Amtsgericht Hannover
Beschl. v. 24.09.2018, Az.: 903 IN 540/18 - 8
Bestimmung des Mittelpunkts der wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners für die örtliche Zuständigkeit des Insolvenzgerichts
Bibliographie
- Gericht
- AG Hannover
- Datum
- 24.09.2018
- Aktenzeichen
- 903 IN 540/18 - 8
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 62250
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
- § 3 Abs. 1 S. 1 InsO
Fundstellen
- InsbürO 2019, 154-155
- ZInsO 2018, 2419-2420
Tenor:
Das Amtsgericht Hannover erklärt sich für örtlich unzuständig und verweist das Verfahren auf Antrag gem. §§ 4 InsO, 281 ZPO an das örtlich zuständige
Amtsgericht Walsrode.
Gründe
I. Die Schuldnerin hat am 20.09.2018 beim Amtsgericht Hannover beantragt, das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen zu eröffnen. Die Schuldnerin ist die Muttergesellschaft der beiden Tochtergesellschaften ... Die selbst ist im Handelsregister Hannover unter der Nummer HRB ... eingetragen. Die Schuldnerin hat zudem beantragt, den Gruppengerichtsstand beim Amtsgericht Hannover zu begründen.
Die Schuldnerin verwendet als Geschäftsanschrift in Schriftverkehr und im Internet folgende Adresse: "...." Diese Anschrift auch als im Handelsregister vermerkt. An dieser Geschäftsanschrift befindet sich ein Büro, das durch die beiden Geschäftsführer benutzt wird. Auch die beiden Geschäftsführer sind in Walsrode aufhältig.
Auf Ihren Schreiben gibt die Schuldnerin folgende Steuernummer an: ...
Die Unterlagen der Schuldnerin werden grundsätzlich elektronisch geführt und sind daher von überall einsehbar. Der zentrale Posteingang ist allerdings in Walsrode. Dort wird die Post sortiert und eingescannt. Dort befindet sich auch der Server der Schuldnerin.
Die Schuldnerin mietet bei Bedarf auch Räumlichkeiten in Hannover an, wenn Besprechungsbedarf mit Kunden besteht.
Die Mitarbeiter der Schuldnerin werden zumeist bei den Tochtergesellschaften eingesetzt.
Die Schuldnerin ist der Ansicht, dass sich die Zuständigkeit des Amtsgerichts Hannover aus § 3 Abs. 1 S. 1 InsO ergebe, da die Gesellschaft dort ihren Registersitz hat. § 3 Abs. 1 S. 2 InsO sei nicht einschlägig, da die Gesellschaft überhaupt keinen Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit habe, da die Geschäftsführer und sämtliche Mitarbeiter nicht ortsgebunden arbeiteten.
II. Das Amtsgericht Hannover ist örtlich unzuständig.
1. Gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 InsO ist das Insolvenzgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Liegt der Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort, so ist gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 Inso ausschließlich das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk dieser Ort liegt. Dieser Gerichtsstand ist gegenüber dem allgemeinen Gerichtsstand nach § 3 Abs. 1 Satz 1 vorrangig (AG Essen, Beschl. v. 01.09.2009 - 166 IN 119/09, NZI 2009, 810; MünchKomm-InsO/Ganter/Lohmann, InsO, 3. Aufl. 2013, § 3 Rz. 4; Uhlenbruck/Pape, InsO, 14. Aufl. 2015, § 3 Rz. 3; Ahrens, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 3. Aufl. 2017, § 3 Rz. 4; Becker, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 3 Rz. 22).
Eine gesetzliche Definition des Mittelpunktes der wirtschaftlichen Tätigkeit gibt es nicht. Der Mittelpunkt einer wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners liegt in der Regel dort, von wo aus unmittelbar Geschäfte geschlossen werden (§ 21 Abs 1 ZPO). Das Zentrum der geschäftlichen Aktivitäten befindet sich an dem Ort, wo die tatsächliche Willensbildung innerhalb eines Unternehmens oder einer Gesellschaft stattfindet, also dort, wo die unternehmensleitenden Entscheidungen getroffen und in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden (so Uhlenbruck/Pape, InsO, 14. Aufl. 2015, § 3 Rz. 4; ähnlich Schmidt/Stephan, InsO, 19. Aufl. 2016, § 3 Rz. 7). Umstritten ist, ob auf den inneren Ort der Willensbildung oder den nach außen erkennbaren Ort abzustellen ist (vgl. dazu MünchKomm-InsO/Ganter/Lohmann, 3. Aufl. 2013, § 3 Rz. 10 mwN).
2. Nach diesen Grundsätzen ist das Amtsgericht Hannover, in dessen Bezirk der Registersitz liegt, nicht örtlich zuständig. Entgegen der Ansicht der Schuldnerin ist es nicht unmöglich, den Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit festzustellen. Zwar wird auch in der Literatur zutreffend darauf abgestellt, dass bei vielen wirtschaftlichen Tätigkeiten der Standort so gut wie keine Rolle spielt und dass sich die Wirtschaftsgüter mehr und mehr entmaterialisieren (so Becker, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 3 Rz. 26). Vorliegend lassen sich jedoch genügend hinreichende Indizien feststellen, um den Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit zu bestimmen.
Für den Rechtsverkehr tritt die Schuldnerin nach Außen mit einer Geschäftsanschrift in Walsrode auf. Sowohl auf den Schreiben als auch auf der Internetseite findet sich als Angabe der Geschäftsanschrift lediglich die Adresse in Walsrode. Die Schuldnerin wird zudem bei dem Finanzamt Soltau veranlagt, das für den Ort Walsrode zuständig ist. Dies ergibt sich aus den letzten vier Ziffern der vierstelligen Bundesfinanzamtsnummer, die die ersten Ziffern der Steuernummer der Schuldnerin darstellen. Die Endung ... ist als Nummer ... dem Finanzamt Soltau zugewiesen.
Die Schuldnerin unterhält nach den Angaben des Geschäftsführers ein Büro in Walsrode, das von den Geschäftsführern auch benutzt wird. Dass dieses Büro nicht nur untergeordnet Bedeutung hat, ergibt sich insbesondere daraus, dass nach den Angaben des angehörten Geschäftsführers die beiden Geschäftsführer Home-Office-Tage haben. Solche wären nicht erforderlich, wenn es keinen Geschäftssitz gäbe.
Auch die Post wird von der Schuldnerin zentral in Walsrode angenommen und dort weiterbearbeitet, um sie dann den übrigen Mitarbeitern elektronisch zugänglich zu machen. Schließlich befindet sich auch die zentrale Infrastruktur in Form des Servers in Walsrode.
Aufgrund dieser vorhandenen Anzeichen für einen wirtschaftlichen Mittelpunkt treten die Möglichkeiten der Mitarbeiter, die übrigen Arbeiten ohne örtliche Bedingung vorzunehmen, in den Hintergrund. Bei der Schuldnerin sind die Arbeiten noch nicht in einem solchen Grad digitalisiert, dass kein wirtschaftlicher Mittelpunkt der Tätigkeit ausgemacht werden könnte.
III. Die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts Hannover kann sich auch nicht aus dem Antrag auf Begründung eines Gruppengerichtsstands ergeben. Es kann dahingestellt bleiben, ob durch die Begründung eines solchen Gerichtsstandes ein zunächst unzulässiger Insolvenzantrag an dem eigentlich unzuständigen Gericht zulässig werden kann, da das Amtsgericht Hannover auch für den Gruppengerichtsstand nicht zuständig ist. Der Gruppengerichtsstand kann gemäß § 3a Abs. 1 S. 1 InsO nur bei den Gerichten begründet werden, bei denen der Schuldner einen Insolvenzantrag stellen kann. Dies ist, wie oben ausgeführt, nicht das Amtsgericht Hannover. Da der Niedersächsische Gesetzgeber bisher nicht von der Zentralisierungsvorschrift des § 2 Abs. 3 InsO Gebrauch gemacht hat, sind in Niedersachsen allein die gemäß § 3 InsO örtlich zuständigen Gericht auch örtlich zuständig für den Antrag auf Begründung des Gruppengerichtsstands.