Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 02.02.1995, Az.: 1 U 3/94

Sittenwidrigkeit einer Bürgschaftserklärung; Bestimmtheit der Bürgschaftsurkunde; Verfassungsrechtlich gebotene Korrektur ungleicher Verhandlungsstärke; Erfordernis eines krassen Missverhältnisses zwischen Umfang der Verpflichtung und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit; Ausschluss der Nichtigkeit bei unmittelbarem Eigeninteresse des Bürgen an der Darlehensgewährung; Vorformulierte Bürgschaftserklärung mit erweiterter Haftung als überraschende Klausel; Differenzierung zwischen Kontokorrentkredit und konkretem Tilgungsdarlehen; Vereinbarung einer Höchstbetragsbürgschaft; Beweislast des Bürgen für einseitig mündlich geäußerte betragsmäßige Beschränkung

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
02.02.1995
Aktenzeichen
1 U 3/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 17973
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:1995:0202.1U3.94.0A

Verfahrensgegenstand

Zahlung aus einem Bürgschaftsvertrag

Prozessführer

Herr ...

Prozessgegner

die ...
vertreten durch den Vorstand, Filiale ...

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die Nichtigkeit einer Bürgschaft zur Sicherung eines Darlehens wegen besonders grobem Missverhältnis zwischen Verpflichtungsumfang und Leistungsfähigkeit in Verbindung mit geschäftlicher Unerfahrenheit des Bürgen kommt dann nicht in Betracht, wenn der Bürge als Mitunternehmer oder einer derartigen Stellung vergleichbar in das mit der Darlehensgewährung geplante Projekt einbezogen ist; Gleiches gilt, wenn der Gläubiger jedenfalls subjektiv davon ausgehen durfte, der Bürge sei an dem Projekt in der geschilderten Weise beteiligt.

  2. 2.

    Die Individualvereinbarung der Parteien eines Bürgschaftsvertrages über die betragsmäßige Beschränkung der Bürgschaft geht dem Text einer Formularbestimmung gemäß § 4 AGBG (Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) vor und ist formlos gültig.

  3. 3.

    Ist eine Einigung über die Beschränkung der Bürgschaft nicht zustande gekommen, hat der Bürge aber vor Unterzeichnung der Urkunde erklärt, die Bürgschaft solle nur einen bestimmten Kredit sichern, und ist die Bank dem nicht entgegen getreten, so ist die formularmäßige Erstreckung der Bürgschaft auf die bankmäßige Geschäftsverbindung als überraschende Klausel anzusehen, die nach § 3 AGBG nicht wirksam geworden ist.

In dem Rechtsstreit
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
durch
den Präsidenten des Oberlandesgerichts ... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
aufgrund der mündlichen Verhandlung
vom 12. Januar 1995
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts ... vom 9. Dezember 1993 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer des Beklagten sowie der Berufungsstreitwert betragen 50.000,- DM.

Tatbestand

1

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

2

Die zulässige Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg. Aufgrund des Bürgschaftsvertrages vom 23.03.1988 ist der Beklagte zur Zahlung der Klageforderung verpflichtet.

3

1.

Mit seinem Berufungsvorbringen, das er andeutungsweise bereits im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 03.12.1993 vorgetragen hatte, beruft sich der Beklagte allein auf die Sittenwidrigkeit seiner Bürgschaftserklärung. Demzufolge ist als unstreitig nunmehr davon auszugehen, daß der Beklagte die Bürgschaftsurkunde unterschrieben hat, daß die Klägerin einen Darlehensanspruch gegen die Firma ... in Höhe von jedenfalls 50.000,- DM hat und daß sie der Firma vertragsgemäß Darlehenszinsen in Höhe von 10,9 % jedenfalls vom 12.-31.05.1990 und in Höhe von mindestens 11,2 % seit dem 01.06.1990 berechnet hat.

4

2.

Auch wenn die Parteien insoweit nichts vorgetragen haben, ist von Amts wegen die Frage der Bestimmtheit der Bürgschaftsurkunde zu klären. Bedenken bestehen insoweit jedenfalls im Ergebnis nicht.

5

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Schuldgrund hinreichend bestimmt, wenn auf bestehende und künftige Forderungen verwiesen wird, die aus einem festgelegten Kreis von Rechtsbeziehungen entstehen können. Dieser ist mit dem Begriff der Geschäftsverbindung, die im anschließenden Halbsatz der Bürgschaftserklärung - "... insbesondere aus laufender Rechnung und aus der Gewährung von Krediten jeder Art" - näher erläutert wird, genügend konkret beschrieben. Ob die weiteren Teile der Klausel ebenfalls nur die bankmäßige Geschäftsverbindung erläutern oder eine darüber hinausgehende Verpflichtung ohne jede sachliche Begrenzung begründen sollen, die unwirksam wäre, ist vorwiegend nicht erheblich. Denn auch im letzten Fall bleibt die Bürgschaftsverpflichtung, die sich auf Verbindlichkeiten aus der Geschäftsverbindung zwischen der Klägerin und der Hauptschuldnerin bezieht, davon unberührt. Der erste Teil der Bestimmung der Hauptschuld läßt sich von den nachfolgenden Zusätzen inhaltlich und sprachlich trennen. Er ergibt für sich allein einen vollständigen Sinn und bleibt daher gemäß § 6 Abs. 1 AGBG wirksam (vgl. insgesamt zu dieser Problematik mit einer wortgleichen Bürgschaftsklausel wie vorliegend BGH, Urteil vom 24.02.1994 - IX ZR 93/93 -, S. 5 u. 6 m.w.N., insoweit in BB 1994, 810 ff nicht abgedruckt; BGH WM 1994, 784, 785 [BGH 17.03.1994 - IX ZR 102/93]; NJW 1992, 896, 897) [BGH 16.01.1992 - IX ZR 113/91].

6

3.

Bei der Frage, ob der Bürgschaftsvertrag der Parteien nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist, sind folgende rechtliche Überlegungen zu beachten:

7

a)

Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes gewährleistet die Privatautonomie als "Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben". Da alle Beteiligten des Zivilrechtsverkehrs - im Vertragsrecht alle Vertragspartner - ihre individuelle, den Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG genießende Handlungsfreiheit wahrnehmen und sich gleichermaßen auf die grundrechtliche Gewährleistung ihrer Privatautonomie berufen können, darf nicht das Recht des Stärkeren gelten. Hat im Vertragsrecht eine der Parteien ein so starkes Übergewicht, daß sie den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen kann, bewirkt dies für die andere Partei Fremdbestimmung. Allerdings darf ein Vertrag nicht bei jeder Störung des Verhandlungsgleichgewichts nachträglich in Frage gestellt oder korrigiert werden. Handelt es sich jedoch um eine typisierbare Fallgestaltung, die eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen läßt, und sind die Folgen des Vertrags für den unterlegenen Teil ungewöhnlich belastend, dann muß die Zivilrechtsordnung darauf reagieren und Korrekturen ermöglichen. Für die Zivilgerichte folgt daraus die Pflicht, bei der Auslegung und Anwendung der Generalklauseln darauf zu achten, daß Verträge nicht als Mittel der Fremdbestimmung dienen. Ist der Inhalt eines Vertrages für eine Seite ungewöhnlich belastend und als Interessenausgleich offensichtlich unangemessen, haben die Gerichte zu klären, ob die vereinbarte Regelung eine Folge strukturell ungleicher Verhandlungsstärke ist, und haben ggf. im Rahmen der Generalklauseln des geltenden Zivilrechts korrigierend einzugreifen (BVerfG NJW 1994, 2749, 2750 [BVerfG 05.08.1994 - 1 BvR 1402/89]; s.a. BVerfG NJW 1994, 36, 38) [BVerfG 19.10.1993 - 1 BvR 567/89].

8

Unter Berücksichtigung dieser verfassungsrechtlichen Leitentscheidungen ist ein Rechtsgeschäft nur dann gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist, wobei allein auf die Umstände bei Vertragsabschluß abzustellen ist (BGH NJW 1992, 896, 898 [BGH 16.01.1992 - IX ZR 113/91]; BGHZ 107, 92, 97) [BGH 28.02.1989 - IX ZR 130/88]. Der Umstand, daß die Klägerin vorliegend die Kreditgewährung an die GmbH von einer Bürgschaft des Beklagten sowie der weiteren Gesellschafter abhängig gemacht hat, fuhrt noch nicht zur Sittenwidrigkeit des Bürgschaftsvertrages. Allein die tatsächliche Verknüpfung des der Gesellschaft gewährten Kredits mit der Bürgschaftsverpflichtung ist wegen des Sicherungszwecks der Bürgschaft nicht zu beanstanden (BGH NJW 1992, 896, 898 f) [BGH 16.01.1992 - IX ZR 113/91]. Die Klägerin hat der Gesellschaft, an der der Beklagte maßgeblich beteiligt war, Kredite gewährt, mit denen letztlich auch der Beklagte die Chance zu einer bestimmten wirtschaftlichen Betätigung erhielt. Wenn diese Chance - verschuldet oder unverschuldet - nicht genutzt wurde, kann dies nicht zu Lasten der kreditgebenden Klägerin gehen.

9

Die vom Beklagten eingegangene Verpflichtung ist auch nicht bereits deshalb rechtlich zu mißbilligen, weil der Beklagte im Zeitpunkt seiner Willenserklärung nicht die Einkünfte oder das Vermögen zur Erfüllung der Verbindlichkeiten hatte, für die er haften sollte. Aus der Vertragsfreiheit als Bestandteil der von der Verfassung gewährleisteten Privatautonomie folgt, daß es grundsätzlich jedem unbenommen sein muß, in eigener Verantwortung auch risikoreiche Geschäfte abzuschließen und sich zu Leistungen zu verpflichten, die nur unter besonders günstigen Bedingungen, ggf. unter dauernder Inanspruchnahme des pfändungsfreien Einkommens, erbracht werden können. In der Regel vermag jede unbeschränkt geschäftsfähige Person zu erkennen, daß sie mit einer Bürgschaft ein erhebliches persönliches Risiko eingeht (BGH BB 1994, 810, 811 [BGH 24.02.1994 - IX ZR 93/93]; NJW 1993, 322, 323 [BGH 24.11.1992 - XI ZR 98/92];  1992, 896, 898) [BGH 16.01.1992 - IX ZR 113/91]. Wenn sich der Bürge in einem Umfang verpflichtet, der seine gegenwärtigen und künftig zu erwartenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse weit übersteigt, kann ein solcher Vertrag jedoch dann nichtig sein, wenn der Bürge durch weitere Umstände in einer dem Gläubiger zurechenbaren Weise zusätzlich erheblich belastet wird, die zu einem unerträglichen Ungleichgewicht der Vertragspartner führen (BGH BB 1994, 810, 811 [BGH 24.02.1994 - IX ZR 93/93]; NJW 1991, 923). Derartige Belastungen können sich insbesondere daraus ergeben, daß der Gläubiger die gesellschaftliche Unerfahrenheit oder eine seelische Zwangslage des Bürgen ausnutzt oder auf andere Weise ihn in seiner Entscheidungsfreiheit unzulässig beeinträchtigt. Der Bundesgerichtshof hat als Indizien für eine Ausnutzung der geschäftlichen Unerfahrenheit des Bürgen z.B. angenommen, daß der Bürge weder aufgrund seiner Ausbildung noch durch praktische Tätigkeit im Erwerbsleben geschäftliche Erfahrung erworben hatte und daß er die Verpflichtung nur aus Hilfsbereitschaft als Angehöriger eingegangen war; zusätzlich hat der BGH in derartigen Fällen gefordert, daß das krasse Mißverhältnis zwischen dem Umfang der Verpflichtung des Bürgen und dessen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit klar ersichtlich sein müsse (z.B. BGH BB 1994, 810, 811) [BGH 24.02.1994 - IX ZR 93/93].

10

Die genannten besonderen Umstände, die bei einem erheblichen Ungleichgewicht zwischen Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Bürgen sowie dem Umfang seiner Verpflichtung die Bürgschaftserklärung nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig machen können, setzen allerdings weiter voraus, daß der Bürge kein erhebliches eigenes rechtliches oder wirtschaftliches Interesse an der Kreditgewährung hat (BGH NJW 1993, 322, 323 [BGH 24.11.1992 - XI ZR 98/92]/324; BB 1994, 810, 811 [BGH 24.02.1994 - IX ZR 93/93] u. 812; OLG Stuttgart NJW-RR 1991, 1521, 1523) [OLG Stuttgart 15.03.1991 - 2 U 119/90]. Wenn der Bürge an der Durchführung des Rechtsgeschäfts zwischen Gläubiger und Hauptschuldner rechtlich oder wirtschaftlich im wesentlichen Maß beteiligt ist, hat er ein eigenes Interesse an der Darlehensgewährung. In diesem Fall greift die Begründung für die Nichtigkeit in den zuvor beschriebenen Fällen eben nicht, daß nämlich einer Bürgschaft, die bei besonders grobem Mißverhältnis zwischen Verpflichtungsumfang und Leistungsfähigkeit in Verbindung mit geschäftlicher Unerfahrenheit gegeben werde, von vornherein jeder vernünftige wirtschaftliche Sinn fehle (BGH BB 1994, 810, 811) [BGH 24.02.1994 - IX ZR 93/93]. Wenn der Bürge als Mitunternehmer oder einer derartigen Stellung vergleichbar in das mit der Darlehensgewährung geplante Projekt einbezogen ist, muß er sich behandeln lassen wie jeder Dritte, der ein unmittelbares Interesse an der Gewährung des Kredits hat. Die Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB sind auch dann zu verneinen, wenn der Gläubiger jedenfalls subjektiv davon ausgehen durfte, der Bürge sei an dem Projekt in der geschilderten Weise beteiligt (BGH a.a.O., 812).

11

Der Bürgschaftsgläubiger ist grundsätzlich nicht zu einer besonderen Aufklärung des Bürgen über das übernommene Risiko verpflichtet. Bei einem Volljährigen ist davon auszugehen, daß er auch ohne besondere Erfahrung in der Lage ist, das mit einer Bürgschaftserklärung verbundene Risiko zu erkennen und die Tragweite seines Handelns einzuschätzen (BGH a.a.O., 813; NJW 1992, 896, 898) [BGH 16.01.1992 - IX ZR 113/91].

12

Der in Anspruch genommene Bürge muß die Umstände, die zur Nichtigkeit des Vertrages nach § 138 Abs. 1 BGB fuhren sollen, beweisen (BGH BB 1994, 810, 813 [BGH 24.02.1994 - IX ZR 93/93]; NJW 1993, 322, 323) [BGH 24.11.1992 - XI ZR 98/92].

13

b)

In einem am 01.06.1994 verkündeten Urteil (VI ZR 133/93 - NJW 1994, 2146) hatte sich der 11. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs mit der Wirksamkeit einer Bürgschaftsurkunde zu befassen, derzufolge die selbstschuldnerische Bürgschaft übernommen wurde "zur Sicherung aller bestehenden und künftigen, auch bedingten oder befristeten Forderungen ... gegen den Hauptschuldner", dem (Ehemann der Bürgin) eine Bank ein konkretes Tilgungsdarlehenüber 200.000,- DM mit einer Laufzeit von 47 Monaten zur Finanzierung einer Kommanditbeteiligung gewährt hatte. Der BGH hat u.a. ausgeführt: Die Erstreckung der aus Anlaß des Tilgungsdarlehens übernommenen Bürgschaft auf alle bestehenden und künftigen Forderungen der Bank aus ihrer Geschäftsverbindung mit dem Hauptschuldner in der als Allgemeine Geschäftsbedingung anzusehenden vorformulierten Bürgschaftserklärung sei überraschend und sei deshalb nicht Vertragsbestandteil geworden (§ 3 AGBG). Wenn Anlaß für die Bürgschaft die Gewährung eines bestimmten Darlehens an einen Dritten sei, so erwarte der Sicherungsgeber nicht und brauche damit vernünftigerweise auch nicht zu rechnen, auch für alle anderen schon begründeten oder zukünftig erst entstehenden Schulden des Kreditnehmers einstehen zu müssen. Der Überraschungseffekt liege in einem solchen Fall im Widerspruch zwischen der durch den besonderen Anlaß der Bürgschaftsübernahme zutage getretenen Zweckvorstellung des Bürgen und der davon in einem nicht zu erwartenden Ausmaß abweichenden Reichweite der vorformulierten Bürgschaftserklärung. Der 11. Zivilsenat hat sodann ausdrücklich darauf hingewiesen, daß diese seine Rechtsprechung lediglich für den Fall von Bürgschaften gelte, die aus Anlaß eines Tilgungsdarlehens gegeben werden. Da der Bürgschaftserklärung in diesem Fall ein überraschender Charakter beizumessen sei, sei sie gemäß § 3 AGBG nicht Vertragsbestandteil geworden, soweit sie sich auf andere Forderungen der Bank gegen den Hauptschuldner als die aus dem konkret zugrundeliegenden Tilgungsdarlehen beziehe. Der Überraschungseffekt könne allerdings für den Bürgen ausgeräumt werden, wenn die Bank im Rahmen der Vertragsverhandlungen auf die Erweiterung der Haftung hingewiesen habe. Für einen derartigen Hinweis wäre die klagende Bank darlegungs- und beweispflichtig.

14

Demgegenüber hat der 9. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs bisher in ständiger Rechtsprechung die Ansicht vertreten, die Erstreckung einer Bürgschaft in einer vorformulierten Erklärung, die ein Bürge aus Anlaß eines betragsmäßig limitierten Kontokorrentkredits unterzeichne, auf alle bestehenden und künftigen Ansprüche einer Bank gegen den Hauptschuldner aus einer bankmäßigen Geschäftsverbindung ohne betragsmäßige Beschränkung sei grundsätzlich nicht überraschend i.S.v. § 3 AGBG (WM 1994, 784 [BGH 17.03.1994 - IX ZR 102/93];  1992, 391, 392;  1986, 95, 97;  1985, 155, 157). In einer weiteren Entscheidung hat es der 9. Zivilsenat ausdrücklich offengelassen, ob es erforderlich sei, eine vorformulierte Bürgschaftserklärung der in Rede stehenden Art als überraschend anzusehen, wenn sie dem Bürgen nicht aus Anlaß der Gewährung eines Kontokorrentkredits, sondern eines Tilgungsdarlehens zur Unterzeichnung vorgelegt werde (WM 1987, 924, 925).

15

Das wiedergegebene Urteil des 11. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 01.06.1994 hat auf den vorliegend zu entscheidenden Berufungsrechtsstreit keinen Einfluß. Denn der Beklagte hat als maßgeblich beteiligter Mitgesellschafter der Firma ... die Bürgschaft übernommen für Geschäftskredite, die dieser Gesellschaft gewährt worden waren bzw. noch gewährt werden sollten. Es handelte sich insoweit nicht um ein konkretes Tilgungsdarlehen, sondern um einen im Geschäftsleben üblichen Kontokorrentkredit.

16

4.

Für die Anwendung der dargelegten Rechtsprechung zum Bürgschaftsrecht im übrigen auf den vorliegenden Streitfall sind zunächst folgende Umstände hervorzuheben: Der Beklagte war im Zeitpunkt seiner Bürgschaftserklärung (23.03.1988) zwar fast 70 Jahre alt; ausweislich seiner Selbstauskunft bezog er aber Renteneinkünfte von 2.852,10 DM monatlich. Zu berücksichtigen ist außerdem, daß er mit einer 50 %igen Beteiligung der Hauptgesellschafter der war. Auch haben alle vier Gründungsgesellschafter - also unter Einschluß des Beklagten - am 03.03.1988 gegenüber der Klägerin eine schriftliche Erklärung unterschrieben, derzufolge sie gesamtschuldnerisch und unbeschränkt für alle Ansprüche der in Gründung befindlichen GmbH haften, die der Klägerin aus der Geschäftsverbindung gegen die Gesellschaft zustehen oder noch zustehen werden. Weiter enthält die unterschriebene Verpflichtung den Hinweis, daß nach Eintragung der GmbH in das Handelsregister die persönliche Haftung der Gesellschafter für Forderungen gegen die Gesellschaft, die in der Zeit vor der Eintragung begründet wurden, neben der Verbindlichkeit der Gesellschaft fortbestehe. Sodann ist bedeutsam, daß in der schriftlichen Bürgschaftsurkunde, die der Beklagte am 23.03.1988 unterschrieben hat, in hervorgehobenem Druck gleich zu Beginn darauf hingewiesen ist, daß die Bürgschaft "für alle bestehenden und künftigen - auch bedingten oder befristeten - Ansprüche" gegen die Gesellschaft gelten solle, und zwar als "betragsmäßig unbeschränkte selbstschuldnerische Bürgschaft".

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Unter Berücksichtigung seines eigenen wirtschaftlichen Interesses - der Beklagte war Hauptgesellschafter der in Gründung befindlichen GmbH - sowie des insoweit eindeutigen und auch klar hervorgehobenen Inhalts der Bürgschaftsurkunde bleibt als erhebliche Verteidigung des Beklagten allein seine Behauptung, ihm sei bei Unterzeichnung der Urkunde erklärt worden, daß sich die Bürgschaft nur auf 20.000,- DM belaufe, die Höhe des seinerzeit eingeräumten oder einzuräumenden Kredits. Soweit der Beklagte geltend machen will, eine derartige Erklärung stamme von einem der anderen Mitgesellschafter, kann er deshalb den Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Klägerin nicht erheben, da diese sich entsprechende Äußerungen nicht zurechnen lassen muß. Bezüglich der Behauptung des Beklagten, der Bankangestellte Herr ... habe ihm bei der Unterzeichnung der Urkunde erklärt, daß die Bürgschaft sich nur auf die Kreditsumme von 20.000,- DM beziehe, ist zunächst folgendes zu bemerken: Wenn die Parteien eines Bürgschaftsvertrages vereinbaren, die Bürgschaft betragsmäßig zu beschränken, dann geht diese Individualabrede dem Text der Formularbestimmung gemäß § 4 AGBG vor. Die Abrede ist dann auch wirksam geworden. Denn die Vereinbarung, die die Haftung des Bürgen im Vergleich zu dem beschränkt, was sich aus der Urkunde in Verbindung mit den gesetzlichen Vorschriften ergibt, ist formlos gültig (BGH WM 1994, 784, 785 [BGH 17.03.1994 - IX ZR 102/93] m.w.N.). Selbst wenn eine Einigung über die Beschränkung der Bürgschaft nicht zustandegekommen ist, der Bürge aber vor Unterzeichnung der Urkunde erklärt hat, die Bürgschaft solle nur einen bestimmten Kredit sichern, und wenn die Bank dem nicht entgegengetreten ist, ist dieses Vorbringen des Bürgen erheblich. In einem derartigen Fall wäre die formularmäßige Erstreckung der Bürgschaft auf die bankmäßige Geschäftsverbindung wiederum als überraschende Klausel anzusehen, die nach § 3 AGBG nicht wirksam geworden ist. Typisch für eine überraschende Klausel ist der von ihr ausgehende Überrumpelungseffekt. Eine solche Wirkung enthält jede Regelung, mit der der Vertragspartner vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht (insgesamt BGH a.a.O.).

18

5.

Der Beklagte hat den von ihm zu führenden Beweis für seine Behauptung nicht erbracht.

19

Frau ... die Tochter des Beklagten, hat als Zeugin lediglich bekundet, sie sei fest der Auffassung, daß die Bürgschaft auf den Betrag von 20.000,- DM begrenzt werden sollte. Die Einzelheiten der Bürgschaftserklärung müßten am 23.03.1988 nochmal unmittelbar zwischen ihrem Vater und Herrn ... besprochen worden sein. Sie könne sich zwar nicht mehr im einzelnen daran erinnern, welche Worte gefallen seien. Sie sei sich aber sicher, daß ihr Vater nicht einfach etwas unterschrieben habe, ohne zu wissen, bis zu welchem Betrag er habe haften sollen. Eine genaue Erinnerung an den Verlauf des entscheidenden Gesprächs, das der Unterzeichnung der Bürgschaftsurkunde in den Räumen der Bank vorausging, hat die Zeugin nicht. Ihr Ehemann, der Zeuge ... hat demgegenüber ausgesagt, die Bürgschaft habe sich auf die 20.000,- DM beziehen sollen, die die Gesellschafter als Darlehen hätten aufnehmen wollen. Der Beklagte hätte keine Bürgschaft übernommen, wenn nicht der Betrag festgestanden hätte. Herr ... habe auf jeden Fall an jenem Tag die Summe von 20.000,- DM für die Bürgschaft genannt. Das ergebe sich schon aus dem Umstand, daß er bei späteren Erhöhungen der Kreditlinie den Beklagten nie hinzugebeten habe.

20

Demgegenüber hat der Zeuge ... ausgesagt, er habe am 23.03.1988 mit dem Beklagten nicht über eine Begrenzung, d.h. einen Höchstbetrag der Bürgschaft gesprochen. Eine Höchstbetragsbürgschaft sei für ihn, den Zeugen, gar nicht in Betracht gekommen. Er könne sich zwar nicht mehr an Einzelheiten des Gesprächs erinnern, müsse aber sagen, daß die Vereinbarung eines Höchstbetrages nicht seiner inzwischen 24jährigen Praxis als Bankkaufmann entsprochen hätte. Da die GmbH erst in der Gründung befindlich gewesen sei, habe fortlaufend mit einem Mehrbedarf an Kredit gerechnet werden müssen. Bei der Unterzeichnung der Urkunde sei auch auf keinen Fall von einer Begrenzung auf 20.000,- DM die Rede gewesen, weil es um diesen Betrag nicht gegangen sei, sondern nur um einen Kreditantrag von 10.000,- DM. Der Zeuge hat sodann angegeben, er wisse nicht, ob am 23.03.1988 zwischen den Anwesenden Mitgesellschaftern Gespräche über eine Begrenzung der Bürgschaft geführt worden seien.

21

Bei diesem Beweisergebnis kann nicht eindeutig beurteilt werden, ob Herr ... oder der Beklagte eine Begrenzung der Bürgschaft auf 10.000,- oder 20.000,- DM erwähnt haben oder nicht. Möglicherweise hatte der Beklagte die Vorstellung, seine Bürgschaft umfasse lediglich die Höhe des damals von den Gesellschaftern beantragten Kredits. Auf diese Möglichkeit deuten die Angaben beider Zeugen ... hin, der Beklagte hätte keine Bürgschaft übernommen, deren Obergrenze nicht feststand. Eindeutige Aussagen über den Inhalt des Gesprächs, das der Unterzeichnung der Bürgschaftsurkunde am 23.03.1988 unmittelbar vorausging, hat keiner der Zeugen machen können. Der Zeuge ... hat im wesentlichen angegeben, wie er derartige Gespräche üblicherweise führt. Er kann sich nicht einmal erinnern, ob er dem Beklagten die fettgedruckten Teile des Vordrucks noch einmal besonders vorgelesen hat. Auch die Zeugin ... hat ersichtlich keine genaue Erinnerung, was am 23.03.1988 in der Bank besprochen worden ist. Soweit ihr Ehemann bei seiner Vernehmung erklärt hat, Herr habe eine Begrenzung der Bürgschaft auf 20.000,- DM an jenem Tag schon deshalb ausdrücklich versichert, weil er den Beklagten bei späteren Erhöhungen des Kredits nicht zugezogen habe, handelt es sich insoweit wohl eher um eine Vermutung als um eine konkrete Erinnerung. Diese Vermutung ist im übrigen nicht unbedingt überzeugend. Da die Kredite jeweils nur von Herrn ... oder einem der anderen Gesellschafter beantragt worden sind, jedoch nicht vom Beklagten, bestand eine Veranlassung zu dessen Beiziehung nicht. Der Beklagte hatte schließlich bereits eine Bürgschaftsurkunde unterschrieben, die ausdrücklich betragsmäßig unbeschränkt und selbstschuldnerisch war.

22

Bei dieser Sachlage steht nicht eindeutig fest, daß der Beklagte seinen Willen geäußert hat, in jedem Fall nur betragsmäßig begrenzt bis zur Höhe des beantragten Kredits zu bürgen, seien es 10.000,- DM oder 20.000,- DM. Eine derartige Äußerung, die auch für den Zeugen unmißverständlich hätte sein müssen, wäre aber erforderlich gewesen, um entgegen dem klaren Wortlaut der Bürgschaftsurkunde den Umfang der eingegangenen Verpflichtung betragsmäßig zu begrenzen. Aus der Sicht von Herrn ... hatte der Beklagte als maßgeblich beteiligter Gesellschafter der gegründeten GmbH auch ein erhebliches eigenes Interesse an der Gewährung des Kredits. Aus diesem Grund brauchte ... den Beklagten nicht in besonderer Weise über die Bedeutung seiner Unterschrift aufzuklären, wie es ansonsten möglicherweise erforderlich gewesen wäre.

23

Daß der Beklagte den ihm obliegenden Beweis für eine mündlich geäußerte Beschränkung der Bürgschaft nicht erbracht hat, hat zur Folge, daß die schriftliche Erklärung vom 23.03.1988 wirksam ist mit dem darin im einzelnen niedergelegten Inhalt. Jedenfalls in Höhe der Klageforderung ist der Beklagte aus dieser von der Klägerin angenommenen Bürgschaftserklärung zahlungspflichtig. Er hat der Klägerin auch die vertraglich vereinbarten Zinsen auf den Kreditbetrag zu erstatten, die in der geltend gemachten Höhe unstreitig sind. Die von der Klägerin verlangten vorgerichtlichen Kosten von 30,- DM sind berechtigt als pauschalierter Verzugsschaden.

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6.

Da die Berufung unbegründet ist, muß der Beklagte zusätzlich die Kosten des Rechtsmittels tragen, § 97 Abs. 1 ZPO. Die weiteren Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 713 sowie § 546 Abs. 2 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Die Beschwer des Beklagten sowie der Berufungsstreitwert betragen 50.000,- DM.