Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 29.01.2019, Az.: L 11 AS 877/18

100 %-Sanktion; Bestandskraft; Eingliederungsvereinbarung; Eingliederungs-Verwaltungsakt; Erledigung des Eingliederungs-Verwaltungsaktes; geldwerte Leistung; Inzidentprüfung; Mietschuldenübernahme; Sachleistung; Sanktion; Verfassungsmäßigkeit

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
29.01.2019
Aktenzeichen
L 11 AS 877/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 69483
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 09.01.2013 - AZ: S 50 AS 619/09

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Aufgrund der im Falle von 100 %-Sanktionen bestehenden Möglichkeit der Inanspruchnahme von Sach- bzw. geldwerten Leistungen, des sich aus dem Bezug von Sach- bzw. geldwerten Leistungen ergebenden Krankenversicherungsschutzes sowie der Möglichkeit der Mietschuldenübernahme (zur Vermeidung eines Wohnungsverlustes) bestehen im Ergebnis keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine vorübergehende sanktionsbedingte vollständige Minderung des Arbeitslosengeldes II.

2. Die Verletzung von Pflichten aus einem Eingliederungs-Verwaltungsakt konnte auch nach § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 b) SGB II in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung sanktioniert werden. Der Geltungsbereich dieser Norm beschränkte sich nicht auf Verletzungen von Pflichten aus einer Eingliederungsvereinbarung.

3. Bei der gerichtlichen Überprüfung einer Sanktion wegen der Verletzung von Pflichten aus einem Eingliederungs-Verwaltungsakt ist die Rechtmäßigkeit des zugrundeliegenden Eingliederungs-Verwaltungsaktes inzident zu prüfen, wenn sich der Eingliederungs-Verwaltungsakt wegen Ablaufs seiner Geltungsdauer noch vor Eintritt der Bestandskraft nach § 39 Abs 2 Alt 4 SGB X erledigt hat.

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 9. Januar 2013 (S 50 AS 59/09) aufgehoben, soweit es den Sanktionsbescheid vom 6. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2009 betrifft.

Die Klage gegen den Sanktionsbescheid vom 6. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2009 wird abgewiesen.

Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Für das erstinstanzliche Verfahren bleibt es bei der im Urteil vom 9. Januar 2013 getroffenen Kostenentscheidung.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Berufung des Beklagten richtet sich gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) Lüneburg vom 9. Januar 2013, mit dem der gegenüber dem Kläger erlassene Sanktionsbescheid vom 6. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2009 aufgehoben worden ist. Mit diesem Sanktionsbescheid hatte der Beklagte die dem Kläger zunächst bewilligten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für die Zeit vom 1. April bis 30. Juni 2009 vollständig, d.h. zu 100 % gemindert.

Der 1979 geborene Kläger stand im Jahr 2009 bereits seit langem im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Diese Leistungen wurden damals von den Rechtsvorgängern des Beklagten erbracht, d.h. einerseits vom Landkreis (LK) I. (insbesondere Kosten der Unterkunft und Heizung - KdUH -, vgl. § 6 Abs 1 Nr 2 SGB II in der damals geltenden Fassung, im Folgenden: alter Fassung - a.F.) und andererseits von der Bundesagentur für Arbeit (übrige Leistungen). Insoweit hatte die Bundesagentur für Arbeit (im Folgenden aufgrund der zum 1. Januar 2012 eingetretenen Rechtsnachfolge: der Beklagte) dem Kläger mit Bewilligungsbescheid vom 25. November 2008 Regelleistungen nach § 20 SGB II a.F. für den Bewilligungszeitraum Dezember 2008 bis Mai 2009 bewilligt, wobei der Zahlbetrag für die Monate Dezember 2008 bis Februar 2009 sanktionsbedingt von vornherein 0 EUR betrug. Für den Bewilligungszeitraum ab Juni 2009 hatte der Beklagte Regelleistungen nach § 20 SGB II a.F. mit Bescheid vom 29. April 2009 bewilligt, wobei der Zahlbetrag für den Monat Juni 2009 von vornherein 0 EUR betrug.

Gleichzeitig mit dem Bewilligungsbescheid vom 25. November 2008 hatte der Beklagte den Sanktionsbescheid vom 25. November 2008 erlassen (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2008), durch den das Arbeitslosengeld II des Klägers für die Zeit vom 1. Dezember 2008 bis 28. Februar 2009 vollständig, d.h. um 100 % gemindert worden war. In dem gegen diesen Sanktionsbescheid vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg geführten Klageverfahren S 29 AS 79/09 setzte das SG die Minderung auf 60 % herab, weil es sich bei dem sanktionierten Verhalten um die erste (und nicht bereits die zweite) wiederholte Pflichtverletzung gehandelt habe (vgl. S. 8 des Urteils des SG vom 19. Mai 2009 – S 29 AS 79/09 –). Die vom Kläger gegen dieses Urteil geführte Nichtzulassungsbeschwerde blieb erfolglos (Beschluss des 7. Senats des erkennenden Gerichts vom 19. Mai 2010 - L 7 AS 916/09 NZB -).

Bereits vor Erlass der Bewilligungs- und Sanktionsbescheide vom 25. November 2008 hatte der Beklagte mit Sanktionsbescheid vom 22. Mai 2008 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. September 2008) das Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. Juni bis 31. August 2008 um 60 % der für ihn nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung abgesenkt (vgl. zur Reduzierung dieser Sanktion von ursprünglich 60 % auf 30 %: Urteil des SG Lüneburg vom 19. Mai 2009 – S 29 AS 1549/08 -). Auch die vom Kläger gegen dieses Urteil geführte Nichtzulassungsbeschwerde blieb erfolglos (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 19. Mai 2010 –L 7 AS 911/09 NZB –).

In der Folgezeit des Bewilligungsbescheides vom 25. November 2008 ergingen noch weitere Sanktionsbescheide (vgl. hierzu etwa die Aufstellung des Beklagten als Anlage zum Schriftsatz vom 15. November 2018, Bl. 142 der Gerichtsakte L 11/9 AS 276/13), u.a. der mittlerweile bestandskräftige Sanktionsbescheid vom 10. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Dezember 2008, mit dem der Beklagte das Arbeitslosengeld II vollständig (d.h. um 100 %) für die Monate Januar bis März 2009 minderte (vgl. hierzu im Einzelnen: klagabweisendes Urteil des SG Lüneburg vom 19. Mai 2009 – S 29 AS 219/09 – sowie Beschluss des 7. Senats des erkennenden Gerichts vom 27. August 2010 – L 7 AS 910/09 -).

Dem im vorliegenden Verfahren streitbefangenen Sanktionsbescheid vom 6. März 2009 lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Beteiligten hatten zuletzt am 15. Mai 2007 eine Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen, in der u.a. die Förderung einer beruflichen Weiterbildung des Klägers vorgesehen war. Als Geltungsdauer war bestimmt worden: „bis 15. November 2009 (soweit zwischenzeitlich nichts anderes vereinbart wird)“. Es war geplant, dass der Kläger bei der J. (K.) eine Vollzeitumschulung zum Informatikkaufmann IHK absolvieren sollte (vgl. hierzu: Angebot bzw. Zusage der K. vom 11. Mai 2007). In der Folgezeit kam diese Weiterbildungsmaßnahme allerdings nicht zustande, was nach dem Vorbringen des Klägers darauf beruhte, dass die K. „mit fadenscheinigen Gründen“ die Möglichkeit der Teilnahme „zunichte gemacht“ habe. Der Beklagte habe dies „tatenlos hingenommen“ (vgl. Schriftsatz des Klägers vom 7. Dezember 2007, Blatt 173 der Verwaltungsakte).

In der Folgezeit bot der Beklagte dem Kläger am 22. November 2007 den Abschluss einer neuen Eingliederungsvereinbarung an. Dies lehnte der Kläger ab, was der Beklagte zum Anlass nahm, unter dem 13. Dezember 2007 einen Sanktionsbescheid zu erlassen. Diesen Sanktionsbescheid (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2008) hob der Beklagte in einem vom Kläger hiergegen geführten Klageverfahren wieder auf (Anerkenntnis des Beklagten, vgl. Sitzungsniederschrift vom 19. Mai 2009 des von den Beteiligten vor dem SG Lüneburg geführten Klageverfahren S 29 AS 749/08).

Nachdem der Kläger eine Unterzeichnung auch der ihm vom Beklagten am 19. Februar 2008 angebotenen weiteren Eingliederungsvereinbarung abgelehnt hatte, ersetzte der Beklagte die Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt (Bescheid vom 6. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2008 - Laufzeit des Eingliederungsverwaltungsaktes: 11. März 2008 bis 18. August 2008). Auf die vom Kläger hiergegen erhobene Klage hob das SG diesen Eingliederungs-Verwaltungsakt erstinstanzlich auf (Urteil des SG vom 19. Mai 2009 - S 29 AS 769/08 -). Das Berufungsverfahren endete dagegen mit einem Vergleich, wonach Einigkeit darüber bestand, dass der Rechtsstreit mit Ablauf der Geltungsdauer des Eingliederungs-Verwaltungsaktes in der Hauptsache erledigt sei (vgl. Sitzungsniederschrift vom 21. September 2011 im Berufungsverfahren L 7 AS 896/09).

Nach Ablauf der Geltungsdauer des Eingliederungsverwaltungsaktes vom 6. März 2008 lud der Beklagte den Kläger mit Meldeaufforderung vom 13. November 2008 für den 9. Dezember 2008 zu einem Beratungsgespräch ein. Als Gesprächsgegenstand wurde u.a. der Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung genannt. Gegen diese Meldeaufforderung führt der Kläger vor dem erkennenden Senat das Berufungsverfahren L 11/9 AS 276/13 (ursprüngliches Aktenzeichen des SG Lüneburg: S 50 AS 59/09).

Nachdem der Kläger zu dem für den 9. Dezember 2008 anberaumten Meldetermin nicht erschienen war, wertete der Beklagte dies als Meldeversäumnis und erließ den Sanktionsbescheid vom 3. Februar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 2009. Hiergegen führt der Kläger vor dem erkennenden Senat das Berufungsverfahren L 11 AS 876/18 (ursprüngliches Aktenzeichen des SG Lüneburg: S 50 AS 379/09).

Aufgrund des Nichterscheinens des Klägers zu dem u.a. für den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung anberaumten Meldetermin am 9. Dezember 2008 erließ der Beklagte außerdem den Eingliederungs-Verwaltungsakt vom 11. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2009 (Geltungszeitraum: 15. Dezember 2008 bis 10. Juni 2009). Dort war u.a. vorgesehen, dass der Kläger mindestens zwei Bewerbungen monatlich in den nächsten sechs Monaten zu erstellen habe. Da kein Berufsabschluss vorliege, müsse diese Stellensuche vorrangig im Helferbereich, auch unbefristete Stellen, auch bei Zeitarbeitsfirmen oder geringfügige Stellen erfolgen. Es sei ein Nachweis in Listenform oder mit Kopien der Anschreiben jeweils für den Zeitraum von zwei Monaten (vier Bewerbungen) zu führen. Diese Nachweise seien jeweils bis zum 11. Februar, 14. April und 10. Juni 2009 beim Beklagten vorzulegen. Weiterhin wurde festgelegt, dass der Beklagte die Bewerbungsaktivitäten des Klägers durch Übernahme von Kosten für schriftliche Bewerbungen auf vorherige Antragstellung und schriftlichen Nachweis bis zu einem Betrag von 260 EUR jährlich übernehmen werde. Zusätzlich würden Fahrkosten zu Vorstellungsgesprächen auf vorherige Antragstellung und Nachweis übernommen. Soweit der Kläger „aufgrund der derzeitigen Absenkung“ der SGB II-Leistungen nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel für die geforderten Eigenbemühungen (Bewerbungen) verfüge, erhalte er auf Antrag die anfallenden Bewerbungskosten im Voraus. Die Bewerbungskosten könnten dann jeweils für zwei Monate vorab gewährt werden. Auf Seite 2 und 3 enthielt der Eingliederungs-Verwaltungsakt eine Rechtsfolgenbelehrung. Diese enthielt u.a. den Hinweis, dass bei einer wiederholten Verletzung von Grundpflichten das Arbeitslosengeld II um 60 % der für den Kläger maßgeblichen Regelleistung abgesenkt werde; bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung entfalle der Anspruch auf Arbeitslosengeld II vollständig (vgl. im Einzelnen, auch wegen der weiteren Einzelheiten des Eingliederungs-Verwaltungsakts: Bescheid vom 11. Dezember 2008). Gegen diesen Eingliederungs-Verwaltungsakt führt der Kläger vor dem erkennenden Senat ein weiteres Berufungsverfahren (vgl. Urteil vom 29. Januar 2019 - L 11 AS 875/15 -; ursprüngliches Aktenzeichen des SG: S 50 AS 339/09).

Bis zum 11. Februar 2009 legte der Kläger keine Nachweise über Bewerbungsaktivitäten vor. Auf das Anhörungsschreiben des Beklagten vom 16. Februar 2009 machte er geltend, dass die Vorgaben, auf welche Stellen er sich bewerben solle, rechtswidrig seien. Es müsse ihm freigestellt bleiben, wo er sich bewerbe, zumal die „Empfehlungen“ des Beklagten nicht den „Voraussetzungen und Anforderungen“ entsprechen würden, die der Kläger erfüllen könne. Der Eingliederungs-Verwaltungsakt vom 11. Dezember 2008 sei auch deshalb rechtswidrig, weil die im Mai 2007 abgeschlossene Eingliederungsverarbeitung, in der die Förderung einer Ausbildung des Klägers im kaufmännischen Bereich vereinbart worden sei, noch bis Sommer 2009 gelte. Unabhängig davon könne der Kläger etwaige Bewerbungskosten oder Kosten für Vorstellungsgespräche nicht selbst tragen, so dass der Beklagte hierfür vorab einen Pauschalbetrag von 150 bis 200 EUR pro Monat zahlen müsse. Er (der Kläger) sei nicht zur Mitwirkung verpflichtet, da er „über alle Maßen sanktioniert“ sei und keine Barmittel mehr erhalte.

Mit dem im vorliegenden Verfahren streitbefangenen Sanktionsbescheid vom 6. März 2009 verfügte der Beklagte den vollständigen Wegfall des Arbeitslosengeldes II für die Zeit vom 1. April bis 30. Juni 2009. Der Beklagte führte aus, dass hiervon sowohl die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes als auch die Leistungen für Unterkunft und Heizung betroffen seien. Die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung vom 25. November 2008 werde insoweit für den o.g. Zeitraum gemäß § 48 SGB X aufgehoben. Die Minderung des Arbeitslosgengeldes II erfolge, weil der Kläger seine Eigenbemühungen nicht ausreichend nachgewiesen habe und damit gegen die Eingliederungsvereinbarung vom 11. Dezember 2008 verstoßen habe. Die durch seinen Prozessbevollmächtigten vorgetragenen Gründe könnten nicht als wichtige Gründe i.S.d. § 31 Abs 1 Satz 2 SGB II a.F. anerkannt werden. Da es sich um eine wiederholte Pflichtverletzung handele, sei das Arbeitslosengeld II vollständig zu mindern. Eine Begrenzung des Wegfalls der Leistungen auf eine Absenkung nur um 60 % sei nicht gerechtfertigt, da dem Kläger angeboten worden sei, die Bewerbungskosten im Voraus zu zahlen. Auf Antrag könnten dem Kläger in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen – insbesondere in Form von Lebensmittelgutscheinen – gewährt werden.

Im Widerspruchsverfahren nahm der Kläger nochmals Bezug auf sein Vorbringen im Anhörungsverfahren. Er verfüge sanktionsbedingt über keinerlei Barmittel mehr und erhalte nur noch Gutscheinleistungen.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. März 2009 mit der ergänzenden Begründung zurück, dass sowohl die Verpflichtung zu Eingliederungsbemühungen als auch die Nachweispflicht zum 11. Februar 2009 im Eingliederungs-Verwaltungsakt vom 11. Dezember 2008 geregelt worden seien. Es sei dort auch explizit geregelt worden, dass der Kläger für den Fall, dass er aufgrund der derzeitigen Absenkung seines Arbeitslosengeldes II nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel für die geforderten Eigenbemühungen verfügen sollte, auf Antrag die anfallenden Bewerbungskosten im Voraus erhalten könne. Ein wichtiger Grund für das Fehlverhalten des Klägers sei nicht erkennbar. Er habe sich auch nicht nachträglich bereit erklärt, seinen Pflichten nachzukommen. Vielmehr ließen seine Ausführung im Widerspruchsverfahren darauf schließen, dass er weiterhin nicht bereit sei, seinen Pflichten nachträglich nachzukommen. Nachdem bereits wegen der Nichtbewerbung auf den Vermittlungsvorschlag vom 21. November 2008 das Arbeitslosengeld II für die Monate Januar bis März 2009 vollständig weggefallen sei (Bescheid vom 10. Dezember 2008 – insoweit seien im Vorfeld bereits weitere Sanktionen aufgrund wiederholter Pflichtverletzungen ergangen), betrage die Sanktion 100 %. Eine Reduzierung des Minderungssatzes auf 60 % komme somit nicht in Betracht.

Hiergegen hat der Kläger am 17. April 2009 beim SG Lüneburg Klage erhoben (ursprüngliches Aktenzeichen: S 50 AS 619/09). Er hat sich zur Begründung auf sein Vorbringen im Anhörungs- und Widerspruchsverfahren bezogen sowie ergänzend vorgetragen, bereits in der Vergangenheit mehrfach zu 100 % sanktioniert worden zu sein. „In der Spitze“ hätten sich die Sanktionen sogar auf bis zu 800 % belaufen. Die im vorliegenden Verfahren streitbefangene Sanktion baue auf einer Sanktion auf, hinsichtlich derer der Kläger im Klageverfahren S 42 AS 1666/10 (SG Lüneburg) obsiegt habe. Bei der Entscheidung über die vorliegend streitbefangene Sanktion seien auch die bereits ergangenen Entscheidungen des SG Lüneburg zu den Aktenzeichen S 29 AS 139/08 ER und S 29 AS 2019/08 zu berücksichtigen.

Das SG hat mit Beschluss vom 13. Oktober 2011 das vorliegende Verfahren (S 50 AS 619/09) mit elf weiteren Klageverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden (vgl. zur der im Berufungsverfahren erfolgten teilweisen Aufhebung dieser Verbindungen: Beschluss des Senats vom 22. Oktober 2018).

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Kläger ergänzend vorgetragen, dass es „im Allgemeinen“ mehrere Gründe gegeben habe, weshalb er nicht zu den Meldeterminen erschienen sei: Aus seiner Sicht hätten ihm die bei einem Meldetermin zu besprechenden Themen vorab mitgeteilt werden müssen. Nur so hätten sich sein Rechtsbeistand (Bruder) sowie sein Prozessbevollmächtigter in das jeweilige Thema einarbeiten und er (der Kläger) sich selbst „Gedanken und Notizen“ machen können. Aus § 65 SGB I folge, dass es keine Mitwirkungsobliegenheit gebe, solange der Betroffene keine SGB II-Leistungen mehr bekomme. In „weiten Teilen“ habe er überhaupt kein Bargeld bekommen, sondern lediglich Lebensmittelgutscheine. Er habe es sich daher gar nicht leisten können, die Termine wahrzunehmen und einen Fahrschein zu lösen. Das Verhältnis zwischen seiner Fallmanagerin und ihm sei von einer „großen Vertrauenskrise“ geprägt gewesen. Insoweit habe sich der Beklagte auch geweigert, über die Dienstaufsichtsbeschwerden des Klägers zu entscheiden. Es seien zudem Gesprächsprotokolle verfälscht worden. Auf jede Meldeaufforderung habe er reagiert, „meist anwaltlich“. Auf diese Einwände sei niemals inhaltlich eingegangen worden. Vielmehr sei jeweils sofort ein Sanktionsbescheid gefolgt.

Das SG hat über die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Verfahren S 50 AS 59/09, S 50 AS 339/09, S 50 AS 379/09, S 50 AS 619/09, S 50 AS 1319/09, S 50 AS 1339/09, S 50 AS 1359/09, S 50 AS 1559/09, S 50 AS 1999/09, S 50 AS 336/11, S 50 AS 453/11 und S 50 AS 1310/11 mit Urteil vom 9. Januar 2013 entschieden. Es hat den im vorliegenden Verfahren streitbefangenen Sanktionsbescheid vom 6. März 2009 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2009) mit der Begründung aufgehoben, dass erst seit dem 1. April 2011 Verletzungen von Pflichten aus einem Eingliederungs-Verwaltungsakt sanktioniert werden könnten (§ 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II in der Fassung des Gesetzes vom 20. Dezember 2010). Nach der im streitbefangenen Zeitraum geltenden Rechtslage habe nach herrschender Meinung ausschließlich die Verletzung von „in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten“ zu Sanktionen führen können (§ 31 Abs 1 SGB II in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung), nicht dagegen ein Verstoß gegen Pflichten aus einem Eingliederungs-Verwaltungsakt.

Gegen das dem Beklagten am 22. Februar 2013 zugestellte Urteil richtet sich seine am 18. März 2013 eingelegte Berufung. Entgegen der Rechtsauffassung des SG sei auch bei Verstößen gegen einen Eingliederungs-Verwaltungsakt eine Sanktion nach § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 b) SGB II a.F. zulässig gewesen. Insoweit bezieht sich der Beklagte auf das Urteil des 9. Senats des erkennenden Gerichts vom 28. Februar 2013 – L 9 AS 1321/11 -.

Der Senat hat mit Beschluss vom 22. Oktober 2018 den Verbindungsbeschluss des SG vom 13. Oktober 2011 teilweise aufgehoben. Streitgegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens L 11 AS 877/18 ist dementsprechend ausschließlich der Sanktionsbescheid vom 6. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2009, d.h. die erstinstanzlich ursprünglich unter den Aktenzeichen S 50 AS 619/09 geführte Klage.

Der Beklagte beantragt,

1. das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 9. Januar 2013 insoweit aufzuheben, als der Klage gegen den Sanktionsbescheid vom 6. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2009 stattgegeben worden ist,

2. die Klage gegen den Sanktionsbescheid vom 6. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2009 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Er macht sich die Begründung des angefochtenen Urteils zu eigen.

Eine zwischen den Beteiligten am 12. September 2013 vor dem LSG Niedersachsen-Bremen erfolgte gerichtsnahe Mediation ist erfolglos geblieben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten (10 Bände), die erst- und zweitinstanzliche Gerichtsakte S 50 AS 619/09 / L 11 AS 877/18 sowie folgende beigezogene Gerichtsakten des SG Lüneburg verwiesen (ggf. ergänzt um das Aktenzeichen des LSG Niedersachsen-Bremen bei zweitinstanzlichen Verfahren): S 29 AS 629/08, S 29 AS 749/08, S 29 AS 769/08 / L 7 AS 896/09, S 29 AS 869/08, S 29 AS 1479/08, S 29 AS 1549/08 / L 7 AS 911/09 NZB, S 29 AS 1559/08, S 29 AS 1589/08 / L 7 AS 912/09 NZB, S 29 AS 1599/08, S 29 AS 1609/08, S 29 AS 1619/08, S 29 AS 2019/08, S 50 AS 59/09 / L 11/9 AS 276/13, S 29 AS 79/ 09 / L 7 AS 916/09 NZB, S 29 AS 99/09 / L 7 AS 913/09 NZB, S 29 AS 199/09, S 29 AS 139/09 / L 7 AS 915/09 NZB, S 29 AS 219/09 / L 7 AS 910/09, S 50 AS 339/09 / L 11 AS 875/18, S 50 AS 379/09 / L 11 AS 876/18, S 50 AS 1319/09 / L 11 AS 876/18, S 50 AS 1339/09 / L 11 AS 876/18, S 50 AS 1359/09 / L 11/9 AS 276/13, S 50 AS 1379/09, S 50 AS 1559/09 / L 11 AS 876/18, S 50 AS 1739/08 / L 9 AS 280/13, S 50 AS 1999/09 / L 11 AS 876/18, S 23 AS 1292/10 / L 15 AS 16/11, S 50 AS 336/11 / L 11 AS 878/18, S 50 AS 453/11 / L 11 AS 878/18, S 50 AS 1000/11, S 50 AS 1310/11 / L 11 AS 879/18.

Die Berufungen des Klägers bzw. des Beklagten gegen das Urteil des SG vom 9. Januar 2013, soweit diese die ursprünglich unter den erstinstanzlichen Aktenzeichen S 50 AS 59/09, S 50 AS 339/09, S 50 AS 379/09, S 50 AS 1319/09, S 50 AS 1339/09, S 50 AS 1359/09, S 50 AS 1559/09, S 50 AS 1999/09, S 50 AS 336/11, S 50 AS 453/11 und S 50 AS 1310/11 geführten Klagen betreffen, werden beim erkennenden Senat unter den Aktenzeichen L 11/9 AS 276/13 sowie L 11 AS 875/18, 876/18, 878/18 und 879/18 geführt (vgl. im Einzelnen: Beschluss des Senats vom 22. Oktober 2018).

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Insbesondere beträgt der Wert des Beschwerdegegenstandes mehr als 750,- EUR. Schließlich streiten die Beteiligten im vorliegenden Verfahren um die vollständige Minderung u.a. der vom Beklagten zuvor ohne Anrechnung von Einkommen oder Vermögen gewährten Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II für drei Monate (vgl. zur Wertgrenze für die Statthaftigkeit der Berufung: § 144 Abs 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG -). Zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung (d.h. vor Erlass des Trennungsbeschlusses vom 22. Oktober 2018) lag der Wert des Beschwerdegegenstandes sogar noch deutlich höher.

Die Berufung des Beklagten ist auch begründet. Der Sanktionsbescheid vom 6. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2009 erweist sich als rechtmäßig, so dass das der Klage stattgebende Urteil des SG der Aufhebung unterliegt.

1.

Streitgegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist nach teilweiser Aufhebung des vom SG erlassenen Verbindungsbeschlusses (vgl. Beschluss des Senats vom 22. Oktober 2018) nur noch der Sanktionsbescheid vom 6. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2009. Die ursprünglich unter den erstinstanzlichen Aktenzeichen S 50 AS 59/09, S 50 AS 339/09, S 50 AS 379/09, S 50 AS 1319/09, S 50 AS 1339/09, S 50 AS 1359/09, S 50 AS 1559/09, S 50 AS 1999/09, S 50 AS 336/11, S 50 AS 453/11 und S 50 AS 1310/11 geführten Klagen, über die das SG aufgrund seines Verbindungsbeschlusses vom 13. Oktober 2011 ebenfalls durch das Urteil vom 9. Januar 2013 - S 50 AS 59/09 - entschieden hat, sind nicht Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens, sondern der Berufungsverfahren L 11/9 AS 276/13 und L 11 AS 875, 876, 878 und 879/18 (vgl. zur Zuordnung der Verfahren im Einzelnen: Beschluss des Senats vom 22. Oktober 2018).

2.

Rechtsgrundlage für den streitbefangenen Sanktionsbescheid war § 31 SGB II in der im streitbefangenen Zeitraum und noch bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung (im Folgenden: § 31 SGB II alter Fassung - a.F.; vgl. zum sogenannten Geltungszeitraumprinzip: Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R -).

Nach dieser Norm wurde das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 SGB II in einer ersten Stufe um 30 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung u.a. dann abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigerte, in der Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen (§ 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 b) SGB II a.F.). Dies galt nicht, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachwies (§ 31 Abs 1 Satz 2 SGB II a.F.).

a.

Entgegen der Auffassung des SG konnte auch nach der im streitbefangenen Zeitraum geltenden Rechtslage eine Verletzung von Pflichten aus einem Eingliederungs-Verwaltungsakt sanktioniert werden. Der Geltungsbereich des § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 b) SGB II a.F. beschränkte sich nicht auf Verletzungen von Pflichten aus einer Eingliederungsvereinbarung.

Insoweit trifft es zwar zu, dass § 31 SGB II erst in seiner seit 1. April 2011 geltenden Fassung die Weigerung, die in einem eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt nach § 15 Abs 1 Satz 6 SGB II festgelegte Pflichten zu erfüllen, ausdrücklich als Sanktionstatbestand aufführt. Dagegen lautete § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 b) SGB II in der im streitbefangenen Zeitraum (d.h. bis zum 31. März 2011) geltenden Fassung auszugsweise wie folgt: „Das Arbeitslosengeld II wird (...) in einer ersten Stufe um 30 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, in der Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen“. Diese Norm erfasste jedoch auch Verstöße gegen einen Eingliederungs-Verwaltungsakt (ebenso: 9. Senat des erkennenden Gerichts, Urteil vom 28. Februar 2013 – L 9 AS 1321/11 – [nicht veröffentlicht]; LSG Bayern, Beschluss vom 7. Februar 2013 – L 7 AS 813/12 NZB -; LSG Bayern, Beschluss vom 28. Januar 2013 – L 7 AS 431/12 NZB –; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. Mai 2010 – L 12 AS 600/10 B ER -; Burkiczak in: Beck’scher Online-Kommentar zum Sozialrecht – Beck OK SozR -, Stand: 1. März 2011, § 31 SGB II Rn 18; Winkler in: Gagel, SGB II/SGB III, Stand: 39. EL 2010, § 31 SGB II, Rn 21; Berlit in: Münder, SGB II, 3. Auflage 2009, § 31 Rn 28; Sonnhoff in: jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 31 Rn 11, 52; Herold-Tews in: Löns/Herold-Tews, SGB II, 2. Auflage 2009, § 31 Rn 10; wohl auch: Oestreicher, SGB XII/SGB II, Stand: 2016, § 31 SGB II, Rn 18). Für diese Auslegung von § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 b) SGB II a.F. spricht zunächst, dass in der Gesetzesbegründung zu der am 1. April 2011 erfolgten Rechtsänderung (erstmalige Erwähnung des eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsaktes im neu gefassten Sanktionstatbestand nach § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II) die Gesetzesänderung ausdrücklich als lediglich „klarstellend“ bezeichnet wird (vgl. BT-Drs. 17/3404, S. 45; ebenso von einer Klarstellung sprechend etwa: Herbst in: Estelmann, SGB II, Stand 2018, § 31 Rn 12). Zu beachten ist außerdem die in § 15 Abs 1 Satz 6 SGB II a.F. (= § 15 Abs 3 Satz 3 SGB II in der derzeit geltenden Fassung) zum Ausdruck kommende rechtliche Gleichwertigkeit von Eingliederungsvereinbarung und Eingliederungs-Verwaltungsakt. Insoweit hat das BSG bereits entschieden, dass es sich bei dem Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung einerseits sowie dem Erlass eines eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsaktes andererseits nach Wortlaut, Gesetzesbegründung, systematischem Zusammenhang sowie Sinn und Zweck von § 15 Abs 1 SGB II um zwei grundsätzlich gleichwertige Wege handelt (BSG, Urteil vom 22. September 2009 – B 4 AS 13/09 R –, BSGE 104, 185, Rn 15). Dies spricht dafür, Verletzungen von Pflichten aus einer Eingliederungsvereinbarung bzw. eines Eingliederungs-Verwaltungsaktes gleich zu behandeln. Es würde einen Wertungswiderspruch darstellen, lediglich diejenigen Hilfebedürftigen zu sanktionieren, die eine Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen haben, dagegen Pflichtverletzungen von Hilfebedürftigen, die den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung verweigert oder vereitelt haben, nach Erlass eines Eingliederungs-Verwaltungsaktes für etwaige Pflichtverletzungen von vornherein nicht zu sanktionieren. Dieser Rechtsauffassung neigt offensichtlich auch das BSG zu, da es in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2009 – B 4 AS 20/09 R – bei der rechtlichen Überprüfung einer Sanktion nach § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 b) SGB II a.F. (dessen Wortlaut - wie bereits dargelegt - allein auf die Verletzung von Pflichten aus einer Eingliederungsvereinbarung abstellte) auch geprüft hat, ob ein Verstoß gegen einen Eingliederungs-Verwaltungsakt vorliegen könnte (vgl. BSG, a.a.O. Rn 17). Die Prüfung eines Verstoßes gegen einen Eingliederungs-Verwaltungsakt wäre nicht entscheidungserheblich gewesen, wenn dieser Sachverhalt von vornherein nicht unter § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 b) SGB II a.F. subsumiert werden könnte.

Der Gegenauffassung, wonach Verletzungen von Pflichten aus Eingliederungs-Verwaltungsakten nicht unter § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 b) SGB II a.F. fallen (etwa: LSG Hessen, Beschluss vom 9. Februar 2008 - L 7 AS 288/06 ER -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 8. Juli 2009 – L 19 B 140/09 AS ER -; Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 31 Rn 13a; wohl auch: Valgolio in: Hauck/Noftz/Voelzke, SGB II, Stand 2018, § 31 Rn 54 unter Hinweis auf u.a. Loose in: Hohm, GK-SGB II, Stand: Mai 2008, § 31 Rn 21), folgt der Senat aus den bereits dargelegten Gründen nicht.

Hinsichtlich der vom SG zur Begründung seiner Rechtsauffassung zitierten Entscheidung des 8. Senats des erkennenden Gerichts vom 31. Juli 2007 – L 8 AS 605/06 ER – (FEVS 59, 34) weist der Senat darauf hin, dass diese Entscheidung nicht den im vorliegenden Verfahren streitbefangenen Sanktionstatbestand des § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 b) SGB II a.F. betrifft, sondern zu § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 a) SGB II a.F. ergangen ist (Verweigerung des Abschlusses einer Eingliederungsvereinbarung). Aussagen zur Rechtmäßigkeit der Sanktionierung von Verstößen gegen einen Eingliederungs-Verwaltungsakt enthält diese Entscheidung nicht.

b.

Der Kläger hat unstreitig weder die ihm in dem Eingliederungs-Verwaltungsakt vom 11. Dezember 2008 auferlegten Eigenbemühungen (mindestens zwei Bewerbungen monatlich) unternommen noch zum 11. Februar 2009 den dort geforderten Nachweis seiner Eigenbemühungen geführt. Dem Kläger stand auch kein wichtiger Grund für sein Verhalten zur Seite. Schließlich war der Kläger gehalten, alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung seiner Hilfebedürftigkeit auszuschöpfen (§ 2 Abs 1 Satz 1 SGB II), also u.a. sich für alle für ihn in Betracht kommenden Beschäftigungen zu bewerben (vgl. zur Obliegenheit, aktiv an allen Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit mitzuwirken: § 2 Abs 1 Satz 2 SGB II). Entgegen der Auffassung des Klägers treffen diese Rechtspflichten nicht nur die Bezieher von Geldleistungen nach dem SGB II, sondern „erwerbsfähige Hilfebedürftige“ (vgl. hierzu den Wortlaut von § 2 Abs 1 Satz 1 SGB II), somit auch diejenigen Hilfebedürftigen, deren SGB II-Leistungen sanktionsbedingt gemindert werden. Unabhängig davon hat der Kläger zumindest zeitweise im Leistungsbezug gestanden, nämlich durch den Bezug der ihm vom Beklagten für den Sanktionszeitraum angebotenen ergänzenden Sachleistungen bzw. geldwerten Leistungen.

c.

Gegen den der streitbefangenen Sanktion zugrundeliegenden Eingliederungsverwaltungsakt vom 11. Dezember 2008 bestehen keine rechtlichen Bedenken.

Der dem streitbefangenen Sanktionsbescheid zugrundeliegende Eingliederungs-Verwaltungsakt vom 11. Dezember 2008 ist im Rahmen der Überprüfung der Sanktion inzident zu prüfen. Schließlich war die Geltungsdauer des Eingliederungs-Verwaltungsaktes bereits am 10. Juni 2009, d.h. noch im Laufe des gegen diesen Verwaltungsakt geführten erstinstanzlichen Klageverfahrens S 50 AS 339/09 (SG Lüneburg) und damit auch noch vor Eintritt von Bestandskraft dieses Verwaltungsaktes abgelaufen. Dies führte zur Erledigung des Eingliederungs-Verwaltungsaktes gemäß § 39 Abs 2 Alt 4 SGB X (BSG, Urteil vom 15. Juni 2016 – B 4 AS 45/15 R –, SozR 4-1500 § 55 Nr 16, Rn 15; LSG Bayern, Beschluss vom 22. Januar 2013 – L 16 AS 381/11 -, Rn 17; Sonnhoff in: JurisPK SGB II, 4. Auflage 2015, Stand: Januar 2017, § 15 Rn 160). Mangels Bestandskraft des Eingliederungs-Verwaltungsaktes vom 11. Dezember 2008 erfolgt eine (inzidente) Prüfung der Rechtmäßigkeit dieses Eingliederungs-Verwaltungsaktes somit im Rahmen der rechtlichen Überprüfung des darauf basierenden Sanktionsbescheides (vgl. hierzu ausführlich: Urteil des Senats vom 29. Januar 2019 in dem ebenfalls von den Beteiligten geführten Berufungsverfahren L 11 AS 875/18 [erstinstanzliches Aktenzeichen: S 50 AS 339/09]).

Der Beklagte war berechtigt, gegenüber dem Kläger einen Eingliederungs-Verwaltungsakt i.S.d. § 15 Abs 1 Satz 6 SGB II a.F. zu erlassen anstatt mit ihm eine (konsensuale) Eingliederungsvereinbarung nach § 15 Abs 1 Satz 1 SGB II abzuschließen. Schließlich hatte der Kläger durch sein Nichterscheinen zu dem für den 8. Dezember 2008 anberaumten Besprechungstermin das Zustandekommen einer Eingliederungsvereinbarung vereitelt. Für dieses Fernbleiben stand dem Kläger kein wichtiger Grund zur Seite, da er der sog. Meldepflicht unterlag (§ 59 SGB II i.V.m. § 309 SGB III). Der Beklagte hatte den Kläger ordnungsgemäß zu dem Beratungsgespräch eingeladen und auch den Gegenstand der Besprechung benannt (u.a. Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung). Entgegen der Auffassung des Klägers musste insoweit keine weitere Konkretisierung des geplanten Gesprächsinhalts erfolgen. Eine etwaige parallel laufende sanktionsbedingte vollständige Minderung des Arbeitslosengeldes II (bei offensichtlich zumindest zeitweisem Bezug von ergänzende Sachleistungen bzw. geldwerte Leistungen) stand der Meldepflicht nicht entgegen. § 309 Abs 1 SGB III stellt insoweit nicht auf Leistungsbezieher ab, sondern auf „Arbeitslose (...) während der Zeit, für die sie einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erheben“.

Bei der Verpflichtung zur Vornahme von mindestens zwei Bewerbungen pro Monat handelt es sich um einen zulässigen Inhalt einer Eingliederungsvereinbarung nach § 15 SGB II (vgl. § 15 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II a.F.) bzw. eines anstelle einer Eingliederungsvereinbarung ergehenden Eingliederungs-Verwaltungsaktes (vgl. hierzu: § 15 Abs 1 Satz 6 SGB II a.F.).

Der Eingliederungs-Verwaltungsakt vom 11. Dezember 2008 enthielt auch eine hinreichende Rechtsfolgenbelehrung. Der Kläger war u.a. ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die Nichterfüllung der in dem Eingliederungs-Verwaltungsakt festgelegten Pflichten (insbesondere auch der Pflicht, in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen) zu Kürzungen bzw. zum Wegfall des Leistungsanspruchs führen können (S. 2 des Eingliederungs-Verwaltungsaktes). Ebenso war er darauf hingewiesen worden, dass bei einer ersten wiederholten Pflichtverletzung das Arbeitslosengeld II um 60 % der für ihn maßgebenden Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II abgesenkt wird und bei weiteren wiederholten Pflichtverletzungen der Anspruch auf Arbeitslosengeld II vollständig entfällt (soweit kein wichtiger Grund für die Pflichtverletzung nachgewiesen wird, vgl. hierzu erneut S. 2 des Eingliederungs-Verwaltungsaktes).

Die Obliegenheit des Klägers, den im Eingliederungs-Verwaltungsakt festgelegten Verpflichtungen nachzukommen (nämlich u.a. monatlich zwei Bewerbungen vorzunehmen und dies am 11. Februar 2009 nachzuweisen), war auch nicht aufgrund des vom Kläger gegen den Eingliederungs-Verwaltungsakt eingelegten Widerspruchs oder der später hiergegen erhobenen Klage entfallen (Az. des SG: S 50 AS 339/09). Nach § 39 Nr 1 SGB II in der ab 1. Januar 2009 geltenden Fassung des Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21. Dezember 2008 (BGBl I, S. 2917) hatten Widerspruch und Klage seit 1. Januar 2009 nämlich keine aufschiebende Wirkung mehr (vgl. zum Inkrafttreten dieser Gesetzesänderung am 1. Januar 2009: Art 8 Abs 1 des Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente, BGBl I, S. 2917, 2932).

Dem Erlass des Eingliederungs-Verwaltungsaktes vom 11. Dezember 2008 stand auch nicht – wie der Kläger geltend macht – die Fortgeltung der Eingliederungsvereinbarung vom 15. Mai 2007 entgegen, in der u.a. die Förderung einer beruflichen Weiterbildung des Klägers bei der K. vorgesehen war. Die Geltungsdauer dieser Eingliederungsvereinbarung war begrenzt „bis 15. November 2009 (soweit zwischenzeitlich nichts anderes vereinbart wird)“. Nachdem die K. eine Teilnahme des Klägers an dieser Maßnahme jedoch endgültig abgelehnt hatte, war die Eingliederungsvereinbarung inhaltlich hinfällig geworden. Diese veränderten Umstände machten eine neue Eingliederungsvereinbarung notwendig.

3.

Der im vorliegenden Verfahren angefochtene Sanktionsbescheid vom 6. März 2009 erweist sich auch hinsichtlich der Höhe, des Beginns und der Laufzeit der Sanktion als rechtmäßig.

Nach § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 b) SGB II a.F. war bei einer Pflichtverletzung das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 SGB II in einer ersten Stufe um 30 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung abzusenken. Bei der ersten wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 Abs 1 SGB II betrug die Absenkung 60 vom Hundert und bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 Abs 1 SGB II 100 vom Hundert (§ 31 Abs 3 Satz 1 und 2 SGB II a.F.). Um eine wiederholte Pflichtverletzung handelte es sich nicht, wenn der Beginn des vorangegangenen Sanktionszeitraums länger als ein Jahr zurücklag (§ 31 Abs 3 Satz 4 SGB II a.F.).

Die für eine 100%-Sanktion erforderlichen vorangegangenen Sanktionen um 30 % sowie um 60 % liegen vor. So wurde das Arbeitslosengeld II des Klägers durch Sanktionsbescheid vom 22. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. September 2008 für die Zeit vom 1. Juni bis 31. August 2008 um 30 % der für ihn nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung abgesenkt (vgl. zur Absenkung dieser Sanktion von ursprünglich 60 % auf 30 %: Urteil des SG Lüneburg vom 19. Mai 2009 – S 29 AS 1549/08). Der Sanktionsbescheid ist in der Gestalt des Urteils des SG bestandskräftig geworden, da die vom Kläger gegen dieses Urteil geführte Nichtzulassungsbeschwerde erfolglos geblieben ist (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 19. Mai 2010 – L 7 AS 911/09 NZB –).

Für die Zeit vom 1. Dezember 2008 bis 28. Februar 2009 erfolgte durch den Sanktionsbescheid vom 25. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2008 eine Absenkung der für den Kläger nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung um 60 % (vgl. zur Absenkung dieser Sanktion von ursprünglich 100 % auf 60 %: Urteil des SG Lüneburg vom 19. Mai 2009 – S 29 AS 79/09 –). Auch dieser Sanktionsbescheid ist in der Gestalt des Urteils des SG bestandskräftig geworden, da die vom Kläger gegen dieses Urteil geführte Nichtzulassungsbeschwerde erfolglos geblieben ist (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 19. Mai 2010 – L 7 AS 916/09 NZB -).

Zusätzlich war durch den ebenfalls bestandskräftigen Sanktionsbescheid vom 10. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Dezember 2008 das Arbeitslosengeld II für die Monate Januar bis März 2009 vollständig (d.h. um 100 %) gemindert worden. Die hiergegen vom Kläger eingelegten Rechtsmittel sind erfolglos geblieben (vgl. Urteil des SG Lüneburg vom 19. Mai 2009 – S 29 AS 219/09 –, Beschluss des 7. Senats des erkennenden Gerichts vom 27. August 2010 – L 7 AS 910/09 – sowie Beschluss des BSG vom 12. Januar 2011 – B 14 AS 136/10 B -).

Da der Kläger sich auch nicht nachträglich bereit erklärt hat, seiner Verpflichtung zum Nachweis von Eigenbemühungen nachzukommen (für den Stichtag 11. Februar 2009), kommt auch keine Reduzierung der Minderung auf 60 % in Betracht (vgl. § 31 Abs 3 Satz 5 SGB II a.F.). Die in § 31 Abs 3 Satz 6 SGB II a.F. genannten ergänzenden Sachleistungen und geldwerten Leistungen hat der Beklagte dem Kläger bereits im Sanktionsbescheid ausdrücklich angeboten und auch zumindest zeitweise in Form sog. Lebensmittelgutscheine gewährt.

Entsprechend § 31 Abs 6 Satz 1 und 2 SGB II a.F. hat der Beklagte den Beginn der dreimonatigen Sanktion auf den 1. April 2009 verfügt (als Beginn des Monats, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes folgt, der die Absenkung oder den Wegfall der Leistung feststellt - hier: Sanktionsbescheid vom 6. März 2009).

4.

Gegen die vollständige Minderung des Arbeitslosengelds II (100%-Sanktion) bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

a.

Der Senat hat bereits entschieden, dass gegen den sanktionsbedingten vollständigen Wegfall des Anspruchs auf Regelleistungen nach § 20 SGB II (seit 1. April 2011: Regelbedarfsleistungen) aufgrund der Möglichkeit der Inanspruchnahme von Sachleistungen bzw. geldwerter Leistungen (§ 31 Abs 3 Satz 6 SGB II a.F. = § 31a Abs 3 SGB II in der derzeit geltenden Fassung) keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (Urteil des erkennenden Senats vom 28. September 2017 – L 11 AS 1067/15 –, veröffentlicht u.a. in: ZFSH/SGB 2018, 48; info also 2018, 95 – die hiergegen eingelegte Revision wurde vom BSG mit Beschluss vom 27. Juni 2018 - B 14 AS 44/17 R – als unzulässig verworfen). In dieser Entscheidung hat der Senat u.a. ausgeführt:

Dass die sanktionsbedingte Minderung des Regelbedarfsanspruchs um 30 % nicht verfassungswidrig ist, ist bereits höchstrichterlich entschieden (BSG, Urteil vom 29. April 2015 – B 14 AS 19/14 R –, BSGE 119, 17). Dem schließt sich der erkennende Senat vollinhaltlich an. Ebenso wenig ist die im vorliegenden Verfahren streitbefangene weitergehende Minderung verfassungswidrig. Vielmehr wird eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. hierzu erneut: BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 a.a.O.) infolge der Sanktion dadurch vermieden, dass der Grundsicherungsträger bei einer Minderung um mehr als 30 % des nach § 20 SGB II maßgebenden Regelbedarfs auf Antrag des Hilfeempfängers in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen kann (§ 31a Abs 3 Satz 1 SGB II). Soweit im Haushalt des Hilfeempfängers minderjährige Kinder leben, besteht sogar ein gebundener Anspruch auf entsprechende Sach- bzw. geldwerte Leistungen (§ 31a Abs 3 Satz 2 SGB II). (...)

Selbst wenn im politischen Raum das bedingungslose Grundeinkommen diskutiert wird, steht dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber generell - und damit auch bei der Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen - ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Dem entspricht der Grundsatz einer nur zurückhaltenden verfassungsrechtlichen Kontrolle der diesbezüglichen einfachgesetzlichen Regelungen (vgl. hierzu im Einzelnen: Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 -, BVerfGE 125, 175, Rn 133ff. mit umfangreichen weiteren Nachweisen). Der Gesetzgeber ist daher nicht gehindert, auch die Gewährung existenzsichernder Leistungen an Voraussetzungen zu knüpfen (vgl. hierzu etwa: BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07. Juli 2010 – 1 BvR 2556/09 –). Weder das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum noch das Sozialstaatsprinzip erfordert eine voraussetzungslose Sicherung des Existenzminimums (vgl. BSG Urteil vom 12. Mai 2017 - B 7 AY 1/16 R - Rn 29, 30 m.w.N. - zu § 1a Asylbewerberleistungsgesetz - AsylbLG - in der bis zum 28. Februar 2015 geltenden Fassung).

Hieran hält der Senat weiterhin fest (vgl. auch etwa: Beschluss des erkennenden Senats vom 9. Februar 2018 - L 11 AS 29/18 B ER –).

b.

Dass im vorliegenden Fall ausweislich des Wortlauts des Sanktionsbescheides vom 6. März 2009 neben dem Anspruch auf Regelleistungen (§ 20 SGB II) auch der Anspruch auf Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) sanktionsbedingt vollständig entfallen ist (vgl. zur ursprünglich erfolgten Bewilligung von KdUH-Leistungen für den streitbefangenen Zeitraum: Bescheide des LK I., Bl. 208 ff. der Gerichtsakte S 50 AS 336/11 / L 11 AS 878/18), begründet ebenfalls keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der im vorliegenden Verfahren streitbefangenen 100%-Sanktion. Der Gefahr des Verlustes der Wohnung aufgrund vermieterseitiger Kündigung nach § 543 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wegen – möglicherweise sanktionsbedingt aufgelaufener - Mietrückstände kann mittels der Gewährung eines Darlehens nach § 22 Abs 5 SGB II a.F. (= § 22 Abs 8 SGB II in der derzeit geltenden Fassung) wirksam begegnet werden (vgl. hierzu etwa: LSG Bayern, Beschluss vom 21. Dezember 2012 – L 11 AS 850/12 B ER -, NZS 2013, 393; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. Dezember 2010 – L 19 AS 1862/10 B ER –; Luik in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, Rn 272; Hammel ZfF 2013, 151, 159; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Wolfgang Neskovic, Katja Kipping, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE vom 13. November 2012, BT-Drs. 17/11459, Seite 8; zur Verwaltungspraxis in Nordrhein-Westfalen: Empfehlung des Nordrhein-Westfälischen Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales in der „Arbeitshilfe: Sanktionen gemäß § 31 SGB II“, 3. Auflage 2010, S. 31, wonach bei Sanktionen Darlehen nach § 22 Abs 5 SGB II a.F. zur Abwendung von Obdachlosigkeit bei drohender Wohnungslosigkeit gewährt werden können; ausführlich zu diesem Problemkreis: Hammel ZfF 2013, 151, 157ff. mit umfangreichen weiteren Nachweisen).

c.

Eine Verfassungswidrigkeit ergibt sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt, dass der Krankenversicherungsschutz sanktionsbedingt entfallen könnte. Zwar trifft es zu, dass der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung an den tatsächlichen Bezug von SGB II-Leistungen und nicht an den – u.U. sanktionsbedingt geminderten – Anspruch dem Grunde nach anknüpft (vgl. § 5 Abs 1 Nr 2a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V -). Allerdings reicht für den Krankenversicherungsschutz bereits der Bezug von Sach- oder geldwerten Leistungen nach § 31 Abs 3 Satz 6 SGB II a.F. (= § 31a Abs 3 SGB II in der derzeit geltenden Fassung), vgl. etwa: Knickrehm/Hahn in: Eicher/Luik, SGB II, 2. Auflage 2017, § 31a Rn 19a. Diese Leistungen sind dem Kläger – zumindest zeitweise – gewährt worden. Auf die Möglichkeit, diese zu beantragen, wurde der Kläger vom Beklagten im Sanktionsbescheid ausdrücklich hingewiesen. Soweit die Gewährung von ergänzenden Sachleistungen oder geldwerten Leistungen im Ermessen des Leistungsträgers steht, geht der erkennende Senat bei einer 100 %-Sanktion und einem drohenden Verlust des Krankenversicherungsschutzes von einer Ermessensreduzierung auf Null aus.

Nach alledem ist die im vorliegenden Verfahren streitbefangene Sanktion aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Der Senat teilt dementsprechend nicht die u.a. vom SG Gotha an der Verfassungsmäßigkeit von Sanktionen geäußerten Bedenken (vgl. hierzu: Vorlagebeschluss de SG Gotha vom 2. August 2016 – S 15 AS 5157/14 –, anhängig beim BVerfG unter dem Aktenzeichen 1 BvL 7/16).

5.

Der Verweis des Klägers auf die Entscheidung des SG Lüneburg zum Az. S 42 AS 1666/10 führt zu keinem anderen Ergebnis. In diesem Verfahren ging es nicht um den dem vorliegenden Verfahren zugrundeliegenden Eingliederungs-Verwaltungsakt vom 6. März 2009 oder um den fehlenden Nachweis von Eigenbemühungen zum 11. Februar 2009, sondern um ein späteres Ereignis (Verstoß gegen den Eingliederungs-Verwaltungsakt vom 14. April 2010; Sanktionsbescheid vom 11. Juni 2010 - Minderungszeitraum: Juli bis September 2010).

6.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 SGG) liegen hinsichtlich der in Abschnitt 2 a. getroffenen Entscheidung zum Anwendungsbereich des § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 b) SGB II a.F. nicht vor. Schließlich ist diese Norm bereits zum 31. März 2011 außer Kraft getreten, so dass insoweit keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage mehr zu erkennen ist (vgl. zur fehlenden Klärungsbedürftigkeit von mittlerweile außer Kraft getretenem oder ausgelaufenem Recht: Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 160 Rn 8d mit umfangreichen weiteren Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur). Die Zulassung der Revision erfolgt jedoch wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage der Verfassungsmäßigkeit von 100%-Sanktionen. Insoweit werden in der Kommentarliteratur verfassungsrechtliche Zweifel geäußert (etwa: Knickrehm/Hahn in: Eicher/Luik, SGB II, 2. Auflage 2017, § 31a Rn 19; Berlit in: LPK SGB II, 6. Auflage 2017, § 31a Rn 3ff. und 25; noch weitgehender: Vorlagebeschluss des SG Gotha vom 2. August 2016 – S 15 AS 5157/14 –).