Landgericht Aurich
Beschl. v. 24.08.2010, Az.: 12 Qs 159/10
Zulässigkeit der Nichtanerkennung eines ausländischen europäischen Führerscheins im Falle der Ausstellung des Führerscheins unter Missachtung der Wohnsitzvoraussetzung
Bibliographie
- Gericht
- LG Aurich
- Datum
- 24.08.2010
- Aktenzeichen
- 12 Qs 159/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 32318
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGAURIC:2010:0824.12QS159.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Aurich - 30.06.2010 - AZ: 6 Gs 823/10
Rechtsgrundlagen
- § 111a Abs. 1 StPO
- § 473 Abs. 1 StPO
- § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV
- § 69 Abs. 1 StGB
- § 69b Abs. 2 S. 1 StGB
Fundstelle
- SVR 2012, 134
Verfahrensgegenstand
Verdacht des Fahrens ohne Fahrerlaubnis
hier: vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis
In der Strafsache
...
hat die II. große Strafkammer des Landgerichts Aurich
auf die Beschwerde des Beschuldigten vom 05.08.2010
gegen den Beschluss des Amtsgerichts Aurich vom 30.06.2010 (Az: 6 Gs 823/10)
durch
die unterzeichneten Richter
am 24.08.2010
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Aurich vom 30.06.2010 (Az: 6 Gs 823/10) wird auf seine Kosten (§ 473 Abs. 1 StPO) als unbegründet verworfen.
Gründe
Die Beschwerde des Beschuldigten ist zwar zulässig, in der Sache aber unbegründet, da die Voraussetzungen für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach §§ 111a Abs. 1 StPO, 69 Abs. 1, 69b Abs. 2 S. 1 StGB gegeben sind.
Es sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass dem Beschuldigten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 StVG die Fahrerlaubnis gemäß §§ 69 Abs. 1, 69b Abs. 2 S. 1 StGB entzogen werden wird.
Ein dringender Tatverdacht für eine entsprechende Straftat ist nach Aktenlage, insbesondere aufgrund der Aussagen der Ermittlungsbeamten, gegeben. Insoweit wird zwecks Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss Bezug genommen, zumal das tatsächliche Tatgeschehen als solches von Seiten des Beschuldigten nicht bestritten wird.
Danach verfügte der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt nicht über eine in Deutschland gültige Fahrerlaubnis. Die vorgelegte tschechische Fahrerlaubnis jedenfalls berechtigte gem. § 28 Abs. 4 Nr. 2 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) a.F. nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland, da der Beschuldigte im Zeitpunkt des Führerscheinerwerbs seinen Wohnsitz im Inland hatte und noch hat.
Zwar ist nach dem Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 29. 4. 2004 (Fall "Kapper") das Wohnsitzerfordernis des§ 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV in der alten Fassung so nicht mit europäischem Recht vereinbar und verstößt gegen den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Fahrerlaubnissen der Mitgliedstaaten; im zu entscheidenden Fall wurde - wie hier - die ausländische Fahrerlaubnis nach Ablauf der von einem deutschen Gericht verhängten Sperrfrist ausgestellt. In einer gleich gelagerten Konstellation bestätigte der EuGH durch Beschluss vom 6. 4. 2006 (Fall "Halbritter") diese Rechtsprechung: Haben die Behörden eines Mitgliedstaats einen Führerschein gemäß der Führerschein-Richtlinie ausgestellt, sind die anderen Mitgliedstaaten nach Auffassung des EuGH grundsätzlich nicht befugt, die Beachtung der Ausstellungsbedingungen erneut zu prüfen. Gleichwohl formulierte der EuGH in seinen Entscheidungen vom 26. 6. 2008 (Fälle "Wiedemann und Funk" sowie "Zerche, Seuke und Schubert") erstmals eine entscheidende Einschränkung von der grundsätzlichen Anerkennungspflicht: Die Anerkennung eines neu ausgestellten Führerscheins kann nach Art. 8 IV der Richtlinie dann versagt werden, wenn auf der Grundlage von Angaben im Führerschein selbst oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass dieser unter Missachtung der Wohnsitzvoraussetzung ausgestellt worden ist (so auch Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder28, § 69b Rz. 2; Mosbacher/Gräfe, in: NJW 2009, S. 801 (802) m.w.N.). Insoweit ist für die hier gültige Rechtslage § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV a.F. dahingehend europarechtskonform auszulegen, dass dann, wenn aus dem Führerschein selbst bzw. aus unbestreitbaren Informationen des Ausstellerstaates ersichtlich ist, dass der Inhaber des EU-Führerscheines seinen Wohnsitz zum Zeitpunkt der Erteilung im Inland hatte, die Anerkennung zu versagen ist und der Inhaber damit nicht über eine im Inland gültige Fahrerlaubnis verfügt.
Und genau letzteres ist hier der Fall.
Aufgrund der unbestreitbaren Informationen des gemeinsamen Zentrums der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit steht nach Angaben der tschechischen Polizei fest, dass der Beschuldigte nicht über einen Wohnsitz im Ausstellerstaat, also in Tschechien, verfügte (vgl. Schreiben vom 19.05.2010, Bl. 15 d.A.). Vielmehr ergab eine Nachfrage beim Einwohnermeldeamt der Gemeinde S., dass dieser seit dem 15.06.1996 mit seinem ordentlichen Wohnsitz dort gemeldet ist (vgl. Ermittlungsvermerk, Bl. 2 d.A.).
Insofern ist der Tatbestand des Fahrens ohne Fahrerlaubnis erfüllt, wenn gegen den Betroffenen - wie hier - ausweislich des Verkehrszentralregisters der Entzug der Fahrerlaubnis bestandskräftig angeordnet und diese Eintragung noch nicht gem. § 29 StVG getilgt wurde und dieser sodann im Inland davon Gebrauch macht, ohne dass ihm dazu auf Antrag gem. 28 Abs. 5 FeV das Recht dazu erteilt wurde (so auch Mosbacher/Gräfe, a.a.O., S. 803).
Entgegen der Rechtsauffassung der Beschuldigten ist die Beschlusslage nicht "paradox". Der Fahrer verfügt zwar in solchen Fällen - wie vorliegend - "automatisch" kraft Gesetzes nicht über die erforderliche Fahrerlaubnis i.S.v. § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG (vgl. VGH München, DAR 2008, S. 662 = BeckRs 2009, 30178; Mosbacher/Gräfe, a.a.O., S. 803). Da die ausländische Fahrerlaubnis beim Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes aber als solche wirksam bleibt, lediglich nicht mehr zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt ( VGH Mannheim, a.a.O.), war es notwendig, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis auszusprechen. Zudem ist auch die Beschlagnahme des Führerscheins zulässig, da die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 111a Abs. 3 S. 2 i.V.m. S. 1 StPO zugleich als Anordnung bzw. Bestätigung der Beschlagnahme der hier in Tschechien ausgestellten Fahrerlaubnis wirkt. Insofern hat der Beschuldigte, der seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat (vgl. § 111a Abs. 3 S. 2 a.E. StPO), von Gesetzes wegen hinzunehmen, dass er nunmehr von dieser Fahrerlaubnis auch nicht mehr in Tschechien Gebrauch machen kann.
Zudem kann sich der Betroffene aufgrund der Neufassung der FeV und nach eindeutiger Klärung dieser Rechtslage durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in dieser Rechtsfrage nicht mehr auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen (so auch Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht40, § 21 StVG Rz. 2a;Mosbacher/Gräfe, a.a.O., S. 804 f.). Dies gilt im vorliegenden Fall vor allem hinsichtlich der Person des Beschuldigten: Da er sich nach bestandskräftiger behördlicher Entziehung der Fahrerlaubnis im Inland sowie aufgrund zweier einschlägiger Vorstrafen nach Tschechien begeben hat, um dort unter bewusster Umgehung der inländischen Beschränkungen eine Fahrerlaubnis zu erwerben, oblag ihm angesichts dieser gezielten Vorgehensweise eine besondere Erkundigungspflicht bei den hiesigen Behörden, ob und inwiefern sie überhaupt von dieser im Bundesgebiet hätte Gebrauch machen dürfen. Dass solche Erkundigungen eingeholt worden sind, geschweige denn ein Antrag nach § 28 Abs. 5 S. 1 FeV gestellt wurde, ist aber weder ersichtlich noch dargetan.
Angesichts der Voreintragungen im Verkehrs- sowie im Bundeszentralregister, insbesondere aufgrund der beiden einschlägigen Vorstrafen, war hier zum Schutz der anderen Straßenverkehrsteilnehmer die Anordnung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis auch verhältnismäßig. Insoweit tritt das Interesse des Beschuldigten an einer weiteren Nutzung der Fahrerlaubnis hinter dem Sicherstellungsinteresse zurück, zumal der Beschuldigte von dieser im Inland ohnehin keinen Gebrauch machen darf.
Ferner hat der Beschuldigte durch seine bisherige Straßenverkehrsdelinquenz und mit der jetzigen Anlasstat (erneutes Fahren ohne Fahrerlaubnis) nur allzu deutlich gezeigt hat, dass er charakterlich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist.
Vor diesem Hintergrund war die Beschwerde mit der Kostenfolge des § 473 Abs. 1 StPO als unbegründet zu verwerfen.
Dr. Bartosch-Koch
Dr. Hunsmann