Da die Klage Erfolg hat, hat der Beklagte gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.

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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.