Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 16.05.2024, Az.: 1 Ws 131/24 (MVollz)

Verweigerung einer Medikation aufgrund bekannter Nebenwirkungen durch den Untergebrachten; Konkrete Auseinandersetzung der Klinik mit diesem Umstand bei ihren Überzeugungsversuchen als auch bei der Anordnung einer Zwangsbehandlung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
16.05.2024
Aktenzeichen
1 Ws 131/24 (MVollz)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 15351
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2024:0516.1WS131.24MVOLLZ.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 01.02.2024 - AZ: 83 StVK 6/24

Amtlicher Leitsatz

Verweigert der Untergebrachte eine Medikation aufgrund bekannter Nebenwirkungen, muss sich die Klinik damit sowohl bei ihren Überzeugungsversuchen als auch bei der Anordnung einer Zwangsbehandlung konkret auseinandersetzen.

In der Maßregelvollzugssache
des A. M. H.,
geboren am ...,
zurzeit in der KRH Psychiatrie W.,
- Antragstellers und Beschwerdeführers -
- Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt XXX, XXX-
gegen das Klinikum Region Hannover (KRH) Psychiatrie W.,
vertreten durch die Anstaltsleitung,
- Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin -
wegen Zwangsmedikation
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Beteiligung des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht XXX, den Richter am Oberlandesgericht XXX und den Richter am Oberlandesgericht XXX am 16. Mai 2024 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover vom 1.Februar 2024 wird aufgehoben.

  2. 2.

    Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 4. Januar 2024 wird aufgehoben. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, über die Anordnung der Zwangsmedikation unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

  3. 3.

    Die Kosten des Verfahrens einschließlich des Rechtsbeschwerdeverfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Antragstellers trägt die Landeskasse.

  4. 4.

    Der Streitwert wird für beide Instanzen auf bis 2.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller befindet sich seit 2015 im Maßregelvollzug. Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 10. Januar 2024 wendet er sich gegen einen Bescheid der Antragsgegnerin vom 4. Januar 2024, mit dem diese die Behandlung des Antragstellers gegen seinen natürlichen Willen, vorrangig mit dem Antipsychotikum Aripiprazol, angeordnet hat.

Die Antragsgegnerin hat die Anordnung der Zwangsmedikation auf § 8a Abs. 1 Nds. MVollzG gestützt. Sie hat dazu insbesondere ausgeführt, dass der Antragsteller aufgrund einer bei ihm festgestellten paranoiden Schizophrenie mit inhaltlichen und formalen Denkstörungen, affektiven Störungen und erheblichen psychosozialen Einschränkungen krankheitsbedingt nicht zur Einsicht in die Schwere seiner Erkrankung und die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen bzw. zum Handeln gemäß solcher Einsicht fähig sei. Eine Patientenverfügung liege nicht vor. Der Antragsteller sei mehrfach in angemessener, seinem Gesundheitszustand entsprechender Weise über die beabsichtigte medikamentöse Behandlung informiert worden, die Gespräche seien ergebnislos verlaufen. Die vorgesehene Behandlung diene ausschließlich dem Ziel, seine Entlassungsfähigkeit und somit auch seine Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu fördern. Die Reduktion der Krankheitssymptomatik sei unabdingbare und wesentliche Voraussetzung sowohl für einzelne Behandlungsfortschritte als auch für die Erprobung in Vollzugslockerungen und diene seiner sozialen Rehabilitation bzw. der Ausgestaltung eines geeigneten sozialen Empfangsraumes. Die Behandlung sei zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet und erforderlich, weil die geplante Medikation derzeit alternativlos sei. Sie sei angemessen, weil andere Behandlungsmöglichkeiten angesichts des bisherigen Krankheitsverlaufes und aktuellen Untersuchungsergebnisses nicht erkennbar bzw. als aussichtslos einzustufen seien. Im Ergebnis überwiege der zu erwartende Nutzen der beabsichtigten medikamentösen Behandlung "deutlich gegenüber einem möglichen gesundheitlichen Schaden respektive der Belastung bei weiterer Nichtbehandlung".

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 1. Februar 2024 hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen einer medikamentösen Zwangsbehandlung nach § 8a Abs. 1 Nr. 1 bis 7 Nds. MVollzG ausweislich einer schriftlichen Stellungnahme der vor der Anordnung hinzugezogenen Sachverständigen Dr. R. und B. vorlägen. In dem Bescheid der Antragsgegnerin seien alle für eine Zwangsmedikation in § 8a Nds. MVollzG erforderlichen Voraussetzungen erläutert und im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nachvollziehbar abgewogen worden. Dabei seien die damit einhergehenden Belastungen für den Antragsteller sowohl von der Antragsgegnerin als auch von den externen Sachverständigen berücksichtigt worden.

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Er beanstandet insbesondere eine fehlende Auseinandersetzung mit dem bisherigen Behandlungsverlauf und der früheren Medikation des Antragstellers sowie fehlende Darlegungen zu erfolglosen Versuchen der Antragsgegnerin, den Antragsteller von einer freiwilligen Einnahme der Medikamente zu überzeugen. Die Medikation lehnt er weiterhin ab, weil er infolge einer früheren Behandlung mit demselben Medikament massiv an Gewicht zugenommen und sehr hohen Blutdruck sowie Diabetes mellitus entwickelt habe.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat (jedenfalls vorläufig) Erfolg. Die Überprüfung auf die in zulässiger Form erhobene Sachrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an die Antragsgegnerin gemäß § 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG.

1.

Die form- und fristgerecht (§ 118 StVollzG) erhobene Rechtsbeschwerde ist zulässig. Es ist geboten, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen, um einer Wiederholung der nachfolgend aufgezeigten Rechtsfehler entgegenzuwirken.

2.

Die Entscheidung über die medikamentöse Behandlung des Antragstellers gegen seinen Willen erweist sich als rechtsfehlerhaft.

Es kann dahinstehen, ob der angefochtene Bescheid den formellen Anforderungen des § 8a Abs. 4 Satz 2 Nds. MVollzG genügt, wonach in der Anordnung die Dauer der Behandlung anzugeben ist. Der Bescheid erwähnt insofern lediglich bei der Begründung der Geeignetheit der Behandlung einen Behandlungszeitraum von maximal sechs Monaten und es erscheint zweifelhaft, ob in dieser formelhaften Wendung die erforderliche einzelfallbezogene Anordnung einer bestimmten Behandlungsdauer oder nicht bloß eine Bezugnahme auf die gesetzliche Höchstdauer gemäß § 8a Abs. 6 Satz 1 Nds. MVollzG zu sehen ist. Dies bedarf aber im Rechtsbeschwerdeverfahren keiner Entscheidung, weil jedenfalls die materiellen Voraussetzungen der Zwangsmedikation gemäß § 8a Abs. 1 Nds. MVollzG nicht tragfähig festgestellt sind.

a)

In dem revisionsähnlich ausgestalteten Rechtsbeschwerdeverfahren nimmt das Rechtsbeschwerdegericht lediglich eine Rechtskontrolle auf der Grundlage der in der angefochtenen Entscheidung getroffenen Tatsachenfeststellungen vor. Ein Rückgriff auf weitere, ggf. neue Tatsachenbehauptungen der Verfahrensbeteiligten ist dem Senat nicht möglich. Aus diesem Grund muss das erstinstanzliche Gericht in dem Beschluss nach § 115 StVollzG die entscheidungserheblichen Tatsachen und rechtlichen Gesichtspunkte so vollständig wiedergegeben, dass eine hinreichende Überprüfung des Beschlusses im Rechtsbeschwerdeverfahren möglich ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 22. Juni 2012 - 1 Ws 205/12 [StrVollz] -, Nds. Rpfl. 2012, 378; OLG Hamburg NStZ 2005, 592 [OLG Hamburg 12.05.2005 - 3 Vollz(Ws) 28/05]; OLG Nürnberg ZfStrVo 2006, 122 [OLG Nürnberg 21.12.2005 - 1 Ws 1055/05]; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2007, 325 [OLG Karlsruhe 13.03.2007 - 1 Ws 183/06]; Arloth/Krä, StVollzG, § 115 Rn. 6 mwN). Der Tatbestand muss eine sowohl für die Beteiligten als auch für außenstehende Dritte verständliche, klare, vollständige und richtige Grundlage der Entscheidung bieten (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 8. Juni 2005 - 1 Ws 185/05 [StrVollz] -, Nds. Rpfl. 2005, 379 mwN).

In Verfahren, die eine Zwangsmedikation zum Gegenstand haben, muss die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer in besonderem Maße den Grundrechten des Betroffenen Rechnung tragen. Die medizinische Behandlung eines Untergebrachten gegen seinen natürlichen Willen greift in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ein (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Die Gabe von Neuroleptika gegen den natürlichen Willen des Patienten stellt dabei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einen besonders schweren Grundrechtseingriff dar. Dies gilt schon im Hinblick auf die nicht auszuschließende Möglichkeit schwerer, irreversibler und lebensbedrohlicher Nebenwirkungen und die teilweise große Streuung in den Ergebnissen der Studien zur Häufigkeit des Auftretens erheblicher Nebenwirkungen. Psychopharmaka sind zudem auf die Veränderung seelischer Abläufe gerichtet. Ihre Verabreichung gegen den natürlichen Willen des Betroffenen berührt daher, auch unabhängig davon, ob sie mit körperlichem Zwang durchgesetzt wird, in besonderem Maße den Kern der Persönlichkeit (BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09 -, BVerfGE 128, 282, Rn. 44).

Aufgrund der Schwere des Grundrechtseingriffs kommt den Anforderungen an die gerichtliche Entscheidung auch besonderes verfassungsrechtliches Gewicht zu (BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09 -, BVerfGE 128, 282-322, Rn. 70). Das Gericht muss eine für den Einzelfall hinreichende Gründlichkeit bei der Entscheidungsfindung gewährleisten und sicherstellen, dass die Entscheidung auf einer der Sachbedeutung entsprechenden Tatsachengrundlage aufbaut (BVerfG, Beschluss vom 26. März 2009 - 2 BvR 2543/08 -, BVerfGK 15, 287-306, Rn. 40; BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1985 - 2 BvR 1150/80 -, BVerfGE 70, 297-323, Rn. 35).

Bei ihrer Entscheidung kann die Strafvollstreckungskammer nach Maßgabe von § 115 Abs. 1 Satz 3 StVollzG auf ärztliche Stellungnahmen der Antragsgegnerin verweisen (OLG Celle, Beschluss vom 12. Dezember 2019 - 3 Ws 325/19 (MVollz) -, Rn. 17, juris). Diese Verweisung darf sich aber nur auf Einzelheiten beziehen und kann die eigenständige Darstellung der entscheidungserheblichen Tatsachen durch die Strafvollstreckungskammer nicht vollständig ersetzen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 21. Oktober 2013 - 4a Ws 211/13 (V) -, Rn. 18, juris). Es muss zudem deutlich werden, ob und inwieweit sich das Gericht die Überlegungen, auf die es verweist, auch selbst zu eigen macht (OLG Celle, Beschluss vom 12. Januar 2022, 3 Ws 372/21 (StrVollz) m. w. N.).

Verweist das Gericht auf ärztliche Stellungnahmen, müssen diese auch ihrerseits den verfassungsrechtlichen Begründungsanforderungen genügen und hinreichend substantiiert sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1985 - 2 BvR 1150/80 -, BVerfGE 70, 297-323, Rn. 36). Auch medizinische Einschätzungen, für die die Antragsgegnerin über besondere Sachkunde verfügt, unterliegen der gerichtlichen Prüfung, ob die behandelnden Ärzte von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen sind und sich die Entscheidung im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben bewegt (OLG Celle, Beschluss vom 12. Dezember 2019 - 3 Ws 325/19 (MVollz) -, Rn. 17, juris).

b)

Diesen Anforderungen halten die Ausführungen im Beschluss der Strafvollstreckungskammer sowie dem Ausgangsbescheid und den Stellungnahmen der Antragsgegnerin und der Sachverständigen, auf die sich die Strafvollstreckungskammer bezogen hat, nicht stand. Die darin mitgeteilten Tatschen belegen nicht, dass die Voraussetzungen für eine Behandlung des Antragstellers gegen seinen Willen gemäß § 8a Abs. 1 Nds. MVollzG erfüllt sind.

Weder die Strafvollstreckungskammer noch die Antragsgegnerin haben sich ausreichend mit dem Einwand des Antragstellers auseinandergesetzt, dass die angeordnete Medikation bei ihm in der Vergangenheit zu schwerwiegenden Nebenwirkungen in Gestalt einer massiven Gewichtszunahme um 80 Kilogramm, einem stark erhöhten Blutdruck und einer Diabeteserkrankung geführt habe. Die Anordnung beruht deshalb auf einer unvollständigen Tatsachengrundlage, ihre Begründung ist zudem in mehrfacher Hinsicht lückenhaft.

aa)

Es ist bereits nicht tragfähig belegt, dass der Antragsteller krankheitsbedingt nicht zur Einsicht in die Schwere seiner Krankheit und die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen oder zum Handeln gemäß solcher Einsicht fähig ist (§ 8a Abs. 1 Nr. 1 Nds. MVollzG).

Die Strafvollstreckungskammer gibt hierzu in den angefochtenen Beschluss zum einen die Einschätzung der Antragsgegnerin wieder, wonach es an einer entsprechenden Einsichtsfähigkeit des Antragstellers fehle. Hierzu führt sie aus, dass er trotz wiederholter Überzeugungsversuche der zuständigen Stationsärztinnen und einer umfassenden Information über die Behandlung die Zustimmung verweigert habe. Zum anderen bezieht sich die Strafvollstreckungskammer auf die Ausführungen der Sachverständigen, wonach beim Antragsteller die Diagnose eine paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie bestätigt werde, sich ein chronifiziertes paranoid-halluzinatorisches Krankheitsbild erkennen lasse und er im persönlichen Kontakt in misstrauischer Haltung erschienen sei, wenig Augenkontakt habe halten können und formalgedanklich sprunghaft und misstrauisch paranoid erschienen sei. Aufgrund dieser Erkrankung sei der Untergebrachte nicht fähig, die Schwere seiner Erkrankung und die Notwendigkeit einer Behandlung zu erkennen, und sei ein angemessenes Gespräch über die Störung und die Behandlung über Monate hinweg nicht möglich gewesen.

Diese Ausführungen lassen zunächst besorgen, dass die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit von einem unzulässigen Zirkelschluss beeinflusst ist. Denn auf eine Einwilligungsunfähigkeit darf nicht schon daraus geschlossen werden, dass der Betroffene eine aus ärztlicher Sicht erforderliche Behandlung nicht dulden will (BVerfG, BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09 -, BVerfGE 128, 282-322, Rn. 55; OLG Frankfurt, Beschluss vom 3. Januar 2023 - 3 Ws 488/22 -, Rn. 20, juris). Auch die Diagnose einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie ist für sich genommen nicht geeignet, eine Einwilligungsunfähigkeit zu belegen; vielmehr sind deren Schweregrad und ihre tatsächlichen Auswirkungen auf die Einwilligungsfähigkeit konkret festzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. September 2023 - 6 StR 360/23 -, Rn. 6, juris, zur Auswirkung auf die Schuldfähigkeit).

Eine Auseinandersetzung mit den konkreten Auswirkungen der Erkrankung war im vorliegenden Fall umso mehr erforderlich, als der Antragsteller seine Ablehnung der Behandlung mit konkreten Sachargumenten begründet hat. Es ist nicht ersichtlich, dass seine Angaben zu einer massiven Gewichtszunahme bei der früheren Einnahme des Medikaments und zu einer Erkrankung an starkem Bluthochdruck und Diabetes mellitus unzutreffend sind oder seine Einschätzung der Nebenwirkungen krankheitsbedingt fehlerhaft ist. Zwar würde auch eine richtige Einschätzung der Nebenwirkungen durch den Antragsteller nicht ausschließen, dass er möglicherweise den Nutzen der Behandlung krankheitsbedingt nicht zutreffend erfasst oder Nutzen und Risiken nicht frei gegeneinander abwägen kann, eine auf diese Weise ausgeprägte Beeinträchtigung ist aber weder von der Antragsgegnerin noch von den Sachverständigen konkret dargelegt worden.

bb)

Die angefochtene Entscheidung belegt auch nicht, dass die Antragsgegnerin ernsthaft, mit dem erforderlichen Zeitaufwand und ohne Ausübung von Druck den Versuch unternommen hat, eine auf Vertrauen gegründete Zustimmung des Antragstellers zu der Behandlung zu erreichen (§ 8a Abs. 1 Nr. 4 Nds. MVollzG).

Der vom Gesetz geforderte Überzeugungsversuch ist Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, dem bei einer medikamentösen Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug besonderes Gewicht zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09 -, BVerfGE 128, 282-322, Rn. 58). Er muss sich auf die konkret beabsichtigte Behandlung beziehen. Feststellungen zum Angebot anderer Medikamente sind ebenso wenig relevant wie allgemein gehaltene Ausführungen zu Gesprächen, die nicht erkennbar auf die Gabe des bestimmten Medikamentes bezogen sind (OLG Hamm, Beschluss vom 24. September 2019 - III-1 Vollz (Ws) 415/19 -, Rn. 20, juris).

Dem angefochtenen Beschluss lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind. Er führt lediglich abstrakt aus, dass der Antragsteller nach Darstellung der Antragsgegnerin trotz wiederholter Versuche der zuständigen Stationsärztinnen, den Untergebrachten von der Erforderlichkeit der Behandlung zu überzeugen, seine Zustimmung verweigert habe, und dass die Antragsgegnerin eine Dokumentation der Überzeugungsversuche vorgelegt habe. Im Bescheid der Antragsgegnerin selbst wird ausgeführt, dass die behandelnden Ärztinnen Frau Dr. Z. und Frau Dr. K. der Pflicht zur Aufklärung über die Behandlung mehrfach im Zeitraum von Oktober bis November 2023 nachgekommen seien.

Diese Darlegungen erweisen sich in mehrfacher Hinsicht als lückenhaft. Zum einen bleibt offen, ob sich die Gespräche mit den behandelnden Ärztinnen tatsächlich auf eine Behandlung mit dem Antipsychotikum Aripiprazol bezogen haben, dessen zwangsweise Gabe von der Antragsgegnerin letztlich angeordnet wurde. Zweifel hieran ergeben sich aufgrund der Stellungnahme der Sachverständigen, wonach dem Antragsteller seit September 2023 täglich Ziprasidon - also ein anderes Medikament - angeboten worden sei.

Zum anderen sind auch die inhaltlichen Voraussetzungen eines Überzeugungsversuches gemäß § 8a Abs. 1 Nr. 4 Nds. MVollzG nicht festgestellt. Bereits nach der gesetzlichen Regelung ist ein Überzeugungsversuch mehr als die bloße Information über die beabsichtigte Behandlung, die von § 8a Abs. 1 Nr. 3 Nds. MVollzG verlangt und im Bescheid der Antragsgegnerin erwähnt wird. Erforderlich für einen ernsthaften, auf Vertrauen gegründeten Überzeugungsversuch ist zumindest, dass sich die zuständige Ärztin mit sachlichen Einwänden des Betroffenen auseinandersetzt und diese mit ihm erörtert. Im vorliegenden Fall war deshalb eine gemeinsame Erörterung der Sorge vor den bereits in der Vergangenheit aufgetretenen Nebenwirkungen geboten. Ob und in welchem Umfang eine solche erfolgt ist, wurde indes nicht festgestellt.

cc)

Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der angeordneten Behandlung (§ 8a Abs. 1 Nr. 6 und 7 Nds. MVollzG) erweist sich ebenfalls als rechtsfehlerhaft. Denn auch insoweit hätte es im vorliegenden Fall einer besonderen Auseinandersetzung mit den Nebenwirkungen bedurft, die der Antragsteller bereits während der letzten Einnahme des Medikaments Aripiprazol in Gestalt einer massiven Gewichtszunahme, eines stark erhöhten Blutdrucks und einer Erkrankung an Diabetes mellitus bei sich erfahren haben will.

Dies gilt zunächst für die gemäß § 8a Abs. 1 Nr. 6 Nds. MVollzG vorzunehmende Prüfung, ob anstelle des verordneten Antipsychotikums Aripiprazol auch ein Medikament mit einer geringeren Gefahr von Nebenwirkungen zur Erreichung des Behandlungserfolgs zur Verfügung gestanden hätte. Eine Erörterung dieser Frage drängte sich auch deshalb auf, weil die Antragsgegnerin - wie sich aus der Stellungnahme der Sachverständigen ergibt - dem Antragsteller gerade deshalb zunächst das Medikament Ziprasidon angeboten haben soll, weil sie sich davon eine suffiziente Therapie der psychotischen Symptomatik sowie keine weitere Zunahme des bereits ausgeprägten Übergewichts versprochen habe. Weder dem Beschluss der Strafvollstreckungskammer noch den in Bezug genommenen Stellungnahmen der Antragsgegnerin und der Sachverständigen lässt sich entnehmen, weshalb die Antragsgegnerin trotz dieser Einschätzung letztlich nicht die Behandlung mit Ziprasidon, sondern mit Aripiprazol angeordnet hat. Die Bemerkung der Sachverständigen, dass Ziprasidon "aufgrund des Wirkprofils" nicht empfohlen werden könne, ist insoweit nichtssagend und steht in einem unaufgelösten Widerspruch zu der anfänglichen Einschätzung der Antragsgegnerin.

Die abschließende Abwägung der Nutzen der Behandlung mit den damit einhergehenden Belastungen sowie dem möglichen Schaden bei Nichtbehandlung (§ 8a Abs. 1 Nr. 7 Nds. MVollzG) erforderte im vorliegenden Fall außerdem eine konkrete Prognose der drohenden Nebenwirkungen. Denn die vom Gesetz gefordert Abwägung ist hier überhaupt erst möglich, wenn Feststellungen zu Grad der Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Nebenwirkungen und ihres Ausmaßes getroffen werden (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Februar 2017 - 2 Ws 36/17 -, Rn. 17, juris). Nur auf einer solchen Grundlage könnte die - in ihrem Bescheid nicht mit Tatsachen unterlegte - Beurteilung der Antragsgegnerin nachvollzogen werden, dass der zu erwartende Nutzen deutlich gegenüber einem möglichen gesundheitlichen Schaden überwiege.

Entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer reicht es nicht aus, dass nach der Stellungnahme der Sachverständigen - die die Kammer der Antragsgegnerin zuschreibt - die von ihnen aufgezählten verschiedenen möglichen Nebenwirkungen bei Absetzen der Medikation "in der Regel reversibel seien". Diese Formulierung lässt bereits offen, ob dies auch konkret für die mit einer massiven Gewichtszunahme verbundenen Beeinträchtigungen des Antragstellers gilt. Zudem ist unklar, ob und ggf. wann ein Absetzen des Medikaments überhaupt vorgesehen ist; der bisherige Behandlungsverlauf deutet jedenfalls auf das Ziel einer dauerhaften Einnahme hin. Auch die im Behandlungsplan vorgesehenen begleitenden Maßnahmen und Kontrolluntersuchungen verhalten sich nicht konkret zu einer Reaktion auf die vom Antragsteller befürchteten Nebenwirkungen.

Soweit der angefochtene Beschluss auf eine Stellungnahme der Antragsgegnerin vom 25. Januar 2024 verweist, in denen sie sich zur Frage der Nebenwirkungen äußert, lässt auch diese die entscheidenden Gesichtspunkte außer Acht. Die Antragsgegnerin teilt darin mit, dass eine Gewichtszunahme unter dem Medikament Aripiprazol "eher selten auftritt so dass ein Teil der Gewichtszunahme, welche nunmehr persistiert, auch der ungesunden Lebensweise mit wenig eigeninitiativer Bewegung und hoher Kalorienzufuhr zuzuschreiben ist, was wiederum als Ausdruck der psychotischen Grunderkrankung im Sinne einer Negativsymptomatik interpretiert werden kann." Dabei verkennt die Antragsgegnerin zum einen, dass es für die Entscheidung des vorliegenden Einzelfalls nicht auf das allgemeine Nebenwirkungsprofil des Medikaments ankommt, sondern auf dessen konkrete Auswirkungen auf den Antragsteller, für die bereits konkrete Erfahrungen aus der mehrjährigen Einnahmezeit vorliegen. Zum anderen kommt es nicht entscheidend darauf an, zu welchem Anteil auch andere Ursachen zu der bereits bestehenden Gewichtszunahme beigetragen haben, sondern vielmehr darauf, inwieweit sich die somatischen Erkrankungen des Antragstellers - nach seinem Vorbringen neben dem massiven Übergewicht auch Bluthochdruck und Diabetes mellitus - durch die neuerliche Einnahme noch verschlechtern könnten und welche gesundheitlichen Gefahren sich daraus möglicherweise ergeben.

3.

Aufgrund der vorgenannten Rechtsfehler hebt der Senat nicht nur den angefochtenen Beschluss der Strafvollstreckungskammer, sondern auch den Ausgangsbescheid auf und verpflichtet die Antragsgegnerin, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden, weil die Sache insoweit spruchreif ist (§ 102 NJVollzG i. V. m. § 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG).

Eine Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer scheidet aus, weil die aufgeführten Rechtsfehler auch die ärztlichen Beurteilungen der Antragsgegnerin erfassen und die Strafvollstreckungskammer deshalb keine eigene Sachentscheidung treffen könnte.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 4 StVollzG i. V. m. § 467 Abs. 1 StPO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 1 Nr. 8, 63 Abs. 3, 65 GKG (zur Höhe vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 25. März 2021 - III-4 Ws 53/21 -, juris).

IV.

Eine Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag des Antragstellers erfolgt gesondert.