Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 06.11.2013, Az.: 2 Ws 322/13

Zeit und Ort einer Tat als in aller Regel unverzichtbare Angaben zu ihrer Individualisierung in der Anklage

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
06.11.2013
Aktenzeichen
2 Ws 322/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 50370
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2013:1106.2WS322.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Verden - 01.10.2013 - AZ: 3 KLs 11/13
StA Verden - AZ: 536 Js 36143/12

Fundstellen

  • StRR 2014, 42
  • ZAP 2014, 192
  • ZAP EN-Nr. 96/2014

Amtlicher Leitsatz

Zeit und Ort einer Tat sind in aller Regel unverzichtbare Angaben zu ihrer Individualisierung in der Anklage. Trotzdem können diese Angaben entbehrlich sein, falls eine angeklagte Tat durch andere Einzelheiten unverwechselbar beschrieben und von anderen Handlungen unterscheidbar ist.

In der Strafsache
gegen J. W.,
geboren am xxxxxx 1962 in H.,
wohnhaft W., S.,
- Verteidiger: Rechtsanwalt K., W. -
wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen pp.
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxx, die Richterin am Oberlandesgericht xxxxxx und den Richter am Landgericht xxxxxx am 06.11.2013
beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss des Landgerichts Verden vom 01.10.2013 abgeändert, die Anklage der Staatsanwaltschaft Verden vom 08.07.2013 auch hinsichtlich der Anklagepunkte 1. und 2. zugelassen und auch insoweit das Hauptverfahren vor der 3. großen Strafkammer - Jugendschutzkammer - des Landgerichts Verden eröffnet.

Der Angeklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenklägerin.

Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).

Gründe

I.

Mit Anklage vom 08.07.2013 hat die Staatsanwaltschaft Verden dem Angeklagten u.a. zur Last gelegt, in zwei Fällen die am 31.03.1997 geborene N. W. als eine dem Angeklagten zur Erziehung anvertraute Person sexuell missbraucht und durch jeweils dieselbe Handlung eine sexuelle Handlung an ihr vorgenommen zu haben, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist.

Der konkrete Anklagesatz lautet insoweit:

"Zu. 1.:

Ab 01.12.2004 bis 1.5.2010 lebte die Familie W. in K., A. d. H. Frühestens einen Monat nach dem Einzug, aber noch vor Geburt des jüngsten Bruders C. am 31.10.2008 suchte der Angeschuldigte, als die Mutter zu Verwandten verreist war, N. in ihrem Zimmer auf, wo diese in ihrem Hochbett schlief. Der Angeschuldigte nahm die Bettdecke zur Seite, so dass N. erwachte, führte einen Finger in die Scheide des Mädchens ein und schob den Finger vor und zurück.

Zu 2.:

Wenige Tage später, als N. in der Wohnung in K. morgens den Frühstückstisch deckte, forderte der Angeschuldigte sie auf, sich mit dem Rücken auf seinen Bauch zu legen. Er führte einen Finger in ihre Scheide ein und bewegte ihn rein und raus."

Darüber hinaus hat die Staatsanwaltschaft drei weitere sexuelle Missbrauchshandlungen angeklagt, die im Mai 2010 und im April 2012 in später bewohnten Wohnungen begangen worden sein sollen.

Die Kammer hat mit dem angefochtenen Beschluss die Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich der Taten zu Ziff. 1 und 2. aus rechtlichen Gründen abgelehnt, weil der jeweils angegebene Tatzeitraum zu weitläufig und unbestimmt sei. Die jeweiligen Anklagevorwürfe seien in zeitlicher Hinsicht nicht annähernd hinreichend zu konkretisieren.

Hiergegen wendet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft. Sie ist der Auffassung, aufgrund der geschilderten Tatmodalitäten und auch des Randgeschehens sei eine ausreichende Konkretisierung der Taten erfolgt, die Eröffnung habe deshalb nicht abgelehnt werden dürfen.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt die uneingeschränkte Eröffnung des Hauptverfahrens vor der Jugendschutzkammer des Landgerichts Verden.

II.

Die gemäß §§ 210 Abs. 2, 311 StPO statthafte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig und begründet.

Die Taten zu Ziff. 1. und 2. aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Verden vom 08.07.2013 sind noch genügend konkretisiert.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu ausgeführt:

"Die Anklage hat die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (BGH st. Rspr., vgl. BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 3). Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll (BGHSt 40, 44, 45). Aufgabe der Anklageschrift ist demnach in erster Linie die Umreißung des geschichtlichen Vorganges, über den das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll (BGHSt 40, 44 f. m.w.N.).

Diesen Anforderungen wird die Anklage auch im Hinblick auf die Taten 1. und 2. gerecht. Hierbei sind sämtliche sexuellen Übergriffe des Angeklagten gegenüber seiner Stieftochter dargestellt worden, die sich in der Zeit von Anfang Januar 2005 bis zur Geburt des jüngsten Bruders der Geschädigten C. am 31.10.2008 in der Wohnung der Familie W. in K. ereignet haben sollen. Die Taten selbst wurden ausreichend präzise beschrieben, so dass der Angeklagte über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe unterrichtet und der Gegenstand des Verfahrens in persönlicher und sachlicher Hinsicht ausreichend konkretisiert war. Ob die Geschädigte präzisere Angaben zum Tatzeitraum hätte machen können oder gar müssen, ist in diesem Zusammenhang bedeutungslos."

Dem tritt der Senat bei und weist ergänzend auf Folgendes hin:

Zeit und Ort der Begehung der Tat, die in § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO besonders hervorgehoben werden, sind zwar wichtige Individualisierungsmerkmale, sie sind aber nicht unerlässlich, wenn sie nicht exakt feststellbar sind. Ist die Tat durch andere Tatumstände unverwechselbar bestimmt, kann die Angabe von Zeit und Ort sogar verzichtbar sein oder sich auf einen möglichst kurz zu bemessenden Zeitraum beschränken (LR-Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 200, Rz. 19). So liegt es hier, weil keine Serie gleich gelagerter Straftaten, sondern ausschließlich zwei unterscheidbare Handlungen geschildert werden.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung der §§ 465 Abs. 1, 472 Abs. 1 StPO.