Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 24.02.2017, Az.: 5 W 15/17

Beschränkung der Vergütung des Sachverständigen auf die Höhe des eingezahlten Vorschusses; Zulässigkeit der Einreichung einer neuen Rechnung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
24.02.2017
Aktenzeichen
5 W 15/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 19899
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - 07.06.2016 - AZ: 8 O 2707/15

Fundstelle

  • DS 2019, 156-157

Amtlicher Leitsatz

Eine Überschreitung des für ein Gutachten vom Kläger eingezahlten Vorschusses ist dann erheblich, wenn die Überschreitung mindestens 20% des Vorschusses beträgt.

Überschreitet die vom Sachverständigen eingereichte Rechnung den Vorschussbetrag um mehr als 20%, so ist grundsätzlich die Vergütung gem. § 8a Abs. 4 JVEG auf den Vorschussbetrag zu kürzen. Eine Erhöhung des Vorschussbetrages um 20% kommt dann nicht in Betracht.

Es stellt keine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn der Sachverständige, der zunächst eine überhöhte Rechnung eingereicht hat, eine neue Rechnung einreicht, die den Vorschussbetrag um nicht mehr als 20% überschreitet, soweit diese Rechnung innerhalb der Dreimonatsfrist des § 2 Abs. 1 S. 1 JVEG bei Gericht eingeht. Die neue Rechnung stellt sich in diesem Fall als Nachforderung dar, da die Rechtsfolge der Kürzung bzgl. der zunächst eingereichten Rechnung bereits mit Eingang der Rechnung bei Gericht eintritt.

Tenor:

Die Beschwerde der Landeskasse gegen den Beschluss des Landgerichts Oldenburg vom 07.06.2016 wird zurückgewiesen.

Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Der Sachverständige wurde von der Kammer mit der Erstattung eines zahnmedizinischen Gutachtens beauftragt und nach Anforderung eines Kostenvorschusses in Höhe von € 1.500,00 vom Gericht darauf hingewiesen, dass eine erhebliche Kostenüberschreitung (mehr als 20%) unverzüglich anzuzeigen sei. Der Sachverständige erstattete sein Gutachten und rechnete die von ihm erbrachte Leistung unter dem 09.05.2016 mit einem Gesamtbetrag von € 2.332,36 ab. Ein Hinweis auf die Überschreitung des angeforderten Auslagenvorschusses war nicht erfolgt. Der Sachverständige erhielt daraufhin vom Kostenbeamten unter Hinweis auf die Regelung in § 8a Abs. 4 JVEG einen Betrag von € 1.500,00 ausgezahlt. Der Sachverständige erstellte daraufhin unter dem 28.05.2016 eine korrigierte Rechnung über einen Betrag von € 1.800,00.

Das Landgericht hat die Vergütung des Sachverständigen auf dessen Antrag hin gem. § 4 JVEG auf € 1.800,00 festgesetzt.

Gegen diese Festsetzung richtet sich die Beschwerde der Landeskasse, die die Herabsetzung der Vergütung auf den angeforderten Auslagenvorschuss in Höhe von € 1.500,00 fordert.

II.

Die Beschwerde der Landeskasse ist gem. § 4 Abs. 3 JVEG zulässig, jedoch unbegründet.

1. Der Vergütungsanspruch des Sachverständigen besteht gem. § 8a Abs. 4 JVEG in Höhe von € 1.800,00.

Der Sachverständige hat seinen Vergütungsanspruch innerhalb der dreimonatigen Antragsfrist gem. § 2 Abs. 1 S. 1 JVEG geltend gemacht. Das Gutachten ging am 11.05.2016 bei Gericht ein, der Antrag vom 28.05.2016 am 31.05.2016.

Die vom Sachverständigen geltend gemachte Vergütung über einen Betrag von € 1.800,00 übersteigt den angeforderten Vorschuss von € 1.500,00 um nicht mehr als 20% und damit nicht erheblich im Sinne von § 8a Abs. 4 JVEG. Es entspricht mittlerweile gefestigter Rechtsprechung und auch der Gesetzesbegründung zur Einführung der Vorschrift des § 8a JVEG (vgl. BTDrs 17/11471, Seite 260), dass die Erheblichkeit mit 20% anzusetzen ist (vgl. Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 413, Rn. 8).

2. Wie vom Landgericht in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt, ist unerheblich, dass der Sachverständige ursprünglich mit Datum vom 09.05.2016 eine Vergütung gefordert hatte, die die Grenze des § 8a Abs. 4 JVEG deutlich überschritten hatte. Zwar hat der Sachverständige im Vergleich mit der Rechnung vom 09.05.2016 eine niedrigere Vergütung verlangt. Dies stellt aber rechtlich betrachtet keine Absenkung der Vergütungsforderung dar, sondern eine zulässige Nachforderung. Mit der zweiten Rechnung hat der Antragsteller nicht auf einen Teil seiner Forderung verzichtet, sondern tatsächlich eine Nachforderung aufgestellt in Höhe von € 300,00. Denn aufgrund der Regelung des § 8a Abs. 4 JVEG stand ihm auf seine ursprüngliche Rechnung hin nur ein Betrag von € 1.500,00 zu, da die Rechtsfolge der Kürzung bereits mit Eingang der Rechnung bei Gericht eingetreten war. Die Geltendmachung einer Nachforderung unterliegt denselben rechtlichen Anforderungen wie die erstmalige Geltendmachung der Vergütung (vgl. Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 29.04.2013, AZ: 9 W 34/13 m.w.N.). Sie ist daher innerhalb der Dreimonatsfrist des § 2 Abs. 1 S. 1 JVEG zu stellen, was vorliegend der Fall ist.

3. Der Senat sieht in dem Vorgehen des Sachverständigen keinen Rechtsmissbrauch im Sinne eines Verstoßes gegen § 242 BGB. Vielmehr handelt es sich um ein zulässiges Vorgehen des Sachverständigen innerhalb der sich ihm eröffnenden rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten.

Das in § 242 BGB verankerte Prinzip von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten immanente Inhaltsbegrenzung. Welche Anforderungen sich daraus im Einzelfall ergeben, ob insbesondere die Berufung auf eine Rechtspositionrechtsmissbräuchlich erscheint, kann regelmäßig nur mit Hilfe einer umfassenden Bewertung der gesamten Fallumstände entschieden werden, wobei die Interessen aller an einem bestimmten Rechtsverhältnis Beteiligten zu berücksichtigen sind (BGH, Urteil vom 12. Juli 2016 - XI ZR 564/15 -, Rn. 43, juris, m. w. N.).

Eine Rechtsausübung kann insbesondere unzulässig sein, wenn der Rechtsausübung kein schützenswertes Eigeninteresse zugrunde liegt (vgl. Palandt, BGB, 76. Aufl., § 242, Rn. 50) oder wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (vgl. BGH NJW-RR 2013, 757 [BGH 15.11.2012 - IX ZR 103/11]).

Vorliegend fehlt es bei der Erstellung der neuen Rechnung weder an einem schützenswerten Eigeninteresse des Sachverständigen noch erscheinen die Interessen der Gegenpartei vorrangig schutzwürdig.

a) Es liegt auf der Hand, dass es ein schützenswertes Interesse des Sachverständigen darstellt, die von ihm erbrachte Leistung im Zusammenhang mit der Erstellung eines gerichtlichen Gutachtens so vollständig wie möglich vergütet zu erhalten. Nach Auffassung des Senats ist es rechtlich nicht zu missbilligen, dass ein Sachverständiger, der erkannt hat, dass er bei einer Rechnungsstellung eine Kürzung bis auf die Höhe des Vorschusses erleiden würde, da er es verabsäumt hat, gem. § 407a Abs. 3 S. 2 ZPO auf die Überschreitung des Kostenvorschusses hinzuweisen, eine so weit gehende Kürzung dadurch zu vermeiden, dass er eine Rechnung in Höhe des Vorschusses zuzüglich eines 20%igen Zuschlags stellt. Hätte der Sachverständige vorliegend die Rechnung vom 09.05.2016 nicht gestellt, sondern sogleich die Rechnung vom 28.05.2016, so wäre seinem Vergütungsanspruch ohne weiteres entsprochen worden, da eine erhebliche Überschreitung des angeforderten Vorschusses nicht vorgelegen hätte. Das Vorgehen des Sachverständigen wird nicht deswegen rechtsmissbräuchlich, weil er zunächst - möglicherweise auch aus Unkenntnis der Regelung des § 8a Abs. 4 JVEG oder in der irrigen Annahme, es sei ein höherer Vorschuss geleistet worden (vgl. die Ausführungen des Sachverständigen im Schreiben vom 23.05.2016, Bl. 120) - eine Vergütungsforderung gestellt hat, die den Anforderungen von § 8a Abs. 4 JVEG nicht genügt hat (vgl. hierzu Bayerisches LSG, Beschluss vom 08.06.2015, AZ: L 15 SF 255/14 E, zit. nach juris, Rn. 112-115).

In diesem Zusammenhang ist weiter zu berücksichtigen, dass nach früherer Rechtsprechung - vor Einführung von § 8a Abs. 4 JVEG - dem Sachverständigen, dessen geltend gemachte Vergütung den angeforderten Auslagenvorschuss erheblich überschritt, regelmäßig sogar die volle Vergütung zugesprochen wurde, wenn davon auszugehen war, dass es auch bei pflichtgemäßer Anzeige zu einer Fortsetzung der Tätigkeit gekommen wäre. Selbst wenn man dies nicht annehmen konnte, wurde dem Sachverständigen jedenfalls das 1,2-fache des angeforderten Auslagenvorschusses zugebilligt. Zwar ist diese Rechtsprechung durch die Einführung des § 8a Abs. 4 JVEG überholt, sie zeigt jedoch, dass es kein rechtlich zu missbilligendes Verhalten des Sachverständigen darstellt, wenn dieser - wie nach alter Rechtsprechung anerkannt - über den "Umweg" einer neuen Rechnung sich nunmehr zumindest den 20%igen Zuschlag auf den angeforderten Auslagenvorschuss zu erhalten versucht.

b) Durch die Möglichkeit des Sachverständigen, innerhalb der dreimonatigen Antragsfrist des § 2 Abs. 1 S. 1 JVEG eine neue Rechnung zu erteilen, die den Anforderungen des § 8a Abs. 4 JVEG entspricht, werden schützenswerte Interessen der Prozessparteien oder der Staatskasse (in den Fällen, in denen der unterliegenden Partei Prozesskostenhilfe gewährt worden war) nicht berührt.

Schutzzweck der Vorschrift des § 407a Abs. 3 S. 2 ZPO ist, dass den Parteien (insbesondere dem Beweisführer) die Möglichkeit eingeräumt wird, das Prozessrisiko gegen das Kostenrisiko abzuwägen (vgl. Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 407a, Rn. 3a). Die Parteien sollen in die Lage versetzt werden abzuwägen, ob sich die Fortsetzung der Beweisaufnahme wirtschaftlich für sie lohnt, oder ob sie aufgrund der mit der Durchführung einer Beweisaufnahme verbundenen Kosten von der Fortführung des Rechtsstreits absehen oder sich ggf. vergleichen möchten.

Dieser Schutzzweck bleibt gewahrt, da zu berücksichtigen ist, dass aufgrund der Regelung des § 8a Abs. 4 JVEG die Prozessparteien (die Staatskasse) immer damit rechnen müssen, dass der Sachverständige - ohne insoweit zu einem Hinweis verpflichtet zu sein - eine Vergütung geltend macht, die das 1,2-fache des angeforderten Auslagenvorschusses überschreitet. Wenn die Parteien aber mit einer solchen - unerheblichen - Überschreitung des angeforderten Auslagenvorschusses rechnen müssen, dann müssen sie nicht geschützt werden, wenn tatsächlich eine solche - unerhebliche - Überschreitung des Auslagenvorschusses eintritt. Die Parteien haben demgegenüber kein schützenswertes Interesse daran, dass die Rechtsfolge des § 8a Abs. 4 JVEG in der Weise eintritt, dass bei einer erheblichen Überschreitung des angeforderten Auslagenvorschusses sie lediglich in Höhe des angeforderten Auslagenvorschusses kostenmäßig belastet werden können.

4. Es dürfte auch nicht die Gefahr bestehen, dass Sachverständige nunmehr generell bei erheblicher Überschreitung des Auslagenvorschusses durch Stellung einer angepassten Rechnung versuchen würden, die Regelung des § 8a Abs. 4 JVEG zu umgehen. Denn der Sachverständige hat grundsätzlich kein Interesse daran, lediglich eine den Vorschuss um 20% übersteigende Vergütung zu erhalten, sondern der Sachverständige will seine volle Vergütung erhalten. Das bedeutet, dass der Sachverständige bereits in seinem eigenen Interesse bemüht sein wird, der ihm obliegenden Hinweispflicht gem. § 407a Abs. 3 S. 2 ZPO nachzukommen. Darüber hinaus sieht der Senat in der Stellung einer angepassten Rechnung keine Umgehung von § 8a Abs. 4 JVEG, da die Möglichkeit, eine neue Rechnung zu stellen, von § 8a Abs. 4 JVEG nicht ausgeschlossen wird. Rechtssicherheit wird dadurch gewährleistet, dass eine entsprechend "korrigierte" Rechnung jedenfalls innerhalb der Dreimonatsfrist des § 2 Abs. 1 S. 1 JVEG einzureichen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 4 Abs. 8 JVEG.