Verwaltungsgericht Osnabrück
Beschl. v. 28.05.2013, Az.: 6 B 20/13

Fahrerlaubnis: Eignungsüberprüfung; Fahrerlaubnis: Gutachten (Amtsermittlung); Fahrerlaubnis: Gutachtenanordnung (Fragestelllung)

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
28.05.2013
Aktenzeichen
6 B 20/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 64481
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Amtsärztliche Vermutungen aufgrund von Erkenntnissen nach "Hören-Sagen" tragen eine Gutachtenanordnung zur Überprüfung der Fahreignung grundsätzlich nicht. Eine ausreichende vorherige Sachaufklärung der Tatsachen, die die Möglichkeit fehlender Fahreignung begründen, durch die Straßenverkehrsbehörde ist unverzichtbar.

Die dem Fahrerlaubnisinhaber mitgeteilten Gutachtenfragen dürfen gegenüber dem Gutachter nicht sinnverändert formuliert werden

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 19.04.2013 wird wiederhergestellt.

Dem Antragsteller wird unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten Prozesskostenhilfe gewährt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2500 € festgesetzt.

Tatbestand:

Der Antragsteller wehrt sich gegen die unter Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolgte Aberkennung der Berechtigung, von seiner ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen.

Mit Strafurteil vom 13.7.1995 wurde der Antragsteller wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln bestraft und ihm die Fahrerlaubnis entzogen. Damals bestand bei ihm eine Drogenabhängigkeit (Opiate). Nach gescheiterten Therapien absolvierte er bis 1999 eine Methadonsubstitution. Ein Gutachten zur Fahreignung des TÜV F. stellte ihm eine ungünstige Prognose. Deswegen wurde sein Antrag auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis am 15.3.2000 abgelehnt. Mit Strafurteil vom 28.8.2001 wurde er wegen einer Unfallfahrt unter Alkohol- und Medikamentenwirkung zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt und eine Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis für 18 Monate ausgesprochen.

Am 29.9.2008 wurde dem Antragsteller eine tschechische Fahrerlaubnis (Klasse B) erteilt. Auf Anfrage des Antragsgegners bzw. des Kraftfahrt-Bundesamts erteilte die befragte tschechische Behörde nach Aktenlage die Auskunft, die Erteilung der Fahrerlaubnis habe unter den näher in Bezug genommenen gesetzlichen Voraussetzungen stattgefunden und der Antragsteller habe alle gesetzlichen Voraussetzungen belegt. Am 14.6.2010 vermerkte der Antragsgegner daraufhin, der Führerschein sei anzuerkennen.

Mit Schreiben vom 30.11.2012 (Blatt 181 der Verwaltungsvorgänge) teilte der Amtsarzt des Antragsgegners dessen Straßenverkehrsabteilung mit, er habe „aus zuverlässiger Quelle (Mitarbeiter des G. Jobcenters)“ erfahren, dass der Antragsteller dort „mehrfach in angetrunkenem Zustand tagsüber aufgetreten“ sei. Weiterhin habe er einen Verkehrsunfall am 22.11.2012 verursacht und „nach seinem Auftreten“ sei „weiterhin von Betäubungsmittelmissbrauch auszugehen“. Aus amtsärztlicher Sicht gehe er davon aus, dass der Antragsteller „weiterhin Drogenmissbrauch betreibt und außerdem alkoholabhängig ist“.

Gestützt auf dieses amtsärztliche Schreiben ordnete der Antragsgegner mit Bescheid vom 4.12.2012 die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an, auf diesen Bescheid wird Bezug genommen (Blatt 184 - 186 der Verwaltungsvorgänge). Mit Schreiben vom 18.12.2012 übersandte er seine Verwaltungsvorgänge einer Gutachtenstelle unter Unterbreitung von zwei auf § 13 Nr. 2 b bis d FeV und § 14 Abs. 1 und 2 FeV bezogene Fragestellungen; insoweit wird auf diese ebenfalls bei den Verwaltungsvorgängen (Blatt 190 - 192) befindlichen Unterlagen Bezug genommen. Unter Hinweis auf seine finanziellen Verhältnisse weigerte sich der Antragsteller. Mit Bescheid vom 19.3.2013 erkannte der Antragsgegner dem Antragsteller daraufhin nach erfolgter Anhörung vom 6.3.2013 die Berechtigung ab, von seiner ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen wegen Nichtvorlage des Gutachtens; auf diesen Bescheid wird Bezug genommen (Blatt 212 - 219 der Verwaltungsvorgänge).

Hiergegen hat der Antragsteller am 19.4.2013 Klage erhoben und die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt. Unter näherer Darlegung im Einzelnen macht er geltend, er habe seine Drogenabhängigkeit nach mehreren Therapiemaßnahmen in den Jahren 2004/05 überwunden. Zu keiner Zeit habe er ein Alkoholproblem gehabt und bestreite, bei seiner Vorsprache beim Antragsgegner unter Alkoholeinfluss gestanden oder nach Alkohol gerochen zu haben. Anhaltspunkte für ein Fehlen der Fahreignung ergäben sich auch nicht wegen des Unfalls vom 22.11.2012 und der Unfallakte. Es seien keine Tatsachen festgestellt, die Zweifel an seiner Fahreignung begründen würden.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage wiederherzustellen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er hält an seinem Bescheid fest.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung einer Klage anordnen oder wiederherstellen. Diese Entscheidung erfolgt aufgrund einer Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung einerseits und dem Interesse des Rechtsschutzsuchenden an der vorläufigen Aussetzung des angefochtenen Verwaltungsakts andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten der Klage zu berücksichtigen. Bei offensichtlicher Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung, während bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts regelmäßig dem Aussetzungsinteresse des Rechtsschutzsuchenden Vorrang einzuräumen ist. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse, weil der angefochtene Bescheid offensichtlich rechtswidrig ist.

Gemäß § 46 Abs. 1 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis diese zu entziehen, wenn er sich als ungeeignet erweist (Satz 1); dies gilt insbesondere bei Erkrankungen und Mängeln nach den Anlagen 4, 5 und 6. Dabei finden nach Abs. 3 des § 46 FeV die §§ 11 bis 14 FeV Anwendung, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet ist.

Begründen Tatsachen die Annahme eines Eignungsmangels im Sinn der gesetzlichen Bestimmungen insbesondere der §§ 13 und 14 FeV, so ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass ein ärztliches (§ 11 Abs. 2 FeV) oder medizinisch-psychologisches (§ 11 Abs. 3 FeV) Gutachten beizubringen ist. Nach Ziffer 1 dieser Regelung bestimmt die Behörde in der Anordnung, ob das Gutachten von einem für die Fragestellung entsprechend § 11 Abs. 6 S. 1 FeV zuständigen Facharzt mit verkehrsmedizinischer Qualifikation bzw. einem medizinisch-psychologischen Gutachter bzw. Gutachtenstelle erstellt werden soll. Insoweit legt sie unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen eines Kraftfahrzeugs zu klären sind (§ 11 Abs. 6 S. 1 FeV). Sie legt dem Betroffenen die Gründe für die Zweifel an seiner Eignung dar und teilt ihm die für die Untersuchung in Betracht kommenden Stellen mit (§ 11 Abs. 6 S. 2 FeV); der Betroffene unterrichtet sie darüber, welche Stelle er mit der Untersuchung beauftragt hat (§ 11 Abs. 6 S. 3 FeV). Daraufhin teilt die Behörde der untersuchenden Stelle unter Übersendung von Unterlagen mit, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zu klären sind (§ 11 Abs. 6 S. 4 FeV). Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Behörde das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf diese bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen (§ 11 Abs. 8 S. 1 FeV).

Auf letztgenannte Bestimmung hat der Antragsgegner die mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Aberkennung der Fahrberechtigung gestützt. Dies setzt allerdings voraus, dass die vorhergehende Gutachtenanordnung rechtmäßig ist. Daran fehlt es vorliegend jedoch, so dass auch die Aberkennung der Fahrberechtigung keinen Bestand haben kann.

Die vorstehend wiedergegebenen Regelungen der Fahrerlaubnis-Verordnung tragen bezüglich der Ermittlungen der Fahrerlaubnisbehörde aus Anlass von Eignungszweifeln hinsichtlich der Kraftfahreignung durch Gutachtenerhebung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit insbesondere der Angemessenheit dieser Ermittlungen wie auch dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Bestimmtheitsgrundsatz Rechnung. Die der Fahrerlaubnisbehörde mit der Ermächtigung zur Gutachtenanordnung eingeräumte Konkretisierungskompetenz wird zugleich in mehrfacher Hinsicht inhaltlich begrenzt. So bedarf es zunächst hinreichend konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte, die berechtigte Zweifel an der Fahreignung begründen, d.h. die Eignungszweifel müssen sich aus einem durch erwiesene Tatsachen begründeten Anfangsverdacht ergeben. Die Anordnung darf nicht auf einen bloßen Verdacht hin, quasi „ins Blaue hinein“ ergehen (Haus / Zwerger, Das verkehrsrechtliche Mandat, Band 3, 2. Auflage, § 7 Rn. 48 m.w.N.). Nicht jeder auf die entfernt liegende Möglichkeit eines Eignungsmangels hindeutende Umstand kann hinreichender Grund für die Anforderung eines ärztlichen Gutachtens sein (vgl. Hentschel u.a., Straßenverkehrsrecht, 40. Auflage, § 11 FeV Rn. 8).

Auch gibt die Systematik der Regelungen der Behörde Vorgaben hinsichtlich Art und Umfang der Gutachten und erlaubt (nur) eine darauf bezogene abstrakte Eingrenzung der in Betracht kommenden Gutachter (vgl. OVG Hamburg, B. v. 30.3.2000 - 3 Bs 62/00 -, NZV 2000, 348). Art und Umfang des Gutachtens werden dabei entscheidend durch die von der Behörde in der Anordnung festzulegenden Fragen bestimmt, die den Gutachtenauftrag nicht nur gegenüber dem Gutachter, sondern auch gegenüber dem Betroffenen bestimmen (BayVGH, B. v. 15.5.2008 - 11 Cs 08.616 -, juris Rn. 25 ff m. w. Nachw.; Hentschel u.a., a.a.O., § 11 FeV Rn. 15). Dabei geben die im Einzelfall begründeten Eignungszweifel und damit die Tatsachen, die diese in eine bestimmte Richtung begründen (§ 11 Abs. 2 S. 1 und 2 FeV), inhaltlich die von der Fahrerlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Anlagen 4 und 5 zu formulierende Fragestellung (§ 11 Abs. 2 S. 3 Nr. 1, Abs. 6 S. 1 FeV) prägend vor, ohne diese von der Verpflichtung zu entheben, auch weitere Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen. Dabei ist die Behörde verpflichtet, dem Betroffenen neben den Gründen für die Untersuchungsanordnung auch die vorgesehenen Fragestellungen konkret mitzuteilen. Dies ist notwendig, damit der Betroffene eine eigene Entscheidung dazu treffen kann, ob er sich unter diesen Voraussetzungen einer Begutachtung unterziehen will. Die Fragestellung, die der mit der Begutachtung betrauten Stelle mitgeteilt wird, muss sodann mit derjenigen identisch sein, die in der Anordnung gegenüber dem Betroffenen festgelegt wurde. Unschädlich sind dabei nur solche Abweichungen, die sich im rein sprachlichen Bereich bewegen und ggf. solche, die den Betroffenen schlechthin nicht beeinträchtigen können (Hentschel u.a., a.a.O., § 11 FeV Rn. 19 m.w.N.).

Zutreffend weist der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (B. v. 15.5.2008 - 11 Cs 08.616 -, juris Rn. 50 m. w. Nachw.) hinsichtlich der von der Fahrerlaubnisbehörde in diesem Zusammenhang einzuhaltenden formellen Anforderungen auf die Erwägung hin, dass gegen derartige Anordnungen nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts kein unmittelbarer Rechtsschutz möglich ist, sondern eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des behördlichen Verhaltens nur im Rahmen von Rechtsbehelfen stattfindet, die sich gegen Verwaltungsentscheidungen richtet, die nach verweigerter Vorlage eines Gutachtens ggf. ergehen, weshalb es mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG unabdingbar erscheint, dass jedenfalls die formellen Kautelen, die der Wahrung der Belange des Betroffenen in einem solchen Verwaltungsverfahren dienen, strikt beachtet werden.

Gegen vorstehende Rechtsgrundsätze hat der Antragsgegner in mehrfacher Hinsicht verstoßen. Dabei fehlt es bereits an konkreten tatsächlichen Anhaltspunkten für das Vorliegen eines Eignungsmangels. Vielmehr ist die Anordnung auf einen bloßen Verdacht des Amtsarztes „ins Blaue hinein“ einem Ausforschungsbeweis vergleichbar erfolgt. Der Anordnung liegt allein das Schreiben des Amtsarztes vom 30.11.2012 zugrunde. Danach verfügt der Amtsarzt über keinerlei eigene Erkenntnisse zum Gesundheitszustand des Antragstellers. Vielmehr berichtet er lediglich vom Hörensagen davon, was ihm namentlich nicht benannte Beschäftigte eines Jobcenters mitgeteilt haben sollen. Seine persönliche Bewertung dieser Quelle als „zuverlässig“ hat sich der Antragsgegner ausweislich der Verwaltungsvorgänge mit der unmittelbar darauf erlassenen Gutachtenanordnung ebenso ungeprüft wie uneingeschränkt zu eigen gemacht. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Straßenverkehrsabteilung des Antragsgegners irgendwelche Aufklärungsmaßnahmen ergriffen hätte. Dies gilt auch hinsichtlich des vom Amtsarzt in sprachlich unmittelbaren Zusammenhang mit einer Alkoholisierung des Antragstellers gestellten, von diesem vorgeblich verursachten Verkehrsunfall. Dem damit suggerierten Zusammenhang wird ausweislich der Verwaltungsvorgänge nicht nachgegangen. Die weiteren Ausführungen das Amtsarztes beziehen sich auf erhebliche Zeit zurückliegende Vorkommnisse, die für sich genommen mangels konkreten aktuellen Bezugs nicht geeignet sind, die nachfolgende amtsärztliche Annahme, der Antragsteller betreibe weiterhin Drogen- oder Medikamentenmissbrauch und sei außerdem alkoholabhängig, nachvollziehbar erscheinen zu lassen. Über Mutmaßungen hinausgehende tatsächliche Erkenntnisse und belastbare fachliche Aussagen, die einen konkreten Anhaltspunkt für eine fehlende Fahreignung des Antragstellers erkennen ließen, sind dem amtsärztlichen Schreiben nicht zu entnehmen. Die ohne tragfähige Erkenntnisgrundlage geäußerte Meinung eines Amtsarztes allein stellt indes keine Tatsache dar, die bereits im rechtlichen Sinn den Verdacht einer fehlenden Fahreignung begründen kann.

Dabei musste sich dem Antragsgegner aufgrund seines die vorhergehende Überprüfung der ausländischen Fahrerlaubnis abschließenden und in rechtlicher Hinsicht zutreffenden Vermerks vom 14.6.2010 aufdrängen, dass auf die vom Amtsarzt in Bezug genommenen Vorgänge aus der Zeit vor der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis am 29.9.2008 infolge der Erteilung dieser Fahrerlaubnis eine Verneinung der Fahreignung grundsätzlich nicht mehr tragen (zur Rechtslage nach der 3. Führerscheinrichtlinie vgl. insoweit bereits Beschluss der Kammer vom 14.6.2012 - 6 B 49/12 -). Über spätere Erkenntnisse verfügte der Amtsarzt ersichtlich nicht; Abweichendes ist seinem Schreiben nicht zu entnehmen. Allein seine Wertung, der Antragsteller habe im Jahr 2010 eine Untersuchung zur Frage der Erwerbsfähigkeit „unter Angabe von fadenscheinigen Gründen“ abgelehnt, gibt dafür nichts her. Irgendwelche Tatsachen, die einen Missbrauch von Medikamenten oder Konsum von Betäubungsmitteln annehmen ließen, sind nicht aktenkundig. Auch die Bescheide des Antragsgegners stellen nicht erkennbar auf die mit der Erteilung der Fahrerlaubnis am 29.9.2008 verbundene rechtliche Zäsur, sondern zur Begründung ohne die erforderliche Differenzierung auch auf die vorhergehende Lebensgeschichte des Antragstellers ab. Die insoweit unreflektierte Aneinanderreihung von Sachverhaltselementen bildet so eine die getroffenen Anordnungen tragende argumentative Gemengelage, ohne ansatzweise die aus Rechtsgründen gebotene differenzierende Gewichtung erkennen zu lassen.

Allein die auf Hörensagen beruhende und nicht näher substantiierte Annahme eines wiederholt „angetrunkenen Zustands“ trägt auch nicht die Annahme einer die Fahreignung ausschließenden Alkoholabhängigkeit des Antragstellers i.S.d. § 13 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2eFeV. Gleiches gilt auch für die der Gutachtenanordnung vom 4.12.2012 nachfolgende Angabe von Mitarbeitern der Straßenverkehrsbehörde gemäß Vermerk vom 6.3.2013, wonach man beim Antragsteller eine „deutliche Alkoholfahne“ wahrgenommen habe. Ausweislich der Systematik der Regelungen des § 13 FeV begründet der Genuss von Alkohol als gesellschaftlich immer noch verbreitet akzeptiertes Konsummittel keineswegs an sich Anhaltspunkte für ein Fehlen der Fahreignung. Auch könnte dieser Umstand ohnehin nur die Einholung eines ärztlichen Gutachtens rechtfertigen, nicht aber die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung tragen; Feststellungen zu einer früheren Alkoholabhängigkeit oder einem früheren Alkoholmissbrauch i.S.d. § 13 S. 1 Nr. 2e FeV - erst recht nicht für die Zeit nach Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis am 29.9.2008 - sind nicht aktenkundig. Für den Verdacht eines Alkoholmissbrauchs i.S.d. § 13 S. 1 Nr. 2a und 2e FeV fehlt es - insbesondere bezüglich des vom Amtsarzt angeführten Verkehrsunfalls - an jedem Anhaltspunkt dafür, dass der Antragsteller unter Alkoholeinwirkung ein Fahrzeug im Straßenverkehr geführt hätte. Deutliche Indizien für eine weit überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung, die Anlass zur Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung geben könnten, lassen sich nicht feststellen. Auch fehlen die für eine solche Anordnung notwendigerweise hinzutretenden weiteren tatsächlichen Umstände, die die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen könnten (vgl. Nds. OVG, B. v. 29.1.2007 - 12 ME 416/06 - http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de, m.w.N.). Gleiches gilt für die Annahme eines mit dem beobachteten Alkoholkonsum einhergehenden Medikamentenmissbrauchs, wie er dem Antragsteller im Strafurteil vom 28.8.2001 vorgehalten worden war.

Zudem ist die Gutachtenanordnung auch deshalb rechtswidrig, weil der Antragsgegner der zunächst beauftragten Gutachtenstelle mit Schreiben vom 18.12.2012 eine in wesentlicher Hinsicht von den dem Antragsteller mit der Anordnung vom 4.12.2012 mitgeteilten Fragestellungen abweichende Gutachtenfrage unterbreitet hat. Der in der Anordnung bei der zweiten Frage fehlende Klammerzusatz „(z.B. Arzneimittel, Betäubungsmittel pp.)“ löst die Frage aus ihrem durch die vorangehende Fragestellung gebildeten Kontext zur Alkoholproblematik und erstreckt das Gutachten für den Antragsteller aufgrund der Textfassung in der Anordnung unerkennbar auf Medikamentenmissbrauch und Betäubungsmittelkonsum. Diese Abweichung bewegt sich - aus der hier maßgeblichen Sicht des hinsichtlich solcher Fragestellungen nicht bewanderten Fahrerlaubnisinhabers - keineswegs nur im rein sprachlichen Bereich und ist schlechthin geeignet, beim Betroffenen einen Irrtum über die Reichweite des Gutachtens herbeizuführen und ihn bei seiner Entscheidungsfindung dadurch zu beeinträchtigen.

Die Kammer geht davon aus, dass der Antragsgegner dem Antragsteller seinen Führerschein entsprechend ständiger Verwaltungspraxis umgehend aushändigen wird, weshalb für weitergehende Anordnungen keine Veranlassung besteht.

Dem Antragsteller war aufgrund seiner Bedürftigkeit und der gegebenen Erfolgsaussichten seines Antrags Prozesskostenhilfe zu bewilligen.