Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 11.07.2016, Az.: 1 AR (Ausl) 53/16

Vollstreckungsübertragung an einen anderen EU-Staat gegen den Willen des Verurteilten

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
11.07.2016
Aktenzeichen
1 AR (Ausl) 53/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 22517
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2016:0711.1AR.AUSL53.16.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 10.06.2015 - AZ: 34 KLs 3352 Js 81458/14 (1/15

Amtlicher Leitsatz

Gegen den Willen des Verurteilten und ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 85c IRG ist eine Vollstreckungsübertragung an einen anderen EU-Staat selbst dann unzulässig, wenn der Verurteilte von diesem Staat zuvor unter der Bedingung einer Rücküberstellung zur Strafvollstreckung an Deutschland ausgeliefert wurde.

Tenor:

Die Vollstreckung des noch nicht verbüßten oder durch Anrechnung von Haftzeiten erledigten Restes der Jugendstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Hannover vom 10. Juni 2015 (34 KLs 3352 Js 81458/14 (1/15)) in Rumänien wird für nicht zulässig erklärt.

Gründe

I.

Der Verurteilte, der rumänischer Staatsangehöriger ist, wurde mit Urteil des Landgerichts Hannover vom 10. Juni 2015 (34 KLs 3352 Js 81458/14 (1/15)) wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig seit dem 18. Juni 2015. Seither verbüßt der Verurteilte die Jugendstrafe in der niedersächsischen Jugendanstalt H. Die Strafe wird nach derzeitiger Berechnung am 26. Februar 2018 vollständig verbüßt sein.

Der Verurteilung liegen im Wesentlichen folgende von der erkennenden Kammer des Landgerichts Hannover getroffenen Feststellungen zu Grunde: Der ledige und kinderlose Verurteilte wurde am xxx in T. in Rumänien geboren, wo er als ältestes von vier Geschwistern zunächst im elterlichen Haushalt aufwuchs. Im Jahr xxx, als der zur Bevölkerungsgruppe der Roma gehörende Verurteilte dreizehn Jahre alt war, siedelte er gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern in die Bundesrepublik Deutschland über. Dort wohnte er durchgängig bei seinen Eltern und seinen Geschwistern in der elterlichen Wohnung, zuletzt im Haus xxx, H. Einen Schulabschluss erlangte er nicht; die deutsche Sprache erlernte er nur sehr eingeschränkt. Nach Beendigung seines Schulbesuchs im Jahr 2012 ging der Verurteilte in Deutschland keiner geregelten Tätigkeit nach, sondern lebte von Zuwendungen seiner Eltern. Wiederholt hielt er sich auch vorübergehend bei Verwandten in Rumänien auf.

Im Frühjahr 2014 entwickelte sich ein Disput zwischen der Familie des Verurteilten und der ebenfalls aus Rumänien stammenden Familie P., weil der zur Familie P. gehörende damals 33 Jahre alte R. ein sexuelles Verhältnis mit der damals 14 Jahre alten Schwester des Verurteilten hatte, wobei die Familie des Verurteilten den R. der Vergewaltigung ihrer Tochter bezichtigte. Weil eine einvernehmliche Beilegung der Streitigkeiten zwischen den Familien nicht gelang, beschloss der Verurteilte, den R. für sein Verhalten gegenüber seiner Schwester abzustrafen. Zu diesem Zweck begab er sich am 21. September 2014 zu einem Kiosk in xxx in H., wo er auf den damals 59-jährigen Vater des R., das spätere Tatopfer P., sowie auf die ebenfalls zur Familie P. gehörenden L. und M. traf. Der Verurteilte, der mit einem Messer bewaffnet war, griff dort zunächst unter Vorhalt des Messers den L. und den M. an und schlug auf diese ein. Daraufhin trat P. an den Angeklagten heran und versuchte, diesen von seinen Angriffen auf L. und M. abzubringen, indem er ihn mit beiden Händen am Hals umfasste. Um sich aus dem Griff des P. zu befreien, schlug der Verurteilte mit dem Griff des in der Hand gehaltenen Messers kraftvoll und wuchtig gegen den oberen Kopfbereich des P., wobei ein Schlag direkt das linke Auge des P. traf. Dieser Schlag hatte zur Folge, dass P. die Sehkraft auf seinem linken Auge dauerhaft verlor. Im Anschluss hieran floh der Verurteilte vom Tatort und kehrte in die elterliche Wohnung zurück. Noch am selben Abend fuhr er zu Verwandten nach B. Kurze Zeit später begab er sich nach Rumänien.

Aufgrund eines Europäischen Haftbefehls der Staatsanwaltschaft Hannover vom 8. Oktober 2014 wurde der Verurteilte am 27. November 2014 in seinem Geburtsort T. in Rumänien festgenommen und in Auslieferungshaft genommen. Mit Urteil vom 9. Dezember 2014 erklärte das Berufungsgericht Bukarest, 1. Strafabteilung, die Auslieferung des Verurteilten zum Zwecke der Strafverfolgung an die Bundesrepublik Deutschland für zulässig. Daraufhin wurde der Verurteilte am 16. Dezember 2014 von Rumänien an Deutschland überstellt und am selben Tage in Deutschland in Untersuchungshaft genommen.

In dem Urteil des Berufungsgerichts Bukarest vom 9. Dezember 2014 heißt es, dass die Auslieferung des Verurteilten unter der Bedingung erfolge, dass der Verfolgte, sofern eine Freiheitsstrafe verhängt werden sollte, zur Vollstreckung der Strafe nach Rumänien zurücküberstellt werde.

Vor dem Hintergrund der mit der Auslieferung des Verurteilten durch die rumänische Justiz gemachten Bedingung einer Rücküberstellung des Verurteilten zur Vollstreckung einer wegen der der Auslieferung zu Grunde liegenden Tat verhängten Strafe in Rumänien hat die für die Vollstreckung der Jugendstrafe zuständige Jugendrichterin des Amtsgerichts Hameln ein Verfahren zur Übertragung der Vollstreckung der Jugendstrafe an Rumänien gemäß den §§ 85 ff. IRG eingeleitet und in diesem Rahmen den Verurteilten am 15. April 2016 nach § 85 Abs. 1 Satz 2 IRG mündlich angehört.

Bei dieser Anhörung hat der Verurteilte erklärt, er sei mit einer Übertragung der Vollstreckung der Jugendstrafe an Rumänien, mithin mit seiner Überstellung an Rumänien zur weiteren dortigen Vollstreckung der Jugendstrafe, nicht einverstanden. Der Verurteilte hat erklärt, sein Ziel sei es zu erreichen, dass nach Verbüßung der Hälfte der Jugendstrafe nach § 456a Abs. 1 StPO von einer weiteren Vollstreckung der Strafe abgesehen und er nach Rumänien - in Freiheit - abgeschoben werde.

Die Jugendrichterin des Amtsgerichts Hameln als zuständige Vollstreckungsleiterin hat mit Zuschrift an den Senat vom 15. April 2016 beantragt, die Vollstreckung des Urteils des Landgerichts Hannover vom 10. Juni 2015 in Rumänien gemäß § 85c IRG für zulässig zu erklären.

Die Generalstaatsanwaltschaft Celle, über die die Vorlage der Sache an den Senat erfolgte, hat sich einer Stellungnahme beziehungsweise Antragstellung enthalten.

II.

1. Der Antrag ist statthaft und auch ansonsten zulässig. Die Vollstreckungsübertragung richtet sich ungeachtet des Umstandes, dass Rumänien die Auslieferung des Verurteilten an Deutschland mit einer Rücküberstellungsbedingung verbunden hatte, nach den §§ 85 ff. IRG. Da der sich in Deutschland aufhaltende Verurteilte sich mit einer Übertragung der Strafvollstreckung an Rumänien ausdrücklich nicht einverstanden erklärt hat (vgl. § 85 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 IRG), bedarf es nach § 85 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 IRG einer gerichtlichen Entscheidung über die Zulässigkeit einer Vollstreckungsübertragung gemäß § 85c IRG (vgl. BT-Drucks. 18/4347, S. 143). Das Oberlandesgericht Celle ist nach § 85a Abs. 1 i.V.m. § 71 Abs. 4 Satz 2 und 3 IRG sachlich und örtlich für die beantragte Entscheidung zuständig.

Eines Antrages oder auch nur einer begründeten Stellungnahme seitens der Generalstaatsanwaltschaft bedurfte es - wie diese zutreffend ausgeführt hat - vorliegend nicht. Denn nach § 85 Abs. 1 Satz 1 IRG ist die Vollstreckungsbehörde für die Übertragung der Vollstreckung einer in Deutschland verhängten Freiheitsstrafe an einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zuständig. Nach §§ 85a Abs. 1 Satz 1, 85c IRG obliegt die Stellung eines Antrages an das Oberlandesgericht der Vollstreckungsbehörde, nicht aber der Generalstaatsanwaltschaft. Nach § 85a Abs. 1 Satz 2 IRG und in Abweichung von § 13 Abs. 2 IRG, auf den § 85a Abs. 2 IRG ausdrücklich nicht Bezug nimmt, bereitet die Vollstreckungsbehörde, nicht aber die Generalstaatsanwaltschaft, die Entscheidung des Oberlandesgerichts vor. Die Generalstaatsanwaltschaft ist mithin am Verfahren des Oberlandesgerichts über die Zulässigkeit einer Vollstreckungsübertragung nach § 85 ff. IRG nicht beteiligt (BT-Drucks. 18/4347, S. 142). Allerdings hat die Vorlage des Antrages durch die Vollstreckungsbehörde - regelmäßig die Staatsanwaltschaft nach § 451 Abs. 1 StPO - an das Oberlandesgericht über die Generalstaatsanwaltschaft zu erfolgen, damit diese gegebenenfalls von ihren Aufsichts- und Eintrittsrechten nach §§ 145 ff. GVG Gebrauch machen kann (vgl. BT-Drucks. 18/4347, S. 59, 142). Hiervon hat die Generalstaatsanwaltschaft vorliegend abgesehen.

Vollstreckungsbehörde ist vorliegend die Jugendrichterin des Amtsgerichts Hameln als zuständige Vollstreckungsleiterin nach § 82 Abs. 1 i.V.m. § 110 Abs. 1 JGG (vgl. BT-Drucks. 18/4347, S. 137). Diese hat den Antrag gestellt.

2. Dem Antrag der Vollstreckungsleiterin des Amtsgerichts Hameln, die Vollstreckung des Urteils des Landgerichts Hannover vom 10. Juni 2016 in Rumänien gemäß § 85c IRG für zulässig zu erklären, kann jedoch nicht entsprochen werden. Eine Übertragung der Vollstreckung der Jugendstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Hannover vom 10. Juni 2016 an Rumänien ist unzulässig.

a) Denn die für eine Zulässigkeitserklärung durch das Oberlandesgericht nach § 85c IRG erforderlichen Voraussetzungen liegen nicht vor. Nach § 85c IRG ist die Vollstreckung einer freiheitsentziehenden Sanktion - wozu auch Jugendstrafe gehört (BT-Drucks. 18/4347, S. 138) - in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses Freiheitsstrafen (nur) zulässig, wenn die zum Entscheidungszeitpunkt in Deutschland aufhältige verurteilte Person kein deutscher Staatsangehöriger ist (bei deutschen Staatsangehörigen kommt eine Vollstreckungsübertragung nur mit deren Zustimmung und damit außerhalb des Verfahrens nach § 85c IRG in Betracht; vgl. BT-Drucks. 18/4347, S. 58, 143) und entweder der Verurteilte die Staatsangehörigkeit des anderen EU-Staates besitzt und - kumulativ - dort seinen Lebensmittelpunkt hat (§ 85c Nr. 1 IRG) oder aber der Verurteilte gemäß § 50 des Aufenthaltsgesetzes nach Feststellung der zuständigen Stelle zur Ausreise aus der Bundesrepublik verpflichtet ist (§ 85c Nr. 2 IRG).

Eine Verpflichtung des Verurteilten zur Ausreise aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nach § 50 Aufenthaltsgesetz besteht nicht.

Zwar hat der Verurteilte ausschließlich die rumänische Staatsangehörigkeit, allerdings fehlt es vorliegend an der weiteren Voraussetzung des § 85c Nr. 1 IRG, dass der Verurteilte seinen Lebensmittelpunkt in Rumänien hat. Lebensmittelpunkt eines Verurteilten im Sinne des § 85c Nr. 1 IRG ist dort, wo dieser zum Zeitpunkt der Entscheidung über eine Vollstreckungsübertragung oder - wenn sich der Verurteilte in Haft befindet - zum Zeitpunkt seiner Verhaftung tatsächlich auf längere Zeit angelegt (hauptsächlich) wohnt beziehungsweise wohnte. Es kommt letztlich darauf an, wo die betreffende Person ihren gewöhnlichen und regelmäßigen Aufenthaltsort hat beziehungsweise hatte und wo sie deshalb sozial verankert ist beziehungsweise war (vgl. BT-Drucks. 18/4347, S. 145, siehe auch S. 113: "Als Staat, in dem die Person lebt, gilt der Staat, mit dem die Person aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts und aufgrund von Aspekten wie familiären, sozialen oder beruflichen Bindungen verflochten ist." Ebenso Erwägungsgrund 17 Rb-Freiheitsstrafen). Auf den Festnahmeort kommt es dagegen nicht an. Auch eine nach einer Festnahme geäußerte Absicht, nach einer Haftentlassung in dem betreffenden anderen EU-Staat Wohnsitz nehmen zu wollen, ist ohne Relevanz.

Der Verurteilte wohnte zum Zeitpunkt seiner Verhaftung nicht in Rumänien, sondern in Deutschland; er hatte seinen Lebensmittelpunkt in H. und damit in der Bundesrepublik Deutschland und nicht in Rumänien.

Denn ausweislich der Feststellungen in dem Urteil des Landgerichts Hannover vom 10. Juni 2015 war der Verurteilte im Jahr xx im Alter von dreizehn Jahren gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt. Seither und bis zu seiner Flucht aus Deutschland im unmittelbaren Anschluss an die seiner Verurteilung zu Grunde liegende Tat lebte der Verurteilte in der elterlichen Wohnung in Deutschland. Nachdem er 2012 seinen Schulbesuch abgebrochen hatte, hielt er sich ausweislich der Urteilsfeststellungen weiter in H. auf und blieb bei seinen Eltern wohnen, von deren Zuwendungen er, ohne selbst einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, lebte. Er war weiterhin sozial eng in seine Herkunftsfamilie eingebunden. Zwar reiste der Verurteilte ausweislich der Urteilsfeststellungen wiederholt nach Rumänien, doch handelte es sich jeweils um zeitweilige Aufenthalte, die zu keiner Verlegung des Lebensmittelpunktes führten.

Durch die Flucht nach Rumänien wurde ein dortiger Lebensmittelpunkt nicht begründet. Hiergegen spricht schon, dass die Ausreise nach Rumänien im unmittelbaren Anschluss an die Tat und ihretwegen erfolgte. Zwar kann je nach Umständen des Einzelfalles ein längerer Aufenthalt in einem anderen Staat im Anschluss an eine Flucht aus Deutschland wegen einer hier drohenden Strafverfolgung zu einer dortigen Wohnsitznahme und damit einer Begründung des dortigen Lebensmittelpunktes im Sinne des § 85c Nr. 1 IRG führen. Vorliegend ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Verurteilte im unmittelbaren Anschluss an die am 21. September 2014 begangene Tat nach Rumänien floh und dort bereits am 27. November 2014 auf Grund des Europäischen Haftbefehls der Staatsanwaltschaft Hannover verhaftet wurde. Er hielt sich mithin vor seiner Verhaftung erst allenfalls zwei Monate in Rumänien auf. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass dieser kurzzeitige Aufenthalt derart verfestigt war, dass von einer zwischenzeitlich erfolgten auf Dauer angelegten freiwilligen Wohnsitznahme in Rumänien gesprochen werden kann, liegen nicht vor.

Zwar behauptet der Verurteilte nunmehr, er sei verlobt und seine Verlobte halte sich mit einem - was den Urteilsfeststellungen widerspricht - im Jahr 2013 geborenen gemeinsamen Kind in Rumänien auf, weshalb er nach einer Haftentlassung Deutschland dauerhaft verlassen und in Rumänien leben wolle. Vor dem Hintergrund der Urteilsfeststellungen zu seinen Lebensverhältnissen vor seiner Flucht aus Deutschland genügt dies aber nicht, um mit hinreichender Sicherheit feststellen zu können, dass der Verurteilte zum Zeitpunkt seiner Verhaftung am 27. November 2014 seinen Lebensmittelpunkt nach Rumänien verlegt hatte. Insofern ist zu beachten, dass es vorliegend um eine Entscheidung darüber geht, ob der Verurteilte gegen seinen erklärten Willen nach Rumänien zur dortigen weiteren Strafvollstreckung überstellt werden darf. Das von § 85c Nr. 1 IRG aufgestellte Erfordernis des Lebensmittelpunktes des Verurteilten in den Staat, an den eine Vollstreckungsübertragung erfolgen soll, dient dem Schutz des mit einer Übertragung nicht einverstandenen Verurteilten davor, gegen seinen Willen die Strafe in einem Staat verbüßen zu müssen, der ihm nicht dadurch, dass er in diesem seinen Lebensmittelpunkt hat, vertraut ist. Eine Zulässigkeitserklärung nach § § 85c Nr. 1 IRG setzt daher die sichere Feststellung voraus, dass der Verurteilte seinen Lebensmittelpunkt in dem Staat hat, auf den die Vollstreckung übertragen werden soll. Insofern bestehende Zweifel, wie sie hier vorliegen, führen zur Unzulässigkeit einer Vollstreckungsübertragung.

b) Die - hier nicht erfüllten - Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 85c IRG für eine Vollstreckungsübertragung gegen den Willen des Verurteilten können nicht deshalb außer Betracht bleiben, weil die Auslieferung des Verurteilten aufgrund des Europäischen Haftbefehls der Staatsanwaltschaft Hannover vom 8. Oktober 2014 von Rumänien an Deutschland unter der von der rumänischen Justiz mit dem Auslieferungsurteil vom 9. Dezember 2014 aufgestellten Bedingung einer Rücküberstellung des Verurteilten nach Rumänien zur Strafvollstreckung erfolgte.

aa) Zwar sind nach § 72 IRG Bedingungen, die ein ausländischer Staat an geleistete Rechthilfe - hier: Auslieferung - geknüpft hat, von den Justizbehörden der Bundesrepublik Deutschland einschließlich der Gerichte grundsätzlich zu beachten. Dies gilt auch für Rücküberstellungsverlangen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Mai 2014 - 1 AK 77/13, BeckRS 2014, 11797; Hackner, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012, § 72 IRG Rn. 7). Denn § 72 IRG will innerstaatlich sicherstellen, dass völkerrechtliche Verpflichtungen, die Deutschland gegenüber dritten Staaten eingegangen ist, eingehalten werden (BVerfG, Beschluss vom 8. Juni 2010 - 2 BvR 432/07, 2 BvR 507/08, NJW 2011, 591 [BVerfG 08.06.2010 - 2 BvR 432/07] [593]; Hackner, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012, § 72 IRG Rn. 1 f., 9). Diese Pflicht zur Beachtung von Bedingungen des ersuchten Staates bedeutet indes nicht, dass sämtliche Bedingungen des ersuchten Staates, unter denen eine Auslieferung eines Verfolgten nach Deutschland vorgenommen wurde, von den deutschen Justizbehörden und Gerichten stets ohne weiteres einzuhalten wären und solchen Bedingungen entgegenstehendes nationales oder internationales Recht für die deutsche Justiz im weiteren Verfahrensverlauf stets unbeachtlich wäre (vgl. insofern auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Mai 2014 - 1 AK 77/13, BeckRS 2014, 11797; OLG Hamm, Beschluss vom 10. Dezember 2013 - 2 Ausl 137/13, NStZ-RR 2014, 119). Unabhängig von der Frage einer etwaigen völkerrechtlichen Verpflichtung der Bundesrepublik gegenüber dem ersuchten Staat aufgrund der Übernahme eines unter einer Bedingung an Deutschland ausgelieferten Verfolgten dispensiert § 72 IRG jedenfalls nicht von der Einhaltung dem Schutz eines Verfolgten dienender zwingender gesetzlicher Vorgaben des IRG für die Durchführung einzelner Rechtshilfemaßnahmen. Eine Abweichung von den Zulässigkeitsvoraussetzungen, die § 85c IRG aufstellt, wegen der von der rumänischen Justiz gemachten Bedingung einer Rücküberstellung des Verurteilten zur Strafvollstreckung kommt deshalb nicht (unter Rückgriff auf § 72 IRG) in Betracht.

bb) Hinzu kommt vorliegend, das die von der rumänischen Justiz gemachte Bedingung für die Auslieferung des Verfolgten an Deutschland, dass dieser für eine Strafvollstreckung an Rumänien zurücküberstellt werde, bei näherer Betrachtung dahingehend auszulegen ist, dass dieses Rücküberstellungsverlangen nur für den Fall eines entsprechenden Wunsches des Verurteilten gilt. Da der Verurteilte einer Vollstreckungsübertragung ausdrücklich widersprochen hat, steht auch deshalb die - dergestalt einschränkend ausgelegte - Rücküberstellungsbedingung Rumäniens der auf § 85c IRG gestützten Entscheidung des Senats nicht entgegen.

Dem liegen folgende Überlegungen zu Grunde: Der EU-Rahmenbeschluss Freiheitsstrafen (Rahmenbeschluss 2008/909/JI des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union [ABl. L 327 vom 5.12.2008, S. 27]), der für den Bereich der EU-Staaten ein verbindliches Regelwerk für die Übertragung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe an einen anderen EU-Mitgliedstaat normiert und auf den auch die im Jahr 2015 neu geschaffenen Bestimmungen der §§ 85 ff. IRG zurückgehen, erfasst ausdrücklich auch Fälle einer Vollstreckungsübertragung, denen eine Auslieferung des Verurteilten durch dessen Heimatstaat in Umsetzung eines Europäischen Haftbefehls vorangegangen ist, die der um Auslieferung ersuchte Staat mit der Bedingung verbunden hatte, den ausgelieferten eigenen Staatsbürger zur Vollstreckung einer später verhängten Freiheitsstrafe zurücküberstellt zu bekommen (vgl. Erwägungsgrund 12 Rb-Freiheitsstrafen). Der EU-Rahmenbeschluss Freiheitsstrafen will mithin mit seinem Regelwerk sicherstellen, dass eine Rücküberstellungsbedingung bei der Auslieferung eines eigenen Staatsangehörigen, also eine Bedingung nach Art. 5 Nr. 3 Rb-EuHb, auch beachtet und umgesetzt wird (vgl. BT-Drucks. 18/4347, S. 49). Der EU-Rahmenbeschluss Freiheitsstrafen bestimmt jedoch in Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2, dass eine Übertragung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe an einen anderen EU-Mitgliedstaat, in dem sich der Verurteilte nicht bereits aufhält, nur erfolgen darf, wenn der Verurteilte einverstanden ist oder aber er entweder kein Aufenthaltsrecht im Urteilsstaat (mehr) hat oder Staatsangehöriger des in Aussicht genommenen Vollstreckungsstaates ist und dort seinen Lebensmittelpunkt hat. Der EU-Rahmenbeschluss Freiheitsstrafen normiert mithin für eine Vollstreckungsübertragung gegen den Willen des Verurteilten solche Voraussetzungen, wie sie auch - in Umsetzung des Rahmenbeschlusses - § 85c IRG festlegt. Damit ist auch nach dem EU-Rahmenbeschluss Freiheitsstrafen in Fällen wie dem vorliegenden eine Vollstreckungsübertragung nicht möglich. Wenn aber der EU-Rahmenbeschluss Freiheitsstrafen einerseits der Vollstreckungsübertragung gegen den Willen des Verurteilten die genannten Grenzen setzt (Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Rb-Freiheitsstrafen), andererseits aber die Erfüllung von Rücküberstellungsbedingungen nach Art. 5 Nr. 3 Rb-EuHb sicherstellen will (Erwägungsgrund 12 Rb-Freiheitsstrafen), dann lässt dies den Schluss zu, dass Rücküberstellungsbedingungen nach Art. 5 Nr. 3 Rb-EuHb implizit nur für den Fall Geltung beanspruchen (dürfen), dass der Verurteilte selbst eine Vollstreckung der Strafe in seinem Heimatstaat wünscht. Nur eine solche Interpretation wird auch dem Zweck von Rücküberstellungsbedingungen nach Art. 5 Nr. 3 Rb-EuHb gerecht. Denn Art. 5 Nr. 3 Rb-EuHb dient allein dem Individualinteresse, namentlich dem Resozialisierungsinteresse, des ausgelieferten Verurteilten daran, eine in einem anderen EU-Staat gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe in seinem Heimatstaat verbüßen zu können.

Ein solches Verständnis von Art. 5 Nr. 3 Rb-EuHb liegt auch Art. 80 Abs. 1 Nr. 1 IRG zu Grunde. Dort ist explizit bestimmt, dass die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen durch Deutschland zur Strafverfolgung an einen anderen EU-Staat nur zulässig ist, wenn gesichert ist, dass der ersuchende EU-Mitgliedstaat nach Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe anbieten wird, den Verfolgten auf seinen Wunsch zur Vollstreckung nach Deutschland zurückzuüberstellen (Hervorhebung durch den Senat).

Die von den rumänischen Justizbehörden mit der Auslieferung des Verurteilten aufgestellte Bedingung nach Art. 5 Nr. 3 Rb-EuHb, dass der Verurteilte zur Vollstreckung einer verhängten Freiheitsstrafe an Rumänien zurückzuüberstellen ist, kann und muss deshalb im Einklang mit dem Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Rb-Freiheitsstrafen und Art. 5 Nr. 3 Rb-EuHb dahingehend verstanden werden, dass die Bedingung nur für den - hier nicht gegebenen - Fall gilt, dass der Verurteilte selbst eine solche Vollstreckungsübertragung wünscht.

III.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.