Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 18.07.2016, Az.: 4 U 55/16

Grundbuchberichtigung wegen Erlöschens einer Grunddienstbarkeit

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
18.07.2016
Aktenzeichen
4 U 55/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 38434
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Stade - AZ: 5 O 420/15

Redaktioneller Leitsatz

Ein Wegerecht erlischt, wenn der Berechtigte das dienende Grundstück von seinem Grundstück aus nur noch über eine Parzelle betreten kann, für die gerade kein Wegerecht eingetragen ist.

Tenor:

I. Es wird erwogen, die Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Den Beklagten wird Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 12. August 2016 gegeben.

II. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 11.240 € festzusetzen.

Frist zur etwaigen Stellungnahme: 12. August 2016.

Gründe

I.

Der Rechtssache kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu noch fordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts. Ferner ist auch eine mündliche Verhandlung nicht geboten. Die Berufung hat nach derzeitigem Beratungsstand schließlich auch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

1. Das Landgericht hat in dem angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt, dass sich der Anspruch auf Erteilung der begehrten Löschungsbewilligung aus § 894 BGB ergibt. Das Grundbuch von Stade, Bl. 17689, ist unrichtig, weil die in Abt. II eingetragene Dienstbarkeit gem. §§ 1025 Satz 2, 1019 BGB erloschen ist. Das hat das Landgericht zutreffend damit begründet, dass der aus der streitgegenständlichen Dienstbarkeit resultierende Vorteil für alle herrschenden Grundstücke mit Ausnahme des Flurstücks 88/22, das im Eigentum der Klägerin steht, dauerhaft entfallen ist.

a) Eine zunächst wirksam begründete Grunddienstbarkeit erlischt, wenn infolge grundlegender Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse oder der rechtlichen Grundlage der Vorteil, den sie dem herrschenden Grundstück zunächst bot, objektiv und endgültig wegfällt (vgl. BGH, Urteil vom 24. Februar 1984 - V ZR 177/82, juris Rn. 17; BGH, Urteil vom 6. Mai 1966 - V ZR 204/62, juris Rn. 19; im Überblick: Staudinger/Mayer, BGB (2009), § 1019 Rn. 11).

b) So liegt es hier.

aa) Das streitgegenständliche Wegerecht ist zugunsten der ursprünglichen Flurstücke 544/88, 378/99, 379/99, 427/99, 428/99 und 429/96 bestellt worden. Zeitlich hierauf ist aus den vorgenannten Flurstücken infolge von Verschmelzung und Zerlegung u. a. das Flurstück 88/22 hervorgegangen, das im Eigentum der Klägerin steht. Dieses Flurstück 88/22 ist räumlich dergestalt gelegen, dass die jeweiligen Eigentümer des Flurstücks 88/15 (= derzeit im Eigentum der Beklagten) von ihrem Grundstück aus das dienende Flurstück 89/6, für das das streitgegenständliche Wegerecht eingetragen ist, nur betreten können, wenn sie zuvor über das Flurstück 88/22 gehen (vgl. dazu insbesondere die Anlage B 2 = Bl. 46 d. A.). Das aber ist den Beklagten rechtlich gerade nicht möglich, da hinsichtlich des Flurstücks 88/22 gerade kein Wegerecht zugunsten des Grundstücks der Beklagten im Grundbuch eingetragen ist. Auf die (zusätzliche) Argumentation des Landgerichts hinsichtlich des Bewuchses des Flurstücks 88/22 mit Büschen und Bäumen kommt es gar nicht an.

bb) Für die Berufung kann sich entgegen deren Auffassung auch nichts aus der vom Landgericht in dem angefochtenen Urteil zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom 10. November 2014 (34 Wx 346/14) herleiten lassen. Das Oberlandesgericht München hat auszugsweise Folgendes ausgeführt (juris Rn. 13):

"Ein Wegfall (des Vorteils) ergibt sich nicht schon daraus, dass zwischen den herrschenden Grundstücken und dem dienenden Grundstück ein weiteres Grundstück liegt, durch das die Verbindung unterbrochen ist. Die unmittelbare Nachbarschaft von herrschendem und dienendem Grundstück ist nicht unbedingt notwendig. Es genügt vielmehr eine derartige räumliche Beziehung zueinander, dass ein objektiver grundstücksbezogener Nutzen des herrschenden Grundstücks besteht, was sich nach dem Rechtsinhalt der Grunddienstbarkeit richtet. So kann ein Wegerecht auch dann vorteilhaft sein, wenn zwischen dem herrschenden und dem dienenden Grundstück andere Grundstücke liegen. Es genügt, wenn der Eigentümer des herrschenden Grundstücks tatsächlich die Möglichkeit hat, ein dazwischen liegendes Grundstück zu überqueren oder dass er diese Möglichkeit hatte; ein späteres Verbot führt nicht zum dauernden Wegfall des Vorteils; denn ein solches Verbot ist nicht unwiderruflich, ein Widerruf nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge auch nicht praktisch ausgeschlossen."

So liegt es vorliegend aber gerade nicht. Unabhängig von dem vom Landgericht - auch - in Bezug genommenen Aspekt des Bewuchses des Flurstücks 88/22 mit Büschen und Bäumen hatten die Beklagten zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit, z. B. aufgrund einer Gestattung, das Flurstück 88/22 zu betreten, um von ihrem Grundstück aus auf das dienende Flurstück 89/6 zu gelangen. Das machen die Beklagten noch nicht einmal selbst geltend. Im Übrigen hat die Klägerin sogar vorgetragen, dass das streitgegenständliche Wegerecht seit der Eintragung im Jahr 1955 noch nie ausgeübt worden ist (Schriftsatz vom 20. Oktober 2015, Seite 2 = Bl. 83 d. A.). Das ist unstreitig geblieben, § 138 Abs. 3 ZPO.

cc) Schließlich kann gegen ein Erlöschen des Wegerechts auch nicht eingewandt werden, dass es rein theoretisch in der Zukunft so sein könnte, dass die Klägerin das Flurstück 88/22 an die Beklagten oder eine dritte Person veräußert, die dann ihrerseits den Beklagten die Überquerung ihres Grundstücks zum Zwecke der Ausübung des Wegerechts auf dem Flurstück 89/6 ermöglicht. Das Erlöschen einer Grunddienstbarkeit wird nämlich nur durch solche möglichen künftigen Vorteile verhindert, mit denen nach objektiven Anhaltspunkten bei normalem und regelmäßigem Verlauf der Dinge gerechnet werden kann. Eine vage Möglichkeit, dass die Grunddienstbarkeit in Zukunft nochmals einen Vorteil bietet, verhindert ihr Erlöschen dagegen nicht (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 21. Dezember 1994 - 9 U 115/94, juris Rn. 32; ähnlich: MünchKommBGB/Joost, 6. Aufl., § 1025 Rn. 6).

Vorliegend machen noch nicht einmal die Beklagten selbst geltend, dass überhaupt nur die Absicht besteht, das Flurstück 88/22 käuflich von der Klägerin zu erwerben, geschweige denn, dass sich die Klägerin darauf auch einlassen würde.

2. Ob zusätzlich auch die alternative Begründung des Landgerichts unter Ziff. I 2 des angefochtenen Urteils geeignet ist, die klageabweisende Entscheidung zu tragen, kann im Hinblick auf die vorstehend gemachten Ausführungen dahinstehen.

II.

Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 11.240 € festzusetzen.

1. Maßgeblich für die Streitwertbemessung für das Berufungsverfahren ist die Wertbeeinträchtigung des herrschenden Grundstücks der Beklagten durch den Verlust der Grunddienstbarkeit, die sich aus dem angegriffenen Urteil des Landgerichts für die Beklagten ergeben würde (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - V ZR 103/10, juris Rn. 2; vgl. zu einer vergleichbaren Fallkonstellation auch: BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2013 - V ZR 52/13, juris Rn. 5).

2. Gemessen an diesen Grundsätzen würde der Senat den Streitwert für das Berufungsverfahren eigentlich auf die niedrigste Wertstufe festsetzen wollen, also auf "bis 300 €", was in dem Fall die Unzulässigkeit der Berufung zur Konsequenz hätte (§ 511 Abs. 2 ZPO). Denn angesichts des - unstreitigen - Umstands, dass das streitgegenständliche Wegerecht seit der Eintragung im Jahr 1955 noch nie ausgeübt worden ist, vermag der Senat nicht zu erkennen, dass der Fortfall des Wegerechtes sich auf den Wert des Grundstückes der Beklagten auswirken wird. Im Hinblick auf die Formulierung in der vorgenannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 9. Dezember 2010 (V ZR 103/10, juris Rn. 2), wonach "...im Rahmen der Zulässigkeit der Vortrag der Beklagten unterstellt werden kann, ...", geht der Senat aber davon aus, dass es offenbar nicht auf die objektive Sachlage ankommt, sondern auf die subjektive Vorstellung bzw. Argumentation des Berufungsführers. Nach dieser Maßgabe würde sich eine Beschwer der Beklagten durch die erstinstanzliche Entscheidung in Höhe von 11.240 € ergeben, so wie die Beklagten dies in dem Schriftsatz vom 4. November 2015 (Bl. 86 f. d. A.) vorgerechnet haben.