Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 23.09.2014, Az.: 2 ARs 13/14

Zuständigkeit für die Amtsenthebung eines Schöffen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
23.09.2014
Aktenzeichen
2 ARs 13/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 26812
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2014:0923.2ARS13.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
GenStA Celle - AZ: 2 AR 268/14
LG Stade - AZ: 101 AR 8/14

Fundstellen

  • NStZ-RR 2015, 54-55
  • RohR 2015, 63
  • StraFo 2015, 26-27

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Für die Fragen wegen der Amtsenthebung eines Schöffen nach § 77 Abs. 3 Satz 3 GVG ist nicht der Vorsitzende der Strafkammer, der der betroffene Schöffe zugeteilt wurde, zuständig, sondern der Vorsitzende derjenigen Strafkammer, die durch den Geschäftsverteilungsplan mit der Zuständigkeit für diese Aufgabe betraut worden ist.

  2. 2.

    Das Verhalten eines Schöffen, das lediglich im Einzelfall die Besorgnis der Befangenheit begründet, reicht nicht aus, um ihn des Amtes zu entheben.

In dem Amtsenthebungsverfahren
betreffend die Schöffin E. T.,
wohnhaft S., E.-B.,
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf den Antrag des Vorsitzenden der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Stade nach Anhörung der Schöffin und der Staatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxx, die Richterin am Oberlandesgericht xxxxxx und den Richter am Amtsgericht xxxxxx am 23.09.2014
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Die Schöffin wird ihres Amtes als Schöffin enthoben.

  2. 2.

    Die Entscheidung ist unanfechtbar.

Gründe

I.

Mit Schreiben vom 30.07.2014 hatte die Schöffin T., die in dem Verfahren 1300 Ks 131 Js 30455/13 (3/14) als Ergänzungsschöffin geladen worden war, mitgeteilt, dass sie sich befangen fühle, weil sie sich Sorgen um die Unversehrtheit von Leib und Leben ihrer Person und ihrer Familienmitglieder mache. Außerdem mache sie sich Sorgen um ihre uneingeschränkte Bewegungsfreiheit, auch die ihrer Familie. Sie sehe sich daher daran gehindert, den Prozess unparteilich begleiten zu können und werde sich zu keinem anderen Urteil als einen Freispruch entschließen können. Mit Beschluss vom 04.08.2014 hat die 13. große Strafkammer des Landgerichts Stade als Schwurgericht diese Selbstablehnung der Ergänzungsschöffin T. für begründet erklärt. Der Vorsitzende der 13. großen Strafkammer hat die Sache daraufhin dem Vorsitzenden der 1. großen Strafkammer vorgelegt mit der Bitte um Prüfung einer Vorlage gemäß § 51 Abs. 1 GVG oder der Streichung von der Schöffenliste gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 1 GVG. Laut aktuellem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Stade ist die 1. große Strafkammer zuständig für Entscheidungen nach § 77 Abs. 3 Satz 2 GVG. Die Generalstaatsanwaltschaft hält den Antrag für begründet. Die Schöffin ist durch den Senat angehört worden und hat erklärt, es tue ihr leid, wenn sie durch ihr Handeln ihre Amtspflicht als Schöffin gröblich verletzt habe. Dies sei nicht ihre Absicht gewesen und sie bitte, ihr Handeln zu entschuldigen. Sorge und Angst um ihre Familie hätten sie gehindert, ihr Schöffenamt wahrzunehmen.

II.

Der Antrag des Vorsitzenden der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Stade ist zulässig und begründet. Die Schöffin war daher ihres Amtes zu entheben.

1. Der Vorsitzende der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Stade war für die Antragstellung zuständig. Nach § 51 Abs. 2 GVG ist für die Entscheidung auf Amtsenthebung eines Schöffen durch einen Strafsenat des Oberlandesgerichts auf Antrag des Richters beim Amtsgericht zu entscheiden. Aus den Gesetzesmaterialien zu dieser Vorschrift, die durch das Gesetz zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie in der Justiz und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 22.12.2010 eingeführt wurde (BGBl. I S. 2248, 2250), richtet sich die Zuständigkeit für die Antragstellung dann, wenn die beteiligte Schöffin oder der beteiligte Schöffe in einer Strafkammer tätig ist, nach § 77 Abs. 3 Satz 3 GVG (vgl. dazu BR-Drucksache 539/10, S. 21). Auch in der Kommentarliteratur wird dementsprechend für diese Fälle auf § 77 Abs. 3 Satz 3 verwiesen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 51 GVG Rdnr. 3; Karlsruher Kommentar-Barthe, StPO, 7. Aufl., § 51 GVG Rdnr. 3; Löwe-Rosenberg-Gittermann, StPO, 26. Aufl., § 51 GVG Nachtrag Rdnr. 7). Bei dem Vorsitzenden der Strafkammer nach § 77 Abs. 3 Satz 3 GVG handelt es sich nicht um den Vorsitzenden der Strafkammer, der der betreffende Schöffe zugeteilt wurde, sondern um den Vorsitzenden derjenigen Strafkammer, die durch den Geschäftsverteilungsplan mit der Zuständigkeit für diese Aufgabe betraut worden ist (vgl. dazu Kissel, GVG, 7. Aufl., § 51 Rdnr. 6, 7). Dies ergibt sich aus der Systematik und dem Sprachgebrauch des 4. Titels des GVG, wonach der Richter beim Amtsgericht nicht der Richter ist, der für die unter Beteiligung des Schöffen zu verhandelnden Strafsache zuständig ist, sondern der für Angelegenheiten dieser Art durch den Geschäftsverteilungsplan allgemein bestimmte Richter (vgl. dazu Kissel, a.a.O., Rdnr. 6). Zwar ist hier durch den Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Stade der 1. großen Strafkammer explizit nur die Zuständigkeit für Entscheidungen nach § 77 Abs. 3 Satz 2 GVG zugewiesen worden. Die Zuständigkeit einer Antragstellung nach § 51 GVG nach § 77 Abs. 3 Satz 3 GVG lässt sich jedoch als Annex der Zuständigkeit für Streichungen aus der Schöffenliste nach §§ 52 GVG i.V.m. 77 Abs. 3 Satz 2 GVG auffassen, da beide Maßnahmen sich gegenseitig ausschließen und daher bei der Prüfung der Möglichkeit einer Streichung eines Schöffen aus der Schöffenliste auch zu prüfen ist, ob gegebenenfalls die Voraussetzungen eines Amtsenthebungsverfahrens gegeben sind. Die Entscheidung, ob ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten ist oder eine Streichung von der Schöffenliste zu erfolgen hat, steht in einem Ausschließlichkeitsverhältnis zueinander und kann nur entweder in die eine oder in die andere Richtung getroffen werden. Daher kann die Regelung im Geschäftsverteilungsplan nur so ausgelegt werden, dass hier die gleiche Kammer mit beiden Entscheidungen betraut werden sollte.

Auch die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind erfüllt, insbesondere sind sowohl die betroffene Schöffin als auch die Staatsanwaltschaft angehört worden.

2. Der Antrag erweist sich auch als begründet. Die Schöffin hat ihre Amtspflichten gröblich verletzt. Eine zur Amtsenthebung führende gröbliche Verletzung von Amtspflichten ist nach Sinn und Zweck der Vorschrift dann anzunehmen, wenn der Schöffe ein Verhalten zeigt, das ihn aus objektiver Sicht eines verständigen Verfahrensbeteiligten ungeeignet für die Ausübung des Schöffenamtes macht, weil er nicht mehr die Gewähr bietet, unparteiisch und nur nach Recht und Gesetz zu entscheiden (vgl. dazu Kissel, a.a.O., § 51 Rdnr. 2). Dabei ist im Hinblick auf den Grundsatz des gesetzlichen Richters in besonderem Maße dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen (vgl. dazu BR-Drucksache 539/10 S. 21). Eine solche Pflichtverletzung liegt hier vor. Die Schöffin hat deutlich gemacht, dass sie jedenfalls in diesem Fall, für den sie geladen war, nicht unparteiisch und nur nach Recht und Gesetz entscheiden wird, sondern vielmehr in jedem Fall für einen Freispruch stimmen wird.

Im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist zwar zu beachten, dass das Verhalten eines Schöffen, das lediglich im Einzelfall die Besorgnis der Befangenheit begründet, nicht ausreicht, um ihn des Amtes zu entheben (vgl. dazu Kissel, a.a.O., Rdnr. 2). In einem solchen Fall bieten die Befangenheitsvorschriften ausreichende Reaktionsmöglichkeiten. Im vorliegenden Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich aus der Äußerung der Schöffin ergibt, dass sie allein aus der Presseberichterstattung Schlussfolgerungen im Hinblick auf eine Gefährdung ihrer Person und ihrer Familienangehörigen gezogen hat. Es ist daher zu befürchten, dass dies auch in Zukunft bei weiteren Fällen, in denen den Angeklagten Gewaltverbrechen zur Last gelegt werden, der Fall sein wird, etwa dann, wenn es sich um angeklagte Taten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität handelt. Es besteht daher die Befürchtung, dass die Schöffin auch in weiteren Fällen nicht unparteilich, sondern aus Sorge um sich und ihre Familienangehörigen zugunsten der Angeklagten ohne Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme entscheiden wird. Dies lässt sich mit den Pflichten einer ehrenamtlichen Richterin nicht vereinbaren und stellt, da es den Kernbereich der richterlichen Tätigkeit berührt, auch eine grobe Pflichtverletzung dar. Aus den genannten Gründen erweist sich die Amtsenthebung als das einzige geeignete, erforderliche und angemessene Mittel, um auf diese Pflichtverletzung zu reagieren.

Diese Pflichtverletzung hat die Schöffin auch vorsätzlich begangen. Zwar mag ihr nicht bewusst gewesen sein, dass damit eine grobe Pflichtverletzung vorliegt, die zur Amtsenthebung berechtigt. Dies lässt jedoch ihren Vorsatz nicht entfallen.

Soweit sie sich auf notstandsähnliche Gesichtspunkte beruft, nämlich auf die Sorge um eine Gefahr für sich selbst und für ihre Familienangehörigen, kann der Senat dahinstehen lassen, ob dies im Einzelfall unter besonders eingeschränkten Voraussetzungen die grobe Pflichtverletzung eines Schöffen rechtfertigen oder entschuldigen kann. Denn hier beruhte die Sorge der Schöffin allein auf einer allgemeinen Presseberichterstattung über das Verfahren und die Angeklagten und nicht etwa auf konkreten Vorkommnissen im Umfeld der Schöffin oder des Gerichts. Allein derartige allgemeine Gesichtspunkte können die Pflichtverletzung eines Schöffen schon im Ansatz weder entschuldigen noch etwa rechtfertigen.

Die Schöffin war daher ihres Amtes zu entheben.

3. Die Entscheidung ist unanfechtbar, § 51 Abs. 2 Satz 2 GVG.