Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 12.07.2000, Az.: 9 U 31/00
Schadensersatz wegen eines Arbeitsunfalls; Verantwortlichkeit eines Unternehmers für Gerüstaufbauarbeiten bei Veränderung eines Baugerüsts; Sorgfaltspflichten eines Bauträgerunternehmens
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 12.07.2000
- Aktenzeichen
- 9 U 31/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 19864
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2000:0712.9U31.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover 2 O 2336/99 vom 09.12.1999
Rechtsgrundlage
- § 823 BGB
Fundstellen
- BauR 2001, 301 (amtl. Leitsatz)
- OLGR Düsseldorf 2000, 19
- OLGR Frankfurt 2000, 19
- OLGR Hamm 2000, 19
- OLGR Köln 2000, 19
- OLGReport Gerichtsort 2000, 310-311
- OLGReport Gerichtsort 2000, 19
Amtlicher Leitsatz
Für die Gefahr, die von unsachgemäßen nachträglichen Veränderungen eines einwandfrei aufgebauten Gerüsts ausgeht, ist nicht die Unternehmerin für Gerüstaufbauarbeiten verantwortlich. Entsprechend Ziff. 8. 2 DIN 4420 T 1 ist der Unternehmer, der das Gerüst für seine Zwecke verändern will, verpflichtet, für eine sachkundige Aufsicht zu sorgen; ob sie durch eigene Mitarbeiter gewährleistet ist oder dafür der Gerüstbauer zugezogen wird, spielt keine Rolle und ist Sache des Unternehmers.
Tenor:
Die Berufung gegen das am 9. Dezember 1999 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung von 13.000 DM abzuwenden, wennn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Parteien können die Sicherheit durch eine schriftliche, unbedingte, unbefristete, unwiderrufliche und selbstschuldnerischen Bürgschaft einer deutschen Großbank, Volksbank oder öffentlichen Sparkasse erbringen.
Wert der Beschwer: über 60.000 DM.
Tatbestand:
Der Kläger beansprucht von der Beklagten Schadensersatz wegen eines (Arbeits-)-Unfalls.
Er war bei der Zimmerei ####### in ####### als Geselle beschäftigt. Diese hatte von dem Bauträgerunternehmen ####### den Auftrag für die Zimmererarbeiten für den Neubau eines Mehrfamililenhauses erhalten. Die Beklagte hatte von der ####### den Auftrag bekommen, das Baugerüst zu errichten.
Der Kläger und sein Kollege ####### wollten die Traufschalung anbringen. Zwischen dem Baugerüst und dem Rohbau befand sich jedoch ein Abstand von ca. 1 m. Um diesen zu überbrücken, befestigten sie an dem Gerüst in ca. 6 m Höhe einen sogenannten Auslegarm (Verbreiterungskonsole) und legten darauf eine Hohlrahmentafel als Einlegboden. Diese besaß jedoch kein Prüfzeichen. Voraussetzung für eine erlaubte Verwendung von Hohlrahmentafeln ohne Prüfzeichen als Einlegboden ist, dass die Tafeln doppelt gelegt werden. Das war dem Kläger und ####### nicht bekannt. Nachdem sie die Tafel eine gewisse Zeit benutzt hatten, brach diese und der Kläger und ####### stürzten in einem Kellereingang.
Der Kläger hat behauptet, es sei üblich, dass die jeweiligen Bauhandwerker ein Gerüst für ihre Zwecke selbständig umbauen. Diese Praxis sei der Beklagten bekannt gewesen, weshalb sie auch zusätzliche Tafeln zur Verfügung gestellt habe, ohne jedoch Hinweise für deren Verwendung zu geben.
Die Beklagte hat in Abrede genommen, dass es üblich sei, dass die Bauhandwerker ein Gerüst eigenmächtig verändern und dass sie zusätzliches Material, insbesondere zusätzliche Tafeln, zur Verfügung gestellt habe. Es sei - was unstreitig ist - im Gerüstbau nicht sachkundigen Bauhandwerkern durch DIN-Normen und Unfallverhütungsvorschriften ausdrücklich untersagt, Veränderungen an Gerüsten vorzunehmen. Die durchgebrochene Tafel sei von ihr als Brustwehr eingebaut worden, also nicht etwa als Einlegboden. Die Leute des vorangegangenen (Fuger-)Gewerks, die - wie ihr erst durch den Unfalluntersuchungsbericht der Bau-Berufsgenossenschaft bekannt geworden sei - auch schon gewisse Veränderungen an dem Gerüst vorgenommen hätten, hätten vergeblich versucht, den Kläger und Wildhagen von ihrem Vorhaben abzubringen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe ihre Sorgfaltspflichten nicht verletzt. Die DIN 4420 und die Unfallverhütungsvorschrift 'Bauarbeiten' untersagten es den Bauhandwerkern, ohne sachkundige Aufsicht Veränderungen an einem Gerüst vorzunehmen. Die Beklagte habe darauf vertrauen dürfen, dass die Bauhandwerker sich daran halten.
Der Kläger hat frist- und formgerecht Berufung eingelegt. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, die Beklagte habe gewusst, dass 'in der Höhe verstellbare Ausleger' hätten verwendet werden müssen, weil weder Maurer noch Fuger noch Zimmerer ihre Arbeiten hätten erledigen können, ohne die Distanz zwischen Gerüst und Rohbau zu überbrücken. Die Beklagte habe deshalb bei der Errichtung des Gerüstes in unterschiedlicher Höhe insgesamt zwei Auslegerreihen mit einer Breite von etwa 8 m installiert. Anschließend habe sie sich um das Gerüst jedoch nicht mehr gekümmert, obwohl sie gewusst habe, dass die Ausleger entsprechend dem Fortschritt der Arbeiten 'in der Höhe verändert werden mussten'. Von der Errichtung des Gerüsts bis zu dem Unfall seien mindestens vier Monate vergangen, in deren Verlauf die Beklagte nicht ein einziges Mal zur Baustelle gerufen worden sei, um die Ausleger nach den jeweiligen Bedürfnissen der Bauhandwerker neu einzuhängen, oder um die Handwerker bei einer Veränderung des Gerüsts zu beaufsichtigen. Ihr sei (deshalb) bewusst gewesen, dass die von den einzelnen Gewerken eingesetzten Handwerker vielfach in Eigenregie und mithin unter Verstoß gegen die einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften Veränderungen an dem Gerüst vorgenommen hätten. Sie habe davon ausgehen müssen, dass den Handwerkern, insbesondere auch dem Kläger, die Unfallverhütungsvorschriften nicht bekannt seien. Sie sei deshalb verpflichtet gewesen, 'durch geeignete Beschilderung auf die einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften hinzuweisen und darauf zu drängen, dass diese beachtet werden'. Tatsächlich habe sich an der Baustelle weder ein Warnschild befunden noch habe die Beklagte die vor Ort tätigen Bauhandwerker oder deren Arbeitgeber mündlich auf die Unfallverhütungsvorschriften hingewiesen.
Der Kläger beantragt,
- 1.
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, ihm ein in das Ermessen des Senats gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 5.000 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 20. September 1997 bis einschließlich Oktober 1999 einen Verdienstausfallschaden in Höhe von 65.257,11 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
- 3.
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm allen auf dem Unfall vom 8. August 1997 beruhenden weiteren materiellen Schaden zu erstatten, soweit der Schadensersatzanspruch nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist oder übergeht, und
- 4.
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm allen gegenwärtig nicht sicher vorhersehbaren weiteren immateriellen Schaden aus dem Unfall zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, sie habe das Gerüst ca. einen Monat vor dem Unfall entsprechend den DIN-Normen errichtet. Zum Unfallhergang verweist sie auf den Unfalluntersuchungsbericht der Bau-Berufsgenossenschaft. Fünf Tage vor dem Unfall habe ihr Geschäftsführer das Gerüst noch überprüft und keine Veränderungen feststellen können. Erst danach hätten Leute der Firma #######, die mit dem Verfugen beauftragt gewesen seien, die Verbreiterungskonsolen mit den Einlegböden abgebaut.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf ihre Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist unbegründet.
Es lässt sich keine Sorgfaltswidrigkeit der Beklagten feststellen.
In Nr. 8. 1 der DIN 4420 T 1 wird hinsichtlich des Aufbaus unter Verwendung von Gerüsten klar unterschieden zwischen der Verantwortlichkeit des Unternehmers der Gerüstbauarbeiten und des Unternehmers, der das Gerüst benützt. Danach war die Beklagte als Unternehmerin der Gerüstbauarbeiten für den betriebssicheren Auf- und Abbau des Gerüsts verantwortlich und hatte für die Prüfung des Gerüsts zu sorgen. Diese Verantwortlichkeit ist jedoch für den Ausgang des Rechtsstreits nicht von Belang, weil die Beklagte das Gerüst ordnungsgemäß aufgebaut hatte und dieses deshalb keine Gefahrenquelle darstellte.
Entscheidend ist Nr. 8. 2. 1 der DIN 4420 T 1, wonach Gerüste nur unter sachkundiger Aufsicht auf-, um- und abgebaut werden dürfen:
Der Unfall ist - wie sich aus dem Untersuchungsbericht der Bau-Berufsgenossenschaft ergibt - dadurch zustande gekommen, dass Mitarbeiter der Firma #######, um genügend Bewegungsfreiheit für das Verfugen des Mauerwerks zu besitzen, u. a. die Tafeln von den Verbreiterungskonsolen abgenommen und teilweise auf dem Gerüst gelagert haben, dieses nach Beendigung ihrer Arbeiten jedoch nicht wieder in den vorangegangenen Zustand versetzt haben, weil sie irrtümlich annahmen, es sei nur für die Maurer und Fuger errichtet worden. Der Kläger und ####### haben sich dann von diesen Tafeln 'bedient', ohne zu wissen, dass nicht geprüfte Tafeln im Gegensatz zu geprüften, die gekennzeichnet sein müssen und keine Beschädigungen besitzen dürfen, mit einer '2. Lage überdeckt . . . werden müssen, um die geforderte Festigkeit zu erreichen' (Bl. 2 a. a. O. ).
Der Kläger kann deshalb - wenn überhaupt - nur seinen Arbeitgeber für den Unfall verantwortlich machen, denn dieser hätte gemäß Nr. 8. 2. 1 der DIN 4420 T 1 für eine fachkundige Aufsicht beim Umbau des Gerüsts sorgen müssen.
Auch wenn es sich bei den DIN-Normen nicht um mit Drittwirkung versehene Normen im Sinne hoheitlicher Rechtssetzung, sondern um auf freiwillige Anwendung ausgerichtete Empfehlungen des 'DIN Deutschen Instituts für Normung e. V. ' handelt, so spiegeln sie doch den Stand der für die betroffenen Kreise geltenden anerkannten Regeln der Technik wider und sind somit zur Bestimmung des nach der Verkehrsauffassung zur Sicherheit Gebotenen in besonderer Weise geeignet (BGHZ 103, 338, 341 f. [BGH 01.03.1988 - VI ZR 190/87] ).
Die Forderung des Klägers, die Beklagte müsse die vor Ort tätigen Bauhandwerker im Falle einer Veränderung des Gerüsts bei deren Arbeit beaufsichtigen oder 'durch geeignete Beschilderung auf die einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften hinweisen' oder die Bauarbeiter oder deren Arbeitgeber mündlich auf die Unfallverhütungsvorschriften hinweisen, ist unberechtigt. Die Beklagte darf vielmehr davon ausgehen, dass die am Bau tätigen Unternehmen, die ständig mit Gerüsten umzugehen haben, die einschlägigen Sicherheitsbestimmungen selbst kennen und ihre Mitarbeiter darüber instruieren. Für die Gefahr, die von unsachgemäßen nachträglichen Veränderungen eines einwandfrei aufgebauten Gerüsts ausgeht, ist nicht die Beklagte verantwortlich. Die vom Kläger postulierte Praxis würde überdies weitere Kosten verursachen und zu zahlreichen Rechtsstreitigkeiten zum Umfang der Beaufsichtigungs-, Hinweis- und Kontrollpflicht führen. Es genügt entsprechend der o. a. DIN-Norm, dass der Unternehmer, der das Gerüst für seine Zwecke verändern will, verpflichtet ist, für eine sachkundige Aufsicht zu sorgen; ob sie durch eigene Mitarbeiter gewährleistet ist oder dafür der Gerüstbauer zugezogen wird, spielt keine Rolle und ist Sache des Unternehmers. Der Kläger muss für seinen Unfall gegebenenfalls seinen Arbeitgeber zur Rechenschaft ziehen und kann dann - wegen der Haftungsablösung durch die gesetzliche Unfallversicherung - Ersatzansprüche gegen seinen Sozialversicherungsträger erheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 und 108 Abs. 1 ZPO.