Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 14.05.2024, Az.: 1 Ws 130/24
Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen einen Eröffnungsbeschluss in einem Fall räuberischen Diebstahls
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 14.05.2024
- Aktenzeichen
- 1 Ws 130/24
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2024, 16675
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2024:0514.1WS130.24.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Stade - 16.04.2024
Rechtsgrundlagen
- § 203 StPO
- § 210 Abs. 2 StPO
Fundstellen
- NStZ 2024, 697-698
- StraFo 2024, 379-380
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Eröffnet die Kammer das Hauptverfahren vor einem Gericht niedrigerer Ordnung, ist auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hiergegen der hinreichende Tatverdacht regelmäßig nicht zu überprüfen.
- 2.
Im Fall der Anklage wegen eines die Strafgewalt des Amtsgerichts im Mindestmaß übersteigenden Verbrechens ist das Hauptverfahren vor dem Landgericht zu eröffnen, es sei denn, dass die amtsgerichtliche Strafgewalt infolge einer im Raum stehenden Strafrahmenverschiebung mit Sicherheit ausreicht.
In der Strafsache
gegen I.-A. S.,
geboren am ...,
zurzeit JVA B.
- Verteidiger: Rechtsanwalt C., A., und Rechtsanwältin K., R. -
wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls u.a.
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht XXX, den Richter am Oberlandesgericht XXX und die Richterin am Oberlandesgericht XXX am 14. Mai 2024 beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Stade vom16. April 2024 dahin geändert, dass das Hauptverfahren gegen den Angeklagten vor dieser Strafkammer eröffnet wird.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sowie die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten hat die Landeskasse zu tragen.
Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft hat mit Anklage vom 21. August 2023 dem Angeklagten und der Mitangeschuldigten M. einen Diebstahl von drei Flaschen J. D. im Wert von 62,97 € am 29. November 2022 im f.-Supermarkt in B. sowie dem Angeklagten einen anschließend begangenen besonders schweren räuberischen Diebstahl, bei dem der Angeklagte in Beuteerhaltungsabsicht dem den Angeklagten verfolgenden Zeugen S. mit einer der Flaschen Schläge auf den Kopf angedroht haben soll, vorgeworfen.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht das Hauptverfahren gegen den Angeklagten abweichend vom Antrag der Staatsanwaltschaft vor dem Schöffengericht Bremervörde eröffnet. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass eine Freiheitsstrafe von über vier Jahren nicht zu erwarten sei. Aufgrund des Gesamtgeschehens liege ein minder schwerer Fall eines besonders schweren räuberischen Diebstahls vor, der abweichend vom Regelstrafrahmen, der eine Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren vorsieht, einen Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe eröffne. Hierfür spreche, dass die konkrete Tatbegehung vergleichsweise deutlich weniger schwer wiege als in Fällen, die das Normalbild der Qualifikation aus § 250 StGB darstellen. Die erzielte Beute sei sehr gering, die Tat liege 1,5 Jahre zurück und sei impulsiv und unvorbereitet begangen worden. Zudem sei der Angeklagte nur geringfügig einschlägig vorbelastet. Auch die derzeit laufende Bewährung resultiere lediglich aus der Begehung eines Bagatelldeliktes. Zudem habe der Angeklagte erklärt, die Tat einräumen zu wollen.
Hinsichtlich der Mitangeschuldigten ist eine Eröffnungsentscheidung bislang nicht ergangen.
Die Staatsanwaltschaft hat gegen die Eröffnungsentscheidung sofortige Beschwerde erhoben, soweit das Verfahren vor dem Schöffengericht eröffnet worden ist. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass die Annahme des Landgerichts, es liege ein minder schwerer Fall vor, nicht zutreffe.
Der Angeklagte hatte rechtliches Gehör.
II.
Die nach § 210 Abs. 2 StPO statthafte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
1. Der hinreichende Tatverdacht (§ 203 StPO) war vom Senat nicht zu überprüfen. Denn die Kammer hat den Sachverhalt, der der Anklageerhebung hinsichtlich des Angeklagten zugrunde liegt, in rechtlicher wie in tatsächlicher Hinsicht identisch beurteilt wie die Staatsanwaltschaft. Damit ist die Entscheidung, ob die Anklage zuzulassen und das Hauptverfahren zu eröffnen ist, in unanfechtbare Weise getroffen worden (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 19. Juni 2023, 2 Ws 157/23 unter deutlicher Abgrenzung zur vermeintlichen eigenen Gegenansicht in NStZ 2017, 495; Beschl. v. 22. Februar 2024, 2 Ws 33/24; KG BeckRS 2021, 38524; OLG Dresden, BeckRS 2021, 61656; OLG Koblenz, BeckRS 2017, 146157; OLG Saarbrücken, wistra 2002, 118; OLG Hamburg, wistra 2003, 38). Die hiervon abweichende Ansicht (vgl. BGH BeckRS 2014, 528; BayObLG NJW 1987, 511; Meyer-Goßner/Schmitt, 66. Aufl., § 210 StPO, Rn. 2) wird der eng auszulegenden Ausnahmevorschrift des § 210 Abs. 2 StPO nicht gerecht. Der Senat weist allerdings darauf hin, dass sowohl in Anklage als auch angefochtenem Beschluss das Konkurrenzverhältnis zwischen räuberischem Diebstahl und dem Diebstahl als Vortat unzutreffend behandelt worden ist. Denn aufgrund des Verhältnisses der Gesetzeseinheit kommt bei Vorliegen eines räuberischen Diebstahls eine Verurteilung wegen des Diebstahls als Vortat nicht in Betracht (vgl. statt vieler Fischer, 71. Aufl., § 252 StGB, Rn. 12).
2. Für die Durchführung des Hauptverfahrens gegen den Angeklagten ist die Zuständigkeit der großen Strafkammer des Landgerichts Stade begründet.
a) Eine Zuständigkeit des Schöffengerichts wäre nach §§ 28, 24 Abs. 1 Nr. 2 GVG gegeben, wenn im Einzelfall eine höhere (Gesamt-)Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe nicht zu erwarten ist. Dabei ist in der Rechtsprechung umstritten, ob es darauf ankommt, dass die amtsgerichtliche Strafgewalt mit Sicherheit ausreicht (vgl. KG, a.a.O.; OLG Koblenz, a.a.O.; OLG Dresden, a.a.O.) oder ob die Zuständigkeit des Landgerichts erst dann gegeben ist, wenn bei überschlägiger Prognose aufgrund konkreter Umstände eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass eine Freiheitsstrafe von mehr als vier Jahren verhängt werden wird (vgl. OLG Dresden, NStZ 2023, 445 [OLG Dresden 16.12.2022 - 2 Ws 270/22]). Letztere Ansicht stützt sich dabei auf das Regel-Ausnahme-Verhältnis, so wie es in § 24 Abs. 1 Satz 1 GVG zum Ausdruck komme, wonach Strafsachen erster Instanz grundsätzlich den Amtsgerichten zugewiesen seien (vgl. BGH NJW 2017, 280 [BGH 06.10.2016 - 2 StR 330/16]).
b) Jedenfalls im vorliegenden Fall hält der Senat es für erforderlich, dass die Strafgewalt des Amtsgerichts evident ausreichen müsste, um dessen Zuständigkeit zu begründen. Denn zum einen ist im Fall einer Anklage wegen §§ 252, 250 Abs. 2 StGB durch die Anordnung des die Strafgewalt des Amtsgerichts übersteigenden Mindestmaßes der angedrohten Freiheitsstrafe von fünf Jahren, die nur bei einem minder schweren Fall unterschritten wird, das Regel-Ausnahme-Verhältnis bei der Zuständigkeitsbestimmung zwischen Amts- und Landgericht gerade umgekehrt. Zudem bringt eine derartige Strafandrohung es - wie im vorliegenden Fall - regelmäßig mit sich, dass gegen einen betroffenen Beschuldigten Untersuchungshaft vollstreckt wird. Erkennt das Amtsgericht im Laufe der Hauptverhandlung, dass sein Strafrahmen nicht ausreichen wird, wäre zu befürchten, dass eine Verweisung nach § 270 StPO an das Landgericht zu einer Verzögerung führen könnte, die wegen des besonderen Beschleunigungsgrundsatzes in Haftsachen möglichst zu vermeiden ist.
c) Ausgehend vom Regelstrafrahmen des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB hat der Angeklagte im Fall seiner Verurteilung mit einer Mindeststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe zu rechnen. Dass ein minder schwerer Fall vorliegt, der zu einer Strafrahmenverschiebung nach § 250 Abs. 3 StGB führen könnte, ist zumindest nicht evident. Ein minder schwerer Fall liegt dann vor, wenn das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle in so erheblichem Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint. Bei dieser Beurteilung ist eine Gesamtbetrachtung aller wesentlichen ent- und belastenden Umstände erforderlich, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen (MK-Maier, 4. Aufl., § 46 StGB, Rn. 115). Soweit die Kammer unter anderem darauf abstellt, dass der Angeklagte die Tat einräumen will, kommt dem zum gegenwärtigen Zeitpunkt angesichts der Mitteilung seines Verteidigers vom 10. April 2024, wonach der räuberische Diebstahl bestritten wird, keine wesentliche Bedeutung zu. Der Angeklagte ist in einem Zeitraum von weniger als einem Jahr mehrfach und davon zweimal einschlägig rechtskräftig verurteilt worden. Die Tat, die der zweiten Verurteilung zugrunde lag, ereignete sich weniger als eine Woche nach der Verurteilung zu sechs Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung. Auch die hiesige Tat fällt in dem Bewährungszeitraum. Neben den Vorstrafen ist mithin eine hohe Rückfallgeschwindigkeit des Angeklagten, gleichbedeutend mit einer offensichtlich fehlenden Wirkung vorangegangener Verurteilungen, zu berücksichtigen. Dass die Beute demgegenüber nur geringfügig war, führt auch unter Berücksichtigung der sonstigen, von der Kammer herangezogenen Umstände nicht zu der Bewertung, dass die Annahme eines minder schwerer Falls des besonders schweren räuberischen Diebstahls sich vorliegend aufdrängt.
3. Für die Anordnung, die Hauptverhandlung vor einer anderen großen Strafkammer stattfinden zu lassen (§ 210 Abs. 3 Satz 1 StPO) besteht mangels besonderer Sachkunde kein Anlass. Über die Gerichtsbesetzung wird die Strafkammer gemäß § 76 Abs. 2 GVG zu beschließen haben. Darüber hinaus wird sie auch hinsichtlich der Mitangeschuldigten eine Entscheidung nach § 203 StPO zu treffen haben, wenn nicht das Verfahren im Hinblick auf die Mitangeschuldigte nach § 205 StPO vorläufig einzustellen ist.
4.Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Landeskasse zur Last. Denn Kosten, die durch die Einlegung eines Rechtsmittels entstehen, mit dem lediglich der gesetzesmäßige Zustand hergestellt werden soll, hat die Landeskasse zu tragen (vgl. BGHSt 18, 268; KG a.a.O.; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2000, 223; Meyer-Goßner/Schmitt, 66. Aufl., § 473 StPO Rn. 17).