Amtsgericht Oldenburg (Oldenburg)
Beschl. v. 29.05.2007, Az.: 60 IK 11/05

Anforderung an die Versagung einer Restschuldbefreiung aufgrund einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Beeinträchtigung der Befriedigung eines Insolvenzgläubigers durch den Insolvenzschuldner; Voraussetzung für eine Versagung einer Restschuldbefreiung aufgrund einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verletzung der Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten während eines Insolvenzverfahrens

Bibliographie

Gericht
AG Oldenburg (Oldenburg)
Datum
29.05.2007
Aktenzeichen
60 IK 11/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 46459
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGOLDBG:2007:0529.60IK11.05.0A

Tenor:

Der Antrag der Gläubigerin, der Schuldnerin Restschuldbefreiung zu versagen, wird zurückgewiesen.

Der Schuldnerin wird Restschuldbefreiung erteilt werden, wenn sie ihre Obliegenheiten gemäß §§ 295, 298 Insolvenzordnung (InsO) erfüllt und die Restschuldbefreiung nicht zuvor nach §§ 296, 297 oder 298 Abs. 1 InsO versagt wird.

Die Laufzeit der Abtretungserklärung ("Wohlverhaltensperiode") beträgt sechs Jahre beginnend mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 04.02.2005.

Zum Treuhänder für die Wohlverhaltensperiode wird Rechtsanwalt H., bestimmt.

Die pfändbaren Forderungen der Schuldnerin auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge gehen nach Maßgabe der Abtretungserklärung auf den Treuhänder über.

Gründe

1

Über das Vermögen der Schuldnerin wurde am 04.02.2005 das Insolvenzverfahren eröffnet. Im Schlusstermin am 22.03.2007 beantragte die Stadt (Gläubigerin), der Schuldnerin die Restschuldbefreiung zu versagen. Sie stützt ihren Versagungsantrag auf § 290 Abs. 1 Nr. 4 und 5 InsO.

2

Die Gläubigerin hat Forderungen in Höhe von 1.200,22 EUR und 170,00 EUR zur Insolvenztabelle angemeldet (Lfd. Nr. 29 und 30 der Tabelle). Hierbei handelt es sich um Forderungen zur Erstattung von Sozialhilfeleistungen zzgl. Kosten. Diese Forderung ist in Höhe von 455,12 EUR als Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung festgestellt worden. Weiter festgestellt worden sind noch andere Forderungen zur Erstattung von Sozialhilfeleistungen und öffentlich-rechtliche Gebührenforderungen. Die Forderungen gemäß laufender Nummer 29 der Insolvenztabelle (30,00 EUR und 140,00 EUR öffentlich-rechtliche Gebührenforderungen) sind von dem Treuhänder vorläufig bestritten worden.

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Den Versagungsantrag begründet die Gläubigerin damit, dass die Schuldnerin ihr folgende Zahlungen schulde:

  1. a)

    228,90 EUR Bußgelder aus drei Verkehrsordnungswidrigkeiten und einem Verstoß gegen das Niedersächsische Schulgesetz

  2. b)

    150,10 EUR Bußgelder für drei weitere Verkehrsordnungswidrigkeiten

  3. c)

    28,50 EUR Bußgeld für eine weitere Verkehrsordnungswidrigkeit

  4. d)

    269,00 EUR rückständige Gebühren beim Gesundheitsamt und bei der KFZ-Zulassungsstelle.

4

Die geltend gemachten Beträge und Zahlungspflichten sind aus den Unterlagen so nicht genau nachvollziehbar. Belegt und damit glaubhaft gemacht sind folgende Verbindlichkeiten gegenüber der Gläubigerin:

Kostenbescheid der Stadt O. v. 16.10.2006, VerkehrsOWi18,60 EUR
Bußgeldbescheid v. 17.05.2005 (Verstoß gg. Schulgesetz)117,45 EUR
Bußgeldbescheid v. 09.06.2005, VerkehrsOWi44,95 EUR
Kostenbescheid der Stadt O. v. 19.01.2004, VerkehrsOWi17,95 EUR
Kostenbescheid der Stadt O. v. 11.08.2005, VerkehrsOWi19,35 EUR
Bußgeldbescheid v. 02.11.2005, VerkehrsOWi73,90 EUR
Bußgeldbescheid v. 29.09.2005, VerkehrsOWi54,35 EUR
Verwaltungsgebühren, Bescheide 27.06.06, 22.09.05, 01.03.06, 10.03.06140,00 EUR
Gebührenrechnung v. 07.08.200626,00 EUR
Kostenbescheid der Stadt O. v. 04.05.2006, VehrkehrsOWi18,90 EUR
Summe531,45 EUR
5

Eine nach dem 15.08.2005 vereinbarte Ratenzahlung habe die Schuldnerin ebenso, wie eine später nochmals vereinbarte Ratenzahlung nicht eingehalten.

6

Der Treuhänder hat im Schlussbericht mitgeteilt, die Schuldnerin habe eine Änderung ihrer Anschrift und einen Gläubiger nicht mitgeteilt. Außerdem habe sie trotz Aufforderung keine schriftlichen Angaben zu einem bestimmten PKW gemacht. Hierauf nimmt die antragstellende Gläubigerin ebenfalls Bezug.

7

Die vorgebrachten Gründe rechtfertigen eine Versagung der Restschuldbefreiung nicht, auch wenn deutlich ist, dass sich die Schuldnerin nicht gesetzeskonform verhalten hat. Dabei geht es aber bei der Beurteilung der Redlichkeit im Sinne des Restschuldbefreiungsrechts nicht. Die Redlichkeit im insolvenzrechtlichen Sinn ist anhand der Ziele des Insolvenzverfahrens zu bemessen. Nach § 1 InsO dient das Insolvenzverfahren dazu, die Gläubiger eines Schuldners gleichmäßig zu befriedigen, § 1 S. 1 InsO. Dem redlichen Schuldner wird darüber hinaus Gelegenheit gegeben, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien, § 1 S. 2 InsO. Was im insolvenzrechtlichen Sinn als "redlich" zu verstehen ist, wird durch die Obliegenheiten in § 290 und § 295 InsO konkretisiert.

8

Der Inhalt dieser Obliegenheiten ist im Licht des Ziel des § 1 S. 1 InsO zu sehen. Das bedeutet, dass zum einen in der Regel nur spezifische gläubigerbenachteiligende Obliegenheitsverletzungen in Betracht kommen und dann in vielen Versagungstatbeständen des § 290 InsO auch nur solche, die sich gläubigerbenachteiligend ausgewirkt haben. Reine Formalverstöße reichen nur im Ausnahmefall aus, z.B. dann, wenn sie spezifische Verstöße gegen besondere insolvenzrechtliche Verfahrensvorschriften darstellen (vgl. z.B. § 290 Abs. 1 Nr. 5 und 6 InsO). Zumindest findet im Rahmen der insolvenzrechtlichen Redlichkeitsprüfung keine allgemeine Beurteilung Person des Schuldners in Bezug auf sein gesetzeskonformes Verhalten statt. In diesem Sinn stellt beispielsweise allein die Begehung von Ordnungswidrigkeiten - im Gegensatz zu den gläubigerschädigenden Straftaten nach § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO -keinen Versagungsgrund dar.

9

Bei der Prüfung, ob in diesem so verstandenen Sinn ein Versagungsgrund für die Restschuldbefreiung vorliegt, ist das Gericht an den Versagungsantrag der Gläubigerin gebunden (vgl. Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 290 Rz. 3; MünchKommInsO/Stephan, § 290 Rz. 82; a.A. HamburgerKommInsO/Streck, § 290 Rz. 7). Dies folgt bereits aus dem Grundsatz der Gläubigerautonomie, der auch das Restschuldbefreiungsversagungsverfahren beherrscht und der nicht durch eine amtswegige Versagung unterlaufen werden darf.

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Die Gläubigerin hat ihren Versagungsantrag vorliegend auf § 290 Abs. 1 Nr. 4 und 5 InsO gestützt. Danach kann eine Versagung erfolgen, wenn

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- der Schuldner im letzten Jahr vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorsätzlich oder grob fahrlässig die Befriedigung der Insolvenzgläubiger dadurch beeinträchtigt hat, dass er unangemessene Verbindlichkeiten begründet oder Vermögen verschwendet oder ohne Aussicht auf eine Besserung seiner wirtschaftlichen Lage die Eröffnung des Insolvenzverfahrens verzögert hat, § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO, oder wenn

12

- der Schuldner während des Insolvenzverfahrens Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten nach diesem Gesetz vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat, § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO

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und ein Gläubiger einen entsprechenden Versagungsgrund glaubhaft macht.

14

Durch § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO sanktioniert das Gesetz ein vorwerfbar unangemessenes Wirtschaften des Schuldners im letzten Jahr vor der Insolvenzantragstellung oder nach dem Insolvenzantrag. Verbindlichkeiten, die dem Schuldner erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen, rechnen systematisch nicht hierunter. Solche Verbindlichkeiten sind Neuverbindlichkeiten, die von dem Insolvenzverfahren unberührt bleiben. Die Gläubiger von Neuverbindlichkeiten sind keine Insolvenzgläubiger. Neuverbindlichkeiten verbleiben dem Schuldner auch nach einer eventuellen Erteilung der Restschuldbefreiung. Sie können im Insolvenzverfahren nicht geltend gemacht werden (vgl. § 38 InsO) und haben von daher auch keinen Einfluss auf die Befriedigung der Insolvenzgläubiger. Von daher führen solche Neuverbindlichkeiten nicht zu einer Beeinträchtigung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger im Sinne des § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO und stellen damit auch keinen Versagungsgrund dar (vgl. auch Pape, Entwicklung der Rechtsprechung zum Verbraucher- und Restschuldbefreiungsverfahren im Jahre 2003, S. 647/658).

15

Unabhängig davon hätten die Geldbußen sowie deren Nebenfolgen auch dann nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können, wenn sie vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig geworden wären, §§ 174, 38, 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Von der Verpflichtung zur Zahlung dieser Verbindlichkeiten wird die Schuldnerin auch im Falle der Erteilung der Restschuldbefreiung nicht befreit, § 302 Nr. 2 InsO. Ob die Verpflichtungen zur Zahlung der Geldbußen im Insolvenzverfahren oder in der Wohlverhaltensperiode vollstreckt werden können, richtet sich nach §§ 89 ff. OWiG. Sie ist jedenfalls nicht automatisch durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder den Eintritt in die Wohlverhaltensperiode unzulässig, zumindest nicht, soweit dem Betroffenen Zahlungen aus seinem unpfändbaren Einkommen zumutbar sind. Es ist deshalb nicht so, dass ein Insolvenzschuldner in jedem Fall sanktionslos Ordnungswidrigkeiten begehen könnte.

16

Ob die Schuldnerin durch die Vereinbarung und anschließende Nichteinhaltung von Ratenzahlungsabreden die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohne Aussicht auf Besserung ihrer wirtschaftlichen Situation verzögert haben könnte, § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO, ist nicht weiter zu prüfen. Grundsätzlich kann wohl ein Schuldner, der seine Gläubiger durch erkennbar nicht einzuhaltende Ratenzahlungsvereinbarungen von der Stellung eines Insolvenzantrags abhält, diesen Versagungsgrund verwirklichen, so liegt es hier aber nicht, weil hier die Besprechungen und Vereinbarungen von Ratenzahlungen nach dem Vortrag der Gläubigerin erfolgt sind, nachdem das Insolvenzverfahren schon eröffnet war.

17

Die Gläubigerin hat sich zur Begründung ihres Versagungsantrags weiterhin auf den Schlussbericht des Treuhänders vom 25.10.2006 bezogen. In diesem Bericht heißt es unter dem Punkt 5.

"Stellungnahme zur Restschuldbefreiung:

- Die Schuldnerin hat die Änderung ihrer Anschrift nicht mitgeteilt.

- Sie hat trotz zweimaliger schriftlicher Aufforderung keine schriftlichen Angaben zu dem PKW mit dem amtlichen Kennzeichen OL-AG 398 gemacht.

- Die Schuldnerin hat einen Gläubiger nicht mitgeteilt".

18

Grundsätzlich kann sich ein Gläubiger im Rahmen eines Versagungsantrags zur Glaubhaftmachung der Versagungsgründe auf einen Treuhänderbericht berufen (HamburgerKommentarInsO/Streck, § 290 Rz. 6). Der vorstehende dargelegte Bericht des Treuhänders ist allerdings erkennbar so unsubstantiiert, dass er zur Begründung und zur Glaubhaftmachung nicht geeignet ist.

19

Die Mitteilung einer Anschriftenänderung ist eine ausdrückliche Verfahrensobliegenheit nur in der Wohlverhaltensperiode nach § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Es kann zwar auch im Insolvenzverfahren eine Auskunftspflicht diesbezüglich bestehen, allerdings lässt der Bericht des Treuhänders überhaupt nicht erkennen, ob und welche Auswirkungen die Nichtmitteilung hier gehabt hat. Damit kann auch nicht geprüft werden, ob die Nichtmitteilung für das Verfahren überhaupt wesentlich gewesen ist. Völlig unwesentliche Verstöße gegen Verfahrensobliegenheiten wären nicht geeignet, eine Versagung der Restschuldbefreiung zu rechtfertigen (Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 290 Rz. 72). Eine Versagungsgrund nach § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO ist insoweit durch Bezugnahme auf den Treuhänderbericht nicht hinreichend vorgetragen.

20

Dasselbe gilt hinsichtlich der Auskünfte zu dem bestimmten Fahrzeug. Auch hier ist der Bericht unzureichend zur Glaubhaftmachung und Begründung eines Versagungsantrags. Zu einer "schriftlichen" Auskunft, wie es der Bericht der Schuldnerin vorwirft, ist diese gesetzlich grundsätzlich nicht verpflichtet (Uhlenbruck, InsO, § 97 Rz. 5). Wenn also der Sinn der entsprechenden Mitteilung in dem Bericht hierauf liegen sollte, wäre dies unerheblich.

21

Auch die Angabe, die Schuldnerin habe einen Gläubiger nicht mitgeteilt, ist unzureichend, selbst wenn der Versagungsantrag dahingehend verstanden werden sollte, dass er sich auch auf den Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO beziehen sollte. Es ist nicht erkennbar, um welchen Gläubiger es sich handelt und welche Forderung dieser gehabt haben soll. Außerdem kommt eine Versagung der Restschuldbefreiung nur bei grob fahrlässig oder vorsätzlich unrichtigen Angaben in Betracht. Hierzu ist in dem Bericht und in dem darauf Bezug nehmendem Antrag nichts dargelegt. In dieser Frage käme es darauf an, ob die Schuldnerin diesen Gläubiger hätte kennen können und müssen. Sollte es sich um einen Gläubiger gehandelt haben, der eine alte, kaum mehr präsente Forderung geltend machen würde, wäre das Weglassen eines solchen Gläubigers möglicherweise nicht grob fahrlässig. Das Gericht kann das alles aufgrund des Antrags, der dies nicht näher ausführt, nicht prüfen.

22

Auf den Antrag der Schuldnerin war deshalb gemäß § 291 InsO die Restschuldbefreiung anzukündigen.

Dr. Heyer