Verwaltungsgericht Osnabrück
Beschl. v. 11.02.2010, Az.: 6 B 9/10

Vereinbarkeit eines Verbots des Konsums und des Mitführens alkoholischer Getränke auf öffentlichen Straßen durch Allgemeinverfügung mit Grundrechten; Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch bloßes Mitführen alkoholischer Getränke; Vereinbarkeit einer Allgemeinverfügung und des damit verbundenen Verzichts auf eine polizeirechtliche Einzelfallprüfung mit den Grundrechten bestimmter Personenkreise

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
11.02.2010
Aktenzeichen
6 B 9/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 15844
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOSNAB:2010:0211.6B9.10.0A

Fundstelle

  • RÜ 2010, 333-336

Tatbestand

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Die Antragsteller wenden sich gegen eine 'Allgemeinverfügung zur Gefahrenabwehr im Bereich des "Bermuda-Dreiecks" in J. ' der Antragsgegnerin vom 15.1.2010.

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Darin wird für einen textlich wie kartografisch beschriebenes, um die K. gelegenes Teilgebiet der Innenstadt der Antragsgegnerin der Konsum von Alkohol, das Mitführen von alkoholhaltigen Getränken und der Konsum von Getränken aus Glasflaschen und Gläsern verboten (Ziffer 1). Diese bis zum 31.3.2010 geltenden Verbote sind zeitlich beschränkt auf Freitag- und Samstagnacht jeweils in der Zeit von 22:00 Uhr bis 08:00 Uhr (Ziffer 2). Ausgenommen sind gaststättenrechtlich konzessionierte Flächen sowie besonders genehmigte Veranstaltungen (Ziffer 3). Die sofortige Vollziehung wird gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet (Ziffer 4). Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wird "gemäߧ 64 ff. Nds. SOG die Anwendung unmittelbaren Zwangs" angedroht (Ziffer 5). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die von den Antragstellern vorgelegte Allgemeinverfügung Bezug genommen.

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Ausweislich der Allgemeinverfügung kam es im Bereich des sog. "Bermuda-Dreiecks" in den vergangenen Jahren mit zunehmender Tendenz zu Ruhestörungen, Vandalismus, Verunreinigungen, Verstößen gegen das Jugendschutzgesetz und Körperverletzungen. Der Bereich hat sich danach an den Wochenenden nachts zum Treffpunkt vieler Jugendlicher und Heranwachsender entwickelt. Teilweise wurde in großen Mengen mitgebrachter Alkohol konsumiert. Es kam immer wieder zu nächtlichen Ruhestörungen durch trunkenheitsbedingtes Verhalten wie Grölen und Randalieren; Passanten wurden angepöbelt. Häufig kam es zu Körperverletzungsdelikten der Gruppen untereinander oder gegenüber Dritten. Zunehmend kam es zu Raubüberfällen sowie zu Sachbeschädigungen und einer Vermüllung insbesondere durch Flaschen und Scherben.

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Nach der Allgemeinverfügung ist zu befürchten, dass weitere Straftaten und Ordnungswidrigkeiten verübt werden. Die Personen und Personengruppen sind nicht namentlich bekannt und wechseln von Wochenende zu Wochenende, weshalb sich die Allgemeinverfügung an alle richtet. Die Allgemeinverfügung bewertet das Alkoholverbot als geeignet die öffentliche Sicherheit bestmöglich zu gewährleisten, ohne das Grundrecht der Freizügigkeit nennenswert einzuschränken; ein milderes und gleich gut geeignetes Mittel ist danach nicht ersichtlich. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist in der Allgemeinverfügung mit der hohen Wahrscheinlichkeit begründet, dass weitere Körperverletzungs- und Sachbeschädigungsdelikte begangen werden.

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Am 4.2.2010 haben die Antragsteller Klage (6 A 22/10) erhoben und die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt. Zur Begründung machen sie im Wesentlichen geltend, das sog. Bermuda-Dreieck sei der Bereich der Kneipenszene rund um die K. und auch für Erwachsene ein beliebter Treffpunkt; auch sei dort ein großes Kino, das von allen Altersgruppen besucht werde. Hier suchten die Menschen Entspannung und Unterhaltung und wollten mit Freunden und Bekannten zusammen sein, zu denen sich auch die Antragsteller rechnen. Diese von der Allgemeinverfügung betroffenen Menschen hätten nicht die Absicht, Straftaten zu begehen und Unordnung zu bereiten. Die Antragsgegnerin gehe hingegen davon aus, dass sich die Menschen in der Verbotszone grundsätzlich kriminell verhielten. Andere - im Einzelnen erörterte - Möglichkeiten zur Einwirkung habe die Antragsgegnerin bzw. die Polizei nicht (hinreichend) wahrgenommen. Die Antragsteller tragen vor, sie wollten sich auch künftig regelmäßig am Wochenende mit Freunden im "Bermuda-Dreieck" aufhalten und dort Alkohol und andere Getränke aus Flaschen und Gläsern konsumieren. Dabei sei es üblich, mehrfach die Lokale zu wechseln und sich längere Zeit in der von der Allgemeinverfügung erfassten Fußgängerzone aufzuhalten.

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Die Antragsteller beantragen,

die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 4.2.2010 wieder herzustellen.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

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Sie verteidigt ihre Allgemeinverfügung und trägt vor, der südliche Abschnitt der Bahnhofstraße sei als Fußgängerbereich ausgewiesen. Hier und im unmittelbaren Umfeld befänden sich vier Diskotheken, acht Schankwirtschaften, ein Kino mit 1150 Plätzen, eine Spielhalle und zwei Imbissbetriebe. Dieses Kneipenviertel habe sich zunehmend zu einem nächtlichen Treffpunkt entwickelt. Je nach Witterung feierten hier an den Wochenenden mehrere hundert Personen bis in die frühen Morgenstunden. Die negativen Begleiterscheinungen wie Straftaten, Lärm und Verunreinigungen hätten quantitativ und qualitativ stetig zugenommen. Der Anstieg der sog. Rohheitsdelikte von 56 im Jahr 2005 über 55 in 2006, 63 in 2007, 75 in 2008 und 92 Delikten im Jahr 2009 sei auffällig. Die Anzahl der Polizeieinsätze am Wochenende habe sich in diesem Zeitraum von 342 auf 424 erhöht. Nach polizeilicher Einschätzung hätten über 90% der ermittelten Beschuldigten und Verursacher unter Alkoholeinfluss gestanden. - Ihre Allgemeinverfügung sei Teil eines unter Beteiligung von Polizei und Kreisjugendamt entwickelten Maßnahmenpakets. Sie sei auf die Abwehr einer konkreten Gefahr gerichtet, denn bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens würde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Verletzung von Individualrechtsgütern von Kneipenbesuchern oder unbeteiligter Passanten, Lärmbelästigungen der Anwohner, Sachbeschädigungen und Vandalismus sowie verschiedene Ordnungswidrigkeiten eintreten. Zwar habe nicht jeder Besucher des Kneipenviertels, der die nunmehr verbotenen Verhaltensweisen geübt habe, einen Schaden für die öffentliche Sicherheit verursacht. Dies schließe jedoch eine Verbotsregelung nicht aus, denn § 11 Nds. SOG fordere nicht, dass das verbotene Tun bereits für sich genommen und ohne Hinzutreten weiterer Umstände gefährlich sei.

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Nach der ganz überwiegenden Rechtsprechung könne sich eine Störung der öffentlichen Sicherheit nicht nur aus Einzelhandlungen ergeben, sondern auch aus einem Zusammenwirken unterschiedlicher Faktoren. - Durch die Verbote werde die Attraktivität des öffentlichen Verkehrsraums für "Freiluftpartys" begrenzt. So sei eine Ursache für gewalttätige Auseinandersetzungen die Ansammlung alkoholisierter Personen, die in diesem Bereich mit Besuchern der gastronomischen Betriebe zusammenträfen. Hier komme es zu Gedränge, Rempeleien und Provokationen. Das Alkoholverbot werde dazu beitragen, dass sich die beschriebenen Missstände besserten. Aufgrund dieser Kausalzusammenhänge handele es sich nicht um einen bloßen Gefahrverdacht oder eine bloße Vorsichtsmaßnahme. So habe der VGH Mannheim in der von den Antragstellern angeführten Entscheidung (U. v. 28.7.2009, NVwZ-RR 2010, 55 [VGH Baden-Württemberg 28.07.2009 - 1 S 2200/08]) ausdrücklich festgestellt, dass es entscheidend darauf ankomme, welche konkreten Zustände die Behörde zum Erlass der Polizeiverordnung bewogen hätten. - Sie habe auch ihr Ermessen korrekt ausgeübt, insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet. Die Verbote seien geeignet, zu einer nachhaltigen Reduzierung der negativen Begleiterscheinungen der "Freiluftpartys" beizutragen; auch seien erste Erfahrungen durchweg positiv. Ein milderes, gleich gut geeignetes Mittel sei nicht ersichtlich. Platzverweise und Aufenthaltsverbote, eine verstärkte Polizeipräsenz und intensivere Jugendschutzkontrollen könnten zwar auch zu einer Verbesserung der Sicherheitslage beitragen, seien allein jedoch nicht in der Weise wirksam, wie die Anwendung sämtlicher Mittel des Maßnahmenpakets. Die Festsetzung einer Sperrzeit sei kein milderes Mittel, da das Kneipenviertel dadurch einen Großteil seiner Attraktivität für Kneipenbesucher und "Rucksacktrinker" verlöre. Dies führe zudem zu erheblichen Umsatzrückgängen für die Gastronomiebetriebe. Durch die räumliche und zeitliche Beschränkung sei dem Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs Rechnung getragen. Die Befristung bis Ende März sei notwendig, um die Wirkungen der Regelung im Hinblick auf die verfolgten Ziele zu überprüfen. Auch sei die Allgemeinverfügung angemessen, denn die Nachteile für die betroffenen "Partygänger" stünden zum angestrebten Erfolg nicht außer Verhältnis. Eine Abwägung sämtlicher Vor- und Nachteile komme zu dem Ergebnis, dass die zu schützenden Belange Vorrang genießen.- Die Allgemeinverfügung werde zudem auf § 45 StVO gestützt. Die Nutzung der Fußgängerzone für den Verkehr sei angesichts der Personenansammlungen und Verunreinigungen zeitweise kaum möglich. Zudem komme es auf den übrigen Straßenabschnitten zu Verkehrsgefährdungen durch unachtsam querende, häufig alkoholisierte Fußgänger. Auch gefährdeten große Mengen an Glasscherben den Straßenverkehr.

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Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Gründe

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Der Antrag der Antragsteller ist zulässig. Die Antragsteller sind antragsbefugt, denn sie haben glaubhaft gemacht, Adressaten der Allgemeinverfügung zu sein. Insoweit haben die Antragsteller für sich und ihren Freundeskreis ein Freizeitverhalten dargelegt, wonach sie von den Regelungen der Antragsgegnerin persönlich betroffen sind und sein werden. Angesichts des unmittelbar bevorstehenden (Karnevals-) Wochenendes ist auch ihr Interesse an einer baldigen Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes offenkundig. Dem hat die Kammer durch entsprechende Verfahrensgestaltung Rechnung getragen und dabei die Antragsgegnerin mit angemessener Stellungnahmefrist angehört; eine Berücksichtigung von Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin war der Kammer mangels fristgerechter Übermittlung nicht möglich.

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Der Antrag ist auch begründet.

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Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung einer Klage wieder herstellen. Diese Entscheidung erfolgt aufgrund einer Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der angeordneten sofortigen Vollziehung einerseits und dem Interesse des Rechtsschutzsuchenden an der vorläufigen Aussetzung des angefochtenen Verwaltungsakts andererseits. Dabei sind im Rahmen dieser Interessenabwägung insbesondere auch die bereits überschaubaren Erfolgsaussichten der Klage zu berücksichtigen. Bei offensichtlicher Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung, während bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts regelmäßig dem Aussetzungsinteresse des Rechtsschutzsuchenden Vorrang einzuräumen ist. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze überwiegt vorliegend das private Interesse der Antragsteller, weil die angefochtene Allgemeinverfügung offensichtlich rechtswidrig ist.

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Gegenstand der gerichtlichen Prüfung ist die von der Antragsgegnerin (ausdrücklich) als "Allgemeinverfügung" erlassene Regelung. Die rechtliche Zulässigkeit der gewählten Form der Allgemeinverfügung setzt voraus, dass inhaltlich mit ihr keine abstrakt-generelle Regelung für eine unbestimmte Vielzahl von Gefahrenlagen und Personen getroffen worden ist. Denn in diesem Fall hätte das Verbot in der Rechtsform - und im dafür gebotenen Verfahren - der im Gefahrenabwehrrecht zur Bekämpfung abstrakter Gefahren ausdrücklich vorgesehenen Verordnung nach § 55 Nds. SOG erlassen werden müssen. Offen bleiben kann deshalb, ob selbst eine solche Verordnung angesichts der an sie zu stellenden materiellrechtlichen Anforderungen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen könnte (vgl. VGH Mannheim, U. v. 28.7.2009 - 1 S 2200/08 -, NVwZ-RR 2010, 55; U. v. 28.7.2009 - 1 S 2340/08 -, NVwZ-RR 2010, 59 = [...]; B. v. 29.4.1983 - 1 S 1/83 -, [...]; kritisch Faßbender, Alkoholverbote durch Polizeiverordnung: per se rechtswidrig?, NVwZ 2009, 563; vgl. auch Kohl, Zulässigkeit ordnungsrechtlicher Maßnahmen gegen Obdachlose in den Städten, NVwZ 1991, 623). Aber auch wenn man vorliegend davon ausgeht, dass sich die Regelung an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Adressatenkreis richtet und sie deshalb die Merkmale eines Verwaltungsakts in der Form der personenbezogenen Allgemeinverfügung i.S.d. § 35 S. 2 Alt. 1 BVwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG erfüllt, begegnet sie nach Aktenlage durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

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Die Antragsgegnerin stützt ihre Allgemeinverfügung auf § 11 Nds. SOG. Nach diesem Gesetz hat die Ordnungsbehörde innerhalb der durch das Recht gesetzten Schranken zur Wahrnehmung ihrer Aufgabenzuständigkeit gemäß § 1 Nds. SOG diejenigen Maßnahmen zu treffen, die ihr nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlich erscheinen (§ 5 Nds. SOG), wobei der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist (§ 4 Nds. SOG). Demgemäß hat die Ordnungsbehörde bei Einzeleingriffsakten u.a. zu prüfen, ob die Maßnahme geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im Sinne einer Mittelzweckrelation zur Bekämpfung der polizeilichen Gefahr ist. Welche Anforderungen an diese Einzelfallprüfung und die damit verbundene Ermessensausübung zu stellen sind, lässt sich nicht generell, sondern nur anhand des konkret zu beurteilenden Sachverhalts feststellen. Bei polizeilichen Allgemeinverfügungen, die sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richten, gelten grundsätzlich die gleichen Voraussetzungen. Auch hier ist erforderlich, dass begrenzt auf den bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis geprüft wird, ob ein Einschreiten zur Bekämpfung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung geboten sowie ob die von der Ordnungsbehörde gewählte Maßnahme ermessensgerecht ist, insbesondere das eingesetzte Mittel nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Zweck steht.

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An diesem Maßstab gemessen greifen die Verbote der Allgemeinverfügung auch in Ansehung ihrer (beschränkten) Dauer nicht nur unerheblich in das Recht des von ihnen erfassten Personenkreises auf allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG ein. Dieser Grundrechtseingriff betrifft auch Personen, die - wie etwa die Antragsteller - zwar durch Konsum oder Mitführen alkoholischer Getränke bzw. Konsum von Getränken aus Flaschen oder Gläsern die Voraussetzungen der Verbotstatbestände erfüllen, die aber bislang nicht mit den zur Begründung der Allgemeinverfügung beschriebenen Verhaltensweisen aufgefallen sind, insbesondere auch nicht als Verhaltensstörer i.S.d. § 6 Nds. SOG oder gar als Straftäter. So lässt sich weder der Konsum von Alkohol oder das Mitführen alkoholischer Getränke noch der Konsum von Getränken aus Glasflaschen und Gläsern an sich anlässlich des Aufenthalts auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen i.S.d. § 2 NStrG als Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung i.S.d. § 11 Nds. SOG bewerten (vgl. VGH Mannheim, U. v. 28.7.2009 - 1 S 2200/08 -, a.a.O.; U. v. 28.7.2009 - 1 S 2200/08 -, a.a.O.; OLG Saarbrücken, B. v. 15.9.1997 - Ss (Z) -, NJW 1998, 251 [OLG Saarbrücken 15.09.1997 - Ss (Z) 217/97 (51/97)]; Kohl, a.a.O., S. 623, 626). Denn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ist nur gegeben, wenn bei bestimmten Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen nach allgemeiner Lebenserfahrung oder fachlichen Erkenntnissen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden für die polizeilichen Schutzgüter im Einzelfall, d.h. eine konkrete Gefahrenlage, einzutreten pflegt. Dies ist offenkundig bei dem üblichen, gesellschaftlich allgemein akzeptierten Alkoholkonsum (auch) in der Öffentlichkeit und erst recht hinsichtlich des bloßen Mitführens von alkoholischen Getränken nicht der Fall. Bezüglich des als selbstverständliche Kulturfertigkeit des Menschen einzuordnenden Konsums von Getränken aus Glasflaschen bzw. Gläsern ist dies nicht weiter begründungsbedürftig.

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Bei lebensnaher Betrachtung wird angesichts des Umstands, dass es sich bei dem "Bermuda- Dreieck" um ein gerade am Wochenende stark besuchtes "Kneipenviertel" handelt, die überwiegenden Mehrzahl der Adressaten der Allgemeinverfügung - auch von Polizei und Ordnungsbehörde - als selbst nicht störende Personen ("Nichtstörer") anzusehen sein. Denn ein Erfahrungssatz des Inhalts, dass solche (sonst) nicht weiter verhaltensauffälligen Personen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zugleich Verhaltensstörer im Sinne des Polizeirechts sind, erscheint nicht begründet. Dies gilt für die von der Antragsgegnerin unterschiedenen "Kneipengänger" und "Rucksacktrinker" gleichermaßen. Einen solchen Erfahrungssatz hat auch die Antragsgegnerin nicht aufgezeigt. Vielmehr hat sie auf ein "Zusammenwirken unterschiedlicher Faktoren" verwiesen, ohne dass dabei deutlich geworden wäre, wodurch letztlich die persönliche Verantwortlichkeit dieses Personenkreises für die von der Antragsgegnerin geschilderten Straftaten, Ordnungswidrigkeiten und unliebsamen Zustände begründet sein sollte.

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Vor diesem Hintergrund führt der mit dem verallgemeinernden Inhalt der Allgemeinverfügung verbundene Verzicht auf eine polizeirechtliche Einzelfallprüfung zwangsläufig und in weitem Umfang zu Beeinträchtigungen der Grundrechte des betroffenen Personenkreises, ohne dass diese durch das öffentliche Interesse an einer wirksamen Abwehr von diesem Personenkreis oder Dritten ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gerechtfertigt wären. Mithin tragen die in Form einer Allgemeinverfügung für das "Bermuda-Dreieck" erlassenen Konsum- und Besitzverbote angesichts der Vielgestaltigkeit der Lebenssachverhalte auch nicht den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und sachgerechter Ermessenausübung in gebotenem Umfang Rechnung.

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Zu keiner anderen Beurteilung führt schließlich der Umstand, dass sich ein Einschreiten der Antragsgegnerin bzw. der Polizei gegen die Verhaltensstörer selbst - sei es aufgrund der Vielzahl der Vorfälle, sei es, weil die eigentlichen Störer nur schwer individualisiert werden könnten - schwierig gestalten mag. Denn anderenfalls würden bereits in Ansehung von Schwierigkeiten einer Überwachung entsprechender Lebenssachverhalte mit einer Allgemeinverfügung Handlungen verboten, die aktuell die Gefahrengrenze noch nicht überschreiten, aus denen sich vielmehr Gefahren erst infolge nachfolgender Handlungsabläufe entwickeln können. Insoweit wäre allein die bereits angesprochene Möglichkeit einer abstrakt-generellen Regelung durch eine Verordnung zur Gefahrenabwehr in Betracht zu ziehen. Diese Frage stellt sich vorliegend nicht, weil die Antragsgegnerin meint, der Problemlage durch Verwaltungsakt in Form der Allgemeinverfügung begegnen zu können.

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Es ist jedoch ein allgemeiner Grundsatz des Polizeirechts, dass polizeiliche Verfügungen nicht lediglich der Erleichterung polizeilicher Aufsicht dienen dürfen. Faktische Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Störer im Einzelfall sind im Übrigen typischerweise nicht geeignet, die mit dem verallgemeinernden Verboten der Allgemeinverfügung verbundenen Beeinträchtigungen von grundrechtlich geschützten Belangen selbst nicht störender Adressaten zu rechtfertigen. Eine solche Inanspruchnahme nichtverantwortlicher Personen muss sich vielmehr an den Maßstäben des § 8 Nds. SOG, wie z.B. des Vorliegens eines sog. polizeilichen Notstands, messen lassen. Hierfür liegen nach Stand des Verfahrens jedoch keine hinreichend tragfähigen Anhaltspunkte vor. Insbesondere genügen die zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angestellten Erwägungen der Antragsgegnerin zur Wirksamkeit anderer in Betracht zu ziehender Maßnahmen hierfür nicht. Deshalb entspricht es dem rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wenn Polizei- und Ordnungsbehörde bei relevanten Störungen der öffentlichen Sicherheit aufgrund eigener (Eil-) Zuständigkeit tätig werden und letztere sodann - ggf. auf der Grundlage der Berichte der Polizeibehörde - nach konkreter Prüfung im Einzelfall weitergehende Regelungen gegen auffällig gewordene Störer trifft (vgl. VGH Mannheim, B. v. 4.10.2002 - 1 S 1963/02 -, NVwZ 2003, 115 = [...]).

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Auch der von der Allgemeinverfügung angeführte § 45 StVO ist keine tragfähige Rechtsgrundlage. Offen bleiben kann, ob diese straßenverkehrsrechtliche Regelung angesichts der von der Antragstellerin geltend gemachten verkehrlichen Beeinträchtigungen einschlägig ist (vgl. Kohl, a.a.O.). Jedenfalls ermächtigen die vorliegend allein in Betracht zu ziehenden Bestimmungen des § 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 1b Satz 1 Nr. 4 StVO die Straßenverkehrsbehörde allein dazu, notwendige Anordnungen zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu treffen und setzen damit gleichermaßen wie die ordnungsrechtliche Ermächtigung in§ 11 Nds. SOG das Vorliegen einer konkreten Gefahr voraus (Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 20. Auflage 2008, § 45 Rn. 3; Kohl, a.a.O.).

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

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Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäߧ§ 39 Abs. 1, 53 Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG; von einer Herabsetzung auf den hälftigen Wert des Klageverfahrens entsprechend Ziffer 1.5 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004 (NVwZ 2004, 1327) wurde abgesehen. Voraussichtlich wird sich die angefochtene Allgemeinverfügung mit Ablauf ihrer Geltungsdauer erledigen, bevor die Kammer im Klageverfahren eine Entscheidung treffen kann, so dass der Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine für die Rechtsverwirklichung der Antragsteller abschließende Bedeutung zukommt.