Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 21.12.2021, Az.: 7 U 200/21
Schadensersatz nach Erwerb eines vom Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs; Kaufmotivation von Kraftfahrzeugkäufern; Fortwährende Nutzung eines Fahrzeugs
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 21.12.2021
- Aktenzeichen
- 7 U 200/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 60491
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2021:1221.7U200.21.00
Rechtsgrundlagen
- § 826 BGB
- § 287 ZPO
- § 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO
Amtlicher Leitsatz
Um den Erfahrungssatz, dass ein Käufer bei Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung vom Fahrzeugerwerb abgesehen hätte, im konkreten Einzelfall zu entkräften, bedarf es auf die konkrete Kaufentscheidung bezogenen Vortrages; allgemeine Erwägungen reichen nicht aus.
Gründe
I.
Die Beklagte wird darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Sie ist offensichtlich ohne Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO); die weiteren Voraussetzungen der § 522 Abs.2 Nr. 2-4 ZPO liegen ebenfalls vor.
1. Soweit die Beklagte beanstandet, das Landgericht habe verkannt, dass der Kläger seiner Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität angesichts ihres Bestreitens nicht ausreichend nachgekommen sei, bleibt dies erfolglos. Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich der mit dem Klagantrag zu 1 geforderten Rückabwicklung des Kaufvertrages vom 09.12.2013 entsprechend der Auffassung des Bundesgerichtshofes zum sog. "VW-Abgasskandal" in Parallelsachen anderer Klägervertreter (BGH 25.05.2020 - VI ZR 252/19, zit. n. Juris -, 30.07.2020 - VI ZR 354/19, 367/19, 397/19 und 5/20, alle zit. n. Juris - und 08.12.2020 - VI ZR 244/20) zu Recht stattgegeben.
a) Die vom Landgericht bejahte Anwendung deutschen Rechts auf eine auch hinsichtlich des Kaufvertragsschlusses in Deutschland begangene unerlaubte Handlung wird von der Beklagten nicht beanstandet und ist auch nicht zu beanstanden (Art. 4 Abs. 1, Abs. 3 VO [EG] 864/2007, "Rom II").
b) Das Landgericht hat entgegen der Auffassung der Berufung nach den zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofes zu Recht dem Kläger einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus § 826 BGB auf Rückgängigmachung des Gebrauchtwagen-Kaufvertrages vom 09.12.2013 durch Zahlung des Kaufpreises von 25.970.- € abzüglich der vom Kläger zu zahlenden Nutzungsentschädigung und Zug um Zug gegen Übereignung der streitgegenständlichen Pkw zuerkannt (BGH 25.05.2020 - 7 U 252/19, in Juris Rz. 12-83 -).
aa) Der Bundesgerichtshof hat in Bezug auf ein anderes von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug mit Motor des Typs EA189 (auch) im Verhältnis zwischen der Beklagten und dem Käufer eines von ihr hergestellten Gebrauchtwagens die planmäßige Entscheidung der Beklagten für die Entwicklung der streitgegenständlichen Motorsteuerungs-Software sowie das anschließende bewusste und planmäßige Inverkehrbringen der Motoren des Typs EA189 und der damit ausgestatteten Fahrzeuge zum Zwecke der Erzielung eines höheren Gewinns als objektiv sittenwidriges Verhalten der Beklagten angesehen, das einer unmittelbaren arglistigen Täuschung des Käufers gleichstehe(s. nur BGH 25.05.2020 - 7 U 252/19, in Juris Rz. 16-77, bes. 23, 25, 44, 48-51 -). Die von der Beklagten stattdessen zitierten obergerichtlichen Entscheidungen (OLG Hamm 17.03.2020 - 7 U 92/19 und 95/19 -; OLG Frankfurt/M 28.11.2019 - 19 U 173/19 -; OLG Oldenburg 20.12.2019 - 6 U 241/19 -) sind dadurch sämtlich überholt, denn sie datieren alle aus der Zeit vor dem 25.05.2020. Der Senat folgt in st. Rspr. den o.g. Entscheidungen des Bundesgerichtshofes.
bb) Das vom Bundesgerichtshof a.a.O. Ausgeführte gilt unverändert auch für den Fall des Klägers und unabhängig davon, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung in anderen Konstellationen dem Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB durch spätere Entscheidungen Grenzen gezogen hat. Der im Fahrzeug des Klägers eingebaute Motor der Baureihe EA189 enthielt mit der streitgegenständlichen Motorsteuerungs-Software eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007. Der Pkw des Klägers war mithin bei Kaufvertragsabschluss am 09.12.2013 mit dem Risiko einer Betriebseinschränkung oder -untersagung ausgesetzt; er war deshalb in kaufrechtlicher Hinsicht mangelhaft (vgl. BGH 08.01.2019 - VIII ZR 225/17, in Juris Rz. 4-23, bes. 23 -; BGH 25.05.2020 - VI ZR 252/19, in Juris Rz. 17, 18, 22, 48, 53 -).
cc) Das Landgericht hat entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auch zutreffend die haftungsbegründende Kausalität der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigungshandlung der Beklagten festgestellt (Urteil S. 9f, Bl. 134f d.A.). Es hat unter Verweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 25.05.2020 festgestellt, dass es generell Käufern bei zur eigenen Nutzung erworbenen Kraftfahrzeugen um deren Gebrauchsfähigkeit und ständige Verfügbarkeit gehe; das rechtfertige bei generalisierender Betrachtung nach allgemeiner Lebenserfahrung die Annahme, dass ein Käufer wie hier der Kläger bei Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung vom Fahrzeugerwerb abgesehen hätte (Urteil S. 10 Bl. 135 d.A.). Dieser Erfahrungssatz mag im konkreten Einzelfall dem Gegenbeweis oder der Erschütterung zugänglich sein. Entsprechenden Tatsachenvortrag, dass entweder kein derartiger Erfahrungssatz bestehe oder aber der Einzelfall anders liege, hat die dafür darlegungspflichtige Beklagte jedoch nicht geleistet.
Die Beklagte setzt dem vom Bundesgerichtshof gebilligten Argument des Landgerichts mit der allgemeinen Lebenserfahrung, dass niemand ein Fahrzeug mit einem Stilllegungsrisiko kaufe, das in weiten Teilen bereits in der Klagerwiderung enthaltene Vorbringen entgegen, es sei hinreichend wahrscheinlich, dass der Kläger das Fahrzeug auch bei Kenntnis von der Installation der unzulässigen Abschalteinrichtung in Form der Motorsteuerung mit zwei Emissionskontroll-Modi und Prüfstandserkennung erworben hätte. Der häufige Einschub der Worte "im vorliegenden Einzelfall" oder "im Einzelfall" kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Beklagte insoweit nur ihr bekanntes Vorbringen wiederholt, die Umweltfreundlichkeit des Fahrzeugs, die konkreten Schadstoffausstoßwerte oder die konkret hier vorhandene, unzulässige Abschalteinrichtung beim Kauf stellten eher nachgeordnete Gründe für die Wahl eines bestimmten Fahrzeugs dar, im Unterschied etwa zu Ausstattung, Design und Fahrleistungen.
(1) Dabei ist schon ihre Ansicht nicht nachvollziehbar, es habe kein allein auf das Vorhandensein der Abschalteinrichtung zurückzuführendes Stilllegungsrisiko gegeben (Berufungsbegründung S. 8 unten, Bl. 184 d.A.), nachdem der Bundesgerichtshof das Gegenteil erstmals mit Hinweisbeschluss vom 08.01.2019 und sodann rechtskräftig in den oben zitierten und zahlreichen weiteren Urteilen gegen die Beklagte immer wieder festgestellt hat (vgl. nur BGH 08.01.2019 - VIII ZR 225/17, in Juris Rz. 20 -; 25.05.2020 - VI ZR 252/19, in Juris Rz. 19-21 -).
(2) Aber auch abgesehen davon handelt es sich bei dem Beklagtenvorbringen zur Kaufmotivation von Kraftfahrzeugkäufern nicht um auf den konkreten Fall des hiesigen Klägers bezogene Behauptungen, sondern nur um allgemeine und damit abstrakte. Auf den konkreten Fall bezogen ist dabei ausschließlich die erstinstanzlich explizite Behauptung, dass genau dieser Kläger das Fahrzeug auch bei Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung gekauft hätte. Die Beklagte hat dies jedoch auch schon in erster Instanz ausschließlich als Folgerung aus ihren allgemeinen Erwägungen dargestellt (Klagerwiderung S. 6f, Bl. 29f d.A.). Sie trägt auch jetzt nicht zu den konkreten Motiven gerade des Klägers des vorliegenden Rechtsstreits vor, sondern wiederholt nur ihre allgemeinen Wahrscheinlichkeitserwägungen zu unterschiedlichen Motiven für den Kauf eines Pkw; daran ändert auch die wiederholte Betonung des vorliegenden Einzelfalls nichts. Das Vorbringen ist gerade nicht auf die Kaufentscheidung konkret des Klägers im vorliegenden Falle bezogen, sondern stellt nichts Anderes als die senatsbekannt von der Beklagten in früheren Parallelsachen erhobene allgemeine Behauptung dar, wegen des erfahrungsgemäßen Bestehens eines ganzen "Motivbündels" für die Kaufentscheidung spiele für diese die konkrete Auslegung des Abgas-Nachbehandlungssystems erfahrungsgemäß eine untergeordnete oder gar keine Rolle. Diesem Vorbringen jedoch hat der Bundesgerichtshof bereits eine ausdrückliche Absage erteilt (BGH 25.05.2020 - VI ZR 252/19, in Juris Rz. 49 a.E. -). Deswegen vermag der inhaltsgleiche Vortrag auch im vorliegenden Rechtsstreit nicht dazu führen, dass die explizite Behauptung der Klägerseite, die Täuschungshandlung der Beklagten sei ursächlich für seine Kaufentscheidung gewesen, weil kein vernünftiger Mensch solch ein Fahrzeug kaufen würde, als noch nicht bewiesen und noch beweisbedürftig anzusehen wäre.
(3) Soweit die Beklagte ferner das nachvertragliche Verhalten des Klägers anführt, stellt dieses schon deshalb kein Indiz gegen die Ursächlichkeit der vom Bundesgerichtshof festgestellten Täuschungshandlung der Beklagten für die Kaufentscheidung des Klägers dar, weil dieser sich entgegen ihrem Vorbringen durchaus nicht "mehr als vier Jahre" untätig verhalten hat (Berufungsbegründung S. 9 Bl. 185 d.A.), sondern sich unstreitig bereits kurz nach Schaffung der Möglichkeit der Musterfeststellungsklage zur Teilnahme an dieser angemeldet hat (Anlagenband Kl. Anlage K4a: 20.12.2018). Im Übrigen durfte der Kläger jedenfalls die Verjährungsfrist zur Überlegung ausnutzen.
(4) Auch soweit die Beklagte die fortwährende Nutzung des Fahrzeugs durch den Kläger anführt, ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in Kapitalanlagesachen auf den Fall eines Fahrzeugkaufes nicht anwendbar. Ein genutztes Fahrzeug bietet anders als Kapitalanlagen keine eventuellen Gewinnmöglichkeiten, in deren Hoffnung der Kauf trotz Beseitigungsmöglichkeit aufrechterhalten worden sein könnte, wie der Bundesgerichtshof dies in Kapitalanlagesachen zugrunde legt (vgl. etwa BGH 08.05.2012 - XI ZR 262/10, in Juris Rz. 50 -). Der Bundesgerichtshof hat bezogen auf die sog. "Abgasfälle" in anderem Zusammenhang auch selbst maßgeblich darauf abgestellt, dass an einem zur eigenen Nutzung erworbenen Kraftfahrzeug für den Erwerber Gebrauchsfähigkeit und ständige Verfügbarkeit maßgeblich seien (BGH 25.05.2020 - VI ZR 252/19, in Juris Rz. 51 -).
(5) Keine konkreten Tatsachen behauptet die Beklagte schließlich für die vage vermutete Vertragsreue des Klägers nach dem Aufkommen von Diesel-Fahrverboten in Innenstädten (Berufungsbegründung S. 10f Bl. 186f d.A.).
dd) Nach alledem hat das Landgericht zu Recht auch von einer Parteivernehmung des Klägers gem. §§ 447, 448 ZPO abgesehen und die Beklagte in Anwendung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes gegen Übereignung und Übergabe des gekauften Fahrzeugs zur Erstattung des Kaufpreises abzüglich der Nutzungsentschädigung und nebst Prozesszinsen verurteilt.
2.) Die Beklagte beanstandet mit der Berufung schließlich erfolglos die Feststellung des Annahmeverzuges auf den Klagantrag zu 2 des Klägers hin.
a) Die vom Schuldner zu erbringende Leistung muss dem Gläubiger gem. § 294, 295 BGB so, wie sie zu bewirken ist, angeboten werden, also am rechten Ort, zur rechten Zeit und in rechter Weise, also so, dass er nur noch zuzugreifen braucht (§§ 266, 269, 271 BGB; Palandt/Grüneberg a.a.O. Rz. 3 zu § 294 m.w.N.). Wenn der Gläubiger seine Ablehnung schon erklärt hat oder die geschuldete Sache abzuholen ist, genügt ein - im vorstehenden Sinne konkretes - wörtliches Angebot; die letztere Fallalternative greift hier ein. Der Kläger hat sich mithin bereits in der Klageschrift zutreffend darauf berufen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auch im auf eine Zug-um-Zug-Leistung gerichteten Klageantrag bereits ein wörtliches Angebot liege (Klageschrift S. 15; BGHZ 181, 170 - in Juris Rz. 20 -; BGH NJW 1997, 581 - in Juris Rz. 11 -; dem folgend OLG Frankfurt/M OLGR 2008, 482 - in Juris Rz. 8 -; OLG Köln 07.12.2010 - 24 U 51/10, in Juris Rz. 53 -). Der Senat folgt dieser Rechtsprechung. Soweit der Beklagtenvortrag dazu in der Berufungsbegründung (S. 12f, Bl. 188f d.A.) über die Ansicht hinausgeht, das Landgericht habe zu Unrecht den Annahmeverzug festgestellt, weil kein ordnungsgemäßes Angebot vorliege, werden darin keine konkreten Beanstandungen gegen die Entscheidung der Kammer erhoben. Die durchweg mit "wenn..." und "soweit..." eingeleiteten Ausführungen in der Berufungsbegründung dazu, unter welchen Umständen der Annahmeverzug nicht gegeben sei, gehen gerade nicht auf die konkrete Tatsachenfeststellung der Kammer i.S.d. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO ein. Daran ändert auch das Zitat des höchstrichterlichen Urteils vom 25.05.2020 nichts.
II.
Der Beklagten wird nachgelassen, binnen drei Wochen Stellung zu I. dieses Beschlusses zu nehmen oder die Berufung zurückzunehmen.