Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 25.06.1998, Az.: 4 A 4303/97
Übernahme der Kosten eines notwendigen Umzuges; Sozialhilferechtliche Angemessenheit einer neugemieteten Wohnung; Umzugskosten als Wohnungsbeschaffungskosten i.S.d. § 3 Abs. 1 S. 5 Regelsatzverordnung (RegelsatzVO) zu§ 22 Bundessozialhilfegesetz (BSHG); Schutzzweck des § 3 Abs. 1 S. 5 RegelsatzVO
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 25.06.1998
- Aktenzeichen
- 4 A 4303/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 31253
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:1998:0625.4A4303.97.0A
Rechtsgrundlagen
- § 11 BSHG
- § 12 BSHG
- § 3 Abs. 1 Satz 5 RegelsatzVO
Fundstelle
- NDV-RR 1999, 16-17
Die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig hat
auf die mündliche Verhandlung vom 25. Juni 1998
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Ungelenk,
die Richter am Verwaltungsgericht Hachmann und Meyer sowie
die ehrenamtlichen Richter Dangelat und Glasow
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 21.2. und 30.7.1997 verpflichtet, dem Kläger eine einmalige Beihilfe für Umzugskosten in Höhe von 736,- DM zu gewähren.
Die Kosten des Verfahrens träge der Beklagte. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die gegen ihn gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 800,- DM abwenden, wenn nicht der. Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Übernahme von Umzugskosten für einen Umzug von Goslar nach Braunschweig.
Der Kläger bewohnte bis Ende September 1996 die Wohnung ... Für diese 30 qm große Wohnung hatte er eine Nettokaltmiete von 420,- DM zu entrichten. Am 17.7.1996 förderte ihn der Beklagte auf, seine Unterkunftskosten zu senken, da die sozialhilferechtlich maximal zulässigen Unterkunftskosten um 59,50 DM überschritten würden. Gegen diese Aufforderung wandte sich der Kläger am 21.7.1996 mit dem Argument, daß der Mietvertrag bei der Beantragung der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt nicht beanstandet worden sei. Darüber hinaus sei auch mit der Entstehung von Umzugskosten zu rechnen. Mit Schreiben vom 29.10.1996 teilte der Kläger dem Beklagten sodann mit, daß die Sozialhilfeleistungen an ihn wegen des erfolgten Umzugs nach Braunschweig eingestellt werden könnten. Am 11.11.1996 beantragte er die Übernahme von Umzugskosten in Höhe von 736,- DM (480,- DM für die Bereitstellung eines Lkw, sowie 160,- DM für fünf Stunden Transporthilfe durch eine Person, jeweils zuzüglich 15 % Mehrwertsteuer). Zum Zeitpunkt des Umzuges verfügte der Kläger nicht über eine Fahrerlaubnis. Mit Antragstellung kündigte er an, daß er, um einen Mahnbescheid zu vermeiden, die Rechnung in den nächsten Tagen mit geliehenem Geld begleichen werde. Er habe bei seinen Besuchen im Sozialamt des Beklagten immer wieder auf die durch einen Umzug entstehenden Kosten hingeweisen. Mit Schreiben vom 8.1.1997 wurde der Kläger von dem Beklagten zur beabsichtigten Ablehnung der Übernahme von Unterkunftskosten angehört. Ausgeführt wurde, einer Übernahme der Umzugskosten stünde zunächst entgegen, daß der Kläger beabsichtige, die Rechnung mit geliehenem Geld zu begleichen. Weiterhin sei auch die erforderliche Zustimmung zum Umzug nicht eingeholt worden. Dagegen wandte der Kläger ein, daß ihm mit dem Schreiben des Beklagten vom 17.7.1996 lediglich empfohlen worden sei, vor Abschluß eines neuen Mietvertrages dessen Zustimmung einzuholen. Er habe seine Mietkosten der Aufforderung entsprechend auf einen Betrag gesenkt, der niedriger als 426,- DM liege. Am 21.2.1997 lehnte der Beklagte die Übernahme der Umzugskosten ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Zuständigkeit der Stadt Braunschweig sei gegeben, da der Antrag auf Übernahme von Umzugskosten erst nach dem Umzug gestellt worden sei. Ferner stehe einer Übernahme auch § 5 BSHG entgegen, da die Kosten bereits beglichen worden seien.
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 12.3.1997 Widerspruch erhoben und ausgeführt, er sei nie darauf hingewiesen worden, daß ein Umzug genehmigt werden müsse. Es sei ihm nicht erklärlich, wieso nach bereits einem Jahr Mietdauer die Miete, die zuvor angemessen gewesen sei, als zu hoch angesehen werde. Er müsse den zur Begleichung der Rechnung geliehenen Geldbetrag zurückerstatten. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.7.1997 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, der Kläger habe die Übernahme von Umzugskosten erst nach dessen Ausführung beantragt, so daß nach dem Grundsatz, daß keine Hilfe für die Vergangenheit zu gewähren sei, eine Übernahme der Kosten ausscheide.
Der Kläger hat am 4.8.1997 Klage erhoben und ausgeführt, beim Beklagten sei ihm hinsichtlich eines Umzuges gesagt worden, er solle sich einen Beleg über die Kosten ausstellen lassen und diesen dann einreichen. Darüber hinaus sei ein Wohnungswechsel in günstigeren Wohnraum zwingend auch mit einem Umzug verbunden.
Der Kläger, der in der mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist, beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung seiner Bescheide vom 21.2.97 und 30.7.1997 zu verpflichten, ihm Umzugskosten in Höhe von 736,- DM zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht er sich auf die angefochtenen Bescheide.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Sämtliche Unterlägen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung.
Entscheidungsgründe
Die Ablehnung der beantragten Übernahme der Kosten für den Umzug des Klägers von Goslar nach Braunschweig ist rechtswidrig und verletzt ihn in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf die Übernahme angemessener Umzugskosten. Dieser Anspruch ergibt sich aus den §§ 11, 12 BSHG. Zum notwendigen Lebensunterhalt nach diesen Paragraphen gehören nach ganz überwiegender Auffassung auch die Kosten eines notwendigen Umzuges (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 19.4.1989 - 6 S 3281/88 -, FEVS 39, 73 ff.; Urt. d. OVG Berlin v. 20.7.1989 - 6 B 68.88 -, FEVS 39, 227 ff.; Hess. VGH, Urt. v. 19.3.1991 - 9 UE 1055/87 -, FEVS 41, 422 ff.; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl., § 12 Rdnr. 46). Voraussetzung für die Übernahme von Unterkunftskosten ist, daß der zuständige Sozialhilfeträger angegangen wird und sowohl der Auszug aus der alten, als auch der Einzug in die neue Wohnung sozialhilferechtlich notwendig waren.
Der Beklagte ist für die Gewährung von Umzugskosten der örtlich zuständige Sozialhilfeträger. Nach § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG ist für die Sozialhilfe örtlich zuständig derjenige Träger, in dessen Bereich sich der Hilfesuchende tatsächlich aufhält. Für die Frage, auf welchen Zeitpunkt dabei abzustellen ist, ist die jeweilige Eigenart des geltend gemachten Bedarfes entscheidend. Dabei ist der Zeitpunkt der Entstehung des Bedarfes, nicht der Zeitpunkt der Entstehung der Kosten maßgeblich. Der durch einen Umzug verursachte Bedarf entsteht regelmäßig bei Beginn des Umzuges, also zu einem Zeitpunkt, zu dem der Hilfesuchende seinen tatsächlichen Aufenthalt noch am Ort der bisherigen Wohnung hat (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 2.9.1996 - 6 S 314/96 -). Das war hier die Stadt Goslar.
Über die Frage, daß der Auszug aus der Wohnung in der Bäringer Straße in Goslar notwendig war, besteht zwischen den Beteiligten kein Streit. Auch der Einzug in die neue Wohnung war notwendig. Notwendig ist ein solcher Einzug, wenn die neugemietete Wohnung sozialhilferechtlich angemessen ist, da ansonsten der Sozialhilfeträger gezwungen wäre, Einzüge in Wohnungen zu finanzieren, die beispielsweise mehr als bedarfsdeckend und ggf. auch zu teuer sind. Nach der Rechtsprechung der erkennenden Kammer ist die Wohnung, die der Kläger in Braunschweig bezogen hat, sowohl hinsichtlich ihrer Größe als auch hinsichtlich des zu entrichtenden Mietzinses angemessen. Der Kläger hat in der Nußbergstraße 44 eine 35 qm große Wohnung bezogen, für die er eine Nettokaltmiete von 410,- DM zu entrichten hat. Über die Angemessenheit dieser Wohnung besteht zwischen den Beteiligten zu Recht kein Streit.
Dem Anspruch steht auch nicht § 3 Abs. 1 Satz 5 der Verordnung zu § 22 BSHG - Regelsatzverordnung - entgegen. Nach dieser Vorschrift können Wohnungsbeschaffungskosten und Kautionen nur bei vorheriger Zustimmung übernommen werden. Eine solche Zustimmung liegt weder vom Landkreis Goslar, noch von der Staat Braunschweig vor. Die Kammer ist jedoch der Auffassung, daß Umzugskosten nicht unter den Begriff der Wohnungsbeschaffungskosten fallen. Dies ergibt sich daraus, daß sprachgesetzlich zwar die Stellung einer Kaution, ggf. auch die Einschaltung eines Maklers und die Aufgabe von Zeitungsanzeigen für die Beschaffung einer Wohnung ursächlich sein können, nicht jedoch ein Umzug, der erst nach der Beschaffung einer Wohnung erfolgen kann (vgl. VG Braunschweig, Beschl. v. 27.2.1998 - 4 B 4075/98 -). Selbst wenn man die Umzugskosten unter den Begriff der Wohnungsbeschaffungskosten i.S. des § 3 Abs. 1 Satz 5 der RegelsatzVO subsumieren wollte, wäre doch zu beachten, daß dem Beklagten als demjenigen, der den Umzug veranlaßt hatte, seitens des Klägers rechtzeitig Mitteilung davon gemacht worden war, daß Umzugskosten anfallen würden. Ihm war seitens des Beklagten auch ein Höchstbetrag für den Mietzins, der neu anzumietenen Wohnung mitgeteilt worden. Diesen Höchstbetrag hat der Kläger bei der Anmietung einer neuen Wohnung beachtet. Die Zustimmung zum Umzug hätte demnach in jedem Fall erfolgen müssen und wäre voraussichtlich auch erteilt worden. Daß diese zuvor nicht eingeholt wurde, kann dem Kläger nicht entgegengehalten werden, da der Schutzzweck des § 3 Abs. 1 Satz 5 der RegelsatzVO erreicht wurde. Zweck der Vorschrift ist nämlich, daß die Hilfesuchenden gezwungen sind, sich vor Neuanmietung einer Wohnung Klarheit darüber zu verschaffen, ob deren Kosten sozialhilferechtlich angemessen sind. Dies ist durch die Vorabinformation über die höchstzulässige Nettokaltmiete durch den Beklagten erfolgt und vom Kläger auch beachtet worden, so daß das Kriterium "vorherige Zustimmung" in diesem Zusammenhang als reine Förmelei und nicht dem Schutzzweck entsprechend gesehen werden müßte.
Ferner kann dem Kläger auch nicht entgegengehalten werden, daß er, nachdem er bereits am 21.7.1996 auf das Anfallen von Umzugskosten hingewiesen und deren Übernahme am 11.11.1996 beantragt hatte, die Rechnung des Umzugsunternehmens mit geliehenem Geld zahlte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann nämlich ein nach dem Zeitpunkt des § 5 BSHG - Bekanntwerden des Hilfebedarfs - erfolgter Wegfall des Bedarfes durch Bedarfsdeckung dann unberücksichtigt bleiben, wenn dem Hilfesuchenden ein weiteres Zuwarten nicht zugemutet werden konnte. Vorliegend hat der Kläger zur Abwendung eines Mahnbescheides seinen Bedarf durch geliehenes Geld befriedigt. Er hat damit ein wirtschaftlich vernünftiges Verhalten an den Tag gelegt, da ihm ein weiteres Zuwarten auf eine Entscheidung, deren Notwendigkeit dem Beklagten bereits seit Juli 1996 bekannt war, nicht zugemutet werden konnte (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 30.4.1992 - 5 C 12.87 -, DVBl. 92, 1479; Schellhorn/Jirasek/Seipp, a.a.O., § 5 Rdnr. 24).
Dem Kläger sind der Höhe nach unstreitig Umzugskosten von 736,- DM entstanden. Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer ist zwar davon auszugehen, daß Bezieher von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt sich wie Angehörige vergleichbarer Einkommensgruppen keinen professionellen Umzugshelfer leisten, sondern den Umzug unter Inanspruchnahme eines Mietfahrzeuges in "Eigenregie" durchführen. Der Kläger verfügte allerdings zum Zeitpunkt des Umzuges nicht über eine Fahrerlaubnis, so daß ihm auch die Kosten für einen Umzugshelfer, der auch den geliehenen Wagen fuhr, zu gewähren waren. Die vom Kläger nachgewiesenen Umzugskosten hält die Kammer unter den genannten Umständen des Einzelfalles auch insgesamt nicht für unangemessen hoch, sodaß sie antragsgemäß zu bewilligen waren.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Richter am Verwaltungsgericht Hachmann gehört der Kammer z.Zt. nicht mehr an, sodaß er seine Unterschrift nicht beifügen kann Ungelenk
Meyer