Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 17.07.1991, Az.: 13 L 100/90

Schülerbeförderungskosten; Schülertransportkosten; Ausbildung; Kostenerstattung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
17.07.1991
Aktenzeichen
13 L 100/90
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1991, 13125
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1991:0717.13L100.90.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Braunschweig 11.07.1990 - 6 A 61006/90
nachfolgend
OVG Niedersachsen - 17.07.1991 - AZ.: OVG 13 L 101/90
OVG Niedersachsen - 17.07.1991 - AZ.: OVG 13 L 102/90
OVG Niedersachsen - 17.07.1991 - AZ.: OVG 13 L 103/90
BVerwG - 15.12.1992 - AZ: BVerwG 6 B 37.91
BVerwG - 14.09.1994 - AZ: BVerwG 6 C 42/92

Tenor:

Auf die Berufungen des Beklagten werden die Urteile des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 6. Kammer - vom 11. Juli 1990 geändert.

Die Klagen werden abgewiesen.

Die Kläger tragen jeweils die Kosten ihres Verfahrens in beiden Rechtszügen; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Hinweis: verbundenes Verfahren

weitere Verbundverfahren:
OVG Niedersachsen - 17.07.1991 - AZ: 13 L 101/90
OVG Niedersachsen - 17.07.1991 - AZ: 13 L 102/90
OVG Niedersachsen - 17.07.1991 - AZ: 13 L 103/90

Gründe

1

I.

Der Sohn Ruben der in W. lebenden Kläger zu 1), die Tochter Chris-Carmen der in .../OT... lebenden Kläger zu 2), die Tochter Silvia der in Z. lebenden Kläger zu 3) und die Tochter Tatjana der in ... lebenden Kläger zu 4) besuchten im Schuljahr 1989/90 die 6. Klasse des privaten Gymnasiums Pädagogium ..., einer anerkannten Ersatzschule, die zu etwa 3/4 von externen Schülern besucht wird. Im Schuljahr 1988/89 beförderte der Beklagte Ruben ... und Silvia ... im freigestellten Schülerverkehr von ihren Wohnorten nach .... Den Klägern zu 2) und zu 4) wurden in jenem Schuljahr für ihre Töchter die Aufwendungen für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel von ihren Wohnorten bis nach ... erstattet. Im Schuljahr 1989/90 richtete der Beklagte einen freigestellten Schülerverkehr für die Schüler des 5. und 6. Jahrgangs u.a. von Z. und W. nur noch nach W. und von B. sowie B. nach ... L. ein. Die Schüler der Klassen 7 bis 10 des Pädagogiums wurden hingegen im freigestellten Schülerverkehr von W., Z. und W. nach ... beföedert. Im Gebiet des Beklagten bestehen als öffentliche Schulen u.a. das Gymnasium ..., das ...-Gymnasium ... und an der Kooperativen Gesamtschule ... ein gymnasialer Zweig bis zur 10. Klasse. Die Schülerbeförderung zu diesen Schulen führt der Beklagte teilweise im freigestellten Schülerverkehr durch, teilweise erstattet er die Kosten für den Schulweg.

2

Die Anträge der Kläger zu 1) vom 20. September 1989 und der Kläger zu 3) vom 23. Oktober 1989, ihre Kinder im freigestellten Schülerverkehr von W. bzw. Z. bis nach ... zu befördern, lehnte der Beklagte mit Bescheiden vom 9. November 1989 mit der Begründung ab, die Schüler hätten gemäß § 94 Abs. 3 NSchG lediglich einen Beförderungs- bzw. Erstattungsanspruch für den Weg zur nächsten Schule, die den von ihnen verfolgten Bildungsgang anbiete. Die Kinder Ruben und Silvia hätten deshalb lediglich einen Beförderungsanspruch zur Orientierungsstufe W.. Zu dieser Schule sei ein freigestellter Schülerverkehr eingerichtet, den die Kinder aufgrund des bereits durch das Pädagogium ... ausgegebenen grünen Berechtigungsausweises nutzen könnten. Ein darüber hinausgehender Anspruch auf Beförderung oder Kostenerstattung bestehe nicht. Die Anträge der Kläger zu 2) vom 22. Oktober 1989 und der Kläger zu 4) vom 20. Oktober 1989 auf Fahrgelderstattung lehnte der Beklagte mit Bescheiden ebenfalls vom 9. November 1989 mit der Begründung ab, zu der nächstgelegenen Schule, die den von den Schülern verfolgten Bildungsgang anbiete, der Orientierungsstufe ..., sei ein freigestellter Schülerverkehr eingerichtet. Die hiergegen gerichteten Widersprüche der Kläger wies der Beklagte mit Bescheiden vom 1. Februar 1990 - den Klägern in der Zeit vom 14. bis zum 16. Februar 1990 zugestellt - als unbegründet zurück. Die Kläger zu 1) und zu 2) haben daraufhin am 12. März 1990, die Kläger zu 3) und zu 4) am 14. März 1990 Klage erhoben.

3

Zur Begründung ihrer Klagen haben die Kläger übereinstimmend geltend gemacht: Sie hätten einen Anspruch auf Erstattung der Fahrtkosten ihrer Kinder zum Pädagogium .... Die Bildungsgänge der Orientierungsstufe und der 5. sowie 6. Klassen des Gymnasiums seien entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg (Urteile v. 20.08.1986 - 13 OVG A 184/84 und 13 OVG A 51/85 -) nicht als gleich anzusehen. Während die Orientierungsstufe auf alle weiterführenden Schulen vorbereite, seien die Klassen 5 und 6 am Pädagogium die unteren Klassen der speziellen Schulform Gymnasium. Der Aufnahme in das Pädagogium gehe eine Auswahl der Schüler nach den Kriterien Leistung, Konzentrationsfähigkeit, Arbeits- und Sozialverhalten sowie Lese- und Rechtschreibkenntnisse voraus. Für das Schuljahr 1990/91 seien z.B. von 62 angemeldeten, 15 Schüler aus dem Kreisgebiet nicht aufgenommen worden. Während am Ende der 6. Klasse des Gymnasiums eine Versetzungsentscheidung herbeigeführt werde, treffe die Orientierungsstufe dann nur eine Schullaufbahnprognose und gebe den Erziehungsberechtigten eine entsprechende Empfehlung für deren Entscheidung bei der Wahl der weiterführenden Schule für ihr Kind. Der Bildungsstoff an der Orientierungsstufe sei breiter gefächert als jener ab Klasse 5 im Gymnasium. Auch würden am Pädagogium durchgängig im Wechsel zwei Stunden Physik oder Chemie gegenüber nur einer Wochenstunde an der Orientierungsstufe erteilt. Die vorgesehenen je 5 Stunden Deutsch und Englisch kämen allen Schülern und nicht nur - wie in der Praxis der Orientierungsstufe - den schwächeren Schülern zugute. Nach der Erfahrung des Pädagogiums ... brauche ein Schüler, der ausnahmsweise von einer Orientierungsstufe in die 7. Klasse aufgenommen worden sei, durchschnittlich über ein Vierteljahr Förderkurse, um an den Leistungsstand der Gymnasialklasse herangeführt zu werden. Die vom OVG Lüneburg vorgenommene Reduktion des "Bildungsganges" auf Fachzusammenstellungen und Abschlüsse, losgelöst von der Schulform, widerspreche dem Willen des Gesetzgebers. In § 124 Abs. 4 NSchG gestatte dieser bestimmten Gymnasien in freier Trägerschaft die Fortführung der Klassen 5 und 6 neben der Regelschulform Orientierungsstufe. Wären Orientierungsstufe und Klasse 6 eines Gymnasiums demselben Bildungsgang zuzuordnen, würde auch weiterhin die Einrichtung solcher Klassen schon nach § 122 NSchG möglich sein. Die restriktive Auslegung des Begriffs "Bildungsgang" im Sinne von § 94 NSchG erscheine auch im Lichte von Art. 7 Abs. 4 GG bedenklich, weil bei einer neben dem erhobenen Schulgeld eintretenden zusätzlichen Belastung durch Schülerbeförderungskosten ein freier Zugang zum Pädagogium nicht mehr gewährleistet wäre.

4

Die Kläger haben beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, entsprechend ihren jeweiligen Anträgen die ihnen entstandenen Kosten für die Schülerbeförderung ihres Kindes zum Pädagogium ... für das Schuljahr 1989/90 zu erstatten, sowie die Bescheide des Beklagten vom 9. November 1989 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 1. Februar 1990 aufzuheben, soweit diese Bescheide dem Verpflichtungsbegehren entgegenstehen,

hilfsweise,

den Beklagten unter Aufhebung seiner Bescheide vom 9. November 1989 und vom 1. Februar 1990 zu verpflichten, sie hinsichtlich der Schülerbeförderungskosten im Schuljahr 1989/90 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

5

Der Beklagte hat beantragt,

die Klagen abzuweisen.

6

Er hat die Auffassung vertreten, die Regelung in § 124 Abs. 4 NSchG sage über das Bestehen eines eigenständigen Bildungsganges nichts aus. Hierdurch sei den Privatschulen lediglich ein Besitzstand bezüglich der bestehenden Jahrgänge 5 und 6 gewährleistet worden. Die Merkmale eines Bildungsganges seien hingegen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg zu entnehmen und lägen bei den Klassen 5 und 6 eines privaten Gymnasiums nicht vor.

7

Das Verwaltungsgericht hat den Klagen mit Urteilen vom 11. Juli 1990 stattgegeben und den Beklagten verpflichtet, den Klägern entsprechend ihren jeweiligen Anträgen die ihnen entstandenen Kosten für die Schülerbeförderung ihres jeweiligen Kindes zum Pädagogium ... für das Schuljahr 1989/90 zu erstatten. Zur Begründung hat es im wesentlichen dargelegt: Den Klägern zu 2) und zu 4) stehe die begehrte Kostenerstattung für den Schulweg von B. bzw. von B. nach ..., den Klägern zu 1) und zu 3) die begehrte Kostenerstattung für den Schulweg ab W. nach ... zu. Denn der Besuch der 6. Klasse des privaten Gymnasiums stelle gegenüber den Orientierungsstufen in ... und W. einen eigenständigen Bildungsgang dar. Das Pädagogium sei deshalb die nächstgelegene Schule mit dem von den Kindern der Kläger verfolgten Bildungsgang. Die Kammer gehe entgegen ihrer früheren Rechtsprechung insoweit nunmehr von einem von der Rechtsprechung des OVG Lüneburg abweichenden Begriffsinhalt aus. Ein Bildungsgang sei die besondere Schwerpunktbildung innerhalb einer Schulform, und unterschiedliche Schulformen bedeuteten ohne weitere Voraussetzung notwendigerweise auch unterschiedliche Bildungsgänge. Diese Bedeutung des Begriffs "Bildungsgang" lasse sich aus dem systematischen Zusammenhang des Niedersächsischen Schulgesetzes herleiten, wonach Bildungsgang ein Unterbegriff der Schulform sei mit der Folge, daß bei unterschiedlichen Schulformen immer ein unterschiedlicher Bildungsgang bestehe. Die gefundene Auslegung stimme auch mit dem erklärten Willen des Gesetzgebers überein. Denn in der amtlichen Begründung (LT-Drs. 9/1085 S. 78) heiße es insoweit, nächstgelegene öffentliche Schule sei die Schule, die der Schüler aufgrund der vom Schulträger getroffenen Festlegung von Schulbezirken besuchen müsse oder - im Falle eines Wahlrechts - die Schule, die die vom Schüler gewählte Schulform und den von ihm angestrebten Bildungsgang anbiete. Daraus ergebe sich, daß der Schüler ohne Beschränkung seines Beförderungs- oder Erstattungsanspruchs zunächst zwischen den Schulformen und darüber hinaus nach den dort vorhandenen unterschiedlichen Bildungsgängen wählen könne. Die unterschiedliche Schulform sei danach immer als eigener Bildungsgang zu bewerten. Aufnahme in den Gesetzeswortlaut habe allerdings nur der Begriff Bildungsgang gefunden, weil er als kleinste Differenzierungsgröße die unterschiedlichen Schulformen ohnehin erfasse. Selbst wenn man davon ausginge, daß eine unterschiedliche Schulform nicht notwendig einen eigenen Bildungsgang bedeute, sei aber bezüglich der 5. und 6. Klassen eines privaten Gymnasiums gegenüber der Orientierungsstufe dennoch von einem unterschiedlichen Bildungsgang auszugehen. Denn der Besuch der 5. und 6. Klasse eines Gymnasiums sei der Beginn einer gymnasialen Schullaufbahn mit schulformspezifischem Unterricht und dürfe nicht isoliert von den Folgeklassen betrachtet werden. Schon bei dem Eintritt in die 5. Klasse sei diese Laufbahn auf den Erwerb der allgemeinen Hochschulreife gerichtet und unterscheide sich von der auf eine Grundbildung für alle weiterführenden Schulformen ausgerichteten Schulform Orientierungsstufe. Auch die Regelung des § 124 Abs. 4 NSchG spreche gegen eine isolierte Betrachtung der 5. und 6. Klassen bei der Eingrenzung des gymnasialen Bildungsganges. Darüber hinaus sei auch bei einem Vergleich der Orientierungsstufe nur mit den 5. und 6. Klassen eines Gymnasiums wegen der insoweit bestehenden bedeutsamen Unterschiede bei der abschluß- und lehrstoffbezogenen Bewertung von jeweils eigenständigen Bildungsgängen auszugehen. In der Orientierungsstufe finde eine Orientierung im Hinblick auf die drei weiterführenden Schulformen mit einem dementsprechend breit gefächerten Bildungsstoff statt, während in der 5. und 6. Gymnasialklasse eine schulformspezifische Bildung erfolge. Als Gemeinsamkeit bleibe nur, daß die Schüler der Orientierungsstufe wie jene der 5. und 6. Klassen eines Gymnasiums (u.a.) auf den Besuch der 7. Klasse eines Gymnasiums vorbereitet würden. Auch gestalte sich der Übergang in den mit Klasse 7 beginnenden Sekundarbereich I sehr unterschiedlich. Beim Gymnasium stehe am Ende der 6. Klasse eine Versetzungsentscheidung, die im Fall des Mißerfolgs zu einer Wiederholung der 6. Klasse führe und auch einen Übergang in das Regelschulsystem nur über die Wiederholung dieser Klasse ermögliche. Beim Übergang von der Orientierungsstufe werde dagegen keine für den Schüler verbindliche Entscheidung über den weiteren Schulbesuch getroffen, sondern lediglich eine - jedenfalls zunächst - unverbindliche Schullaufbahnempfehlung ausgesprochen, bei der es den Erziehungsberechtigten freistehe, z.B. auch ein Kind mit einer Hauptschulempfehlung in die 7. Klasse eines Gymnasiums einzuschulen. Diese bedeutsamen qualitativen Unterschiede dürften bei der Frage der Vergleichbarkeit der Bildungsgänge nicht außer acht gelassen werden. In zeitlicher Hinsicht handele es sich zwar bei den fraglichen Bildungsangeboten um lediglich zwei Schuljahrgänge und nur um einen Bruchteil der gesamten Schulzeit. Diesem Zeitraum komme aber bei der Orientierungsstufe als gedachte Entwicklungs- und Entscheidungshilfe für den Besuch der weiterführenden Schulform nach ihrer Intention eine richtungweisende Bedeutung zu. Dagegen sei bei dem Besuch der 5. und 6. Klasse eines Gymnasiums die Schullaufbahnentscheidung aufgrund anderer Erkenntnisse bereits getroffen worden. Von besonderer Bedeutung sei insoweit, daß gerade keine Orientierung mehr erfolge und ein weiterer Schulwechsel zu Beginn der Klasse 7 nicht eintrete. Die 6. Klasse des Pädagogiums ... sei demnach ein eigenständiger Bildungsgang gegenüber den Orientierungsstufen ... und W., so daß es sich beim Pädagogium auch um die nächstgelegene Schule handele, die diesen Bildungsgang für die Kinder der Kläger anbiete.

8

Der Beklagte hat gegen die ihm am 2. August 1990 zugestellten Urteile am 16. August 1990 Berufung eingelegt, zu deren Begründung er sich im wesentlichen auf die bisherige Rechtsprechung des Senats bezieht und ergänzend vorträgt: Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, unterschiedliche Schulformen bedeuteten immer auch einen unterschiedlichen Bildungsgang, sei unzutreffend, weil es dann der Anordnung der Wahlfreiheit zwischen Schulformen und Bildungsgängen in § 43 Abs. 1 NSchG nicht bedurft hätte. Die angefochtene Entscheidung berücksichtige auch nicht, daß ein Bildungsgang nach §§ 8 Abs. 2, 9 Abs. 2 und 10 Abs. 2 NSchG durch einen qualifizierten Abschluß geprägt sei. Da ein solcher Abschluß - wie der Realschulabschluß zeige - in mehreren Schulformen erworben werden könne, bedeute die unterschiedliche Schulform bei einer Zielrichtung auf denselben Abschluß noch keinen andersartigen Bildungsgang. Auch die verschiedenen schulischen Mischformen, z.B. die KGS, zeigten, daß eine gleichartige Schwerpunktbildung in unterschiedlichen Schulformen vorkomme. Die Orientierungsstufe sei in ihren "Abschlüssen" sowie ihrem Bildungsangebot mit der Schulform des privaten Gymnasiums - Klassen 5 und 6 - identisch. Sowohl ihre Schüler als auch die Schüler der 5. und 6. Klasse des privaten Gymnasiums seien verpflichtet, die Sekundarstufe I zu besuchen. Die Sekundarstufe I vermittele ein differenziertes Unterrichtsangebot, das die Schüler nach ihren Begabungen, Fähigkeiten und Neigungen auf die Fortsetzung ihres Bildungsweges in den allgemeinen und berufsbildenden Schulen der Sekundarstufe II vorbereiten solle. Das Gymnasium müsse zu Beginn der 5. Klasse auf demselben Wissensstand aufbauen wie die Orientierungsstufe. Die Orientierungsstufe habe das Ziel, die Schüler sich ihrer besonderen Interessen und Neigungen bewußt werden zu lassen, diese richtig einzusetzen und zu ersten Schwerpunkten zu gelangen. Nichts anderes wolle auch das Gymnasium im Sekundarbereich I vermitteln. Auch auf einem Privatgymnasium entscheide sich nach den ersten beiden Klassen im Sekundarbereich I, ob der Schüler leistungsstark genug sei, auf dem Gymnasium verbleiben zu können. Nichts anderes geschehe in der Orientierungsstufe. Daraus sei zu schließen, daß ein privates Gymnasium in diesen Jahrgängen keine anderen Lerninhalte vermittele als öffentliche Schulen. Folglich hätten beide Schulformen die gleiche Fachrichtung, also auch den gleichen Bildungsgang. Der Umstand, daß die Orientierungsstufe ihre Leistungsdifferenzierung in der 6. Klasse stark verringere, rechtfertige noch nicht die Annahme eines eigenen Bildungsgangs. Auch weiche sie in ihren Lehr- und Erziehungsmethoden sowie in den Lehrstufen nicht so wesentlich vom Privatgymnasium ab, daß von einem besonderen Bildungsgang auszugehen wäre. Aus der Privatschulgarantie des Art. 7 Abs. 4 GG könnten die Kläger keinen Anspruch auf Erstattung der Beförderungskosten für ihre Kinder herleiten. Nur eine notleidende Privatschule habe Anspruch auf staatliche Hilfe, deren nähere Ausgestaltung den Ländern überlassen sei. Es sei nicht ersichtlich, daß der Landesgesetzgeber verpflichtet sein sollte, den Fortbestand von Privatschulen gerade durch die Erstattung von Schülerbeförderungskosten zu sichern. Die Versagung der Transportkostenerstattung zum Pädagogium verstoße schließlich auch nicht gegen Art. 3 GG. Die Fahrtkosten zur nächsten Privatschule könnten immer dann in voller Höhe erstattet werden, wenn diese Schule zumindest ebenso nahe zum Wohnort des Schülers liege wie die nächste Orientierungsstufe, zu der kein freigestellter Schülerverkehr bestehe.

9

Der Beklagte beantragt,

die angefochtenen Urteile zu ändern und die Klagen abzuweisen.

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Die Kläger beantragen,

die Berufungen zurückzuweisen.

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Sie verteidigen das angefochtene Urteil und machen ergänzend geltend: Die Orientierungsstufe sei eine integrierte Schulform, deren Unterricht Elemente aller drei Schulformen enthalte. Man könne hier von einem eigenen Bildungsgang ohne Abschluß sprechen, nicht aber von mehreren Bildungsgängen, die identisch mit denen anderer Schulformen wären. Bestätigt werde dies durch § 124 Abs. 4 NSchG. Denn die hierin getroffene Regelung bedeute, daß nach Auffassung des Landesgesetzgebers die Schulform Gymnasium nur von den Klassen 7 bis 13 reiche, deshalb die Klassen 5 und 6 eines Gymnasiums die Kriterien einer Ersatzschule nach § 122 NSchG nicht erfüllten, so daß sie ausdrücklich in den Ersatzschulstatus hätten einbezogen werden müssen. Die Orientierungsstufe sei im übrigen eine in sich geschlossene Schulform mit einem abschließenden Bildungsziel (Klärung der Frage des weiterführenden Bildungsweges), die Klassen 5 und 6 des Gymnasiums seien jedoch lediglich die untersten zwei Klassenstufen einer Schulart, die bis Klasse 13 reiche. Weil nur abgeschlossene Bildungsgänge miteinander verglichen werden könnten, fehle die mit der Orientierungsstufe in Beziehung zu setzende Vergleichseinheit. Sollte der Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalten, würde sich die weitere Frage stellen, ob die so verstandene Regelung der Erstattung der Schülerbeförderung noch mit den Grundsätzen des Art. 7 Abs. 4 GG zu vereinbaren wäre. Denn die in fast allen Bundesländern eingeführte übliche Erstattungsform für die Aufwendungen zum Besuch der nächsten Schule des gewählten Bildungsganges benachteilige ohnehin die Eltern, die ihre Kinder auf Schulen in freier Trägerschaft schickten. Weil staatliche Schulen flächendeckend und wohnortnah errichtet worden seien, liege eine staatliche Schule mit dem Bildungsgang eines Gymnasiums im Zweifel immer näher. Werde der "Bildungsgang" dann noch so extensiv interpretiert wie in der Rechtsprechung des OVG Lüneburg, werde praktisch ausgeschlossen, daß ein Gymnasium in freier Trägerschaft nächste Schule dieses Bildungsganges sei. Eltern mit Kindern an Schulen in freier Trägerschaft würden also in den meisten Fällen eine verkürzte oder keine Erstattung der Schülertransportkosten erhalten. Dies wäre aber eine diskriminierende finanzielle Ungleichbehandlung, die verfassungsrechtlich bedenklich sei. Zu dem monatlich gezahlten Schulgeld von 125,00 DM würde bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Beklagten noch ein Betrag in Höhe von 63,00 DM monatlich für die Schülerbeförderung hinzukommen. Dies seien insgesamt Belastungen, die den Besuch des Pädagogiums ... prohibitiv erschweren würden. Das Bundesverfassungsgericht habe aber dem verfassungsrechtlichen Verbot des Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG, eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern zu fördern, erhebliches Gewicht beigemessen und nachdrücklich darauf hingewiesen, daß das Grundgesetz eine Entwicklung der privaten Ersatzschulen in Richtung auf eine Art von Standes- oder Plutokratenschulen vermeiden wolle. Auch die Privatschule müsse aber in dem Sinne allgemein zugänglich sein, daß sie grundsätzlich bei Erfüllung allgemeiner Voraussetzungen von jedem Schüler ohne Rücksicht auf dessen Wirtschaftslage besucht werden könne. Nur dann könne die gewährleistete Freiheit im Schulwesen tatsächlich verwirklicht und von allen Eltern und Schülern gleichberechtigt in Anspruch genommen werden. Eine finanzielle Belastung von monatlich weit über 100,00 DM lasse aber die freie Zugänglichkeit des Pädagogiums nicht mehr zu. Es wäre eine Umgehung der aus der Privatschulgarantie folgenden Verfassungsprinzipien der freien Zugänglichkeit der Schulen in freier Trägerschaft und der Gleichrangigkeit der Schulen in staatlicher und freier Trägerschaft, wenn der Gesetzgeber durch Beförderungskostenregelungen diese ausdrückliche Gewährleistung de facto erheblich einschränken könnte. Wenn der Gesetzgeber eine Regelung wie § 94 NSchG beschließe, dann müsse jedenfalls die Interpretation dieser Bestimmung den einschlägigen Verfassungsprinzipien Rechnung tragen. In diesem Sinne sei insbesondere die Definition des Bildungsganges zu überprüfen, die nicht im Wege der Extension eine prinzipiell gegebene Benachteiligung der Eltern an Schulen in freier Trägerschaft verschärfen dürfe, sondern diese Benachteiligung ausgleichen müsse.

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Den Klägern zu 2) und 4) seien im übrigen mindestens die Beförderungskosten zur Orientierungsstufe ... zu erstatten. Dem stehe nicht entgegen, daß insoweit ein freigestellter Schülerverkehr eingerichtet sei. Denn dem Schüler, der eine andere Schule besuche, seien jedenfalls die notwendigen Aufwendungen für den Weg zur nächsten Schule zu erstatten. Andernfalls hätte der Gesetzgeber im ersten Halbsatz einen "Anspruch auf Beförderung" nicht erwähnen dürfen, weil es dann bei freigestelltem Schülerverkehr generell keinen Erstattungsanspruch bei Besuch einer anderen Schule gäbe. Die vom Beklagten vorgenommene Interpretation dieser Vorschrift hätte zur Folge, daß sich ein Kostenträger seiner Erstattungspflicht völlig entziehen könne, indem er überall freigestellten Schülerverkehr einführe. Die Eltern an Schulen in freier Trägerschaft wären dann aber noch stärker benachteiligt als ohnehin schon, so daß erst recht die vorgetragenen Verfassungsbedenken zum Tragen kommen müßten.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die in ihren wesentlichen Teilen Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

14

II.

Die zulässigen Berufungen des Beklagten sind begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Klagen zu Unrecht stattgegeben. Der Beklagte ist nicht verpflichtet, den Klägern die geltend gemachten Schülerbeförderungskosten bis nach ... zu erstatten, weil die 6. Klasse eines privaten Gymnasiums gegenüber derselben Klasse der Orientierungsstufe keinen eigenständigen Bildungsgang darstellt.

15

Gemäß §§ 94 Abs. 3 Satz 1, 121 Abs. 3 NSchG besteht auch für Schüler von Ersatzschulen die Beförderungs- oder Erstattungspflicht des Beklagten nur für den Weg zur nächsten Schule, die den vom Schüler verfolgten Bildungsgang anbietet. Das Gesetz enthält weder eine Definition des Begriffs "Bildungsgang", noch gibt es eine Antwort auf die hier interessierende Frage, ob die 5. und 6. Klasse eines privaten Gymnasiums und die Orientierungsstufe identische Bildungsgänge sind. Darin liegt aber kein verfassungsrechtlich zu beanstandender Mangel, da ein Parlamentsvorbehalt insoweit nicht besteht und eine rechtmäßige Handhabung dieser Vorschrift auch ohne eine besondere gesetzliche Begriffsbestimmung möglich ist (Hess. StGH, Beschlüsse v. 25.07.1984 - P.St. 997 -, Staatsanzeiger 1984, S. 1581 = SPE n.F. Schülerbeförderungskosten 670 Nr. 23, und v. 29.07.1984 - P.St. 962 -, NVwZ 1984, 788). Denn das Verständnis des "Bildungsgangs" - im Unterschied zu den im Gesetz ebenfalls verwandten Begriffen "Schulform" und "Bildungsweg" - erschließt sich aus der Zusammenschau der Vorschriften, in denen das Gesetz diese Begriffe verwendet. Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 NSchG haben die Erziehungsberechtigten im Rahmen der Regelungen des Bildungsweges die Wahl zwischen den Schulformen und Bildungsgängen, die zur Verfügung stehen. Nach § 46 Abs. 2 NSchG können im Primarbereich und im Sekundarbereich I Schulbezirke nicht nur für jede Schule, sondern auch für einzelne Bildungsgänge festgelegt werden. Daraus ergibt sich, daß der "Bildungsgang" als Unterbegriff der "Schulform" rechtliche Bedeutung gewinnt und das abstrakte Bildungsangebot einer bestimmten Fachrichtung kennzeichnet, während der "Bildungsweg" den individuellen Weg des einzelnen Schülers von seiner Aufnahme in die Schule bis zu dem angestrebten oder erreichten Abschluß meint. Bei den berufsbildenden Schulen (§ 85 Abs. 4) und den Schulen in freier Trägerschaft spricht das Niedersächsische Schulgesetz anstelle von "Bildungsgang" auch von "Fachrichtung", auf die sich bei einer Ersatzschule innerhalb einer Schulform die ausgesprochene Genehmigung beschränken kann (§ 123 Abs. 2 Satz 1 NSchG). Aus den §§ 8 Abs. 2, 9 Abs. 2 und 10 Abs. 2 NSchG ergibt sich weiter, daß der "Bildungsgang" mit dem Erwerb einer bestimmten weiterführenden Qualifikation abschließt und somit nicht nur durch die Schwerpunktbildung innerhalb einer Schulform, sondern auch durch diesen spezifischen Abschluß geprägt ist. Dieser Inhalt kommt dem Begriff des Bildungsgangs auch im Rahmen der Schülerbeförderung zu. Das wird durch die Entstehungsgeschichte der Regelung bestätigt. Denn schon in der Verordnung über den Schülertransport vom 17. August 1978 (NdsGVBl S. 625) war in § 1 Abs. 3 der Schulweg als der kürzeste Weg zwischen der Wohnung des Schülers und der nächstgelegenen Schule bestimmt, "die die vom Schüler gewählte Schulform und den angestrebten Bildungsgang anbietet ...". Bei der Übernahme dieser Anspruchsvoraussetzung in § 94 Abs. 3 NSchG durch die 2. Novelle vom 21. Juli 1980 (NdsGVBl S. 261) trat insoweit materiell keine Änderung ein, wenn auch § 94 Abs. 3 den Oberbegriff "Schulform" neben dem "Bildungsgang" nicht mehr gesondert aufführt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (Urteile v. 30.11.1983 - 13 OVG A 56/83 -, NVwZ 1984, 809; v. 20.08.1986 - 13 OVG A 51/85 und 13 OVG A 184/84 - und v. 30.08.1990 - 13 OVG A 136/88 -) und der Auffassung im Schrifttum (vgl. Klügel/Woltering, NSchG, 2. Aufl. 1991, § 43 Anm. 4) ist Bildungsgang im Sinne von § 94 Abs.3 Satz 1 NSchG nach alledem die besondere fachliche Schwerpunktbildung in einem schulischen Angebot, die sich auch in einer besonderen Gestaltung des Abschlusses auswirkt. Begriffsbestimmend für den eigenständigen Bildungsgang sind danach in erster Linie das Bildungsziel im Sinne von Abschluß und der Bildungsinhalt im Sinne von Lehrstoff (Hess.StGH, Beschl. v. 25.07.1984, aaO; Hess.VGH, Urt. v. 25.09.1987 - 6 UE 265/85 -, SPE n.F. Schülerbeförderungskosten 670 Nr. 30; VG Frankfurt, Urt. v. 30.03.1988 - V/VE 2828/87 -, SPE n.F., aaO, Nr. 33). Nach diesen Kriterien sind als eigener Bildungsgang zum Beispiel anzuerkennen die Freien Waldorfschulen (Urt. d. Senats v. 30.11.1983, aaO), nicht hingegen Schulen in freier Trägerschaft, die lediglich besondere neusprachliche, religiöse oder musische Schwerpunkte aufweisen, z.B. ein von einem Bistum getragenes staatlich anerkanntes Gymnasium (Urt. d. Senats v. 30.08.1990, aaO) oder der neben dem neusprachlichen und dem altsprachlichen Zweig bestehende sog. "Musikzug" an einem Gymnasium (VG Stade, Urt. v. 30.01.1986 - 2 VG A 57/85 -, SPE n.F., aaO, Nr. 27).

16

Aus der gesetzlichen Einstufung der Orientierungsstufe als einer besonderen Schulform innerhalb des Sekundarbereichs I durch § 4 Abs. 3 Nr. 2 NSchG kann nicht abgeleitet werden, daß die Orientierungsstufe einen gegenüber der 5. und 6. Gymnasialklasse eigenständigen Bildungsgang darstellt. Auch wenn - wie das Verwaltungsgericht meint - unterschiedliche Schulformen stets schon deshalb auch unterschiedliche Bildungsgänge darstellen sollten, wäre damit für die hier interessierende Frage noch nichts gewonnen. Denn die 5. und 6. Schuljahrgänge des Privatgymnasiums sind keine eigenständige Schulform, sondern lediglich Teil der Schulform Gymnasium, die im staatlichen Schulwesen erst mit Klasse 7 beginnt. Vergleichsobjekt der Orientierungsstufe im Rahmen des § 94 Abs. 3 NSchG kann aber nicht der gymnasiale Bildungsgang als solcher, sondern können nur die ihr entsprechenden Schuljahrgänge des Gymnasiums sein. Insoweit besteht ein bedeutsamer Unterschied zur Regelung der Schülerbeförderung in Hessen. Denn dort ist hinsichtlich der Kostenerstattung geregelt, daß es beim Vergleich der Bildungsangebote ausreiche, wenn die staatliche Schule "nur einzelne Stufen des Bildungsgangs" umfasse. Bei den Entscheidungen zur Gleichartigkeit/Ungleichartigkeit des Bildungsgangs der hessischen Förderstufe auf der einen, des Bildungsgangs des privaten Gymnasiums auf der anderen Seite konnte mithin - wie geschehen - auf das Gymnasium als Ganzes abgestellt und die Förderstufe mit den weiterführenden Schulen verglichen werden. Bereits die Feststellung, daß die Förderstufe etwas gegenüber herkömmlichen weiterführenden Schulen Verschiedenes, ein aliud, darstelle, reichte deshalb für die hessische Gesetzeslage aus, um den Erstattungsanspruch für die Schüler der 5. und 6. Klasse der privaten Ersatzschule zu begründen (vgl. HessVGH, Urt. v. 25.09.1987, aaO; VG Frankfurt, Urt. v. 30.03.1988, aaO). Die Orientierungsstufe ist demgegenüber, verglichen mit (nur) der 5. und 6. Klasse eines Privatgymnasiums, nach den vorerwähnten Bestimmungsmerkmalen nicht als ein anderer "Bildungsgang" einzuordnen; weder sie noch der 5. und 6. Schuljahrgang des privaten Gymnasiums sind nach Bildungsziel und Bildungsinhalt eigenständige Bildungsgänge.

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Die Orientierungsstufe ist hinsichtlich des Bildungsziels nicht auf einen bestimmten Bildungsabschluß ausgerichtet, sondern hat nach § 6 Abs. 3 NSchG die Aufgabe, in die Lernschwerpunkte und Lernanforderungen aller weiterführenden Schulformen im Sekundarbereich I einzuführen und den Eltern durch eine Schullaufbahnprognose eine entsprechende Empfehlung für deren Entscheidung bei der Wahl der weiterführenden Schule für ihr Kind zu geben. Sie stellt sich mithin nicht als antizipierte Hauptschule, Realschule oder antizipiertes Gymnasium dar, sondern ermöglicht letztlich jeden Bildungsabschluß der weiterführenden Schulen, auch den des Gymnasiums. Dementsprechend wird sie sowohl im früheren Erlaß des MK "Die Arbeit in der Orientierungsstufe" vom 30. April 1987 (SVBl S. 110) als auch in dem seit dem 1. August d.J. geänderten Orientierungsstufen-Erlaß des MK vom 28.02.1991 (SVBl 1991, S. 57) unter Nr. 1 als Bindeglied zwischen dem Primarbereich und den drei weiterführenden Schulformen gekennzeichnet, der die Aufgabe zukommt, aufbauend auf der Arbeit der Grundschule die Schülerinnen und Schüler auf den Unterricht in der Hauptschule, in der Realschule und im Gymnasium bzw. in den entsprechenden Schulzweigen einer Kooperativen Gesamtschule vorzubereiten. Während hinsichtlich des Abschlusses der 5. Klasse kein Unterschied zwischen der Orientierungsstufe und dem Gymnasium besteht, weil in beiden Schulen die Schüler nach dem Besuch der 5. Klasse ohne Versetzungsbeschluß in die 6. Klasse übergehen (§§ 12, 19 Abs. 2 der Verordnung über die Versetzungen an den allgemeinbildenden Schulen vom 05.04.1978 - NdsGVBl S. 290), gestaltet sich der Abschluß der 6. Klasse in der Orientierungsstufe und am Gymnasium unterschiedlich. Denn am Gymnasium muß nunmehr nach § 19 Abs. 1 der zitierten Versetzungsverordnung ein Versetzungsbeschluß vorliegen, ohne den der Schüler die 6. Klasse zu wiederholen hat, während am Ende der Orientierungsstufe für jeden Schüler der 6. Klasse ein Eignungsgutachten mit einer Empfehlung für den weiteren Bildungsweg des Schülers zu beschließen ist, aufgrund dessen die Erziehungsberechtigten entscheiden, welche Schulform sie für ihr Kind wählen, ohne insoweit an die Empfehlung gebunden zu sein (§ 1 der Verordnung über den Wechsel der Schulform im Sekundarbereich I vom 24.03.1983, NdsGVBl S. 94). Eine Wiederholung der 6. Klasse der Orientierungsstufe ist hingegen nach § 13 Abs. 1 der Versetzungsverordnung vom 5. April 1978 nur dann auf Beschluß der Jahrgangskonferenz zulässig, wenn eine erfolgreiche Mitarbeit des Schülers in der 7. Klasse der Hauptschule nicht zu erwarten ist. Einen Schulabschluß bieten weder die 6. Klasse der Orientierungsstufe noch jene des privaten Gymnasiums; es fehlt mithin bereits an dem den eigenständigen Bildungsgang u.a. kennzeichnenden Bildungsziel im Sinne eines spezifischen Abschlusses.

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Der in der Orientierungsstufe verfolgte Bildungsinhalt unterscheidet sich zwar von dem des Gymnasiums. Denn die Orientierungsstufe hat entsprechend ihrer Ausrichtung als Bindeglied zwischen dem Primarbereich und den drei weiterführenden Schulformen den Unterricht so zu gestalten, daß Schüler aller Begabungsgrade nach Abschluß der Orientierungsstufe eine weiterführende Schule ihrer Wahl besuchen können. Die integrative Zielsetzung der Förderung aller Kinder wird inbesondere darin deutlich, daß eine Differenzierung in Leistungskurse im 5. Schuljahrgang ausgeschlossen ist und auch im 6. Schuljahr außer in den Fächern Mathematik und Englisch, in denen eine äußere Differenzierung durch Einteilung der Schüler in zwei bzw. drei Leistungskurse möglich ist, der Unterricht im Klassenverband erteilt wird und dort durch innere Differenzierung die individuellen Fähigkeiten und Begabungen zu fördern sind. Der Verzicht der Orientierungsstufe im 5. und 6. Schuljahrgang auf eine frühzeitige "Begabtenauslese", die am Privatgymnasium bereits im Anschluß an die 4. Grundschulklasse als Voraussetzung der Aufnahme in das Gymnasium durchgeführt wird, kommt im übrigen auch hinsichtlich der nicht fachspezifischen Ziele der Orientierungsstufe deutlich zum Ausdruck. Denn die Arbeit in der Orientierungsstufe zielt nach Nr. 2.3 des geänderten Orientierungsstufen-Erlasses neben der Vermittlung einer allgemeinen Grundbildung vorrangig auf die Bildung der Gesamtpersönlichkeit ihrer Schülerinnen und Schüler und darf nicht einseitig lehrstoffbezogen und auf Leistungen im kognitiven Bereich ausgerichtet sein. Vielmehr muß sie zugleich die Bildung des Charakters, die Förderung emotionaler und kreativer Kräfte sowie Hilfen zu immer größerer Selbständigkeit der Heranwachsenden umfassen. Die Orientierungsstufe soll einen Übungs-, Erprobungs- und Erfahrungsraum für Formen und Möglichkeiten individueller Lebensgestaltung und humanen Umgangs miteinander bieten. Eine wesentliche Aufgabe dieser Schulform besteht darin, die Schülerinnen und Schüler zunehmend zu befähigen, sich gesundheitsbewußt zu verhalten sowie sachgerecht und aktiv für die Erhaltung der natürlichen Umwelt einzusetzen. Ihre Bereitschaft, für gute Beziehungen unter den Menschen verschiedener Nationen und Kulturkreise einzutreten sowie die Toleranz unter den Menschen zu fördern, soll gestärkt werden. Die Gleichberechtigung der Geschlechter ist durch eine Erziehung zu partnerschaftlichem Verhalten zu fördern, das einseitigen Rollenorientierungen entgegenwirken kann. Diesen Zielen soll neben dem fachbezogenen, fächerübergreifenden, fachbereichsbezogenen Unterricht sowie der projektorientierten Arbeit vor allem ein Schulleben dienen, das durch das tägliche Zusammenleben und die Art des Umgangs miteinander geprägt wird. Der intensiven und partnerschaftlichen Einbeziehung der Erziehungsberechtigten ins Schulleben wird eine besondere Bedeutung für die Förderung des erzieherischen Bemühens beigemessen.

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Das Gymnasium andererseits soll - jedenfalls ab Klasse 7 - gemäß § 10 Abs. 2 NSchG und nach dem Erlaß des MK vom 6. Juni 1978 (SVBl S. 197) - geändert durch Erlaß des MK vom 12. Dezember 1986 (SVBl 1987 S. 4) - "Die Arbeit in den Klassen 7 - 10 des Gymnasiums" den Schülern die allgemeine Qualifikation für ein Hochschulstudium oder für gleichwertige Berufsausbildungsgänge vermitteln (Nr. 1.1). Bis zur 10. Klasse sollen die Schüler insbesondere die Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten erwerben, die Interessen entwickeln sowie die Einstellungen und Erfahrungen gewinnen, die für den Übergang in die gymnasiale Oberstufe nötig sind, um den Anforderungen im Pflichtbereich genügen und einen geeigneten Schwerpunktbereich wählen zu können (Nr. 2.2). Dazu müssen die Schüler u.a. ein tragfähiges Grundwissen erwerben und anwenden können, über elementare Fertigkeiten sicher verfügen lernen und die Fähigkeit zu problemlösendem, abstrahierendem, konstruktivem und produktivem Denken altersgemäß entwickeln. Auch die Arbeit des Gymnasiums darf nicht nur auf Leistungen im kognitiven Bereich ausgerichtet sein, sondern muß zugleich die Bildung des Charakters sowie die Förderung emotionaler und kreativer Kräfte umfassen, wozu neben dem Unterricht vor allem ein Schulleben dient, das den Schülern auch Anregungen für eine aktive Gestaltung der Freizeit bietet (Nr. 2.3). Doch ist eindeutig die gezielte Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten nach abstrakten Anforderungskriterien und - anders als in der Orientierungsstufe - nicht die Förderung aller Schüler nach ihren individuellen Anlagen und Fähigkeiten Aufgabe des Gymnasiums.

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Die Orientierungsstufe kann hiernach hinsichtlich des Bildungsinhalts wegen ihrer fachlichen Schwerpunkte und der integrativen Elemente zwar nicht als identisch mit der 5. und 6. Klasse eines privaten Gymnasiums angesehen werden. Denn ihr liegt ein eigenständiges - im übrigen nicht unumstrittenes - pädagogisches Konzept zugrunde, dessen Bedeutung nicht dadurch verringert wird, daß sie nur zwei der in § 48 Abs. 1 NSchG bestimmten 12 Pflichtschuljahre umfaßt. Dadurch wird sie aber nicht bereits zu einem eigenständigen Bildungsgang. Denn der gymnasiale Bildungsgang mit dem Ziel der Erlangung der Hochschulreife kann auch in der Orientierungsstufe begonnen werden. Die Eltern, die ihr Kind zur Orientierungsstufe schicken, haben sich keinesfalls zwangsläufig gegen den gymnasialen Bildungsgang entschieden, sondern können insoweit dieselbe Prognose für ihr Kind getroffen haben wie die Kläger. Der Unterschied besteht darin, daß sie den integrativen Unterricht und den Besuch des Gymnasiums erst ab der 7. Klasse für ihre Kinder akzeptieren, während die Kläger es vorziehen, bereits im 5. und 6. Schuljahrgang ihre Kinder getrennt von deren früheren Mitschülern, die andere weiterführende Schulen besuchen werden, schulisch ausbilden zu lassen. Dabei dürfte die Überlegung eine Rolle spielen, daß das fachliche Leistungsniveau dieser Schuljahrgänge an privaten Gymnasien wegen der bereits getroffenen Vorauswahl im Regelfall höher sein dürfte als an der zur schulischen Ausbildung aller Schüler der beiden Jahrgangsstufen verpflichteten Orientierungsstufe. Doch kommt dem erwarteten Leistungsstand einer Schule im Rahmen der Definition des Bildungsgangs keine Bedeutung zu. Denn andernfalls müßten selbst weiterführende Schulen derselben Schulform bei Unterschieden im Bildungsniveau im Rahmen der Anwendung der Regelung über die Kosten der Schülerbeförderung bereits aus diesem Grunde als nicht vergleichbare Bildungsgänge verstanden werden, was zu unlösbaren Konflikten führen würde.

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Der 5. und 6. Schuljahrgang stellt nach alledem, unabhängig davon, ob er als Orientierungsstufe oder im privaten Gymnasium geführt wird, nach Bildungsziel und Bildungsinhalt keinen eigenen Bildungsgang dar, sondern ist als Orientierungsstufe Bindeglied zu allen weiterführenden Bildungsgängen und beim privaten Gymnasium die der Orientierungsstufe entsprechende Vorstufe zum gymnasialen Bildungsgang ab Klasse 7. Der Besuch der Orientierungsstufe und der Besuch der Klassen 5 und 6 eines privaten Gymnasiums sind danach im Rahmen der Beförderungs- und Erstattungspflicht als gleichwertig anzusehen.

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Auch das Gebot verfassungskonformer Auslegung erfordert kein anderes Verständnis des Begriffs "Bildungsgang". Eine landesrechtliche Regelung, die beim Besuch eines privaten Gymnasiums die Erstattung der Schülerbeförderungskosten auf den Betrag begrenzt, der beim Besuch der nächstgelegenen Schule des gewählten Bildungsgangs entstanden wäre, verletzt weder das Recht der Eltern auf freie Schulwahl (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) noch das Recht ihres Kindes auf Bildung (Art. 2 Abs. 1 GG), die Bestandsgarantie der Privatschulen (Art. 7 Abs. 4 GG) oder den Gleichheitssatz des Art. 3 GG (Urt. d. Senats v. 30.08.1990, aaO, m.w.Nachw.). Der vom Deutschen Juristentag 1981 vorgelegte Entwurf für ein Landesschulgesetz beschränkt die Erstattung bei der Schülerbeförderung ebenfalls generell auf die Kosten, die für die wirtschaftlichste Art einer zumutbaren Beförderung "zur nächstgelegenen Schule des gewählten Bildungsgangs erforderlich sind" (DtJT SchGE § 103 Abs. 1 Satz 2). Diese Anknüpfung an den Standort der nächstgelegenen Schule des gewählten Bildungsgangs ist eine sachgerechte Form der Gleichbehandlung, die das Elternrecht, den Bildungsanspruch des Kindes sowie die Freiheit der Schulen in privater Trägerschaft nicht berührt.

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Ohne Erfolg bleibt auch der Hinweis der Kläger auf die Vorschrift des § 124 Abs. 4 NSchG, wonach unter anderem die dort bestimmten Gymnasien in freier Trägerschaft den 5. und 6. Schuljahrgang auch nach Einführung der Orientierungsstufe im Lande Niedersachsen führen dürfen. Hierdurch wird zwar eine Besitzstandsklausel für die Gymnasien normiert (vgl. Klügel/Woltering, aaO, § 124 Anm. 7). Der Gesetzgeber hat damit aber keine über den Rahmen des § 94 Abs. 3 NSchG hinausgehende Privilegierung der Schüler der 5. und 6. Klassen des privaten Gymnasiums hinsichtlich der Erstattung der Schülertransportkosten bezweckt. Zu einer solchen ungewollten Privilegierung würde indes die Rechtsauffassung der Kläger führen. Denn die nächstgelegene Schule des von den Schülern eines Privatgymnasiums gewählten Bildungsganges ist - dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig - ab Klasse 7 das jeweils nächstgelegene staatliche Gymnasium. Erstattungsfähig sind ab Klasse 7 mithin lediglich - bei nicht freigestelltem Schülerverkehr - die Fahrtkosten bis zu diesem. Da nach Auffassung der Kläger das niedersächsische Schulsystem für den 5. und 6. Schuljahrgang des privaten Gymnasiums keine Alternative desselben Bildungsganges anbieten kann, wären hingegen die Schülertransportkosten zum Privatgymnasium während dieser beiden Jahrgänge landesweit uneingeschränkt erstattungsfähig. Es fehlt aber jeglicher Anhaltspunkt, daß der niedersächsische Gesetzgeber mit der Verleihung der Bestandsschutzgarantie hinsichtlich der 5. und 6. Klasse des privaten Gymnasiums den Landkreisen und kreisfreien Städten als Trägern der Schülerbeförderung ein derartiges finanzielles Sonderopfer für zwei Jahrgangsstufen des Privatgymnasiums auferlegen wollte.

24

Als unbegründet erweist sich schließlich auch das von den Klägern zu 2) und 4) hilfsweise geltend gemachte Begehren, ihnen jedenfalls die fiktiven Beförderungskosten zu erstatten, die beim Besuch der Orientierungsstufe Bad Lauterberg durch ihre Töchter entstanden wären. Denn § 94 Abs. 1 Satz 2 NSchG begründet eine alternative Pflicht des Trägers der Schülerbeförderung, die Schüler entweder unter zumutbaren Bedingungen zur Schule zu befördern oder ihnen die notwendigen Aufwendungen für den Schulweg zu erstatten. Entscheidet sich der Träger für die erste Alternative, wie es der Beklagte durch die Einrichtung eines freigestellten Schülerverkehrs zur Orientierungsstufe ... getan hat, so richtet sich auch der Anspruch des Schülers bzw. seiner Eltern bis zur Grenze der Zumutbarkeit nur auf die Beförderungsleistung, nicht aber wahlweise auch auf Ersatz von Aufwendungen. Nimmt der Schüler wegen des Besuchs einer entfernteren Schule einen für ihn zumutbaren Schulbus zur nächstgelegenen Schule nicht in Anspruch, so läßt sich ein verminderter Aufwendungsersatz auch nicht aus § 94 Abs. 4 NSchG herleiten. Denn der dort geregelte Erstattungsanspruch setzt ebenfalls voraus, daß beim Besuch der nächstgelegenen Schule notwendige Aufwendungen entstanden wären, die Beförderung dorthin also vom Träger nicht selbst durchgeführt wird. Wenn der Träger der Schülerbeförderung indes, wie im vorliegenden Fall, die Beförderung zur nächstgelegenen Schule mit eigenen oder angemieteten Transportmitteln und noch freien Kapazitäten selbst durchführt, dann ist für einen Erstattungsanspruch von vornherein kein Raum, weil notwendige Aufwendungen des Schülers insoweit nicht entstehen können (Urt. d. Senats v. 30.08.1990, aaO).

25

Der Beklagte war mithin nicht zur Übernahme der im Schuljahr 1988/90 entstandenen Kosten für die Beförderung der Kinder der Kläger von W., Z. bzw. bis nach ... verpflichtet, sondern durfte die Kläger zu 1) und zu 3) auf den freigestellten Schülerverkehr bis zur Orientierungsstufe W. und die Kläger zu 2) und zu 3) auf den freigestellten Schülerverkehr zur Orientierungsstufe ... verweisen.

26

Auf die Berufungen des Beklagten sind deshalb unter Änderung der Urteile des Verwaltungsgerichts die Klagen mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO zurückzuweisen. Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 167 Abs. 1 VwGO iVm § 708 Nr. 10 ZPO.

27

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

Dr. Dembowski
Schwermer
Rettberg