Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 05.12.2011, Az.: 1 A 1325/10

Anspruch einer Gemeinde für Dienstleistungen und Sachleistungen der Freiwilligen Feuerwehr außerhalb der unentgeltlich zu erfüllenden Pflichtaufgaben; Einordnung einer Tragehilfe als freiwillige Dienstleistung i.S.d. § 26 Abs. 1 NBrandSchG; Anforderungen an das Vorliegen eines Unglücksfalls i.S.d. § 1 Abs. 1 NBrandSchG

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
05.12.2011
Aktenzeichen
1 A 1325/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 30594
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2011:1205.1A1325.10.0A

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen einen Gebührenbescheid, den die Beklagte für den Einsatz der Freiwilligen Feuerwehr der Beklagten erlassen hat.

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Die Klägerin ist von dem Träger des Rettungsdienstes, dem Beigeladenen, für einen Teil des Kreisgebietes mit der Durchführung des öffentlichen Rettungsdienstes beauftragt. Am 10. April 2010 wurde ein Rettungswagen der Klägerin für einen Notfalleinsatz in F. angefordert. Der Patient litt an einer Verdrehung des Kniegelenks. Die Besatzung des Rettungswagens forderte über die Rettungsdienstleitstelle eine Traghilfe an, die durch die Freiwillige Feuerwehr der Beklagten erbracht wurde. Mit Bescheid vom 30. September 2010 forderte die Beklagte die Klägerin für diesen Einsatz zur Zahlung von Kosten in Höhe von 53,65 EUR auf.

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Die Klägerin wandte sich hiergegen mit Schreiben vom 12. Oktober 2010. Die Kosten für den Einsatz seien von dem Patient zu tragen, durch dessen Transport die Hilfeleistung notwendig geworden sei. Die Beklagte habe den Patienten direkt in Anspruch zu nehmen, die Krankenversicherung des Patienten sei ersatzpflichtig. Nach § 26 Abs. 4 Nr. 3 des Niedersächsischen Brandschutzgesetzes sei derjenige Kostenschuldner, in dessen Auftrag oder in dessen Interesse die Leistung erbracht worden sei. Das sei im vorliegenden Fall der transportierte Patient. Die Vorschrift regele eine Kostenerstattungspflicht für denjenigen, der selbst einen Auftrag gegeben habe oder - wenn er keinen Auftrag erteilt habe -, desjenigen in dessen Interesse die Leistung erbracht worden sei. Im Falle des Auseinanderfallens von Meldendem und Leistungsempfänger solle der Leistungsempfänger zur Kostenerstattung herangezogen werden. Rechtsgrundlage sei § 4 Abs. 1 i. Verbindung mit § 2a) der Satzung der Beklagten.

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Am 1. November 2010 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt sie zunächst ihren bisherigen Vortrag. Ergänzend trägt sie vor: Es habe eine äußerst dringliche und schwere Notfallrettungssituation vorgelegen, nämlich eineäußerst schmerzhafte massive Verdrehung des Kniegelenks. Es sei erforderlich gewesen, den Patienten mit dem Rettungstuch aus dem 2. Stock hinunterzutragen. Er sei schwer adipös gewesen und habe bei jeder Bewegung starke Schmerzen gelitten. Ein Rettungstuch werde im Idealfall von 6 Personen bedient. Ihr Rettungswagen sei aber gemäß § 10 Abs. 2 NRettDG nur mit zwei Personen besetzt gewesen. Sie selbst habe die Leistung der Feuerwehr der Beklagten nicht bestellt. Sie habe sich an die Feuerwehr bzw. Rettungsdienstleitstelle gewandt und lediglich mitgeteilt, dass sie eine Traghilfe vor Ort benötige. Die Auswahl des Mittels habe die Leitstelle getroffen. Es habe nicht ihrem Pflichtenkreis entsprochen, über den Rettungswagen mitsamt Personal hinaus Ressourcen bereit zu stellen. Die Beförderung des Patienten schulde sie, die Klägerin, selbst nicht. Sie sei lediglich verpflichtet, mit dem Rettungswagen und seiner Besatzung Notfallrettung zu leisten.

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Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 30. September 2010 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Die von der Freiwilligen Feuerwehr geleistete Tragehilfe sei eine gebührenpflichtige freiwillige Leistung der Feuerwehr im Sinne von§ 26 Abs. 2 des Niedersächsischen Brandschutzgesetzes in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Satz 2 lit. h ihrer einschlägigen Satzung. Nach § 4 Abs. 2 der Satzung sei Gebührenschuldner derjenige, der eine Leistung nach § 3 der Satzung in Anspruch nehme. Dies sei die Klägerin gewesen. Es handele sich hier nicht um eine entgeltliche Pflichtaufgabe nach § 2 der Satzung mit der Folge, dass nach § 26 Abs. 4 Nr. 3 des Niedersächsischen Brandschutzgesetzes der Patient zur Kostentragung verpflichtet sei. Tragehilfe stelle keine entgeltliche Pflichtaufgabe dar, sondern nur eine gebührenpflichtige freiwillige Leistung.

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Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

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Er trägt vor, es habe sich hier für die Feuerwehr der Beklagten um einen unentgeltlichen Pflichteinsatz gehandelt. Dementsprechend seien weder er, noch die Klägerin verpflichtet, hierfür Kosten zu tragen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 30. September 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Als Rechtsgrundlage für die Erhebung der Gebühr kommt allein § 3 der Satzung der Beklagten vom 23. Juni 1997 über die Erhebung von Kostenersatz und Gebühren für Dienst- und Sachleistungen der Freiwilligen Feuerwehr außerhalb der unentgeltlich zu erfüllenden Pflichtaufgaben (in der Fassung, die sie durch die zweiteÄnderungssatzung vom 27.3.2006 erhalten hat), - Satzung - in Verbindung mit § 26 Abs. 2 des Niedersächsischen Brandschutzgesetzes - NBrandSchG - vom 8. März 1978 (in der Fassung der Änderung durch G. v.17.12.2009, NdsGVBl. S.491) in Betracht.

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Nach § 26 Abs. 2 NBrandSchG können u.a. die Gemeinden für andere als die in § 26 Abs. 1 genannten Leistungen sowie für weitere freiwillige Leistungen außerhalb des Brandschutzes nach § 1 Abs. 1 NBrandSchG Gebühren und Entgelte nach demNiedersächsischen Kommunalabgabengesetz - NKAG - erheben. § 26 Abs. 1 NBrandSchG betrifft dabei Leistungen bei Bränden, bei Notständen durch Naturereignisse und bei Hilfeleistungen zur Rettung von Menschen aus akuter Lebensgefahr. Die Beklagte erhebt auf der Grundlage von § 26 Abs. 2 NBrandSchG nach § 3 ihrer Satzung von dem Antragsteller Gebühren für freiwillig erbrachte Leistungen. Gebührenpflichtig sind alle Hilfs- und Sachleistungen, die nicht im Zusammenhang mit den in § 2 der Satzung bezeichneten Aufgaben stehen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 der Satzung), dazu gehören u.a. die Gestellung von Feuerwehrkräften und weiterem technischen Gerät zu anderen als in § 2 der Satzung genannten Fällen ( § 3 Abs. 1 Satz 2 lit. h der Satzung).

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Die Traghilfe, die die Freiwillige Feuerwehr der Beklagten im Rahmen des Rettungsdiensteinsatzes der Klägerin geleistet hat, stellt eine derartige freiwillige Leistung dar, für die die Beklagte nach§ 3 ihrer Satzung Gebühren verlangen kann. Die Einsatzkräfte ihrer Freiwilligen Feuerwehr haben hier weder eine nach§ 26 Abs. 1 NBrandSchG unentgeltliche Hilfeleistung zur Rettung von Menschen aus akuter Lebensgefahr erbracht, noch eine anderweitige Hilfeleistung im Sinne von § 2a der Satzung i.V. mit § 1 Abs. 1 NBrandSchG, nämlich eine Hilfeleistung bei Unglücksfällen, wenn Menschenleben nicht oder nicht mehr in Gefahr sind.

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Dabei lässt sich weder dem Vortrag der Klägerin, noch dem vorliegenden Bericht der Freiwilligen Feuerwehr entnehmen, dass hier akute Lebensgefahr für den Patienten bestanden hätte. Es lag auch kein Unglücksfall im Sinne des § 1 Abs. 1 NBrandSchG vor. Unter Unglücksfällen sind größere Schadensereignisse aller Art zu verstehen; es muss sich um eine plötzliche Verschlechterung eines Zustands handeln, die nicht unerhebliche Gefahren für Leben, Gesundheit oder Eigentum mit sich bringt oder zu bringen droht, ohne dass bereits die Merkmale eines Notstands oder einer Katastrophe erfüllt sind (Scholz/Runge, NBrandSchG, 7. Auflage 2008, Seite 39). Die Verletzung des betroffenen Patienten am Knie kann nicht als größeres Schadensereignis in diesem Sinne angesehen werden.

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Im Übrigen gehört zu den Pflichtaufgaben der Feuerwehren im Hilfeleistungswesen nicht der Rettungsdienst, sondern nur die technische Hilfeleistung (Scholz/Runge a.a.O., Seite 38; Ufer, NRettDG, § 1 Ziff. 3.3). Das sind nur Tätigkeiten, die nicht Bestandteil des Rettungsdienstes sind. Soweit der Anwendungsbereich des Niedersächsischen Rettungsdienstgesetzes - NRettDG - eröffnet ist, ist für die darin vorgesehenen Leistungen der Träger des Rettungsdienstes zuständig, denn die Vorschriften des NRettDG gehen als spezialgesetzliche Regelungen den Vorschriften des NBrandSchG auch im Bereich der Hilfeleistung vor (vgl. § 33 Abs. 2 NBrandSchG, Scholz/Runge, a.a.O, S. 247). Die Hilfe, die die Freiwillige Feuerwehr der Beklagten in dem vorliegenden Fall bei dem Transport des Patienten geleistet hat, war Bestandteil der Aufgabe des Rettungsdienstes, der von dem Beigeladenen sicherzustellen ist, der hiermit wiederum die Klägerin (teilweise) beauftragt hat (§§ 3, 4 Abs. 2, 5 NRettDG). Zum Rettungsdienst gehört nämlich auch die Beförderung von Patienten. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 NRettDG hat der Rettungsdienst u.a. bei lebensbedrohlich Verletzten oder Erkrankten und bei Personen, bei denen schwere gesundheitliche Schäden zu erwarten sind, wenn sie nicht unverzüglich medizinische Versorgung erhalten, die erforderlichen medizinischen Maßnahmen am Einsatzort durchzuführen, die Transportfähigkeit dieser Personen herzustellen und sie erforderlichenfalls unter fachgerechter Betreuung mit dafür ausgestatteten Rettungsmitteln in eine für die weitere Versorgung geeignete Behandlungseinrichtung zu befördern (Notfallrettung). Er hat u.a. weiter sonstige Kranke, Verletzte oder Hilfsbedürftige zu befördern, die nach ärztlicher Verordnung während der Beförderung einer fachgerechten Betreuung oder der besonderen Einrichtung eines Rettungsmittels bedürfen oder bei denen dies aufgrund ihres Zustandes zu erwarten ist (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 NRettDG, qualifizierter Krankentransport).

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Nach allem gehört die hier von der Freiwilligen Feuerwehr der Beklagten erbrachte Traghilfe nicht zu den Pflichtaufgaben der Feuerwehr.

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Die Beklagte richtet ihre Gebührenforderung aber zu Unrecht an die Klägerin. Diese ist nicht im Sinne der Regelungen der Satzung der Beklagten Gebührenschuldnerin. Nach § 4 Abs. 2 der Satzung ist Gebührenschuldner derjenige, der eine Leistung nach§ 3 der Satzung in Anspruch nimmt. Dies ist derjenige, in dessen Auftrag die Leistung erbracht wurde. Das lässt sich aus der in§ 3 Abs. 1 Satz 1 der Satzung getroffenen Regelung schließen, wonach Gebühren von dem Antragsteller erhoben werden. Diese Regelungen sind mit § 26 Abs. 4 NBrandSchG vereinbar, denn danach ist gebühren- oder kostenerstattungspflichtig unter anderem derjenige, in dessen Auftrag oder in dessen Interesse die Leistungen erbracht werden (§ 26 Abs. 4 Nr. 3 NBrandSchG).

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Auftraggeber für die von der Freiwilligen Feuerwehr der Beklagten geleistete Traghilfe war hier nicht die Klägerin. Zwar haben ihre Einsatzkräfte die Hilfe bei der Rettungsdienstleitstelle angefordert. Die Klägerin hat dies aber nicht im eigenen Namen getan, sondern im Namen des Beigeladenen. Dies folgt aus § 5 Abs. 1 Satz 3 NRettDG, wonach der Beauftragte im Namen des Trägers des Rettungsdienstes handelt. Dieser muss sich Handlungen seines Beauftragten zurechnen lassen (Ufer, NRettDG § 5 Ziff. 4).

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Auf die Frage, in wessen Interesse die Transportleistung erbracht wurde und ob dies ggf. der jeweilige Patient oder der Krankenversicherer sein kann, kommt es hier nicht an. Die Beklagte als Satzungsgeberin hat das ihr durch § 26 Abs. 4 Nr. 3 NBrandSchG eröffnete Ermessen dergestalt ausgeübt, dass bei freiwilligen Leistungen der Freiwilligen Feuerwehr Gebührenschuldner lediglich der Auftraggeber sein soll, nicht aber derjenige, in dessen Interesse die Leistung erbracht wurde.

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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entsprach dabei nicht der Billigkeit, die Kosten des Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, weil er einen Antrag nicht gestellt hat und sich damit keinem Kostenrisiko nach § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

22

Die Berufung wird zugelassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO).