Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 27.05.2024, Az.: 1 Ws 100/24 (MVollz)

Verlegungen einer untergebrachten Person in eine andere Maßregelvollzugseinrichtung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
27.05.2024
Aktenzeichen
1 Ws 100/24 (MVollz)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 16064
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2024:0527.1WS100.24MVOLLZ.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - AZ: 71 StVK 34/24

Amtlicher Leitsatz

Die in Niedersachsen geübte Praxis, dass über Verlegungen einer untergebrachten Person in eine andere Maßregelvollzugseinrichtung die behandelnde Einrichtung entscheidet, ist rechtswidrig.

In der Maßregelvollzugssache
des M. R.,
geboren am ...,
zurzeit MRVZN M.
- Antragstellers und Beschwerdeführers -
gegen die Klinikum Region Hannover (KRH) Psychiatrie W.,
vertreten durch die ärztliche Leitung
- Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin -
wegen Verlegung
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der 1. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover vom 22. Februar 2024 nach Beteiligung des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Rosenow, den Richter am Oberlandesgericht Schmidt-Clarner und den Richter am Oberlandesgericht Wilkening am 27. Mai 2024 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss und die Verlegungsanordnung der Antragsgegnerin vom 16. Februar 2024 werden aufgehoben.

Der Antragsteller ist in das KRH W.zurückzuverlegen.

Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Antragstellers trägt die Landeskasse.

Der Streitwert wird für beide Instanzen auf bis zu 500 € festgesetzt.

Gründe

I.

Gegen den Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 9. September 2013 eine Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Jahren und sechs Monaten verhängt. Daneben wurde die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet. Seit dem 29. Januar 2015 wurde die Maßregel bei der Antragsgegnerin vollzogen. Am 16. Februar 2024 wurde dem Antragsteller durch diese seine Verlegung ins MRVZN M. angekündigt. Der Antragsteller ist mittlerweile dorthin verlegt worden.

Die Kammer hat mit Beschluss vom 22. Februar 2024 den Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Antragstellers gegen die Verlegung als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragstellers, der die Verletzung materiellen Rechts rügt.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil es geboten ist, die Nachprüfung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§§ 116, 138 Abs. 3 StVollzG). Es gilt, den im Folgenden dargestellten Rechtsfehler künftig zu vermeiden.

III.

Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Denn die zulässig erhobene Sachrüge deckt einen durchgreifenden Rechtsfehler im angefochtenen Beschluss auf.

1. Zutreffend hat die Kammer die Beurteilung der Maßnahme an § 5 Abs. 2 Nds. MVollzG bemessen. Entgegen dem Vorbringen des Antragstellers handelt es sich bei der angeordneten Verlegung in eine andere Einrichtung nicht um eine Zwangsbehandlung im Sinne von § 8a Nds. MVollzG. Insofern war die vom Antragsteller zitierte Rechtsprechung nicht einschlägig und die Kammer auch nicht gehalten, sich damit näher auseinanderzusetzen.

2. Die materiellrechtlichen Voraussetzungen von § 5 Abs. 2 Nr. 1 Nds. MVollzG sind von der Kammer ohne Rechtsfehler bejaht worden. Danach kann die untergebrachte Person abweichend vom Vollstreckungsplan in eine andere für den Vollzug der jeweiligen Maßregel vorgesehene Einrichtung verlegt werden, wenn hierdurch die Behandlung der untergebrachten Person oder ihre Eingliederung gefördert wird. Gegen den der Verlegung zugrundeliegenden Aspekt, dass eine zielführende Behandlung des Antragstellers im KRH Wunstorf nicht mehr gewährleistet werden kann, ist nicht zu erinnern. Hierfür spricht schon die erhebliche Verweildauer in der bisherigen Einrichtung, während der ein nennenswerter Behandlungserfolg in Bezug auf das zugrundeliegende Störungsbild nicht erreicht werden konnte. Erfolg versprechende bislang unterbliebene Behandlungsansätze im Rahmen des bisherigen Settings zeigt auch das Beschwerdevorbringen nicht auf. Vielmehr ist durch den bisherigen Unterbringungsverlauf belegt, dass aufgrund der fehlenden Öffnungsbereitschaft des Antragstellers vor dem Hintergrund der erforderlichen Aufklärung seiner sexuellen Tatmotive eine deliktsspezifische Behandlung bei der Antragsgegnerin nicht weiter zielführend ist und nur durch die Verlegung in eine andere Maßregelvollzugseinrichtung ein therapeutischer Neuanfang in einem unbelasteten Behandlungsumfeld eine Therapiemotivation möglich erscheint. Dies gilt umso mehr, als nach den Darlegungen der Antragsgegnerin ein stark zerrüttetes Patienten-Therapeuten-Verhältnis besteht. Dies wird letztliche auch durch den Vortrag des Antragstellers bestätigt, der trotz der langjährigen Unterbringung bei der Antragsgegnerin noch immer Behandlungsansatz und - hypothese in der Einrichtung für verfehlt betrachtet. Vor diesem Hintergrund relativiert sich auch das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er mit seiner neuen Therapeutin gut "klarkomme". Vielmehr ist die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass nur mit einem neuen therapeutischen Setting und einen örtlichen Wechsel der spezifischen Gestaltungen der kontextuellen Bedingungen ein neuer Ansatz für eine Behandlung erreicht werden kann, zu Recht nicht zu beanstanden gewesen. Die Entscheidung orientiert sich dabei vornehmlich am Behandlungsziel nach § 2 Abs 1 S.1 Nds. MVollzG, indem sie zumindest den Versuch unternimmt, beim Antragsteller einen neuen Ansatz für die Weckung einer Therapiebereitschaft zu generieren und dem bisherigen Behandlungsstillstand und damit einem unbehandelten weiteren Verbleib im Maßregelvollzug entgegenzuwirken. Auch das eröffnete Ermessen hat die Kammer im Rahmen der nach §§ 115 Abs. 4, 138 Abs. 3 StVollzG nur beschränkt möglichen Überprüfung ohne Rechtsfehler überprüft und dabei berücksichtigt, dass die Antragsgegnerin die dem verfassungsrechtlichen Gewicht des Resozialisierungsziels und der für die Erreichbarkeit dieses Ziels maßgebenden Umstände (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. März 2020 - 2 BvR 1362/19, juris Rn. 2) Rechnung getragen hat, indem diese die wesentliche Bedeutung der familiären Beziehungen des Antragsstellers, auf das der Maßregelvollzug wie der Strafvollzug wegen Art. 6 Abs. 1 GG als wertentscheidender Grundsatznorm auszurichten ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. April 2006 - 2 BvR 818/05, juris Rn. 12; Beschluss vom 27. März 2012 - 2 BvR 2258/09, BVerfGE 130, 372; Beschluss vom 20. Juni 2017 - 2 BvR 345/17, juris Rn. 36; Beschluss vom 24. März 2020 - 2 BvR 1362/19, juris Rn. 2), in ihre Entscheidung mit hat einfließen lassen. Dass die Antragsgegnerin den Gesichtspunkt, dass die Eltern des Antragstellers für einen Besuch bei diesem nun eine längere Anreise auf sich nehmen müssen als vorher, im Rahmen ihrer Abwägung der vordringlichen Behandlung des Störungsbildes als nachrangig zurückgestellt hat, stellt keinen Ermessensfehlgebrauch dar.

3. Die Kammer hat bei ihrer Entscheidung jedoch verkannt, dass eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin für die Verlegungsentscheidung nicht gegeben war.

a) Gemäß § 5 Abs. 5 Nds. MVollzG steht die Entscheidung nach § 5 Abs. 2 Nds. MVollzG dem Fachministerium oder der von ihm bestimmten Stelle zu. Hintergrund für diese von der im Fall der Verlegung von Strafgefangenen (§ 10 NJVollzG) abweichenden Regelung war nach dem Willen des Gesetzgebers, dass im Interesse der Rechtssicherheit der privaten Betreiber von Maßregelvollzugseinrichtungen klar sein sollte, wer Entscheidungen über Abweichungen vom Vollstreckungsplan treffen darf (vgl. LT-Drs. 15/3290). Mit dem Wortlaut dieser Norm ist die von der Antragsgegnerin der Kammer mitgeteilte "gebilligte Lesart des zuständigen Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung, wonach die Zuständigkeit zur Entscheidung über Verlegungen grundsätzlich bei der abzugebenden Stelle liegt", nicht vereinbar. Die gegen den Willen des Betroffenen erfolgende Verlegung stellt einen bisweilen schwerwiegenden Eingriff in dessen Grundrechtsposition aus Art. 2 Abs. 1 GG dar und vermag zudem unter Umständen auch die Resozialisierung des Untergebrachten zu beeinträchtigen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 2023, 2 BvR 1936/22, BeckRS 2023, 39899). Von daher bedarf es für eine solche Maßnahme einer konkreten Umsetzung der im Gesetz dem Fachministerium zugebilligten Delegationsmöglichkeit, die die Kammer indessen nicht festgestellt hat.

b) Unterlag die angefochtene Entscheidung damit bereits der Aufhebung, hat der Senat darüber hinaus davon abgesehen, die Sache an die Kammer zurückzuverweisen. Denn aufgrund des Vorbringens des beteiligten Fachministeriums im Rechtsbeschwerdeverfahren steht fest, dass von dessen Delegationsmöglichkeit im Sinne von § 5 Abs. 5 Nds. MVollzG tatsächlich kein Gebrauch gemacht worden ist. Im Vollstreckungsplan nach § 5 Abs. 1 Nds. MVollzG heißt es hierzu: "Für Verlegungen nach Beginn des Maßregelvollzuges gelten § 5 Abs. 2 Nds. MVollzG und die hierzu vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung erlassenen besonderen Bestimmungen." Ein solcher Erlass ist indessen nicht ergangen. Mangels Zuständigkeit der Antragsgegnerin war daher die angefochtene Maßnahme vom 16. Februar 2024 infolge Spruchreife nach §§ 119 Abs. 4 Satz 2, 138 Abs. 3 StVollzG durch den Senat aufzuheben.

IV.

Infolge der bereits durchgeführten Verlegung hat der Senat nach § 115 Abs. 2 Satz 2 StVollzG nach pflichtgemäßem Ermessen auch die Folgenbeseitigung der Maßnahme angeordnet. Der Antragsteller ist unverzüglich in das KRH Wunstorf zurückzuverlegen.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 121 Abs. 4, 138 Abs. 3 StVollzG, 467 StPO entsprechend.

VI.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 1 Abs. 1 Nr. 8, 52 Abs. 1, 60, 63 Abs. 3 Nr. 2, 65 GKG.