Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 16.05.1991, Az.: 4 W 19/91

Bewertung von Enthaltungen im Rahmen von Abstimmungen in einer Wohnungseigentümergemeinschaft; Berücksichtigungsfähigkeit von Enthaltungen bei der Bestimmung der Mehrheitsverhältnisse; Vergleichbarkeit mit den Regelungen des Bundesgesetzgebers zur Bestimmung von Mehrheiten

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
16.05.1991
Aktenzeichen
4 W 19/91
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1991, 19928
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1991:0516.4W19.91.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Wennigsen - 11.06.1990 - AZ: 10 II 14/89
LG Hannover - 05.12.1990 - AZ: 1 T 78/90

Fundstelle

  • NJW-RR 1992, 86-87 (Volltext mit red. LS)

Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle hat
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters ... sowie
der Richter ... und ...
am 16. Mai 1991
beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1.) werden die Beschlüsse der 1. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 5. Dezember 1990 sowie des Amtsgerichts Wennigsen vom 11. Juni 1990 (teilweise) geändert:

Der von der Wohnungseigentümergemeinschaft am 20. April 1989 zu TOP 5 gefaßte Beschluß wird für unwirksam erklärt, soweit davon das Haus ... in ... betroffen ist.

Die Gerichtskosten der Beschwerdeinstanzen sowie 5 % der Gerichtskosten erster Instanz mit Ausnahme der Kosten für die Beweisaufnahme werden den Beteiligten zu 2.) auferlegt, die übrigen Kosten tragen die Beteiligten zu 1.).

Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.

Der Geschäftswert für das weitere Beschwerdeverfahren wird auf 1.650 DM festgesetzt.

Gründe

1

I.

Die Beteiligten bilden eine aus mehreren Häusern bestehende Wohnungseigentümergemeinschaft. Zwischen ihnen ist unstreitig, daß die einzelnen Häuser über nur sie betreffende Fragen getrennt abstimmen dürfen. In der Eigentümerversammlung vom 20. April 1989 wurde unter TOP 5 beschlossen, Wasseruhren einzubauen, um in Zukunft die Kosten nach Verbrauch und nicht mehr nach Wohnfläche umzulegen.

2

§ 13 Abs. 3 der Teilungserklärung lautet wie folgt:

Eine Änderung der in Abs. 1 vorgesehenen Verteilungsschlüssel kann von der Wohnungseigentümerversammlung mit 2/3 Mehrheit beschlossen werden.

3

Im Haus 17 stimmten von 14 Anwesenden bei 2 Enthaltungen neun Eigentümer für und drei Eigentümer gegen eine Änderung des Verteilungsschlüssels. Die Beteiligten streiten darüber, ob unter Berücksichtigung der Enthaltungen die erforderliche Mehrheit von 2/3 erreicht worden ist.

4

Amts- und Landgericht haben diese Frage bejaht.

5

II.

Die gemäß §§ 43, 45 WEG, 27 FGG zulässige weitere Beschwerde hat Erfolg.

6

Die Entscheidung der Frage, ob der angefochtene Beschluß wirksam ist, hängt davon ab, wie Enthaltungen zu bewerten sind, sofern für eine Entscheidung eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist.

7

1.

Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH NJW 1989, 1090 [BGH 08.12.1988 - V ZB 3/88]) ist die Mehrheit nur nach der Zahl der abgegebenen Ja- und Nein-Stimmen zu berechnen, Stimmenthaltungen sind nicht mitzuzählen. Amts- und Landgericht haben die Ansicht vertreten, diese Grundsätze seien auch auf die Beschlüsse anwendbar, die nur mit qualifizierter Mehrheit gefaßt werden können mit der Folge, daß hier die erforderliche Mehrheit bei neun Ja- und drei Nein-Stimmen erreicht sei.

8

Dem vermag sich der Senat im Ergebnis nicht anzuschließen.

9

Den Vorinstanzen ist allerdings einzuräumen, daß einige Überlegungen der erwähnten Entscheidung des Bundesgerichtshofes auch auf Fälle der hier vorliegenden Art zutreffen. So hat der BGH insbesondere ausgeführt, daß derjenige, der sich der Stimme enthält, weder ein zustimmendes noch ein ablehnendes Votum abgebe, sondern vielmehr seine Unentschiedenheit bekunden wolle. Nach der Verkehrsauffassung dürfe ein derartiges Verhalten nur dahin verstanden werden, daß der Betreffende an der Abstimmung nicht teilzunehmen wünsche. Wollte man indessen die Enthaltungen hinzuzählen, so würden sie sich im Ergebnis wie Nein-Stimmen auswirken und damit würde der das Abstimmungsverhalten zum Ausdruck gebrachte Wille verfälscht.

10

2.

Für die Gegenansicht lassen sich indessen nach Auffassung des Senats die überzeugenderen Gründe anführen:

11

a)

Zunächst einmal bezieht sich die Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Wertung der Stimmenthaltungen ausdrücklich nur auf die Stimmenmehrheit im Sinne von § 25 Abs. 1 WEG. Ob diese Regelung auch für andere Mehrheitsverhältnisse gilt, bedarf deshalb einer eigenständigen Wertung.

12

b)

Kein ernsthafter Zweifel ist bisher daran geäußert worden, daß in denjenigen Fällen, in denen es für die Gültigkeit eines Beschlusses der Einstimmigkeit bedarf, nämlich bei baulichen Veränderungen nach Maßgabe von § 22 Abs. 1 WEG, sämtliche Eigentümer der betreffenden Maßnahme zustimmen müssen und deshalb der entsprechende Antrag bereits dann gescheitert ist, wenn sich jemand der Stimme enthält. Diese - soweit ersichtlich einhellige - und nach Auffassung des Senats auch zutreffende Auslegung des Wortes "Einstimmigkeit" zeigt indessen, daß es keine gleichsam automatisch auf sämtliche Fälle übertragbare Lösung für die Frage der Berechnung von Mehrheiten gibt.

13

c)

Auch in Anbetracht des Umstandes, daß die Teilungserklärung Bestandteil der Grundbucheintragung wird, ist bei ihrer Auslegung und der von ihr benutzten Begriffe nach ständiger Rechtsprechung auf Wortlaut und Sinn der Erklärung abzustellen, wie er sich für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung der Erklärung ergibt (zuletzt BGH NJW RR 1991, 526 f).

14

Auch wenn bei der Frage, ob Stimmenmehrheit vorliegt, lediglich die Ja- mit den Nein-Stimmen verglichen werden, so ist die nächstliegende Bedeutung des Begriffs "2/3 Mehrheit" nach Auffassung des Senats gleichwohl so zu verstehen, daß es einer Mehrzahl von positiven Meinungsäußerungen von 2/3 bedarf, um die erforderliche Mehrheit als erreicht anzusehen. Eine derartige Auslegung rechtfertigt sich aus dem bisherigen Sprachgebrauch für einen unbefangenen Beobachter.

15

Der Gesetzgeber hat sich an anderer Stelle - und insbesondere im Grundgesetz - ebenfalls mit der Frage befaßt, wie viele Stimmen für eine qualifizierte Mehrheit erforderlich sind (z.B. Art. 42 Abs. 1 und 2, 54 Abs. 6, 61 Abs. 1 Satz 2 und 3, 77 Abs. 4 und 79 Abs. 2 GG). Diesen Vorschriften, insbesondere Art. 77 Abs. 4 und 79 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 121 Grundgesetz, läßt sich indessen entnehmen, daß bei der Feststellung, ob eine 2/3 Mehrheit erreicht worden ist, nicht nur die Ja- und die Nein-Stimmen verglichen werden dürfen (vgl. Schmidt/Bleibtreu/Klein, Kommentar zum GG, 7. Aufl. 1990, Rdn. 2 zu Art. 121 GG). Auch diese Regelungen sprechen dafür, bei der bereits erwähnten nächstliegenden Bedeutung eines Begriffs bei qualifizierten Mehrheiten eine entsprechende Zahl positiver Stimmen zu verlangen, und zwar auch auf dem Hintergrund, daß bei Entscheidungen von erheblicher Tragweite Zufallsmehrheiten aufgrund einer geringen Beteiligung vermieden werden sollen. Da die Teilungserklärung praktisch die "Verfassung der Wohnungseigentümergemeinschaft" darstellt, rechtfertigt es sich auch unter diesem Gesichtspunkt, 2/3 Ja-Stimmen zu verlangen, denn die Änderung der Teilungserklärung greift regelmäßig erheblich in die Rechte der Wohnungseigentümer ein. Im Zweifel ist deshalb eine dafür vorgeschriebene qualifizierte Mehrheit nach strengeren Maßstäben zu ermitteln als bei sonstigen Abstimmungen, die nur einfache Mehrheit erfordern. Daß im Einzelfall, wie hier, eine sehr vernünftige, weil zu gerechterer Kostenverteilung führende und auch durch die voraussichtliche Verringerung des Gesamtverbrauchs dem Umweltschutz dienende Regelung zu Fall gebracht werden kann, gegen die mit sachlichen Gründen eigentlich nichts einzuwenden ist, muß hingenommen werden.

16

3.

Im Hinblick auf die übrigen Streitpunkte innerhalb der Eigentümergemeinschaft weist der Senat ergänzend auf folgendes hin:

17

a)

Da nach dem eindeutigen Wortlaut der Teilungserklärung lediglich eine 2/3 Mehrheit der Eigentümerversammlung erforderlich ist, bedarf es im vorliegenden Fall jedenfalls nur einer entsprechenden Mehrheit der anwesenden Eigentümer und nicht der des Hauses Nr. 17 insgesamt.

18

b)

Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, daß dann, wenn die nach der Teilungserklärung geforderte Mehrheit für eine Änderung des Verteilungsschlüssels stimmt, die dadurch bedingten notwendigen Folgebeschlüsse mit Mehrheit gefaßt werden dürfen, und zwar mit Stimmenmehrheit im Sinne von § 25 WEG. Unhaltbar ist die Auffassung der Antragsteller, der Einbau der Wasseruhren, der pro Eigentümer weniger als 200 DM kosten soll, sei als bauliche Veränderung anzusehen und bedürfe deshalb der einstimmigen Beschlußfassung, weil die Antragsteller bei einer derartigen Sicht die in der Teilungserklärung vorgesehenen Änderungsmöglichkeiten zum Verteilungsschlüssel unterlaufen könnten, denn die Abrechnung der Wasserkosten nach Verbrauch setzt den Einbau einer Wasseruhr voraus, und deshalb bedarf es für derartige Folgebeschlüsse nur der Stimmenmehrheit im Sinne von § 25 WEG (KG, WE 1990, 210). Einer erneuten Beschlußfassung der Wohnungseigentümergemeinschaft dürfte nach Maßgabe der vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätze (BGH NJW 1991, 979) nichts entgegenstehen.

19

Die Kostenentscheidung beruht auf § 47 WEG.

Streitwertbeschluss:

Der Geschäftswert für das weitere Beschwerdeverfahren wird auf 1.650 DM festgesetzt.