Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 10.01.1996, Az.: 1 WS 184/95
Erstattungsfähigkeit der Kosten für die Einholung eines Privatgutachtens; Aufwendungen zu einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung als notwendige Auslagen im Sinne von § 464 der Strafprozessordnung (StPO); Voraussetzungen für die Erstattungsfähigkeit von privaten Ermittlungen; Notwendigkeit eines Privatgutachtens bei Besorgnis der Befangenheit gegen ein Erstgutachten im Prozess
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 10.01.1996
- Aktenzeichen
- 1 WS 184/95
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1996, 21025
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1996:0110.1WS184.95.0A
Rechtsgrundlage
- § 464 StPO
Amtlicher Leitsatz
Zur Erstattungsfähigkeit der Kosten für die Einholung eines Privatgutachtens.
Gründe
Die Kosten für das private Gutachten des Sachverständigen in Höhe von 1.574,29 DM sind keine notwendigen Auslagen gemäß § 464 StPO.
Zu den notwendigen Auslagen im Sinne dieser Vorschrift gehören nur solche Aufwendungen, die zu einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderlich sind. Da die Interessen des Beschuldigten im Strafverfahren in der Regel bereits ausreichend durch das Prinzip der allseitigen Aufklärung, das Recht zur Stellung von Beweisanträgen und den allgemeinen Grundsatz "in dubio pro reo" geschützt werden, sind vermögenswerte Aufwendungen für private Ermittlungen und Beweiserhebungen auf Kosten der Staatskasse nur in besonders gelagerten Fällen unter engen Voraussetzungen erstattungsfähig. Erforderlich ist jedenfalls, dass der Beschuldigte vor Aufnahme der privaten Ermittlungstätigkeit alle strafprozessualen Möglichkeiten ausschöpft, um die Staatsanwaltschaft oder das Gericht zu den erforderlichen Ermittlungen zu veranlassen (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1991, 353 [OLG Düsseldorf 08.01.1990 - 2 Ws 608/89]; OLG Hamm DAR 1973, 160; NStZ 1989, 588, 589; OLG Karlsruhe Die Justiz 1976, 266; LG Bayreuth JurBüro 1987, 1838; LG Dortmund RPfleger 1991, 33; LG Göttingen Nds. RPfl. 1986, 260; LG Traunstein RPfleger 1990, 386; a.A. OLG Koblenz NJW 1964, 402).
Der Beschwerdeführer hat das Gutachten in Auftrag gegeben, um die für ihn nachteiligen Feststellungen des ersten Gutachtens zu widerlegen, das von Prof. ..., Institut für methodische Analysen, am 30. Juli 1990 erstellt worden ist. Hierzu war es aber nicht notwendig, ein Privatgutachten in Auftrag zu geben. Vielmehr hätte der Betroffene schon vor der Hauptverhandlung einen Antrag an das Landgericht Aurich stellen können, den Sachverständigen gemäß § 74 StPO wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Er hätte im Ermittlungsverfahren und auch im gerichtlichen Verfahren einen Beweisantrag mit dem Inhalt stellen können, ein zweites Sachverständigengutachten zu den für ihn beweiserheblichen Tatsachen einzuholen. Dies hat er nicht getan und damit von den Verteidigungsmöglichkeiten, die ihm die StPO zur Verfügung stellt, keinen Gebrauch gemacht.
Es lagen bei dem Beschwerdeführer auch keine besonderen Umstände vor, die einen Ausnahmefall begründen. Zwar handelte es sich bei der Frage nach der Brandursache um ein technisch kompliziertes Fachgebiet, das eine gesteigerte Sachkunde erforderte. Eine solche Sachkunde besaßen aber weder das Gericht noch die Staatsanwaltschaft, sodass die Einholung eines Privatgutachtens nicht erforderlich war, um eine Art "Waffengleichheit" für die Verteidigung herzustellen (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1991, 353 [OLG Düsseldorf 08.01.1990 - 2 Ws 608/89]; LG Traunstein RPfleger 1990, 386).
Auch ist für das Beschwerdegericht nicht ersichtlich, dass das Privatgutachten erforderlich war, weil das Gericht oder die Strafverfolgungsbehörden den Anregungen und Anträgen der Verteidigung nicht gefolgt sind und die Ermittlungen ohne Nachteil für den Beschuldigten nicht bis zur Hauptverhandlung aufgeschoben werden konnten (vgl. OLG Hamm NStZ 1989, 588, 589; LG Marburg StV 1990, 362, 363). Der Verteidiger des Beschwerdeführers hat keine Beweisanträge gestellt bzw. Anregungen gegeben, die von den Strafverfolgungsbehörden ignoriert werden konnten. Es sind auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Beschwerdeführer aus zeitlichen Gründen gezwungen gewesen wäre, einen eigenen Ermittlungsauftrag zu erteilen, um einer drohenden Verschlechterung der Beweissituation vorzubeugen.
Eine solche Sachlage könnte zwar eintreten, wenn das allein als Beweisobjekt in Betracht kommende Fahrzeug - wie später geschehen - von dem Eigentümer weiterveräußert und damit einer erneuten Begutachtung entzogen wird. Die dem ersten Gutachten nachfolgenden sachverständigen Gutachten basieren jedoch ohne Einschränkung auf den Feststellungen des ersten Gutachters. Neue Tatsachen wurden von den beiden Gutachtern nicht ermittelt; eine persönliche Inaugenscheinnahme des bei dem Brand beschädigten Fahrzeugs war auch nicht notwendig, sodass durch die Weiterveräußerung des Fahrzeugs eine Verschlechterung der Beweissituation nicht eintreten konnte (vgl. OLG Karlsruhe Die Justiz 1976, 266; LG Göttingen Nds. RPfl 1986, 260).
Die Kosten für das private Gutachten sind auch nicht deshalb erstattungsfähig, weil es mit dazu beigetragen hat, dass das Gericht einen dritten Gutachter beauftragt und den Betroffenen aufgrund der Ergebnisse dieses Gutachtens von dem Tatvorwurf des Versicherungsbetruges freigesprochen hat. Denn neben der Voraussetzung, dass ein Privatgutachten das Verfahren gefördert oder zu einem für den Beschuldigten erfolgreichen Verfahrensabschluss beigetragen hat, ist auch erforderlich, dass die eigenen Ermittlungen des Betroffenen aus einer Betrachtung und unter Berücksichtigung näher liegender prozessualer Möglichkeiten bis zu einer Hauptverhandlung nicht aufschiebbar waren (vgl. LG Marburg StV 1990, 362, 363; LG München StV 1988, 350, 351, beide m.w.N.). Daran fehlt es, da eine private Begutachtung auch noch nach Eröffnung der Hauptverhandlung auf der Grundlage der ersten tatsächlichen Feststellungen des Gutachters Prof. ... möglich war. Zudem hat es der Verteidiger des Beschwerdeführers versäumt, seine Einwände gegen das erste Gutachten durch einen Beweisantrag oder den Antrag, den Gutachter wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, vorzubringen. Diese prozessualen Möglichkeiten hätten zunächst näher gelegen, als sogleich ein privates Gutachten in Auftrag zu geben.