Landgericht Aurich
Beschl. v. 23.02.2010, Az.: 12 Qs 35/10
Fahren ohne Fahrerlaubnis für den Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis; Berechtigung des Führens von Kraftfahrzeugen im Inland im Falle des Nehmens des ordentlichen Wohnsitzes im Inland nach Erwerb eines polnischen Führerscheins
Bibliographie
- Gericht
- LG Aurich
- Datum
- 23.02.2010
- Aktenzeichen
- 12 Qs 35/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 32311
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGAURIC:2010:0223.12QS35.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Aurich - 22.01.2010 - AZ: 6 Gs 5/10
Rechtsgrundlagen
- § 21 StVG
- § 29 StVG
- § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV
Verfahrensgegenstand
Verdacht des Fahrens ohne Fahrerlaubnis
hier: vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis
In der Strafsache
...
hat die II. große Strafkammer des Landgerichts Aurich
auf die Beschwerde der Beschuldigten vom 08.02.2010
gegen den Beschluss des Amtsgerichts Aurich vom 22.01.2010 (Az: 6 Gs 5/10)
durch
die unterzeichneten Richter am 23.02.2010
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Aurich vom 22.01.2010 (Az: 6 Gs 5/10) wird auf ihre Kosten (§ 473 Abs. 1 StPO) als unbegründet verworfen.
Gründe
Die Beschwerde der Beschuldigten ist zwar zulässig, in der Sache aber unbegründet, da die Voraussetzungen für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach §§ 111a Abs. 1 StPO, 69 Abs. 1, 69b Abs. 2 S. 1 StGB gegeben sind.
Es sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass der Beschuldigten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 StVG die Fahrerlaubnis gemäß §§ 69 Abs. 1, 69b Abs. 2 S. 1 StGB entzogen werden wird.
Ein dringender Tatverdacht für eine entsprechende Straftat ist nach Aktenlage, insbesondere aufgrund der Aussagen der Ermittlungsbeamten, gegeben. Insoweit wird zwecks Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss Bezug genommen, zumal das tatsächliche Tatgeschehen als solches von Seiten der Beschuldigten nicht bestritten wird.
Danach verfügte die Beschuldigte zum Tatzeitpunkt nicht über eine in Deutschland gültige Fahrerlaubnis, was sie auch wusste. Die vorgelegte polnische Fahrerlaubnis jedenfalls berechtigte gem. § 28 Abs. 4 Nr. 3 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) in der ab dem 19.01.2009 geltenden - nunmehr europarechtskonformen - Fassung (ggf. i.V.m.§ 29 Abs. 1 S. 2 FeV, sofern die Beschuldigte erst nach dem Erwerb des polnischen Führerscheins ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland genommen haben sollte) nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland. Insofern ist der Tatbestand des Fahrens ohne Fahrerlaubnis erfüllt, wenn gegen den Betroffenen ausweislich des Verkehrszentralregisters der Entzug der Fahrerlaubnis bestandskräftig angeordnet und diese Eintragung noch nicht gem. § 29 StVG getilgt wurde, dieser sodann seine Fahrerlaubnis in der Zeit ab dem 19.01.2009 erworben hat und ihm nicht nach § 28 Abs. 5 FeV das Recht erteilt wurde, von dieser Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen (so zu den Voraussetzungen ausdrücklich Mosbacher/Gräfe, in: NJW 2009, S. 801 (803, 805)).
Und genau dies ist hier der Fall.
Wie in dem angefochtenen Beschluss schon zutreffend ausgeführt, ist der Beschuldigten ausweislich des Verkehrszentralregisterauszuges vom 23.01.2010 durch den Landkreis Aurich mit unanfechtbarem Beschluss vom 08.05.2004 die Fahrerlaubnis entzogen worden. Diese Eintragung ist noch nicht getilgt. Die Beschuldigte erwarb anschließend am 27.08.2009 in Polen die verfahrensgegenständliche Fahrerlaubnis. Sie machte von dieser im Inland Gebrauch, ohne dass ihr auf Antrag das Recht dazu erteilt wurde.
Entgegen der Rechtsauffassung der Beschuldigten bedarf es bei Vorliegen des Ausnahmetatbestandes nach § 28 Abs. 4 FeV gerade nicht eines gesonderten verwaltungsrechtlichen Aberkennungsaktes ( OLG Celle, Beschl. v. 1.12.2008 - 32 Ss 193/08 = BeckRs 2009, 1775; VGH Mannheim, NJW 2009, S. 698 (Ls.); Mosbacher/Gräfe, a.a.O., S. 803). Der Fahrer verfügt in derartigen Fällen "automatisch" kraft Gesetzes nicht über die erforderliche Fahrerlaubnis i.S.v. § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG (vgl. VGH München, DAR 2008, S. 662 = BeckRs 2009, 30178; Mosbacher/Gräfe, a.a.O., S. 803). Nichts anderes soll auch der seitens der Beschuldigten gerügte Tenor in der angefochtenen Entscheidung zum Ausdruck bringen, wenn dort von der "vorläufige(n) Entziehung der nicht vorhandenen Fahrerlaubnis " die Rede ist. Das Fehlen einer Fahrerlaubnis in diesen Fällen ergibt sich im Umkehrschluss aus der Neuregelung in§ 28 Abs. 4 S. 2 FeV, wonach die Behörde in den Fällen des § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 FeV lediglich einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen kann (vgl. VGH München, a.a.O.). Die ausländische Fahrerlaubnis bleibt beim Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes zwar als solche wirksam, berechtigt aber nicht mehr zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland ( VGH Mannheim, a.a.O.). Mit anderen Worten: Die grundsätzliche Wirksamkeit einer "erschlichenen" ausländischen Fahrerlaubnis führt nicht dazu, dass in derartigen Fällen eine Strafbarkeit wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis ausscheidet, bis die Fahrerlaubnis durch Verwaltungsakt eingeschränkt oder entzogen wird (ebenso Mosbacher/Gräfe, a.a.O.).
Zudem kann sich der Betroffene aufgrund der Neufassung der FeV und nach eindeutiger Klärung dieser Rechtslage durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) - auch bei Nichtvorliegen eines feststellenden Verwaltungsaktes (s.o.) - in dieser Rechtsfrage nicht mehr auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen (so auchHentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht40, § 21 StVG Rz. 2a;Mosbacher/Gräfe, a.a.O., S. 804 f.). Dies gilt im vorliegenden Fall vor allem hinsichtlich der Person der Beschuldigten: Da sie sich nach behördlicher Entziehung der Fahrerlaubnis im Inland sowie aufgrund zweier einschlägiger Vorstrafen nach Polen begeben hat, um dort unter bewusster Umgehung der inländischen Beschränkungen eine Fahrerlaubnis zu erwerben, oblag ihr angesichts dieser gezielten Vorgehensweise eine besondere Erkundigungspflicht bei den hiesigen Behörden, ob und inwiefern sie überhaupt von dieser im Bundesgebiet hätte Gebrauch machen dürfen. Dass solche Erkundigungen eingeholt worden sind, geschweige denn ein Antrag nach § 28 Abs. 5 S. 1 FeV gestellt wurde, ist aber weder ersichtlich noch dargetan.
Angesichts der Voreintragungen im Verkehrs- sowie im Bundeszentralregister, insbesondere aufgrund der beiden einschlägigen Vorstrafen, aus denen sich ergibt, dass die Beschuldigte nach wie vor zwischen dem Konsum von Drogen und der Teilnahme am Straßenverkehr nicht zu differenzieren vermag, war hier zum Schutz der anderen Straßenverkehrsteilnehmer die Anordnung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis auch verhältnismäßig. Insoweit tritt das Interesse der Beschuldigten an einer weiteren Nutzung der Fahrerlaubnis hinter dem Sicherstellungsinteresse zurück, zumal die Beschuldigte von dieser im Inland ohnehin keinen Gebrauch machen darf.
Ferner hat die Beschuldigte durch ihre bisherige Straßenverkehrsdelinquenz und mit der jetzigen Anlasstat (erneutes Fahren ohne Fahrerlaubnis) nur allzu deutlich gezeigt hat, dass sie charakterlich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist.
Schließlich war - entgegen den Ausführungen der Verteidigung - auch die Beschlagnahme des Führerscheins zulässig, da die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 111a Abs. 3 S. 2 i.V.m. S. 1 StPO zugleich als Anordnung bzw. Bestätigung der Beschlagnahme der hier in Polen ausgestellten Fahrerlaubnis wirkt. Insofern hat die Beschuldigte, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hat (vgl. § 111a Abs. 3 S. 2 a.E. StPO), von Gesetzes wegen hinzunehmen, dass sie nunmehr von dieser Fahrerlaubnis auch nicht mehr in Polen Gebrauch machen kann.
Vor diesem Hintergrund war die Beschwerde mit der Kostenfolge des § 473 Abs. 1 StPO als unbegründet zu verwerfen.
Schitteck
Dr. Hunsmann