Landgericht Bückeburg
Beschl. v. 31.10.2001, Az.: 4 T 122/01
Umdeutung einer Beschwerde in eine Erinnerung; Rechtsnatur der Entscheidung über die Bemessung des Pfändungsfreibetrages; Wertungsunterschied zwischen § 850 c Abs. 1 S. 2 Zivilprozess (ZPO) und § 100 Abs. 2 Insolvenz (InsO)
Bibliographie
- Gericht
- LG Bückeburg
- Datum
- 31.10.2001
- Aktenzeichen
- 4 T 122/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 29229
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGBUECK:2001:1031.4T122.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Bückeburg - 18.10.2001 - AZ: 36 IK 20/01
Rechtsgrundlagen
- § 11 Abs. 1 RPflG
- § 11 Abs. 2 RPflG
- § 793 ZPO
- § 850 c Abs. 1 S. 2 ZPO
- § 100 Abs. 2 InsO
Fundstellen
- ZInsO 2001, 1166-1167 (Volltext mit red. LS)
- ZVI 2002, 78-79
In dem Verbraucherinsolvenzverfahren
hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Bückeburg
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht Sievers,
den Richter am Landgericht Barnewitz sowie
die Richterin am Landgericht Dr. Brüninghaus
am 31. Oktober 2001
beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners wird die Vorlageverfügung des Amtsgerichts Bückeburg - 36 IK 20/01 - vom 18. Oktober 2001 aufgehoben; das Verfahren wird zur Entscheidung über die als Erinnerung zu behandelnde Beschwerde an das Amtsgericht Bückeburg zurückverwiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens wird dem Amtsgericht angetragen.
Der Beschwerdewert wird auf 35.100 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Durch Beschluss vom 26. Juni 2001 eröffnete das Amtsgericht das (vereinfachte) Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners und bestimmte zugleich den eingangs genannten Treuhänder.
Nach dem im Eröffnungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten des jetzigen Treuhänders vom 22. Juni 2001 steht dem Schuldner, der Eigentümer verschiedener hochbelasteter Immobilien ist, aus einem notariell beurkundeten Vertrag (UR-Nr. 73/1995 des Notars Helms aus Hannover) ein erb- bzw. gesellschaftsrechtlicher Auseinandersetzungsanspruch gegenüber seinem Bruder zu, und zwar in Form einer lebenslänglich zu gewährenden Rente von 50.000 DM monatlich, wobei er allerdings einen Teilbetrag von 42.000 DM monatlich an eine Gläubigerin (DSL-Bank) abgetreten hat. Der Treuhänder belässt dem Schuldner, der in einem eigenen Haus (Verkehrswert: DM 1,7 Mio) wohnt und der eine Ehefrau sowie zwei studierende Töchter hat, von der Rente einen Teilbetrag von 3.275 DM; dies entspricht in etwa dem Pfändungsfreibetrag nach § 850 c ZPO bei einem Nettoarbeitseinkommen von 8.000 DM unter Berücksichtigung von drei Unterhaltsberechtigten.
Der Schuldner hat gegenüber dem Insolvenzgericht beantragt, den ihm pfändungsfrei verbleibenden Betrag anderweitig auf 6.200 DM monatlich festzusetzen. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass er seinen studierenden Töchtern gegenüber unterhaltspflichtig sei, zumal sie - jedenfalls bislang - keine Unterstützung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhielten. Seine 1975 geborene Tochter Alexandra benötige einen Betrag von 1.200 DM monatlich, seine in Kanada studierende und 1976 geborene Tochter Stephanie benötige jedenfalls 2.000 DM monatlich. Für seine eigene Lebensführung einschließlich der Unterhaltsverpflichtungen seiner Ehefrau gegenüber benötige er 3.000 DM monatlich, zumal die Lebensführung (500 qm Wohnfläche) mit den daraus resultierenden Folgekosten dem früheren Lebensstandard entspräche. Außerdem seien er und seine Ehefrau nicht krankenversichert.
Der Treuhänder ist dem Antrag entgegengetreten, hat die Entscheidung aber dem Gericht über lassen. Die Gläubigerversammlung vom 22. August 2001 hat eine Zurückweisung des Antrages - ggf. unter Freigabe von Krankenkassenbeiträgen - befürwortet.
Das Amtsgericht - Rechtspfleger - hat den Antrag des Schuldners durch Beschluss vom 22. August 2001 zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Amtsgericht im Wesentlichen ausgeführt, es könne in dem Insolvenzverfahren nicht geprüft werden, ob die Töchter des Schuldners einen BAFöG-Leistungsanspruch hätten, jedenfalls aber sei es nicht notwendig im Sinne von § 1 InsO, dass die Tochter Stephanie im Ausland studiere. Auch der früher höhere Lebensstandard könne wegen der notwendigen Gleichbehandlung nicht zu einem abweichenden Ergebnis führen. Etwas anderes könnte allenfalls hinsichtlich der noch zu belegenden Krankenversicherungsbeiträge gelten.
Gegen diesen ihm am 27. August 2001 zugestellten Beschluss richtet sich die am 4. September 2001 bei Gericht eingegangene Beschwerde des Schuldners, mit der er seinen Antrag weiter verfolgt. Er rügt insbesondere die Ungleichbehandlung gegenüber Schuldnern mit geringeren Einkünften, denen ein deutlich höherer Prozentsatz ihrer Einkünfte belassen werde. Schließlich macht er ergänzende Angaben zu seinen Lebenshaltungskosten und Unterhaltsverpflichtungen.
Der Abteilungsrichter hat die Beschwerde nach Nichtabhilfe durch den Rechtspfleger dem Beschwerdegericht vorgelegt. In der Vorlageverfügung vom 18. Oktober 2001 hat der Abteilungsrichter ausgeführt, es handele sich bei dem Rechtsmittel um eine sofortige Beschwerde nach § 11 Abs. 1 RPflG, § 793 ZPO, sodass für ihn keine Abhilfemöglichkeit bestehe.
II.
Die Vorlageverfügung des Abteilungsrichters ist aufzuheben und das Verfahren zu dessen ab schließender Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Denn bei dem von dem Schuldner eingelegten und als "Beschwerde" bezeichneten Rechtsmittel handelt es sich inhaltlich entgegen der Bewertung des Amtsrichters in der Vorlageverfügung nicht um eine nach § 11 Abs. 1 RPflG i.V.m. § 793 ZPO zu behandelnde sofortige Beschwerde, über die das Beschwerdegericht zu befinden hätte, sondern um eine Erinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG, über die das Amtsgericht abschließend zu befinden hat. Die "Beschwerde" des Schuldners ist trotz der anderweitigen Bezeichnung des Rechtsmittels angesichts des der Rechtsmittelschrift eindeutig zu entnehmenden Willens des Schuldners, die Entscheidung des Rechtspflegers mit dem an sich zulässigen Rechtsmittel anzufechten, in das statthafte Rechtsmittel der Erinnerung umzudeuten und dem entsprechend verfahrensrechtlich zu behandeln.
Gegen die angefochtene Entscheidung des Rechtspflegers über die Bestimmung des Pfändungsfreibetrages wäre, hätte der Richter sie erlassen, kein Rechtsmittel gegeben, weil die Insolvenzordnung ein solches Rechtsmittel nicht vorsieht (§ 6 Abs. 1 InsO). Die Bestimmung des dem Schuldner pfändungsfrei zu Unterhaltszwecken zu belassenden Einkommens obliegt grundsätzlich der Gläubigerversammlung (§ 100 Abs. 1 InsO) und bis zu deren Entscheidung dem Treuhänder (§§ 313 Abs. 1, 100 Abs. 2 InsO). Ob dem Insolvenzgericht bei einem Streit zwischen dem Schuldner einerseits und der Gläubigerversammlung oder dem Insolvenzverwalter bzw. Treuhänder andererseits über die Höhe der dem Schuldner zu belassenden Einkünfte überhaupt eine Entscheidungskompetenz zusteht, kann zweifelhaft erscheinen (bejahend OLG Celle Nds.Rpfl. 2001, 353 - obiter dictum; einschränkend LG Dortmund Rpfleger 2000, 294 = NZI 2000, 182 [LG Dortmund 06.01.2000 - 9 T 1397/99]; a.A.; AG Köln Rpfleger 2001, 197 [AG Köln 22.12.2000 - 71 IK 4/99]: Zuständigkeit des Prozessgerichts). Eine derartige Kompetenz kann sich allenfalls aus der dem Insolvenzgericht obliegenden Aufsicht über den Treuhänder (§313 Abs. 1 S. 3, 58 Abs. 1 InsO) ergeben. Dann aber stellt die Entscheidung über die Bemessung des Pfändungsfreibetrages zweifelsfrei eine Entscheidung des Insolvenzgerichtes, für die die sich aus § 6 InsO ergebenden Einschränkungen des Rechtsmittelzuges gelten, dar und nicht "nur" eine dem Insolvenzgericht angefallene Annexentscheidung, für die es auch nach der Rechtsprechung der Kammer (z.B. für PKH-Entscheidungen) bei den an sich vorgesehenen Rechtsmitteln verbleibt (OLG Frankfurt/M., NJW-RR 2001,189; OLG Köln, NJW-RR 2001, 191 [OLG Köln 18.08.2000 - 2 W 155/00]; offen lassend OLG Celle Nds.Rpfl. 2001, 353). Letztendlich handelt es sich auf in der Sache nicht um eine Entscheidung nach §§ 850 ff. ZPO, weil zum einen keine Vollstreckungsmaß nahmen zur Disposition steht, sondern lediglich - in entsprechender Anwendung der sich aus §§ 850 ff ZPO ergebenden Bewertungsmaßstäbe - zur gerichtlichen Überprüfung gestellt, ob dem Schuldner von der Gläubigerversammlung bzw. dem Insolvenzverwalter bzw. Treuhänder das nach Sozialstaatsgesichtspunkten zu belassende Existenzminimum verbleibt. Schließlich ist für eine Anwendung von §§ 850 ff ZPO - und damit auch für die diese Verfahren betreffenden Regelungen des Rechtsschutzes - auch über § 4 InsO kein Raum, weil § 100 InsO insoweit Sonderregelungen enthält, die eine unmittelbare Anwendung der §§ 850 ZPO verbieten.
Die Vorlageverfügung des Amtsgerichts ist daher unter Zurückverweisung des Verfahrens an das Amtsgericht aufzuheben.
Für das weitere Verfahren wird gleichwohl auf folgendes hingewiesen: Wenn das Amtsgericht seine Entscheidungskompetenz bejaht, ist im vorliegenden Verfahren die Besonderheit zu beachten, dass es sich bei den dem Schuldner zufließenden Einkünften nicht um Einkünfte aus einer nichtselbständigen Tätigkeit handelt, die nach § 36 Abs. 1 InsO i.V.m. §§ 850 ff. ZPO nur in eingeschränktem Umfang der Insolvenzmasse anheim fallen, sondern um Ansprüche aus einem erb- bzw. gesellschaftsrechtlicher Auseinandersetzungvergleich, für die es entsprechende Beschränkungen an sich nicht gibt. Zu beachten ist nach Auffassung der Kammer weiter der Wertungsunterschied zwischen § 850 c Abs. 1 S. 2 ZPO einerseits und § 100 Abs. 2 InsO andererseits. Während nämlich nach § 850 c ZPO die allen Verwandten - also auch den erwachsenen Kindern - gegenüber bestehenden Unterhaltsverpflichtungen zu berücksichtigen sind, sieht § 100 Abs. 2 S. 2 InsO jedenfalls für die vor einer Entscheidung der Gläubigerversammlung für die durch den Treuhänder zuzubilligenden Unterhaltszahlungen - neben denen für den Schuldner und seine Ehefrau - nur solche für die minderjährigen unverheirateten Kinder vor; die Töchter des Schuldners sind aber bereits volljährig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 8 GKG. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Auslagen war dem Amtsgericht vorzubehalten, weil sich der Erfolg des Rechtsmittels erst nach Abschluss des Erinnerungsverfahrens beurteilen lassen wird.
Streitwertbeschluss:
Der Beschwerdewert wird auf 35.100 DM festgesetzt.
Die Festsetzung des Beschwerdewertes erfolgt gemäß §§ 12, 25 Abs. 2 GKG i.V.m. § 3 ZPO in Höhe des Jahresbetrages, den der Schuldner bei der Bewilligung des erstrebten erhöhten Pfändungsfreibetrages zusätzlich ausgezahlt erhalten würde.
Barnewitz
Dr. Brüninghaus