Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 09.06.2023, Az.: 1 ORbs 22/23
Einfache Signatur bei Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde durch Einzelanwalt; Unzulässiger Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen fehlender Unterschrift
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 09.06.2023
- Aktenzeichen
- 1 ORbs 22/23
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2023, 55408
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2023:0609.1ORBS22.23.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hann. Münden - 25.11.2022 - AZ: 9 OWi 285 Js 5457/22
Rechtsgrundlagen
- § 32a Abs. 3 StPO
- § 32a Abs. 4 S. 1 Nr. 2 StPO
- § 32d S. 2 StPO
- § 110c S. 1 OWiG
- § 80 Abs. 3 OWiG
- § 45 Abs. 2 StPO
- § 473 Abs. 1 StPO
Fundstellen
- BRAK-Mitt 2023, 383-384
- BRAKMagazin 2024, 383-384
- DAR 2023, 712
- FA 2023, 176-177
- NJW-Spezial 2023, 511
- NStZ 2023, 639-640
- RENOpraxis 2023, 192-193
- StRR 2023, 23-25
- VRA 2023, 211
- VRA 2024, 33
- VRR 2023, 4
- VRR 2023, 19-20
- ZAP EN-Nr. 446/2023
- ZAP EN-Nr. 446/2023
- ZAP 2023, 691
Amtlicher Leitsatz
Die einfache Signatur (Wiedergabe des Namens am Ende des Textes) ist bei der Übermittlung von Dokumenten gemäß der zweiten Variante des § 32 a Abs. 3 StPO auch dann zu verlangen, wenn im verwendeten Briefkopf der Rechtsanwaltskanzlei nur ein Rechtsanwalt ausgewiesen ist (Anschluss: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6. September 2021, 17 W 13/21; OVG Lüneburg, Beschluss vom 31. Januar 2023, 13 ME 23/23; entgegen: BAG, Beschluss vom 25. August 2022, 2 AZN 234/22).
Tenor:
- 1.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Hann. Münden vom 25. November 2022 wird abgelehnt.
- 2.
Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das genannte Urteil wird als unzulässig verworfen.
- 3.
Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Hann. Münden hat den Betroffenen mit dem angefochtenen Urteil wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 37 km/h mit einer Geldbuße von 120,- EUR belegt.
Mit qualifiziert signiertem elektronischem Schreiben seines Verteidigers vom 25. November 2022 (bei Gericht eingegangen am selben Tag) hat der Betroffene mit dem Ziel der Überprüfung dieses Urteils einen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt. Nach Zustellung des Urteils am 4. Januar 2023 hat der Betroffene mit weiterem Verteidigerschreiben vom 1. Februar 2023 den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde begründet. Die Begründung des Zulassungsantrags ist dem Amtsgericht Hann. Münden am 1. Februar 2023 über das besondere elektronische Postfach des Verteidigers zugeleitet worden. Das Schreiben ist nicht qualifiziert signiert und es ist lediglich mit dem Wort "Rechtsanwalt" unterzeichnet. Ein Name ist der Unterschrift nicht zu entnehmen.
Der Verteidiger des Betroffenen ist mit Verfügung des Senats vom 28. März 2023 darauf hingewiesen worden, dass die Begründung des Zulassungsantrags, die wegen § 32d Satz 2 StPO i.V.m. § 110c OWiG elektronisch zu erfolgen habe, gemäß § 32a Abs. 3 StPO i.V.m. § 110c OWiG unwirksam angebracht sein könnte. Er hat dieser Auffassung mit Verteidigerschreiben vom 23. März 2023 und vom 5. April 2023 die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Beschluss vom 25. August 2022, 2 AZR 234/22) entgegengehalten, wonach die fehlende Unterzeichnung mit dem Namen des verantwortenden Rechtsanwalts die wirksame Begründung des Zulassungsantrags nicht beeinträchtige, wenn, wie hier, aus dem Briefkopf hervorgehe, dass der Verteidiger als Einzelanwalt tätig sei. Ohnehin sei in der Einzelkanzlei des Verteidigers, der die Begründung des Zulassungsantrags zudem selbst versandt habe, kein weiterer Rechtsanwalt tätig.
Mit qualifiziert signiertem Schreiben vom 17. Mai 2023 hat der Verteidiger vertiefend zur Wirksamkeit seiner Begründung des Zulassungsantrags vorgetragen. Ergänzend hat er sich auf einen Artikel der Bundesrechtsanwaltskammer vom November 2022 bezogen. Die Bundesrechtsanwaltskammer habe den genannten Beschluss des Bundesarbeitsgerichts aufgegriffen und ausgeführt, dass dieser Beschluss die Anforderungen für Einzelanwälte präzisiere. Auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts und der Veröffentlichung der Bundesrechtsanwaltskammer habe der Verteidiger davon ausgehen können, dass die Begründung des Zulassungsantrags wirksam sei. Im genannten Schreiben vom 17. Mai 2023 hat er zudem vorsorglich einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Zugleich hat er - allerdings beim Senat - einen erneuten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt, zu dessen Begründung aber nur darauf hingewiesen, dass er "bereits umfassend Stellung genommen" habe.
Die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig hat beantragt wie erkannt. Der Zulassungsantrag sei als unzulässig zu verwerfen, weil auch dann, wenn lediglich ein einzelner Anwalt im Briefkopf genannt sei, nicht ausgeschlossen werden könne, dass andere Berufsträger in der Kanzlei praktizierten und die Verantwortung für den Inhalt des Schreibens übernehmen wollten. Zudem sei auch im Falle einer Urlaubsvertretung aus dem Briefkopf keine Sicherheit über die Identität des Unterzeichners zu erlangen. Die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht.
II.
1.
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist unzulässig, denn er wurde nicht formgerecht begründet.
Gemäß §§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 345 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 StPO muss die Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde spätestens binnen eines Monats nach Zustellung des angegriffenen Urteils bei dem Gericht, dessen Urteil angegriffen wird, angebracht werden. Sofern dies nicht zu Protokoll der Geschäftsstelle, sondern durch eine von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift geschieht, gelten die besonderen Formerfordernis der §§ 32d Satz 2, 32a StPO, die über die Verweisung in § 110c Satz 1 OWiG auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren zur Anwendung kommen. Danach sind Verteidiger und Rechtsanwälte verpflichtet, die Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als elektronisches Dokument zu übermitteln; wie dies im Einzelnen zu erfolgen hat, regelt § 32a StPO. § 32a Abs. 3 StPO eröffnet dabei zwei Möglichkeiten der Übermittlung von Dokumenten, die schriftlich abzufassen, zu unterschreiben oder zu unterzeichnen sind, nämlich einerseits, indem sie mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der das Dokument verantwortenden Person versehen sind, oder andererseits, indem sie von der das Dokument verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden; was als sicherer Übermittlungsweg anzusehen ist, bestimmt wiederum § 32a Abs. 4 Satz 1 StPO, der in Nr. 2 auch den Versand über ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach vorsieht. Hierbei handelt es sich um zwingend einzuhaltende Form- und Wirksamkeitsvoraussetzungen; ist der das Rechtsmittel begründende Schriftsatz nicht auf diesem Weg, sondern anderweitig innerhalb der gesetzlichen Fristen bei Gericht eingegangen, ist das die Rechtsmittelbegründung unwirksam (zum Vorstehenden: KG Berlin, Beschluss vom 22. Juni 2022, 3 Ws (B) 123/22, juris, Rn. 7 m.w.N.).
Diesen Anforderungen genügt das Verteidigerschreiben vom 1. Februar 2023 nicht, denn es enthält weder eine qualifizierte noch eine einfache Signatur. Die einfache Signatur, also die Wiedergabe des Namens am Ende des Textes (BAG, Beschluss vom 14. September 2020, 5 AZB 23/20, juris, Rn. 15; OLG Braunschweig, Beschluss vom 8. April 2019, 11 U 146/18, juris, Rn. 38; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6. September 2021, 17 W 13/21, juris, Rn. 14; OVG Lüneburg, Beschluss vom 31. Januar 2023, 13 ME 23/23, juris, Rn. 5; OVG Hamburg, Beschluss vom 12. August 2022, 6 Bs 57/22, juris, Rn. 9; Greger in Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 130a, Rn. 9), ist gemäß § 32 a Abs. 3 StPO auch dann zu verlangen, wenn im verwendeten Briefkopf nur ein Rechtsanwalt ausgewiesen ist.
Allein die Berufsbezeichnung Rechtsanwalt genügt im Gegensatz zur Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Beschluss vom 25. August 2022, 2 AZN 234/22, juris, Rn. 2) nicht (OVG Lüneburg, a.a.O., Leitsatz und Rn. 6, 9; OLG Karlsruhe, a.a.O., Leitsatz und Rn. 18). Denn die Signatur soll sicherzustellen, dass die unterzeichnende Person als diejenige erkennbar ist, welche für den Inhalt des Schreibens Verantwortung übernimmt (BGH, Beschluss vom 7. September 2022, XII ZB 215/22, juris, Rn. 11; OVG Lüneburg, a.a.O., Rn. 5). Diesem Erfordernis, dem gerade bei der Begründung eines Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde besondere Bedeutung zukommt (vgl. §§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG i. V. m. § 345 Abs. 2 StPO), trägt der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 25. August 2022 nicht ausreichend Rechnung. Selbst wenn sich aus dem Briefkopf lediglich ein einzelner Anwalt ergibt, ist nicht sichergestellt, dass dieser Rechtsanwalt die Verantwortung für den Schriftsatz übernimmt. Vielmehr kann dennoch eine andere Person inhaltlich für den Inhalt des Schreibens verantwortlich sein. So übersieht das Bundesarbeitsgericht zunächst die Möglichkeit, dass weitere Rechtsanwälte in der Kanzlei angestellt oder als freie Mitarbeiter tätig sein können (BGH, Beschluss vom 7. September 2022, XII ZB 215/22, juris, Rn. 12; OVG Lüneburg, a.a.O., Rn. 9; OLG Karlsruhe, a.a.O., Rn. 24). Zudem mag sich ein Rechtsanwalt unter seinem eigenen Briefkopf auch vertreten lassen (OVG Lüneburg, a.a.O., Rn. 9; OLG Karlsruhe, a.a.O., Rn. 25).
Der Betroffene kann nicht damit gehört werden, dass ein solcher Sachverhalt in seinem Fall nicht vorgelegen hätte, weil der im Briefkopf genannte Verteidiger die Begründung des Zulassungsantrags tatsächlich selbst verantwortet habe. Ob ein Schriftsatz wirksam eingereicht ist, muss sich nämlich bereits zweifelsfrei aus diesem selbst ergeben. Eine spätere Aufklärung der konkreten Verhältnisse (Kanzleiorganisation) wäre mit dem Zweck des Signaturerfordernisses nicht vereinbar (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O., Rn. 24 aE). Es geht gerade darum, den verantwortenden Rechtsanwalt ohne Beweisaufnahme oder sonstiges Sonderwissen zu identifizieren (BGH, Beschluss vom 7. September 2022, XII ZB 215/22, juris, Rn. 11; OLG Karlsruhe, a.a.O.).
2.
Das Wiedereinsetzungsgesuch ist abzulehnen. Es fehlt bereits an der gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO (anwendbar über § 46 Abs.1 OWiG) erforderlichen Nachholung der Begründung des Zulassungsantrags. Ist die Handlung nicht formgemäß vorgenommen worden, muss sie in der vorgeschriebenen Form nachgeholt werden (KG Berlin, Beschluss vom 22. Juni 2022, 3 Ws (B) 123/22, juris, Rn. 16). Dem genügt das Gesuch nicht. So erfüllt das elektronische Schreiben vom 17. Mai 2023 die Voraussetzungen schon deshalb nicht, weil es keine Begründung des Zulassungsantrags enthält, sondern nur ausführt, dass "bereits umfassend Stellung genommen" worden sei. Die umfassende Begründung des Zulassungsantrags vom 1. Februar 2023 ist aber unwirksam und somit gerade nicht berücksichtigungsfähig. Außerdem ist das Schreiben vom 17. Mai 2023 zur Begründung des Zulassungsantrags auch deshalb ungeeignet, weil diese gemäß §§ 345 Abs. 1 Satz 1 StPO, 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG beim Ausgangsgericht anzubringen ist. Dass das Wiedereinsetzungsgesuch vom 17. Mai 2023 schließlich auch die Frist des § 45 Abs.1 Satz 1 StPO nicht wahrt, ist vor diesem Hintergrund nicht mehr von Bedeutung.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 473 Abs.1 Satz 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG.