Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 25.10.2013, Az.: 11 B 5819/13

Betretenserlaubnis; Strafvollstreckung; Umgangsrecht

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
25.10.2013
Aktenzeichen
11 B 5819/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 64395
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine Betretenserlaubnis zum Zwecke des Umgangs mit einem minderjährigen Kind darf von der Ausländerbehörde abgelehnt werden, wenn zu erwarten ist, dass im Falle einer Einreise die Staatsanwaltschaft die Vollstreckung einer längerfristigen Reststrafe nachholen wird. Der Antragsteller muss dann vor der Einreise zunächst mit Hilfe von strafprozessualen Rechtsbehelfen einen Aufschub der Strafvollstreckung erreichen.

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

Das nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu beurteilende Begehren des Antragstellers, den Antragsgegner zu verpflichten, ihm im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung eine Betretenserlaubnis für die Dauer von zwei Wochen zu erteilen, ist zulässig aber unbegründet.

Es fehlt an einem Anordnungsanspruch, d.h. ein materielles Recht des Antragstellers auf Erteilung der Betretenserlaubnis. Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann die Ausländerbehörde auch vor Ablauf der Sperrfrist nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG dem Ausländer ausnahmsweise erlauben kurzfristig das Bundesgebiet zu betreten, wenn zwingende Gründe die Anwesenheit des Ausländers erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht.

Zwar stellt aus Sicht des Gerichts die Versagung des kurzfristigen Betretens im Fall des Antragstellers eine unbillige Härte i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG dar, die Erteilung der Erlaubnis scheitert aber am Merkmal der Kurzfristigkeit.

Eine unbillige Härte kann sich auch aus grundrechtlich geschützten Positionen, wie Art. 6 Abs. 1 und 2 GG ergeben (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 20. Februar 2007 – 11 ME 386/06 –, juris Rn. 11). Die Ausländerbehörde hat das Interesse des ausgewiesenen Ausländers an der Ausübung eines ihm eingeräumten Umgangsrechts mit seinem hier in Deutschland lebenden deutschen Kind als Belang in eine nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG vorzunehmende Abwägung mit einzustellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Mai 2003 – 1 BvR 90/03 –, juris; Huber, Aufenthaltsgesetz, 1. Auflage 2010, § 11 Rn. 19; sowie OVG Lüneburg, Beschluss vom 20. Februar 2007, a.a.O.). Hier besteht sogar eine gemeinsame elterliche Sorge (§ 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB) des Antragstellers und der Kindesmutter bzgl. der gemeinsamen Tochter …. Laut Versicherung an Eides Statt der Kindesmutter vom 21. September 2013 haben der Antragsteller und seine Tochter regelmäßig telefonischen Kontakt. Seit seiner Abschiebung rufe der Antragsteller ca. dreimal wöchentlich bei seiner Tochter an und führe mit ihr 20 bis 30-minütige Telefonate. Die Kindesmutter beschreibt das Verhältnis zwischen Tochter und Vater als emotional sehr tiefgehend, … leide unter der Abwesenheit ihres Vaters und weine jedes Mal nach Beendigung der Telefonate. Unter Zugrundelegung dieser emotional engen Verbindung zwischen Tochter und Vater und der Tatsache, dass der Antragsgegner mit Entscheidung vom 9. Juli 2013 die Wirkung der Ausweisung bis zum 5. Juli 2015 befristete - der Antragsteller seine Tochter also frühestens in knapp 2 Jahren wieder sehen kann -, stellt die (dauerhafte) Versagung eines Betretens eine unbillige Härte dar.

Die Erteilung einer Betretenserlaubnis scheitert jedoch gegenwärtig daran, dass eine Einreise des Antragstellers nicht kurzfristig wäre. Denn laut Auskunft der Staatsanwaltschaft München I vom 14. Oktober 2013 müsse der Antragsteller im Falle einer Wiedereinreise mit seiner Festnahme und Verbüßung der noch offenen Strafhaft rechnen. Da der noch offene Strafrest des Antragstellers etwas mehr als vier Monate beträgt, ist von einem lediglich kurzfristigen Aufenthalt in der Bundesrepublik im Falle der Wiedereinreise nicht auszugehen. Dieses Hindernis müsste der Antragsteller zunächst durch die Einlegung von Rechtsbehelfen gegen die Strafvollstreckung beseitigen.

Nicht zu überzeugen vermag der Vertrag des Antragstellers, dass er erst nach Wiedereinreise gegen die Nachholung der Strafvollstreckung Einwendungen erheben (§ 458 Abs. 2 StPO) oder ihre Aufschiebung beantragen könne (§ 456 Abs. 1 StPO). Zum einen ist nicht ersichtlich, warum dies dem Antragsteller erst nach einer Einreise ins Bundesgebiet möglich sein soll. Aufgrund der vorliegenden Ankündigung der Staatsanwaltschaft München I den Strafrest vollstrecken zu wollen kann der Antragsteller schon jetzt vom Ausland aus Einwendungen erheben (vgl. Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Auflage 2008, § 456a Rn. 5, und die vom Antragsteller selbst angeführte Entscheidung des OLG Stuttgart, Beschluss vom 22. Oktober 2010 – 4 Ws 213/10 - juris). Dies ergibt sich schon aus dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG). Zum anderen ist es im Rahmen eines Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO an dem Antragsteller das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen glaubhaft zu machen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 18. Auflage 2012, § 123 Rn. 24). So hat er also darzulegen, dass das Betreten des Bundesgebietes tatsächlich nur kurzfristig erfolgen wird. Dies glaubhaft zu machen, ist dem Antragsteller jedoch nicht gelungen. Es reicht hierfür nicht aus darauf zu verweisen, dass nach Wiedereinreise entsprechende Anträge bei Gericht (Strafvollstreckungskammer) gestellt würden. Denn es ist überhaupt nicht vorherzusehen, ob das mit dem betreffenden Antrag befasste Gericht auch tatsächlich im Sinne des Antragstellers entscheiden wird, so dass es dann ggf. bei der Vollstreckung der restlichen Freiheitsstrafe verbleiben würde. Eine Möglichkeit der Glaubhaftmachung wäre beispielsweise, dass der Antragsteller eine Zusage der Staatsanwaltschaft vorlegt, ihn im Sinne eines „sicheren Geleits“ (vgl. für das gerichtliche Verfahren § 295 StPO) im Falle der Erteilung einer Betretenserlaubnis während deren Geltungsdauer nicht zur Verbüßung der Reststrafe zu verhaften, also etwa die Vollziehung des Vollstreckungshaftbefehls auszusetzen (vgl. zu dieser Möglichkeit: OVG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2005 – 3 Bs 458/04 –, juris Rn. 31).

Darüber hinaus ist es nicht fehlerhaft, wenn die Ausländerbehörde ihr durch § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG vorgezeichnetes Ermessen dahingehend ausübt, dass sie aufgrund der gegenwärtig zu erwartenden Inhaftierung die Erteilung einer Betretenserlaubnis ablehnt (vgl. OVG Hamburg, a.a.o. Rn. 30). Zwar ist die Ausländerbehörde nicht an die Zustimmung der Staatsanwaltschaft gebunden, jedoch ist es für die im Rahmen der Ermessensausübung vorzunehmende Interessenabwägung von erheblicher Bedeutung, ob der Aufenthaltszweck, der die Erteilung der Betretenserlaubnis rechtfertigen soll, durch die zu erwartende Inhaftierung des betreffenden Ausländers vereitelt würde (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2005, a.a.O.). Dies wäre hier der Fall. Denn bei einer Inhaftierung könnte der geplante Kontakt zwischen Vater und Tochter nicht wie geplant stattfinden. Statt die gesamte Zeit miteinander zu verbringen, wäre die Tochter des Antragstellers daran gebunden die limitierten Besuchszeiten der JVA einzuhalten. In einem solchen Fall ist der Ermessensspielraum der Behörde jedenfalls nicht dahingehend reduziert, dass die Betretenserlaubnis erteilt werden müsste (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2005, a.a.O.).