Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 23.04.1991, Az.: 18 UF 186/90

Verwirkung des Unterhaltsanspruchs wegen des Versuchs schweren Prozessbetruges; Erfordernis des empfindlichen Getroffenseins seitens des Verpflichteten durch die erschlichenen Unterhaltsleistungen; Verpflichtung zur unaufgeforderten Mitteilung von Veränderungen wirtschaftlicher Verhältnisse des Unterhaltsgläubigers aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ; Besondere Schwere und Verwerflichkeit des Verhaltens; Späteres Wiederaufleben des Unterhaltsanspruchs

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
23.04.1991
Aktenzeichen
18 UF 186/90
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1991, 19649
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1991:0423.18UF186.90.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Bremervörde - 10.08.1990 - AZ: 5 F 4/89

Fundstelle

  • FamRZ 1991, 1313-1314 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Trennungsunterhalt und nachehelicher Unterhalt

Prozessführer

Hafenarbeiter M. W., F. G.

Prozessgegner

Frau R. W., B. B.

Der 18. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle
hat durch den Richter am Oberlandesgericht V.,
die Richterin am Oberlandesgericht K. und
den Richter am Oberlandesgericht B.
auf die mündliche Verhandlung
vom 4. April 1991
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. I.

    Auf die Berufung des Beklagten wird unter Zurückweisung seines weitergehenden Rechtsmittels das am 10. August 1990 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Bremervörde teilweise geändert und insoweit wie folgt neu gefaßt:

    Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin folgenden Trennungsunterhalt zu zahlen:

    1. 1.

      für März und April 1989 jeweils 427,50 DM,

    2. 2.

      für Mai und Juni 1989 jeweils 378 DM,

    3. 3.

      für Juli 1989 247,76 DM,

    4. 4.

      für August 1989 292,50 DM.

    Im übrigen wird die Klage auf weitergehenden Trennungsunterhalt und auf nachehelichen Unterhalt abgewiesen.

  2. II.

    Die Kosten des Berufungsrechtszuges tragen zu 80 % die Klägerin und zu 20 % der Beklagte.

  3. III.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe

1

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und hat in der Sache überwiegend Erfolg. Die Klägerin kann. Trennungsunterhalt nach § 1361 BGB nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang geltend machen. Für die Monate September und Oktober 1989 scheitert ein Unterhaltsanspruch der Klägerin an der fehlenden Leistungsfähigkeit des Beklagten; für die Zeit ab November 1989 hat die Klägerin ihren Unterhaltsanspruch, auch den auf Zahlung von nachehelichem Unterhalt ab 17.8.1990, verwirkt (§ 1579 Nr. 2 BGB). Im einzelnen gilt folgendes:

2

1.

Der Beklagte hat im Monat März 1989 ein Nettoeinkommen von 2.094,75 DM erzielt, im April 1989 von 2.437,54 DM, im Mai 1989 von 2.343,73 DM, im Juni 1989 von 2.311,50 DM und im Juli 1989 von 2.349,39 DM. Insoweit ergibt sich aus der vorliegenden Verdienstbescheinigung für Juli, daß der Beklagte trotz seiner Erkrankung noch Lohn und kein Krankengeld bezogen hat (Lohnfortzahlung). Auch für August 1989 ist mangels näheren Vertrags davon auszugehen, daß der Beklagte weiterhin Lohnfortzahlung erhalten hat, Krankengeld also - wie im Juli/August 1990 - an den Arbeitgeber gezahlt worden ist, so daß der Senat das im Monat Juli erzielte Einkommen auch für August 1989 zugrunde gelegt hat, also einen Betrag von 2.349,39 DM. Daraus errechnet sich ein Gesamtnettoeinkommen von 13.885,30 DM, mithin ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 2.314 DM. Weiteres Einkommen aus einer angeblichen Nebenerwerbstätigkeit in der Landwirtschaft ist dem Beklagten nicht zuzurechnen. Das dahingehende Vorbringen der Klägerin ist völlig unsubstantiiert.

3

Ab September 1989 hat der Beklagte ein Krankengeld von ca. 2.000 DM bezogen.

4

Auf Seiten der Beklagten ist bis September 1989 kein anrechenbares Einkommen in Ansatz zu bringen. Soweit sie Arbeitslosenhilfe bezogen hat, ist diese subsidiär (BGH FamRZ 1987, 456). Dem Bezug von Wohngeld steht eine hohe Miete gegenüber, so daß das Wohngeld auch nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist.

5

Daraus errechnen sich folgende Unterhaltsbeträge:

6

März und April 1989

Nettoeinkommen2.314,00 DM
abzüglich 5 % berufsbedingte Aufwendungen116,00 DM
2.198,00 DM
abzüglich Verbindlichkeiten (Pfändung)480,00 DM
1.718,00 DM
7

3/7 davon ergeben den Unterhaltsbedarf der Klägerin. Angesichts eines dem Beklagten zustehenden Selbstbehaltes von 1.250 DM verblieben rechnerisch 468 DM, die der Beklagte als Unterhalts zahlen könnte. Da er jedoch nur zur Zahlung von 427,50 DM verurteilt worden ist und nur er Berufung eingelegt hat, hat es bei diesem Betrag zu verbleiben.

8

Mai und Juni 1989

Nettoeinkommen2.314,00 DM
abzüglich 5 % berufsbedingte Aufwendungen116,00 DM
2.198,00 DM
abzüglich Verbindlichkeiten480,00 DM
abzüglich PKH-Raten90,00 DM
1.628,00 DM.
9

Danach schuldet der Beklagte unter Berücksichtigung eines ihm zustehenden Selbstbehaltes von 1.250 DM einen monatlichen Unterhalt von 378 DM. Entsprechend ist das angefochtene Urteil zu ändern.

10

Juli und August 1989

11

Auch insoweit ergibt sich rechnerisch ein Unterhaltsanspruch der Klägerin von 378 DM monatlich. Da jedoch nur der Beklagte Berufung eingelegt hat, hat es bei den vom Amtsgericht ausgeurteilten Beträgen von 247,86 DM für Juli und 292,50 DM für August 1989 zu verbleiben.

12

September 1989

13

Der Beklagte hat ein Krankengeld von rund 2.000 DM bezogen. Ehebedingte Verbindlichkeiten sind in Höhe von 1.012,50 DM gepfändet worden und einkommensmindernd zu berücksichtigen. Danach verfügt er mit knapp 990 DM über ein Einkommen, das unterhalb des ihm zustehenden Selbstbehaltes liegt, so daß er zu Unterhaltszahlungen nicht verpflichtet ist.

14

2.

Für die Zeit ab Oktober 1989 hat die Klägerin ihren Unterhaltsanspruch gegen den Beklagten gemäß § 1579 Nr. 2 BGB verwirkt. Sie hat sich eines schweren versuchten Prozeßbetruges schuldig gemacht, weswegen es unbillig und dem Beklagten nicht mehr zuzumuten ist, der Klägerin weiterhin Unterhalt leisten zu müssen.

15

Grundsätzlich erfüllt ein vollendeter oder versuchter Prozeßbetrug nach § 263 StGB die Voraussetzungen des § 1579 Nr. 2 BGB (BGH FamRZ 1981, 539; BGH NJW 1984, 306; OLG Düsseldorf FamRZ 1981, 883, sämtliche Entscheidungen zu § 66 EheG). Aus dem Begriff der Schwere folgt jedoch, daß durch evtl. falsche Angaben erschlichene Unterhaltsleistungen den Verpflichteten empfindlich treffen müssen, es sei denn, der Berechtigte hat aus besonders verwerflicher oder gehässiger Einstellung gehandelt. Ob der Unterhaltsverpflichtete empfindlich getroffen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, insbesondere dem Umfang des verschwiegenen Eigeneinkommens, der Zumutbarkeit des Eigenerwerbs, den wirtschaftlichen Verhältnissen des Verpflichteten und der voraussichtlichen Dauer der Unterhaltspflicht. Dabei ergreift der Ausschluß grundsätzlich nur den Unterhalt für die Zeit nach der Tat, während die bis dahin entstandenen Unterhaltsansprüche unberührt bleiben (BGH FamRZ 1984, 34).

16

Obwohl die Klägerin seit Anfang Oktober 1989 erwerbstätig gewesen ist, hat sie, im gesamten Verlauf des erstinstanzlichen Rechtsstreits diese Tatsache nicht offenbart. Statt dessen hatte sie vortragen lassen, Arbeitslosenhilfe bzw. Sozialhilfe zu beziehen. Erst nach Erlaß des amtsgerichtlichen Urteils hat sie zu den - dem Beklagten nicht zugänglichen - Prozeßkostenhilfe-Unterakten auf ihr Einkommen unter Vorlage eines Belegs hingewiesen und auch in 2. Instanz erst auf den Hinweis des Beklagten in der Berufungsbegründung die Tatsache des eigenen Arbeitseinkommens eingeräumt. Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben folgt jedoch eine Verpflichtung zur unaufgeforderten Mitteilung von Veränderungen in Verhältnissen des Unterhaltsgläubigers (BGH FamRZ 1981, 539;  1984, 32;  1986, 450;  1986, 796; OLG Düsseldorf FamRZ 1988, 841). Im Jahre 1989 hat die Klägerin ein Bruttoeinkommen (ab Oktober 1989) von 3.264 DM erzielt. Im Jahre 1990 hat sie insgesamt 16.491,44 DM verdient, im Jahre 1991 bis zum 28.2. einen Nettoverdienst von 2.514,71 DM gehabt. Angesichts der beengten wirtschaftlichen Verhältnisse des Beklagten, dem - ungeachtet weitergehender Pfändungen - nur der Selbstbehalt verbleibt, stellt sich das Verschweigen des eigenen Erwerbseinkommens als schwerwiegend dar. Das Verhalten der Klägerin erfüllt die Voraussetzungen eines, allerdings nicht vollendeten Prozeßbetruges. Zur Vollendung ist es nur deshalb nicht gekommen, weil der Beklagte das auf dem wahrheitswidrigen Vortrag der Klägerin beruhende Urteil des Amtsgerichts mit seiner Berufung angefochten hat. Im Hinblick darauf, daß die Klägerin während des gesamten ersten Rechtszuges ihr Einkommen verschwiegen hat, das Amtsgericht getäuscht und ein zumindest der Höhe nach nicht gerechtfertigtes Urteil erstritten hat, ist es dem Beklagten nicht mehr zumutbar, weiterhin Unterhalt an die Klägerin zu zahlen. Die besondere Schwere und Verwerflichkeit des Verhaltens der Klägerin liegt insbesondere auch darin, daß sie von dem Beklagten nachehelichen Unterhalt aufgrund nachehelicher Solidarität gefordert hat, sie selbst es aber dem Beklagten gegenüber daran in schwerwiegender Weise hat fehlen lassen.

17

3.

Soweit die Klägerin nunmehr ab 23.3.1991 wieder erwerbslos ist und dementsprechend nur Arbeitslosengeld beziehen dürfte, lebt ein möglicherweise danach bestehender Unterhaltsanspruch der Klägerin nicht wieder auf, weil das Fehlverhalten als solches eine schwerwiegende Verletzung ehelicher Pflichten oder nachwirkender Pflichten darstellt. Dieses Fehlverhalten hat in seiner Wirkung nicht dadurch an Bedeutung verloren, daß es nicht mehr fortgesetzt wird. Auch unter Berücksichtigung der Dauer der Ehe ist es angesichts des nachhaltigen Verschweigens des Einkommens über einen Zeitraum von etwa einem Jahr auch weiterhin unzumutbar für den Beklagten, angesichts seiner höchst beengten finanziellen Verhältnisse Unterhalt zu leisten. Das Verschulden der Klägerin wird auch nicht dadurch gemindert, daß sie erstmals am 5.9.1990 im Verfahren nach § 120 ZPO in dem abgeschlossenen Rechtsstreit 5 F 93/88 AG Bremerhaven ihr Erwerbseinkommen offenbart hat. Diese Offenbarung, von der der Beklagte im übrigen - da zu den ihm nicht zugänglichen Prozeßkostenhilfe-Unterakten erfolgt - keine Kenntnis erhalten hat, ist erst nach Erlaß des Urteils erster Instanz erfolgt. Im vorliegenden Verfahren hat sie erstmals mit einem am 10.10.1990 beim Amtsgericht Bremervörde eingegangenen Schriftsatz vom 9.10.1990 auf ihr Erwerbseinkommen hingewiesen, und zwar ebenfalls nur zu den Prozeßkostenhilfe-Unterakten; im übrigen hatte zu diesem Zeitpunkt der Beklagte bereits Berufung eingelegt.

18

4.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.