Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 24.05.2017, Az.: 7 B 2896/17
Abstandsgebot; Auswahlentscheidung; Duldung; einstweilige Anordnung; Losverfahren; Spielhalle
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 24.05.2017
- Aktenzeichen
- 7 B 2896/17
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2017, 53871
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 12 GG
- § 25 GlSpielWStVtr
- § 24 GlSpielWStVtr
- § 10 GlSpielG ND
- § 123 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ist auf Grund des in § 25 Abs. 1 GlüStV, § 10 Abs. 2 Satz 1 NGlüSpG ab dem 1. Juli 2017 zwischen Spielhallen vorgeschriebenen Mindestabstandes von 100 m eine Auswahlentscheidung zwischen mehreren Betrieben zu treffen, muss die Erlaubnisbehörde auch bei Durchführung eines Losverfahrens den vom Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 7. März 2017 - 1 BvR 1314/12 - u.a.- juris, Rn. 185) aufgestellten Grundsatz der bestmöglichen Ausschöpfung der Standortkapazität beachten. Dies kann bedeuten, dass eine Spielhalle, deren Fortbestand dies ausschließen würde, bei der Auswahl vorn vornherein ausscheidet.
Ist die Auswahlentscheidung voraussichtlich nicht ermessensfehlerfrei getroffen worden, kann die Erlaubnisbehörde durch einstweilige Anordnung zur Duldung des Weiterbetriebs der Spielhalle über den 30. Juni 2017 hinaus verpflichtet werden.
Gründe
I.
Die Antragstellerin betreibt auf dem Grundstück B. 1 in O. zwei nebeneinanderliegende Spielhallen.
In einem Abstand von Luftlinie etwa 44 m bis zu etwa 108 m befinden sich im Bahnhof O. und dessen Umgebung weitere fünf Spielhallen anderer Betreiber. Wegen der genauen Lage der Betriebe wird auf die in der Gerichtsakte (Bl. 55) befindliche Lageskizze verwiesen. Die Antragstellerin und die Betreiber der anderen Spielhallen beantragten bei der Antragsgegnerin für die Zeit ab 1. Juli 2017 jeweils die Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis.
Die Antragsgegnerin führte am 21. Juli 2016 einen Losentscheid herbei, bei der jeweils eine der Spielhallen der Beigeladenen gezogen worden sind.
Am 24. Oktober 2016 hat die Klägerin Klage erhoben (7 A 18/17).
Mit Bescheiden vom 30. März 2017 hat die Antragsgegnerin die Erteilung von glücksspielrechtlichen Erlaubnissen für die Spielhallen der Antragstellerin abgelehnt und den Beigeladenen für jeweils eine Spielhalle eine solche Erlaubnis erteilt.
Am 27. April 2017 hat die Antragstellerin um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO) ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.
Es besteht ein Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Entscheidung. Ab dem 1. Juli 2017 ist gem. § 24 Abs. 1 GlüStV zum Betrieb einer Spielhalle eine glücksspielrechtliche Erlaubnis notwendig. Die Antragsgegnerin hat angekündigt, dass für den Fall des Weiterbetriebs der Spielhallen der Antragstellerin über diesen Zeitpunkt hinaus eine Schließungsverfügung ergehen würde.
Es besteht nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang ein Anordnungsanspruch. Eine Abwägung des öffentlichen Interesses an der Eindämmung der Glücksspielsucht einerseits und den berechtigten durch Art. 12 GG geschützten Erwerbsinteressen der Antragstellerin andererseits ergibt, dass die Antragsgegnerin den Betrieb einer der beiden Spielhallen der Antragstellerin bis zur Entscheidung über die Klage zu dulden hat.
Soweit die Antragstellerin sinngemäß begehrt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr vorläufig eine glücksspielrechtliche Erlaubnis für ihre beiden Spielhallen zu erteilen, steht dem von vornherein entgegen, dass damit in unzulässiger Weise die Hauptsache vorweg genommen würde (vgl. dazu allgemein: Kopp/Schenke, VwGO, Rn. 13 ff. zu § 123). Es besteht hierfür auch nicht ausnahmsweise ein Bedürfnis, weil den Belangen der Antragstellerin dadurch Genüge getan werden kann, dass die Antragsgegnerin verpflichtet wird, den Betrieb der Antragstellerin über den 30. Juni 2017 hinaus weiter zu dulden und von der Anordnung einer Betriebsschließung (§ 15 Abs. 2 GewO) abzusehen; damit würde auch eine Strafbarkeit nach § 284 StGB entfallen (vgl. Heine/Hecker in: Schönke/Schröder, Rn. 20 vor §§ 324 ff.).
Nach § 24 Abs. 1 GlüStV bedürfen die Errichtung und der Betrieb einer Spielhalle unbeschadet sonstiger Genehmigungserfordernisse ab dem 1. Juli 2017 einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis. Die der Antragstellerin bisher erteilten Erlaubnisse nach § 33i GewO führen lediglich dazu, dass ihre Spielhallen bis zu diesem Zeitpunkt als mit den §§ 24 und 25 GlüStV vereinbar gelten (§ 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV). Verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen bestehen auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 - 1 BvR 1314/12 u.a. - juris, Rn. 188 ff.; BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 8 C 6.15 - juris, Rn. 63 ff.)
Nach § 25 Abs. 1 GlüStV ist zwischen Spielhallen ein Mindestabstand einzuhalten. Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 und 2 NGlüSpG muss dieser in der Luftlinie mindestens 100 m betragen. Gemäß § 25 Abs. 2 GlüStV ist die Erteilung einer Erlaubnis für eine Spielhalle, die in einem baulichen Verbund mit weiteren Spielhallen steht, insbesondere in einem gemeinsamen Gebäude oder Gebäudekomplex untergebracht ist, ausgeschlossen. Wegen der Verfassungsgemäßheit dieser Regelungen wird auf die angeführten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (a.a.O., Rn. 130 ff.) und des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O., Rn. 35 ff.) verwiesen.
Da sich in der Umgebung der Spielhallen der Antragstellerin mehrere Spielhallen befinden, zu denen der Abstand von 100 m nicht einhalten wird, besteht kein Anspruch der Antragstellerin auf Erteilung der glücksspielrechtlichen Erlaubnis.
Allerdings musste die Antragsgegnerin zwischen den Spielhallen im Bereich des Bahnhofs O. eine Auswahlentscheidung treffen. Diese ist voraussichtlich rechtlich zu beanstanden, so dass die Antragstellerin im Klageverfahren voraussichtlich beanspruchen kann, dass die Antragsgegnerin über ihren Erlaubnisantrag erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden hat (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Nach der Rechtsprechung der Kammer (Urteil vom 16. Mai 2017 - 7 A 14/17 u.a. - zur Veröffentlichung in juris vorgesehen) ist es für die gerichtliche Überprüfung der Auswahlentscheidung erforderlich, dass rechtzeitig eine Drittanfechtungsklage gegen die erteilte Erlaubnis erhoben worden ist. Anderenfalls stünde die Wirksamkeit und ggf. Bestandskraft der Erlaubnis des Konkurrenten der Zulassung eines weiteren Bewerbers im Abstandsbereich des § 10 Abs. 2 Satz 1 NGlüSpG der Erteilung einer Erlaubnis für eine weitere Spielhalle von vornherein entgegen (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 15. April 2014 - 7 ME 121/13 - juris, Rn. 58).
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin hat die Antragstellerin bei sachgerechter Auslegung (§ 88 VwGO) ihres Klagebegehrens (7 A 18/17) die den Beigeladenen erteilten Erlaubnisse angegriffen. Sie hat zwar in dem als Erweiterung der Klage bezeichneten Antrag im Schriftsatz vom 27. April 2017 die den Beigeladenen erteilten Erlaubnisse vom 30. März 2017 nicht ausdrücklich angeführt, sondern nur den ihre Spielhallen betreffenden Bescheid vom gleichen Tage genannt und dem Schriftsatz beigefügt. Maßgebend ist aber, dass die Antragstellerin bereits in der Klageschrift vom 24. Oktober 2016 (S. 2) ausdrücklich angeführt hat, dass sich ihre Klage sowohl gegen eine Ablehnung der Erlaubnis für ihre Spielhallen als auch gegen die Erteilung der Erlaubnisse für Spielhallen der Beigeladenen richten solle. Es ist kein sachlicher Grund dafür erkennbar, dass die Antragstellerin mit dem Schriftsatz vom 27. April 2017 ihre Klage teilweise zurücknehmen wollte; vielmehr wollte sie ihre Klage erweitern. Sie hat auch in der Antragsschrift vom 27. April 2017 nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie auch die Erteilung der Erlaubnisse für die Beigeladenen angreift.
Zur Auswahlentscheidung hat die Kammer in dem Urteil vom 16. Mai 2017 (a.a.O.) im Einzelnen ausgeführt, dass diese ohne das Bestehen einer gesetzlichen Regelung grds. nicht ohne weiteres durch Losentscheid getroffen werden darf, sondern nach Ermessen der Erlaubnisbehörde an sachlichen Kriterien orientiert sein muss. Die Antragsgegnerin hat dagegen im ablehnenden Bescheid vom 30. März 2017 im Ansatz unzutreffend angeführt, dass es von vornherein nicht möglich sei, Sachkriterien zu ermitteln. Ob im vorliegenden Verfahren bei näherer Prüfung des Einzelfalles tatsächlich keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Bewerbern bestehen und deshalb die Durchführung des Losverfahrens ausnahmsweise keine Rechtsverletzung der Antragstellerin zur Folge hätte, kann dahinstehen.
Jedenfalls ist hier auch die Art und Weise der Durchführung des Losverfahrens nicht den sich aus Art. 12 GG ergebenden Anforderungen gerecht worden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (a.a.O., Rn. 185) gebieten die grundrechtlich geschützten Positionen der Spielhallenbetreiber, dass sich die zuständige Behörde eines Verteilmechanismus bedient, der die bestmögliche Ausschöpfung der der bei Beachtung der Mindestabstände verbleibenden Standortkapazität in dem relevanten Gebiet ermöglicht.
Dies bedeutet im vorliegenden Fall, dass von den sieben im Bahnhofsbereich belegenen Spielhallen zwei Betriebe eine Erlaubnis bekommen müssen. Denn es sind - da die Entfernungen untereinander teilweise 100 m überschreiten - bei Einhaltung des Abstandsgebots mehrere Konstellationen denkbar, in denen zwei Spielhallen zulässig sind (etwa jeweils eine Spielhalle der Beigeladenen zu 2. und der Antragstellerin oder eine Spielhalle der Beigeladenen zu 2. und die Halle 2 der Beigeladenen zu 1. oder eine Spielhalle der Beigeladenen zu 2. und die Spielhalle der Firma G. in der K.).
Bei der am 21. Juli 2016 getroffenen Losentscheidung hat die Antragsgegnerin in einem ersten Durchgang zunächst sämtliche in dem hier fraglichen Bereich vorhandene Spielhallen einbezogen. Dieses Verfahren hat jedoch nicht gewährleistet, dass tatsächlich zwei Spielhallen zugelassen werden können. Da die Halle 1 der Beigeladenen zu 1) zu keiner der anderen hier in Rede stehenden Spielhallen den Mindestabstand von 100 m einhält, hätte diese im Losverfahren nicht beteiligt werden dürfen. Denn wäre diese Halle ausgelost worden, hätte entgegen dem oben beschriebenen Grundsatz der optimalen Ausschöpfung der Standortkapazität lediglich diese eine Spielhalle eine glücksspielrechtliche Erlaubnis erhalten können. Dies hat auch die Rechte der Antragstellerin verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil die Chance, dass eine ihrer Hallen im Losverfahren gezogen wird, dadurch von 2:4 auf 2:5 verringert worden ist.
Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass das Losverfahren dadurch in einer zweiten insoweit allerdings Rechtspositionen der Antragstellerin im Ergebnis nicht beeinträchtigenden Weise rechtlich zu beanstanden war. Dadurch dass die Spielhalle 1 der Beigeladenen zu 1) - wie ausgeführt - von vornherein keine Erlaubnis erhalten konnte, musste eine der Spielhallen der Beigeladenen zu 2) zwingend eine Erlaubnis erteilt werden, weil diese von den übrigen Spielhallen jeweils mehr als 100 m entfernt sind. Ein Losentscheid wäre mithin nur zwischen den Hallen der Antragstellerin, der Halle 2 der Beigeladenen zu 1. und dem in der K. 28 belegenen Betrieb herbeizuführen gewesen.
Wegen des Verbundverbotes nach § 25 Abs. 2 GlüStV kann allerdings von vornherein nur eine der beiden nebeneinanderliegenden Spielhallen der Antragstellerin zum Zuge kommen. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass die Antragstellerin einen Anspruch haben könnte, aus Härtegesichtspunkten (§ 29 Abs. 4 Satz 4 GlüStV) eine zweite Spielhalle betreiben zu dürfen. Wegen der diesbezüglichen hohen Anforderungen wird ebenfalls auf das Urteil der Kammer vom 16. Mai 2017 (a.a.O.) verwiesen. Schon allein auf Grund des Verbundverbots nach § 25 Abs. 2 GlüStV konnte entgegen dem Vortrag der Antragstellerin schon seit dem 28. Oktober 2011, dem Tag an dem der Glücksspiel-Änderungsstaatsvertrag von den Ministerpräsidenten der Länder beschlossen worden ist, kein schutzwürdiges Vertrauen mehr bestehen, mehrere nebeneinanderliegende Spielhallen über den 30. Juni 2017 hinaus zu betreiben zu dürfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 a.a.O., Rn 198 f.).
Dementsprechend hat die Antragsgegnerin auch nur eine dieser beiden Hallen vorläufig bis zur Entscheidung über die Klage zu dulden. Die Auswahl obliegt dabei der Antragstellerin. Das Gericht weist zur Abwicklung darauf hin, dass die Antragstellerin der Antragsgegnerin rechtzeitig vor dem 1. Juli 2017 mitzuteilen hat, welche ihrer Spielhallen bis zur Entscheidung im Klageverfahren weiter betrieben werden soll.
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO, 52 Abs. 1, 39 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Bei der Streitwertbemessung legt das Gericht die Hälfte des von der Kammer für Klagen auf Erteilung von glücksspielrechtlichen Erlaubnissen für angemessen gehaltenen Betrages von 30.000,-- € je Spielhalle zu Grunde.