Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 21.12.2021, Az.: 7 U 49/21
Schadensersatz nach Erwerb eines vom Dieselskandal betroffenen Fahrzeuges; Kein Abzug einer pauschalen Nutzungsentschädigung; Ermittlung der Gesamtlaufleistung eines Fahrzeugs nach dem statistischen Mittelwert für ein Fahrzeug der jeweiligen Marke und des jeweiligen Typs; Unterdurchschnittliche Nutzung eines Fahrzeugs
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 21.12.2021
- Aktenzeichen
- 7 U 49/21
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2021, 60492
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2021:1221.7U49.21.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Braunschweig - 12.01.2021 - AZ: 11 O 5534/18 (1299)
Rechtsgrundlagen
- § 826 BGB
- § 287 ZPO
- § 91 Abs. 1 ZPO
- § 92 Abs. 1 ZPO
Amtlicher Leitsatz
Bei der Schätzung der auf den Schadensersatzanspruch im Wege des Vorteilsausgleichs anzurechnenden Nutzungsentschädigung findet die lineare Methode auch Anwendung bei unterdurchschnittlicher Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 12. Januar 2021 teilweise abgeändert, und zwar hinsichtlich Ziff. 1 des Tenors.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger weitere 10.047,13 € und damit insgesamt 21.900,93 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21. Februar 2019 zu zahlen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Pkw VW Tiguan 2.0 TDI, Fahrzeug-Identifizierungsnummer .....
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 1/10 und die Beklagte 9/10 zu tragen. Die Kosten des Berufungsrechtsstreits fallen insgesamt der Beklagten zur Last.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Berufungsstreitwert wird auf die Gebührenstufe bis 13.000.- € festgesetzt.
Gründe
1. Die Berufung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere auch ordnungsgemäß begründet i.S.v. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 ZPO.
2. Die Berufung ist auch begründet. Das Landgericht hat bei der Berechnung des dem Kläger zustehenden Schadensersatzes aus § 826 BGB wegen der Ausstattung seines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in der Motorsteuerung (Urteil S. 7-16, Bl. 140-14; BGH 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -; 30.07.2020 - VI ZR 354/19 -) einen vom Kläger geltend gemachten Schadensposten zu Unrecht nicht zuerkannt und im Übrigen die vom Kaufpreis abzusetzende Nutzungsentschädigung deutlich zu niedrig bemessen.
a) Dem Kläger steht wegen der Installation der streitgegenständlichen, unzulässigen Abschalteinrichtung aus § 826 BGB auch ein Anspruch auf Ersatz der Kosten von Überführung und Zulassung i.H.v. 665,51 € zu. Diese sind unmittelbar durch den Abschluss des Kaufvertrages und den Erwerb des Fahrzeugs verursacht worden und deshalb ersatzfähig wie Finanzierungskosten (s. dazu BGH 13.04.2021 - VI ZR 274/20, in Juris Rz. 12-20 -).
Entgegen der Ansicht der Beklagten handelt es sich nicht um Aufwendungen, die wie Inspektions-, Wartungs- und Reparaturkosten allein der Nutzung dienten und deshalb nicht ersatzfähig seien, weil die Nutzung tatsächlich möglich gewesen sei (Berufungserwiderung S. 3, 6, Bl. 191, 194 d.A.). Bei Überführungs- und Zulassungskosten geht es nicht um Aufwendungen für die laufende Unterhaltung, die wegen ihrer Ursache in der laufenden Nutzung des Fahrzeugs nicht als vergeblich anzusehen sind (BGH 30.07.2020 - VI ZR 354/19, in Juris Rz. 24 -; BGH 19.01.2021 - VI ZR 8/20, in Juris Rz. 16 -). Da der Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 826 BGB auf das negative Interesse geht, ist er so zu stellen, wie er stünde, wenn er den Kaufvertrag vom 11.02.2009 nicht abgeschlossen hätte. Dann jedoch hätte er solche Aufwendungen, die unmittelbar durch den Erwerb des Fahrzeugs anfallen und dessen künftige Nutzung überhaupt erst ermöglichen sollen, nicht gemacht; sie erweisen sich nun infolge der Rückabwicklung des Kaufvertrages als nutzlos (vgl. nur Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Aufl., Rz. 17 vor § 249 und 60 zu § 249 m.w.N.). Die Argumentation der Beklagten mit dem Bezug der Aufwendungen der faktischen Nutzung des Fahrzeugs würde in der Konsequenz zu unhaltbaren Ergebnissen führen, weil man danach sogar noch den Fahrzeugkaufpreis als der faktischen Nutzung dienend ansehen könnte, obwohl er als eine der Hauptleistungen im rückabzuwickelnden Kaufvertrag jedenfalls zu erstatten wäre.
b) Zu Recht wendet sich der Kläger ferner gegen den Abzug einer Nutzungsentschädigung i.H.v. pauschal 60% des Kaufpreises für das zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Verhandlung fast 12 Jahre alte Fahrzeug.
aa) Nach der vom Bundesgerichtshof gebilligten ständigen Rechtsprechung u.a. auch des Senats hat sich der Geschädigte bei der Rückabwicklung von Kaufverträgen im Rahmen des sog. "VW-Abgasskandals" auf seinen Anspruch auf Kaufpreisrückzahlung jedenfalls den Nutzungsvorteil an dem jeweils streitgegenständlichen Fahrzeug anrechnen zu lassen, weil er dieses fortwährend genutzt hat (BGH 25.05.2020 - VI ZR 252/19, in Juris Rz. 78-83 -; 30.07.2020 - VI ZR 354/19, in Juris Rz. 7-15 - zum Senatsurteil vom 20.08.2019 - 7 U 5/18 -; Senatsurteile vom 22.09.2020 - 7 U 607/18 -, 29.09.2020 - 7 U 57/19 -, 20.05.2021 - 7 U 670/19 und 09.09.2021 - 7 U 799/19 -, unveröff.). Denn nach dem Grundsatz der Vorteilsausgleichung darf der Geschädigte entsprechend dem schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbot (BGHZ 190, 145 - in Juris Rz. 56 -) nicht besser gestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde; deswegen hat auch im vorliegenden Falle eine Anrechnung von Nutzungsvorteilen stattzufinden. Die Schätzung des Wertes des Nutzungsvorteils ist anhand üblicher Grundsätze vom Tatrichter vorzunehmen (BGH 27.07.2021 - VI ZR 480/19, in Juris Rz. 23-27 -; 30.07.2020 - VI ZR 354/19, in Juris Rz. 11 -; 25.05.2020 - VI ZR 252/19, in Juris Rz. 64-83 m.w.N. -).
bb) Der Bundesgerichtshof hat mit seinen Urteilen vom 25.05. und 30.07.2020 auch das Schätzungsermessen des Tatrichters im Rahmen des § 287 Abs. 1 ZPO für die Schätzung des Wertes des Nutzungsvorteils für den Geschädigten hervorgehoben; insbesondere sei die Tatsacheninstanz nicht verpflichtet, ein Sachverständigengutachten z.B. zur prognostizierten Gesamtlaufleistung einzuholen (BGH 25.05.2020 - VI ZR 252/19, in Juris Rz. 79 -; BGH 30.07.2020 - VI ZR 354/19, in Juris Rz. 12-15 -, zum Senatsurteil vom 20.08.2019 - 7 U 5/18 -; ferner BGH 09.01.2021 - VI ZR 8/20, in Juris Rz. 12-15 -; 23.03.2021 - VI ZR 1180/20, in Juris Rz. 10f -; 18.05.2021 - VI ZR 720/20, in Juris Rz. 13 -; 27.07.2021 - VI ZR 480/19, in Juris Rz. 23-27 -). Die Vorschrift soll dem Gericht, bei Bestehen einer Schadensersatzverpflichtung dem Grunde nach die Bestimmung der Schadenshöhe erleichtern. Dafür dürfen gem. § 287 Abs. 1 ZPO geringere Anforderungen an die Substantiierung durch den Darlegungspflichtigen gestellt werden, das Beweismaß ist herabgesetzt, und das Gericht darf auf Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen und Schätzungen zurückgreifen. Das Parteivorbringen muss jedoch den Mindestanforderungen entsprechen; es muss eine greifbare tatsächliche Grundlage für die Schadensbemessung vorhanden sein, und das Gericht hat das gesamte Parteivorbringen zu würdigen und dies auch in der Entscheidung zu dokumentieren (Stein/Jonas/Thole, ZPO; 23. Aufl., Rz. 30f, 42-52 zu § 287; Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., Rz. 1, 6 zu § 287).
(1) In Anwendung dieser Grundsätze geht der Senat in der oben angeführten st. Rspr. mit dem Bundesgerichtshof für die Höhe der anzurechnenden Nutzungen von den bei Rückabwicklung von Neu- und Gebrauchtwagenkaufverträgen gem. § 287 ZPO heranzuziehenden Schätzgrundlagen aus, die zur Bestimmung der Nutzungsvorteile an eine zeitanteilige lineare Wertminderung nach gefahrenen Kilometern anknüpfen, indem der Kaufpreis des Gebrauchtwagens zu der voraussichtlichen durchschnittlichen Restlaufleistung ins Verhältnis gesetzt und mit der tatsächlichen Fahrleistung des Käufers multipliziert wird (vgl. BGH 30.07.2020 - VI ZR 354/19, in Juris Rz. 12-14 -; BGH 17.05.1995 - VIII ZR 70/94, NJW 1995, 2159, in Juris Rz. 23 -; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 14. Aufl., Rn. 1156ff, 3559ff). Die Gesamtlaufleistung ist dabei nach dem statistischen Mittelwert für ein Fahrzeug der jeweiligen Marke und des jeweiligen Typs anzusetzen (Reinking/Eggert a.a.O. Rn. 3569). Danach geht der Senat unter Heranziehung der bei Reinking/Eggert a.a.O. Rn. 3574 aufgeführten Beispielsfälle auch für den hier streitgegenständlichen Mittelklasse-SUV-Pkw des Typs VW Tiguan 2.0 TDI mit einem 2,0-l-Dieselmotor von einer zu erwartenden durchschnittlichen Gesamtlaufleistung von 250.000 km aus. Soweit der Kläger demgegenüber in der Klageschrift noch eine Gesamtlaufleistung von 300.000 km zugrunde gelegt hat (S. 22 Bl. 22 d.A.), ist er davon in der Berufungsbegründung ausdrücklich im Sinne der Senatsrechtsprechung abgerückt (S. 2 Bl. 181 d.A.). Ohnehin handelt es sich bei Laufleistungen wie 300.000 oder 500.000 km nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht um geeignete Durchschnittswerte für eine Prognose der bei Erwerb verbleibenden Restlaufzeit, wie auch die genannten Rechtsprechungsbeispiele bei Reinking/Eggert bestätigen. Es handelt sich vielmehr um Maximalwerte, die durchaus nicht von jedem Fahrzeug erreicht werden. Denn umgekehrt gibt es erfahrungsgemäß ebenso Fahrzeuge, die die prognostizierte durchschnittliche Gesamtlaufleistung nicht erreichen, z.B. weil sie vorher einen größeren Unfall- oder anderen Reparaturschaden erleiden und der Eigentümer die erforderlichen Reparaturkosten nicht mehr investieren kann oder will.
(2) Die darauf aufbauende Berechnung des Senats hat der Bundesgerichtshof im Grundsatzurteil vom 25.05.2020 und später auch zu einem Senatsurteil, das ein bereits über die voraussichtliche durchschnittliche Gesamtlaufleistung hinaus genutztes Fahrzeug betraf, gebilligt (BGH 25.05.2020 - VI ZR 252/19, in Juris Rz. 79 -; 30.07.2020 - VI ZR 354/19, in Juris Rz. 12-15 -; vgl. ferner inzwischen BGH 18.05.2021 - VI ZR 720/20, in Juris Rz. 6-13 -; 27.07.2021 - VI ZR 480/19, in Juris Rz. 23-27 -). Der Kläger hat das bereits im Jahre 2009 gekaufte Fahrzeug unstreitig als Neuwagen übergeben bekommen (s. Rechnung zum Kaufvertrag, Anlage K1): Die erfahrungsgemäß zu diesem Zeitpunkt auf dem Tachometer angezeigte Laufleistung von ca. 10-20 km kann vernachlässigt werden; es ist mithin von einer zu prognostizierenden durchschnittlichen Gesamtlaufleistung von gerundet 250.000 km seit dem Erwerb auszugehen. Der Kläger hat kurz vor dem Senatstermin die bisherige Laufleistung seines Fahrzeugs für den 26.11.2021 mit 69.197 km angegeben und durch Lichtbild belegt; der Beklagtenvertreter hat diesen Kilometerstand für diesen Zeitpunkt im Senatstermin unstreitig gestellt (Schriftsatz Prot. v. 26.11.2021 mit Anlage, Bl. 231f d.A.). Der Senat geht im Rahmen seines Schätzungsermessens gem. § 287 ZPO auch für den Senatstermin von einer Laufleistung von 69.197 km aus. Denn bei der ersichtlich nur geringfügigen Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs in über 12 Jahren seit Übergabe kann sich auch vier Tage nach der Ablesung des Kilometerstandes keine nennenswert erhöhte Laufleistung ergeben haben.
Daraus errechnet sich bei einem unstreitigen Fahrzeugkaufpreis von 30.300,01 € nach der Formel "Nutzungsvorteil = Bruttokaufpreis multipliziert mit Laufleistung seit Erwerb geteilt durch erwartete Restlaufleistung bei Erwerb" ein Nutzungsvorteil von
(30.300,01 € x 69.197 km : 250.000 km =) 8.386,68 €.
Dieser Betrag ist vom Kaufpreis unmittelbar abzuziehen. Es handelt sich nicht um eine aus dem Kaufvertrag des Klägers mit der Lieferantin herzuleitende Gegenleistung, die der Kläger herauszugeben hätte; der Abzug von Nutzungsvorteilen ist vielmehr bei der Rückabwicklung eines Vertrages in die Gesamtsaldierung der Vermögenslagen des Geschädigten mit und ohne Abschluss des Vertrages als Abzugsposten vom Kaufpreis einzustellen (vgl. nur BGHZ 136, 52 - in Juris Rz. 7 -). Danach ergibt sich ein dem Kläger Zug um Zug gegen Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zustehender Schadensersatzbetrag von (30.300,01 € - 8.386,68 € =) 21.913,33 €. Davon hat das Landgericht im angefochtenen Urteil bereits 11.853,80 € zuerkannt, weshalb noch weitere 10.059,53 € verbleiben. Da der Berufungsantrag des Klägers nur auf 10.047,13 € lautet, ist dieser Betrag zuzusprechen (§ 308 ZPO).
Insofern kommt es wegen der zwischenzeitlichen Weiterentwicklung der Laufleistung des Fahrzeugs und der daraus folgenden Möglichkeit neuen Klägervorbringens zum aktuellen Kilometerstand (§§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO) nicht darauf an, dass das Landgericht dem Kläger die Angabe der damaligen Laufleistung des Fahrzeuges zu Unrecht im Rahmen eines beiderseitigen Schriftsatznachlasses nach der mündlichen Verhandlung vom 01.12.2020 ermöglicht hat. Denn es lag kein Fall des § 283 ZPO vor; die Vorschrift gibt die Möglichkeit zum Schriftsatznachlass nur zur Erwiderung auf nicht fristgerecht vor einem Verhandlungstermin erfolgtes Parteivorbringen. Hier war dagegen auf den Klägerschriftsatz vom 03.12.2020 (Bl. 122-124 d.A.) der Beklagten noch rechtliches Gehör zu gewähren, was das Landgericht mit einem beiderseitigen Schriftsatznachlass für drei Wochen (Prot. v. 01.12.2020 S. 2, Bl. 121 d.A.) - der ja vom Kläger hätte voll ausgenutzt werden dürfen - nicht sichergestellt hat. In derartigen Fällen kommen nur die Anberaumung eines weiteren Verhandlungstermins oder der Übergang ins schriftliche Verfahren gem. § 128 Abs. 2 ZPO in Betracht.
cc) Wie erwähnt, berechnet der Senat den dem Geschädigten anzurechnenden Nutzungsvorteil in st. Rspr. wie vorstehend ausgeführt, und der Bundesgerichtshof hat diese Praxis auch für einen anderen Extremfall ausdrücklich gebilligt (BGH 30.07.2020 - VI ZR 354/19, in Juris Rz. 12-15 -). Auch für den vorliegenden Fall einer weit unterdurchschnittlichen Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs - aus der Laufleistung von 69.197 km errechnet sich seit der Übergabe des Fahrzeugs im Februar 2009 eine durchschnittliche Jahreslaufleistung von unter 5.500 km - besteht keine Veranlassung zur Abweichung von dieser linearen Schätzungsmethode auf Basis von Bruttokaufpreis, gefahrenen Kilometern und voraussichtlicher Gesamtlaufleistung.
(1) Soweit Reinking/Eggert Korrekturen dieser Methode in Einzelfällen für geboten halten und die Zugrundelegung einer abweichenden höheren voraussichtlichen Restlaufleistung im Einzelfall vorschlagen (Reinking/Eggert a.a.O. Rz. 1161f, 1164, 3561, 3564, 4644a), denken sie vor allem an die kaufrechtliche Rückabwicklung und dabei an Fahrzeuge, die die voraussichtliche Gesamtlaufleistung bereits überschritten, aber trotzdem aus unterschiedlichen Gründen auf dem Markt noch einen gewissen Restwert haben können (ebenda Rz. 3564, 3569). In diesen Fällen soll die voraussichtliche Gesamtlaufleistung individuell höher angesetzt werden. Für den vorliegenden Fall könnte dies Anlass zu dem Gedanken sein, angesichts der extrem geringen Laufleistung nach nunmehr über 12 Jahren seit dem Kauf mit Reinking/Eggert den Berechnungsansatz dahingehend zu modifizieren, dass ein nach 12 Jahren erst 70.000 km gefahrenes Fahrzeug voraussichtlich die angenommene durchschnittliche Gesamtlaufleistung dieses Fahrzeugtyps von 250.000 km nicht erreichen werde.
(2) Dem steht jedoch schon entgegen, dass Reinking/Eggert selbst betonen, dass bei der Vorteilsausgleichung der Wert der durch den Gebrauch gezogenen Nutzungen, nicht aber der Marktwertverlust zu erstatten ist (ebenda Rz. 3561). Aber auch abgesehen davon ergäben sich dann zu einer in gewissem Sinne pauschalisierenden Schätzung gem. § 287 ZPO nicht passende Abgrenzungsfragen im Einzelfalle. Denn es müsste geklärt werden, ab welcher Jahresfahrleistung eine solche Modifikation - und in welchem Maße - allgemein in Betracht kommen soll (10.000, 8.000, 6.000 km?) und von welcher voraussichtlichen Gesamtlaufleistung man dann im vorliegenden Falle auszugehen hätte (225.000, 200.000, 150.000 km?). Darin lägen die Risiken einer unklaren Grenzziehung und eines Einfallstors für individuelle Parteivorstellungen.
Vor allem jedoch verbietet sich eine solche abweichende Berechnung für den vorliegenden Fall deshalb, weil der Bundesgerichtshof für den entgegengesetzten Extremfall eines nach Erreichen der voraussichtlichen durchschnittlichen Gesamtlaufleistung wirtschaftlich bereits "abgefahrenen" Fahrzeugs ausdrücklich die Rechtsansicht des Senats gebilligt hat, wonach die in einem solchen Fall zu zahlende Nutzungsentschädigung der Höhe nach zum kompletten Wegfall des Schadensersatzanspruches aus §§ 826, 249 BGB führt (BGH 30.07.2020 - VI ZR 354/19, in Juris Rz. 11-15 -). Wenn am einen Ende der Skala unterschiedlicher Fahrzeugnutzung keine Korrektur der Berechnung erfolgen muss, weil auch 250.000 km gelaufene Fahrzeuge noch einen Restwert hätten, so muss sie umgekehrt auch nicht erfolgen, wenn das Fahrzeug eine extrem geringe Laufleistung aufweist.
(3) Zu Unrecht beruft sich deshalb das Landgericht für seine abweichende Lösung, auf den Kaufpreis einen geschätzten Wertverlust des Fahrzeugs von pauschal 60% vom Bruttokaufpreis 29.634,50 € anzurechnen, weil andernfalls der ungeachtet der geringen Laufleistung eingetretene Wertverlust des Fahrzeugs nicht angemessen berücksichtigt werde, auf die zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Urteil S. 13 Abs. 2, Bl. 141 d.A.). Die Kammer hat ihren Ansatz hinsichtlich der Nutzungsentschädigung ausschließlich damit begründet, dass
"im Vergleich des Alters des Fahrzeugs zu der niedrigen aktuellen Laufleistung einerseits die dem Kläger zugeflossenen Nutzungsvorteile und andererseits über den wertbildenden Faktor der Laufleistung auch den Wertverlust des Fahrzeugs nicht angemessen berücksichtigt würde";
eben darauf aber komme es nach dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 25.05.2020 an (S. 13 Abs. 2 mit Zitat von BGH 25.05.2020 - VI ZR 252/19, in Juris Rz. 82 -, Bl. 141). Darin jedoch liegt erkennbar ein Missverständnis der zitierten höchstrichterlichen Entscheidung. Diese geht an der zitierten Stelle (in Juris Rz. 82) durchaus nicht dahin, dass für den Ausgleich des Nutzungsvorteils stets neben der jeweiligen Laufleistung "auch der Wertverlust" zu berücksichtigen sei, wie die Kammer offenbar meint.
Der Bundesgerichtshof hat a.a.O. vielmehr ausgeführt, die (mit derjenigen des Senats übereinstimmende) Berechnungsmethode der Vorinstanz sei "nicht zu beanstanden", denn sie beruhe auf dem Kauf des tatsächlich erworbenen Fahrzeugs, stelle damit unmittelbar auf das schädigende Ereignis ab und berücksichtige "einerseits die dem Kläger zugeflossenen Nutzungsvorteile und andererseits über den wertbildenden Faktor der Laufleistung auch den Wertverlust des Fahrzeugs" (ebenda, Hervorhebung durch den Senat). Dieser Satz kann nur in dem Sinne verstanden werden, dass der durch die Nutzung des Fahrzeugs eintretende Wertverlust zwar nicht außer Betracht bleiben soll, aber mit der Einstellung der tatsächlichen Laufleistung des Fahrzeugs in die Berechnung der Nutzungsentschädigung dann auch ausreichend berücksichtigt ist. Darin liegt nichts anderes als eine Bestätigung der "zeitanteiligen linearen Wertschwundberechnung", die bei Kraftfahrzeugen eben nach gefahrenen Kilometern berechnet wird (BGH NJW 1995, 2195 - in Juris -; Reinking/Eggertz a.a.O. Rz. 1162). Ein zweites Kriterium des Wertverlustes hat der Bundesgerichtshof mit seiner Formulierung mithin nicht einführen wollen.
(4) Der Ansatz der Kammer ist überdies in der praktischen Anwendung nicht nachvollziehbar begründet. Sie hat trotz Auflage an den Kläger bezgl. des aktuellen Kilometerstandes - und übrigens auch ohne den erforderlichen Hinweis gem. § 139 Abs. 1 ZPO - die tatsächliche Laufleistung nur als Anhaltspunkt für eine vergleichsweise unterdurchschnittliche Fahrzeugnutzung berücksichtigt. Das Landgericht hat sodann eine pauschale Wertminderung von 60% angesetzt und diese auf die durch keinerlei Parteivortrag untermauerten Unterstellungen gestützt, der Kläger fahre mit dem Fahrzeug ausschließlich Kurzstrecke (Urteil S. 13 unten, Bl. 141 d.A.) und das Fahrzeug habe eine Gesamtnutzungsdauer von ca. 15 Jahren (S. 14 oben, Bl. 142 d.A.). Die Beklagte weist überdies zutreffend darauf hin, dass der zugrunde gelegte Ansatz von 11/15 der Nutzungsdauer nach elf Jahren sich in den 60% auch nicht wiederfindet (Berufungserwiderung S. 11 Bl. 199 zu Urteil S. 14 Bl. 142 d.A.). 11/15 entsprächen 73,33%, nicht aber 60%.
Es kommt nach alledem bei der vom Senat verwendeten Berechnungsmethode auch nicht auf den aktuellen tatsächlichen Marktwert des konkreten Fahrzeugs an. Von da her bleibt die - jedenfalls gem. §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wegen der Überraschungsentscheidung der Kammer zum Nutzungsvorteil zuzulassende - Behauptung der Beklagten unerheblich, das Fahrzeug sei auf dem Markt auch mit dieser geringen Kilometerleistung nur noch 7.130.- € wert (Berufungserwiderung S. 10, Bl. 198 d.A.). Denn es geht hier um Schadensersatz in der Form der Rückabwicklung eines Kaufvertrages, und wenn bei der Schätzung des Nutzungsvorteils des Klägers eine Abbildung auszugleichender Wertverluste nur in der Laufleistung zulässig ist (BGH 25.05.2020 - VI ZR 252/19, in Juris Rz. 82 -; 30.07.2020 - VI ZR 354/19, in Juris Rz. 12-15 -, s.o.), so gibt es aus der Sicht der Beklagten zwar einerseits Schadensersatzfälle aus Kaufverträgen, für deren Rückabwicklung sie wegen zu hoher Kilometerleistung trotz eines zweifellos vorhandenen Fahrzeugrestwertes nichts mehr zu zahlen hat, andererseits aber eben auch solche, für die sie verglichen mit dem Marktwert wegen des geringen Nutzungsabzuges überdurchschnittlich viel zu zahlen hat. Dies liegt in der Natur der - wie gesagt, vom BGH gebilligten - schematischen Schätzweise des rein kilometerbezogenen Nutzungsvorteils gem. § 287 Abs. 1 ZPO. Im Übrigen kann es auch kaum angehen, dass der Schädiger dem Geschädigten entgegenhalten darf, er müsse für seine Schadensersatzzahlung wie ein Käufer auch ein gleichwertiges Fahrzeug erhalten.
3. Die Zinsentscheidung folgt aus §§ 288, 291 BGB; im Hinblick auf die fehlende Darlegung des Verzuges tritt der Senat der Argumentation des Landgerichts bei (Urteil S. 14f, Bl. 142f d.A.).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Ein Anlass zur Zulassung der Revision i.S.d. § 543 Abs. 2 ZPO war nicht erkennbar; der Senat wendet die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes an. Der Berufungsstreitwert war gem. § 63 Abs. 2 ZPO festzusetzen.